Dorian Kirschstein

Grüß Gott, wenn du ihn siehst!

 

 Als ich oben ankam, war ich nicht wirklich überrascht. Ich weiß überhaupt gar nicht, ob man überrascht sein kann, wenn man tot ist. Aber nun ja. Alles war irgendwie so, wie man sich das immer vorstellt: Das große Tor zum Himmel, die ins rosa fallenden Wölkchen, auf denen man laufen kann, und Petrus, der an einem sündhaft teuren Louis-XI-Sekretär vor der Himmelspforte sitzt (wenn man Tag und Nacht arbeitet, kann man sich einen solchen Luxus leisten).
Petrus stellte sich mir als Seniorpartner der Vermittlungsagentur Petrus&Paulus vor, die ihren Hauptsitz im Himmel über Rom hat, nahm meine Personalien auf, die von einer hübschen Halbgöttin in den Computer eingegeben wurden, und ich wurde ins Wartezimmer geschickt. Man sagte mir, es könne etwas dauern, da gerade eine Gruppe Extremsportler angekommen war.
Ich hängte meinen Hut an die Garderobe, grüßte in die Runde und nahm auf einem der furchtbar unbequemen Stühle Platz. Der nette Herr neben mir, der wohl schon etwas länger wartete (seine Haut hatte einen ungesunden Grünton, so zwischen Moos- und Kotzgrün), fuchtelte gerade mit einer der ausliegenden EXPRESS-Ausgaben herum und zeigte jedem stolz seine weltlichen Überreste.
Da fällt mir ein, vielleicht sollte ich auch einmal erklären, wie ich den eigentlich hier hochgekommen bin. Nun, Sie werden lachen, ich reiste nach Venedig und starb. Leider nicht so spektakulär, als dass ich vom Markusturm gestürzt oder in einem Schusswechsel zwischen Mafia und Carabinieri draufgegangen wäre; nein, es war eher ein kleinbürgerlicher Tod. Hauptakteur war ein erbärmlich schlechter Gondoliere, der mich zu Hauptverkehrszeit über Bord in den Canal Grande trieb, aus dem ich vor lauter Gondeln unglücklicherweise nicht wieder auftauchte. (Ertrinken ist übrigens dem alltäglichen Trinken sehr ähnlich, nur geschieht es mit der Lunge.)
Nun, gerade in tiefster Befriedigung darüber, dass man unter Wasser keinen Gesang vernehmen kann, ging es wusch! und  ich stand an der Vor-Himmelundhölle-Rezeption. Als ich dem Diensthabenden, der leider nur italienisch verstand, endlich klar gemacht hatte, dass ich doch bitteschön pronto, pronto in den Himmel möchte, caramba!, deutete er in Richtung eines Fahrstuhls und einer Treppe, über denen ein großes Schild „ZUM HIMMEL“ hing und die gegenüber eines Fahrstuhls und einer Treppe mit Aufschrift „ZUR HÖLLE“ lag. Der Himmelsaufzug war leider aufgrund der seltenen Nutzung und der hohen Stromkosten seit etwa 2000 Jahren außer Betrieb, und als ich zur nicht enden scheinenden Treppe schielte, sagte ich mir: „Zur Hölle, aber mit Aufzug!“
Wie sich herausstellte, führte auch der Höllenaufzug vors Himmelsportal. „Was ein frommer Christ ist“, dachte ich mir, „der leidet und nimmt die Treppe.“
Während ich also wartete, hatte ich die Gelegenheit, Zeuge vieler Einzelschicksale zu werden. Es gab zwei Arten, nämlich die tragischen und die doofen. Zu letzterem zählten z. B. der schizophrene Ehemann, der seine Frau der Untreue beschuldigte und sich selbst erschoß, der berufserprobte Stuntman, der beim Reifenwechseln von seinem Auto überrollt wurde, und der Lebensmüde, dessen Strick riss, sodass der Schuss daneben ging und seine Pulsader verfehlte, der aber vor Überraschung darüber einen Herzinfarkt erlitt. Zu den tragischen fällt mir gerade nichts ein.
