Michael Reißig

Eine völlig unerwartete Bekanntschaft

 

Gunnarsson - stellvertretender Vertriebsleiter eines schwedischen Möbeldiscounters - verließ pünktlich um 18.00 Uhr das Büro. Sein schwarzes Haar war kurz, aber akkurat geschnitten, die rote Krawatte passte gut zu seinem gelben Anzug und dem schwarzen Hemd. Das Alter- Mitte vierzig, die Beine waren lang und gut geformt, die Figur betont sportlich.

Gut gelaunt schwang sich Gunnarsson in den Lift.
Dickste Nebelschleier wälzten sich durch die steinernen Hochhausschluchten der Großstadt – eher ungewöhnlich für diesen Sommer.
Aber auch das Schmuddelwetter und die von Autoabgasen geschwängerte Luft, die sich in dieser Nebelsuppe förmlich festsaugte und schneidend in die Nase kroch, konnte seine Gemütslage nicht in den Keller drücken – ganz im Gegenteil.

An der Haltestelle kletterte er in den Bus der Linie sechzig.
Gunnarsson fand schnell einen Platz in dem nur zur Hälfte gefüllten Bus und ließ sich ganz relaxed fallen.
Eine Haltestelle weiter schob sich ein bildschönes junges Mädchen in den Fahrgastraum. Eine Augenweide war die schlanke biegsame Figur. Ihr
naturblondes Haar glänzte seidig - große veilchenblauen Augen glitzerten verführerisch.
Sie trug ein eng anliegendes orangefarbenes Kleid mit einem tiefen Dekollete. dazu einen superkurzen Rock, womit sie ihre schlanken sexy Beine noch mehr betonte. Auf ihre wohlgeformten Brüste, die keck im Rhythmus geschmeidiger Bewegungen und toller Hüftschwünge hüpften, antwortete Gunnarsson mit einem wohlwollend durchdringendem Lächeln. Das Mädchen blieb zunächst stehen, ließ sich dann aber in den gegenüberliegenden Sitz fallen, sodass sie sich in die Augen sehen konnten. Ihm entgingen nicht, die neckischen Grübchen in ihren Wangen, und ihre sinnlich geschwungenen Lippen. An Schminke und Parfüm hatte die Schöne wahrlich nicht gespart. Sie hatte eine edle Duftmarke gesetzt, die Gunnarsson genüsslich in sich einsog. Das törnte den stillen Genießer erst so richtig an.
Da konnte der noble Herr kaum noch widerstehen. Am liebsten würde er dieses fesche Girl einfach ansprechen. Sein Herz sagte ja, doch sein Verstand sagte nein.

Gunnarsson lebte schon seit zwei Jahren allein. Zwar wünschte er sich sehnlichst wieder eine Traumfrau, aber sollte denn ausgerechnet dieses junge flotte Biest sein Singledasein beenden?
Das Mädchen warf dem Auserwählten ein Lächeln zu, welches immer drängender wurde und als sie auch noch ihre tollen Beine übereinander schlug, spielten die Hormone in seinem Körper total verrückt. Während sie mit ihren Reizen, die bei ihm wie eine Trumpfkarte stachen, spielte, kam der Bus zum Stehen.
Verflixt, ich muss doch aussteigen, reagierte Gunnarsson und hetzte zum Türöffner. Um ein winziges Haar hätte er den Ausstieg verpasst, wen wunderte es, lagen doch seine Sinne ganz woanders.
„Wart doch: ich komme auch noch mit!“, rief das Mädchen ihm nach und tigerte ihrem Verehrer hinterher.
Auf dem Fußweg angekommen, wurde der vermeintliche Glücksritter von dieser feschen Biene erst einmal auf ihre unnachahmliche Art und Weise begrüßt:
„ Hallo mein Herr! Wie wär's denn mit uns? Ich heiße Anja“. „Ich Björn, Björn Gunnarsson“, antwortete er und lächelte verlegen.
„Wollen wir uns nicht mal einen schönen Abend mit einem ordentlichen Schäferstündchen genehmigen?“ Anjas Stimme klang hell und aufdringlich, was aber Björn keinesfalls störte. Schon deshalb überlegte er nur kurz.
„ Im Excelsior, das ist doch eine tolle Location.“
„Spitze“, jubelte Anja, die vor Freude in die Luft sprang und erwartungsfroh anfing zu kichern.
Normalerweise hält ein Mann mit so viel Lebenserfahrung Ausschau nach einer viel reiferen Frau. Bei Björn tickten die Uhren in jener Zeit ganz anders.
Sein Körper lechzte förmlich nach Liebe und Lust.
Da kam doch diese junge wilde Kücken gerade recht. Björn hegte keinerlei Zweifel, dass Anja mit ihrem Temperament im Bett in die Rolle eines feurigen Vulkans schlüpfen würde.

