Helga Siebecke

Sich frei machen

 

Sich frei machen

 

Komisch, keiner hat Zeit. Nur ich. Alle haben Stress und wenn keiner vorhanden, dann tut man so als ob. Jedenfalls kommt es mir oft so vor. Vielleicht bin ich aber auch schon jenseits von Gut und Böse.

Keine Zeit zu haben ist schick. Man ist in Eile, hat Termine und ist immer furchtbar wichtig, natürlich deshalb auch schier unabkömmlich.

„Ich mach mich frei“, heißt es manchmal. Dieses Freimachen scheint auf jeden Fall eine komplizierte Geschichte zu sein und sie ist immer mit der allergrößten Anstrengung verbunden. Es ist eine besondere Gnade, wenn sich so ein viel beschäftigter Mensch frei macht.

Ich bin immer frei und ich brauche dafür absolut nichts zu tun. Vermutlich bin ich deshalb weder wichtig noch in irgendeiner Weise unabkömmlich. Es könnte aber auch anders sein, dass ich nur frei bin, weil ich absolut unwichtig und abkömmlich bin.

Nicht von Bedeutung zu sein ist heutzutage wirklich ein Desaster, denn man kann natürlich so niemals wirklich mitreden. Diejenigen, die sich mit letzter Kraft frei machen konnten, müssen darüber ständig sprechen, wie wenig Zeit sie eigentlich haben und was sie alles machen würden, wenn sie Zeit hätten. Zuhören können sie jetzt aus Zeitmangel weniger, später vielleicht.

Ich habe Zeit und mache alles, wovon ich spreche. Das ist uncool. Man muss doch von Visionen schwärmen und innovative Projekte in imaginäre Räume stellen. So wird der intellektuelle Zeitgeist nur deutlich. Man spinnt halt, warum auch nicht, jedem das Seine.

Für mich ist die Zeit kein Geist. Ich habe sie und zwar soviel von ihr, dass es mir allmählich peinlich zu werden beginnt. Ich glaube mit derlei Betrachtungen erreiche ich allenfalls nur noch Gehör bei nicht ganz verzweifelten Arbeitslosen oder bei nicht unter dem ständigen Termindruck schwächelnden, noch geistig regen Rentnern. Leider kenne ich weder entspannte Arbeitslose noch freie Rentner und stehe mit meiner vielen Zeit generös aber hoffnungslos alleine herum.

Viele der Vielbeschäftigten vermeinen ohne ihre Gschaftlhuberei zum Langweiler zu mutieren, wahrscheinlich haben sie nicht ganz unrecht mit ihrer Befürchtung, denn sie wären schlagartig für die Welt uninteressant, wer oder was auch immer dies für eine Welt sein mag, auf die sie so gesteigerten Wert legen. Sie sind deshalb sehr beunruhigt. Sie müssen sich also hektisieren, auch weil sie dem Irrglauben verfallen sind, nur Hektik, Trubel, Lautstärke und das ständige Gewusel würde wirkliches Leben bedeuten. Ob sie damit richtig liegen? Also ich weiß nicht. So stöhnen sie kokett und möchten den ruhigeren Vertretern mit ihrem Lebens-verständnis imponieren. Oder gar sich selber? Na ja, wenn’s schee macht, was mir irgendwie fraglich erscheint. Nun, Hinterwäldler-Mondgenies haben immer so eine eigene Philosophie, nicht für die breite Masse verständlich, weil so einfach.

Eines Tages bekommen die Gschaftlhuber einen Anfall, einen Schlaganfall, dann haben sie Zeit, nur ist der Geist flöten. Das kann passieren, aber nur im schlimmsten Fall. Meistens brüsten sie sich ewig mit dem fragwürdigen Zustand, keine Zeit zu haben, während ich immer noch verschämt gestehe, alle Zeit der Welt zu besitzen und ich mich nicht frei machen muss, um sie zu gestalten und anzufüllen mit Worten, Versen, Texten, Geschichten und anderer brotloser Kunst. Leider macht sich keiner frei, sie zu lesen oder über sie nachzudenken, sich darüber auszulassen. Das stimmt mich ein wenig traurig, aber mehr auch nicht, denn wie schrecklich wäre es erst, wenn sich einer zwangsweise dafür frei machen müsste ohne jede Freiwilligkeit also, so mehr notgedrungen, mir zu Liebe, aus Höflichkeit. Darauf was geschissen!

Tja, so ist das wohl mit dem so genannten „sich frei machen“, zumindest aus der Sicht eines kleinen engstirnigen, armen aber freien Mondgenies.

 

http://www.mondgenie-helga.de.tl/

Anmerkung:

Wer mehr über die Mondgenies wissen möchte oder sich dafür interessiert, wie sie aussehen, der kann ja mal oben kurz klicken.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.09.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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