Der ältere Herr rechts von mir, der zu Lebzeiten Vegetarier war und an einer Fleischvergiftung starb, fragte mich nach einiger Zeit: „Un, wat meinense, ob man Sie inne Hölle lässt ?“ Ich schaute ihn irritiert an und entgegnete, bereit, über seine voller Ironie steckende, humoristisch wertvolle Frage zu lachen: „Na, hoffentlich nicht, was?“ Allerdings kam er mir zuvor und rief dann: „Nä, dat glaubste net, jemine, wenn dat mine Erna hören tät! Will nich zur Hölle!“ Vorsichtig fragte ich ihn: „Aber, Sie als lebenserfahrenerer Mensch, Sie haben doch bestimmt Zeit Ihres Lebens darauf verbracht, die höheren Mächte gnädig zu stimmen...“ Er unterbrach meine konstruktive poetische Ausschweiffung, indem er abwinkte und dann mit verschwörerisch gesenkter Stimme sprach: „ Ja, damals. Äver“, seine Stimme wurde zum Flüstern, ich war überzeugt, er würde mir nachfolgend den Sinn des Lebens erläutern, „da oben, isch han gehört, die täten da nur anomol in de Woch koche, weil sisch dat sonst net lohne tät, verstehense? Wegen die hohe Ölpreise heizen die ooch net, aber, in de Höll, da müssen die überhaupt net heizen, un im Übrigen gibt’s da auch immer jut zu essen!“ Ich versank minutenlang in andächtiges Schweigen, und als mein Informant aufgerufen wurde, zwinkerte er mir noch einmal verschwörerisch zu: „Lernense de dunkle Seite kennen!“
Ich muss zugeben, das Argument mit dem guten Essen überzeugte mich, in die Hölle zu gehören.
Petrus zu bestechen war nicht das Problem; die Gehälter sind auch im Himmel eher sparsam kalkuliert. Viel schwerer war es, erst einmal den Eingang zur Unterwelt zu finden. Nachdem ich mich stundenlang vergebens nach einem rötlich schimmernden, schwefeldunstverhangenen Loch im Boden umgeschaut hatte, fragte ich einen der umherschwebenden Buchhalter. „Da rein!“ Er deutete auf das große Portal. „Wie jetzt, ich dachte, da geht’s zum Himmel?“- „Da müssen Sie in Korridor 506, 8. Tür links, direkt neben dem Ministerium für Martyrium.“, entgegnete er trocken und trug sein Buch weiter.
Ich erzählte dies alles Petrus, der erst lachte und erklärte mir dann, dass ich wohl nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge sei. Wegen des  großen Andrangs hatte man bereits vor 1000 Jahren den Höllenzugang modernisieren müssen. Er öffnete mir dann noch das Tor und wünschte mir einen Höllenspaß, was aber schon leicht abgedroschen klang. Und langsam stieg ich in den dichter werdenden Wolken in die Hölle hinauf.
Jaja, so war das mit der Himmelfahrt. Eines der schönsten Erlebnisse meines Nachleben. Kann ich übrigens auch nur jedem Zweitligisten empfehlen, wegen des Aufstiegs.

 

Eine Frage, die sich dem geneigten Leser natürlicherweise aufdrägen kann, ist die Frage:
Darf man über den Tod lachen?
Ich glaube, man muss sogar. Er gehört zu unserem Leben, und was bringt es, das übrige mit Angst vor ihm zu verbringen?
Dorian Kirschstein, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.10.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Mit dem Schreiben und Dichten, ist das so eine Sache.So war ich oft der Meinung, nur lyrisch Schreiben zu können, falls ich mich in einem annähernd, seelischen Gleichgewicht befände, erkannte aber bald die Unrichtigkeit dieser Hypothese.Wichtig allein, war der Mut des Eintauchens.Das Eins werden mit dem kollektiven Fluss des Ganzen. Meine Gedanken, zärtlich zu Papier gebrachten Gefühle,schöpfte ich stets aus diesem Fluss.

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