Anja und Björn sahen sich in die Augen. In dieser Sekunde saugten sich ihre Blicke fest, verschmelzten ineinander. Liebevoll rieb er seine Nase an ihren Ohrläppchen, an denen er sanft und zärtlich herumknabberte.
Er legte seinen Arm um sie und blickte ihr wieder zärtlich in die Augen.
Langsam näherten sich seine Lippen ihrem süßen Schmollmund, den er mit seiner Zunge zärtlich umschloss. Seine Zunge spielte mit der ihren.
Es folgten die aufregendsten Zungenküsse, und schließlich versank das Pärchen in einem endlos langen Kuss.
Zu vernehmen war ein heftiges Bremsenquietschen. Die Reifen auf dem Kopfsteinpflaster dröhnten kurzzeitig. Winzige Steinschen spritzten davon. Davon bekamen die frisch Verliebten aber faktisch nichts mit. Sie schwebten in einer Art Rauschzustand und genossen sichtlich das Spiel der Zungen und der Lippen – ein toller Vorgeschmack auf ein Feuerwerk der Leidenschaft in einer heißen Nacht.
Der Wagen war gerade zum Stehen gekommen, da wurde die Tür aufgerissen.
Wütend sprang ein Mann im Nadelstreifen aus dem Auto:
„Was ist denn hier los! Schämst du dich denn überhaupt nicht. Du in deinem Alter treibst dich mit meiner siebzehnjährigen Tochter herum“, brüllte der gestrenge Herr so laut, dass sich die Balken hätten biegen können.
Björn und Anja waren nach den ersten Worten auseinandergeflogen, als hätte ein Kugelblitz in ihrer unmittelbaren Nähe eingeschlagen.
Erst jetzt hatte Björn den silbergrauen Mercedes mit seinem Fahrer entdeckt, der wütend mit geballter Faust, seinen Arm in die Luft schlug und mit ohrenbetäubendem Gebrüll auf die beiden einpeitschte. Es war sein Chef - wirklich sein Chef. Björn traute seinen Augen kaum.
Er haderte mit dem Schicksal. Worte, die besagten, dass er es mit seiner Tochter trieb, konnte er gerade noch aufschnappen. Auch der ansonsten so coolen Anja fiel es schwer, ihre Angst zu verbergen – ihre Hände und der ganze Leib zitterten.
„Woher soll ich denn wissen, dass dies deine Tochter ist“, versuchte Björn sich mit zornbebender Stimme zu verteidigen.
„ Komm bloß nicht mit dieser Masche!“, konterte der Chef wütend und setzte noch eins drauf.
„Und ich kann dir versprechen: Morgen, wenn wir uns in der Firma sehen, geht es ans Eingemachte!“
Anja zugewandt, legte er ihr nahe: „Lass bloß die Finger von diesen Typen!
Musst du denn reihenweise Männer abschleppen!“ Anjas Vater wurde nun noch lauter: „Steck gefälligst deine Nase in die Bücher und kümmere dich um dein Abi!“
Männer verführen und anschließend mit ihnen ins Bett zu springen, machte ihr eben sichtlich mehr Spaß, als Formeln zu büffeln oder langweilige Texte auswendig zu lernen.
Björn hatte seinen Chef eher als einen ruhigen, pragmatischen Menschen kennengelernt.
Nur ganz selten schwoll sein Stimmpegel etwas an. Dass er in der Lage sei solche Brüllorgien zu veranstalten, kam nicht nur für Björn, sondern auch für die Einkaufstüten schleppenden Passanten, überraschend. Eine größere Menge war eilends zusammengeflogen, um dieser „außerplanmäßigen Theateraufführung“ gratis zu folgen. Während er weitere Schimpfkanonaden von sich gab, reagierten einige schockiert, andere lachten spöttisch auf und klatschten sogar höhnisch Beifall. Da wurde es auch dem Chef zu bunt. Hastig riss er die Tür seiner Nobelkarosse auf, schwang sich ans Steuer, und brauste davon.
Björn und Anja waren innerlich so aufgewühlt, dass sie sich, in der immer größer werdenden Menschentraube, aus den Augen verloren.

In der Nacht hatte Björn kein Auge mehr zugedrückt. Wellen der Angst durchfluteten seinen Körper. Schweißgebadet wälzte er sich von einer Seite auf die andere, während sein Herz vollends aus dem Takt geriet.
Dabei sollte doch eigentlich in dieser Nacht das Feuer der Leidenschaft so richtig entfacht werden. Doch Anja war längst nicht mehr in seinem Gedächtnis vorhanden.
Nach Sex war ihm sowieso nicht mehr zumute.
Björn hatte sämtliche Gedankenfäden in seinem Gehirn zusammen gesponnen.
„Der wird mich doch hoffentlich nicht feuern ?“ Diese Frage stellte er sich immer wieder.

