Andreas Rüdig

Das Übersetzungsbüro

Unser Übersetzungsbüro läuft hervorragend. Es hat sich wirklich ausgezahlt, daß ich mich auf exotische Sprachen spezialisierte. Aramäisch, Ewe, Yeruba, Han – Chinesisch, Koreanisch, Japanisch, Thai, Kambodschanisch – das sind nur ein paar der Sprachen, die mein Übersetzungsbüro auf Lager hat.
Das Auswärtige Amt ist dabei unser bester Kunde. Und das nicht ohne Grund. Vor einigen Jahren gründete das Amt ein Tochterunternehmen. „Letter – Gesellschaft zur Förderung ausländischer Literatur“ heißt die Firma. Das System funktioniert folgendermaßen. In den Ländern Asien, Afrikas und Ozeaniens erhalten die Botschaften und Konsulate jährlich einen Betrag zwischen 1.000 und 10.000 Euro. Damit müssen die Leute dann auf Einkaufstour gehen. Sie sollen Bücher einheimischer Autoren kaufen. Belletristik darf es genauso sein wie Sachbücher. Wir dürfen es dann übersetzen. Japan bietet viele Sachbücher (Geschichte, Technik, Informatik, Geographie), China politische Literatur, wie andere südostasiatische Länder (Laos, Thailand, Vietnam, Kambodscha) aber auch religiöse, buddhistische Literatur. Ägypten und Äthiopien bieten koptisch – christliche Literatur. Nordafrika und Arabien bieten insbesondere islamische, theologische Bücher. Indien bietet viel Unterhaltungsliteratur.
Wieso das Auswärtige Amt diese Kulturoffensive gestartet hat, weiß ich auch nicht so genau. Das Projekt läuft nun schon seit 10 Jahren. Viel Geld konnte „Letter“ noch nicht mit den Büchern verdienen. Die meisten Autoren sind in den Feuilleton kaum besprochen worden. Nur die technischen und naturwissenschaftlichen Fachbücher werfen einen bescheidenen Gewinn ab. Ich habe den Verdacht, daß die Auslandgeheimdienste hinter dem Buchprojekt stecken. Wir sind immer noch billiger als deren Agenten; die liefern nur unregelmäßig und unzuverlässig Informationen und wandern bei einer Enttarnung in den Knast. Da viele Firmen die von uns übersetzten technischen Bücher kaufen, muß die Literatur wohl interessant sein. Wir übersetzen zunehmend auch Geschäftsberichte, Firmenprospekte und Gesetzestexte; also muß auch daran ein Interesse bestehen.
Wieso die Regierung gerade auf mein Übersetzungsbüro gekommen ist? „Wir sind gut, kompetent und politisch und religiös neutral,“ könnte ich ja jetzt sagen. Was aber nur vordergründig stimmt. Ich selbst bin mit einer Frau aus Thailand verheiratet. Mit 20 lernte ich sie kennen, mit 21 heiratete ich sie und lebte die nächsten 10 Jahre mit ihr in Thailand. Natürlich zeigte sie mir ihre Heimat, gelegentliche Ausflüge nach Laos und Kambodscha nicht ausgeschlossen. Gastronomie und Tourismus florieren dort aber auch nicht mehr. Also machten wir das Hotel dicht und wollten eigentlich thailändischen Schmuck und Dekorationsstücke nach Deutschland exportieren – kleine Buddha – Statuen und solchen Schnickschnack. Da das ewige Reisen zwischen Thailand und Deutschland auf Dauer schlaucht, bin ich froh, daß ich die Geschäftsidee nicht realisierte. Ich hörte gerade noch rechtzeitig, daß die Botschaft in Bangkok Bücherjäger suchte. Ich heuerte an und kaufte Unmengen Bücher. Zurück in Deutschland merkte ich, daß die Bücher nur in mäßiger Qualität übersetzt worden waren. Kurz entschlossen machte ich ein Übersetzungsbüro auf, übersetzte die Bücher neu und gab sie im Selbstverlag heraus.
Die Bücher floppten zwar; dafür wurde das Außenministerium auf mich aufmerksam. Die Zahl die Aufträge wuchs kontinuierlich Ich konnte das Personal schon bald aufstocken.
Mein Bruder ist mit einer Frau aus Sierra Leone verheiratet. Sie kennt sich dementsprechend gut in Nord- und Westafrika aus. Momentan sind wir gut im Geschäft. Solange das Auswärtige Amt das Projekt weiterführt, wird es auch so bleiben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.09.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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