Am nächsten Morgen schlich sich Björn in sein Büro. Vorsichtig nahm er in seinem Schreibtischsessel Platz. Als die Tür geöffnet wurde, drohte Björns Herz fast zu zerspringen, der ganze Körper vibrierte wie ein Presslufthammer.
Angstschweiß perlte von seiner Stirn, die Adern pulsierten und schossen das Blut bis in den Kopf, der sich hochrot färbte.
Geschwungenen Schrittes ging der Chef auf Björn zu und begrüßte ihn routinemäßig mit einem festen Handschlag und einem „Guten Morgen“, was sich ganz gut anhörte.
Natürlich spürte er die Nervosität seines Stellvertreters, doch, zu Björns allgemeiner Überraschung, schwieg er eine ganze Weile bedächtig. Vielleicht wollte er auch nur, die für diesen Tag kurzzeitig anberaumte Teambesprechung, abwarten. Björn sollte Recht behalten.
„Komm doch bitte mal mit in mein Zimmer!“, forderte der Chef ihn mit angehobener Stimme auf.
„Jetzt kommt der große Knall“, mutmaßte Björn, dessen Herz vor Aufregung wieder spürbar lauter in seiner Brust hämmerte.
Björn sank in den Sessel, den der Chef ihm großzügig zurecht gerückt hatte.
Was jetzt kommen würde, konnte sich Björn denken.
„ So etwas wie gestern passiert mir nicht noch einmal!“, raunzte der Vorgesetzte ihn an.
Björn sah, dass seine Gesichtszüge härter wurden, besonders die Furchen von der Nase zum Mund wurden noch tiefer.
Dem Chef waren die Eskapaden seiner Tochter schon längst ein Dorn im Auge.
Er fürchtete um seinen guten Ruf in der Firma, denn der Buschfunk ist ja bekanntlich überall präsent.
Aber was sollte er nur machen? Schließlich konnte er seine extrem umtriebige Tochter nicht wie einen Hund an die Kette zerren, um diese von den Bedürfnissen der Männer fernzuhalten.
„ Ehrenwort, ich..., ich lasse die Finger von Anja“, stotterte Björn.
„ Das will ich auch hoffen“, antwortete der Chef dessen Miene sich jetzt wieder deutlich aufhellte.
„ Entschuldige bitte das Gebrüll: ich bin eben auch mal voll aus der Haut gefahren. Meine Nerven haben mir halt einen Streich gespielt – ist aber auch kein Wunder bei meiner chaotischen Tochter. Ich weiß doch, dass du die Zuverlässigkeit in Person bist.“
Björn hörte Steine plumpsen. Das Blut zirkulierte nun wieder deutlich langsamer in seinen Adern.
Er durfte das Zimmer verlassen. Im Gang wartete auf ihn eine Überraschung:
„Mensch Björn!“ „Was machst du denn hier Agnita? Björn staunte nicht schlecht – es war Agnita seine Jugendliebe. Spontan legte er seinen Arm um ihre Schulter und hauchte ein Küsschen auf ihre Wange. Zwanzig Jahre hatten sie sich nicht mehr gesehen. Agnitas Beziehung war vor einem Jahr in die Brüche gegangen. Der Arbeit wegen war sie hier her gezogen und schaffte heute den ersten Tag im Büro. Björn konnte sein Glück kaum fassen. Die schönsten Erinnerungen hatte er für immer in sein Gedächtnis eingegraben und jetzt noch einmal ausgepackt und im Zeittreffertempo abgespult, besonders ihr unvergessliches erstes Mal, umgeben vom sanften Rauschen der Meeresbrandung im romantischen Licht der untergehenden Sonne. Da war es wieder, diese Engelsgesicht mit den schulterlangen blonden Haaren, den leuchtenden rehbraunen Augen und diese freundlich-warme Stimme. Björn und Agnita hatten sofort Feuer gefangen und gleich einen ersten Date miteinander
vereinbart. Die Frau sah, obwohl mittlerweile zwanzig Jahre älter, genau noch so chick aus wie früher. Sie fühlte sich immer noch an wie ein Jungbrunnen, aus dem Björn noch viele Freudenbecher schöpfen kann. Im Überschwang der Gefühle merkten die beiden nicht mal , wie der Chef schelmisch grinsend an ihnen vorbeigeschlichen kam.

Es war wie in einem Märchen: Björn hatte sich das zweite Mal im Leben in ein- und die selbe Frau verliebt – und das nach über zwanzig Jahren.

„ Ich glaube, ich habe das gute Gefühl, dass du endlich die Frau gefunden hast, die du zum Leben wirklich brauchst, da kannst du endlich die Finger
von diesem albernen Kücken lassen, frotzelte der Chef am nächsten Morgen.
„Woher weisst du, dass ich eine neue Bekanntschaft habe?“, fragte Björn, nicht ohne zu staunen.
Im Gang habe ich mich an euch vorbeigezwängt. Ihr wart so was von verliebt, da wollte ich nicht noch stören.“ Hast du richtig gemacht“, antwortete Björn. Beide lachten sich in den Bauch hinein und schlossen von nun an wieder Frieden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.10.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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