Anny Kastning

Der Bleistift

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Danke schon mal im Voraus und viel Spaß beim Schmökern!
 

Der Bleistift
 

 
Es war einmal ein Bleistift, der trug einen hölzernen, smaragdgrünen Anzug und einen Kragen der aus feinem Goldstaub war. Er war ein schöner Stift. Lang und eckig stand er in einem Glas auf der Theke eines Tante Emma Ladens. Er lebte dort schon eine ganze Weile und in seinen besten Zeiten teilte er es sich mit seinen Brüdern, die wie er spitz und stramm in ihrem gläsernen Haus wohnten. Doch mit der Zeit fand einer nach dem anderen ein neues zu Hause. Manche wurden von schmutzigen Kinderhänden gegriffen und nach ihrem Kauf achtlos in den Ranzen geworfen, andere hingegen wurden mit zarten Frauenhänden umfasst und behutsam in ein Etui geschoben. Der Bleistift hatte sich früher immer gewünscht auch ein so schönes Etui als Heimat zu bekommen. Ausgeschlagen mit einem samtigen Tuch und gefüllt mit vielen neuen Freunden, die ihm neue Geschichten erzählten. Doch so sehr er sich auch streckte, wenn wieder mal ein junges Fräulein nach einem Bleistift griff, er war nie der Auserwählte. Der Bleistift hatte sich an das Leben in seinem Glas gewöhnt. Er dachte sich, besser hier in diesem kalten Glas, als in einem schmutzigen Kinderrücksack, in dem ich hin und her geschmissen werde und in dem meine feine Miene durch die harten Stöße und Hiebe zerbricht. Nein das wollte er nicht, wo doch seine Miene das wertvollste an ihm war. Er hatte Spaß daran gefunden sich die Menschen anzuschauen die in seinem Laden ein und ausgingen. Die alten Frauen mit ihren schrumpeligen Händen die jedes Mal das Gleiche kauften, wenn sie kamen. Oder die Männer mit den schwarzen Mänteln und grauen Hüten, die mit rauchiger Stimme eine Tageszeitung verlangten. Ab und zu kamen hübsch gekleidete Frauen die sich kichernd die süßesten Süden kauften und sie schon verspeist hatten ehe sie aus der Tür waren. Doch am liebsten hatte er einen Mann, der nur einmal im Monat kam. Er blätterte fast zärtlich in den ausliegenden Zeitschriften und las die neusten Nachrichten, bis die Verkäuferin ihn aufforderte sie zu kaufen oder zurück zu legen, da sie schließlich ! keine Bi bliothek wäre. Dann ging der Mann immer an den Tresen, fischte einen Bleistift aus dem Glas, bezahlte und verschwand wieder bis zum nächsten Monat.
An einem regnerischen Tag, an dem das Geschäft nur sehr wenig besucht wurde, stand der Mann plötzlich in der Tür. Doch diesmal blätterte er nicht in den Zeitschriften, sondern kam gleich schnurstracks auf die Verkäuferin hinter ihrem Tresen zu. Er blickte in das Glas, in dem nur noch der eine Bleistift lehnte und nahm ihn heraus. Das Herz des Bleistiftes hätte wohl Luftsprünge gemacht, wenn er eins gehabt hätte, doch so freute er sich über seinen neuen Besitzer, wie sich ein Bleistift eben freuen kann. – Stumm. Hastig wurde er in die Innentasche des Mantels gesteckt, die so warm war wie der Bleistift es noch nie erlebt hatte. Er spürte die Erschütterungen der schnellen Schritte, die seinen neuen Besitzer ans Ziel führten. Nach ein paar Minuten hörten sie auf. Er wurde aus der Tasche gezogen und auf einen wunderschönen Tisch aus Mahagoni gelegt, auf dem er jedoch langsam zur Tischkante rollte. Als er mit seiner Spitze schon fast über den Rand lugte, hielt er, in voller Erwartung vom Tisch zu fallen, die Luft an. Doch in letzter Sekunde wurde er von einer Hand festgehalten. Sie gehörte dem Mann, der ihn eben gekauft hatte. Es war eine weiche Hand, die nicht den Anschein machte als ob mit ihr schon einmal harte Arbeit verrichtet worden war. Es fühlte sich gut an. „Fast hätte ich dich fallen lassen.“ Sprach eine tiefe Stimme. „Dann wäre deine Miene gebrochen und ich hätte dich nicht mehr gebrauchen können!“ Die Stimme stammte von seinem Besitzer, der in der Zwischenzeit eine kleine runde Brille auf der Nase trug. Der Bleistift hatte den Mann noch nie mit einer Brille gesehen, denn im Laden hatte er nie eine getragen. Doch die kleinen Gläser, die durch ein zartes Metallgestell auf der Nase des Mannes gehalten wurden, passten gut in sein schmales Gesicht. Der Mann griff nach einem weißen Blatt Papier, nahm den Bleistift und fing an zu schreiben. Es war ein komisches Gefühl für den Bleistift Teile seiner kostbaren Miene hergeben zu müssen, doch zugleich auch ein sehr schönes. Er sah wie seine Miene verschnörkel! te Buchs taben formte und eine Spur aus Wörtern und Zeichen hinterließ. Die Worte erzählten Geschichten von Freundschaft, Liebe, Hass, Glück und Trauer, die dem Bleistift sehr gefielen. Nachts träumte er die Geschichten weiter und versuchte sich vorzustellen wie die Welt wohl aussah, die in den Buchstaben steckte. Und so bemerkte er gar nicht, dass er von Tag zu Tag kleiner wurde. Er hatte so einen Spaß daran den leeren Blättern eine Geschichte zu schenken, dass er nie den nächsten Morgen abwarten konnte, bis er wieder in die Hand genommen wurde und mit ihm geschrieben wurde. Die Tage vergingen viel zu schnell und er wurde kleiner und kleiner. Nach einem Monat war er schließlich so klein, dass sein Besitzer ihn nur noch mit Mühe halten konnte. Schließlich war der Tag gekommen an dem der Mann ihn ein letztes Mal in der Hand hielt. Doch er schrieb nicht wie sonst auf ein leeres Blatt Papier mit dem Bleistift. Diesmal ließ er den Bleistift in ein Glas plumpsen, in dem schon viele seiner Art lagen. Genauso klein und verbraucht wie er selbst. Ein kurzes „Willkommen“ unterbrach das leise Getuschel, doch dann wurde weiter erzählt. Der Bleistift jedoch blieb still und sagte nichts. Er lauschte den Geschichten der Anderen, die aus ihrer Zeit als Geschichtenerzähler berichteten und schaute traurig durch das Glas auf den Tisch, der so lange sein zu Hause gewesen war.
Nachts träumte er von alten Geschichten, die er geschrieben hatte und tagsüber sehnt er sich zurück in die weiche Hand, die ihn vier Wochen lang täglich gehalten hatte.
Es vergingen viele Monate, in denen sich das Glas bis zum Rand mit kurzen stumpfen Bleistiften füllte, als sie Plötzlich samt dem Glas hoch gehoben wurden. Ein Raunen ging durch die Stummel, doch als sie sich dem offenen Ofen näherten war es so still, dass man das knistern und flüstern der Flammen hören konnte. Mit Schwung wurden sie alle in das lodernde Rot geworfen.
Am nächsten Morgen war alles vorbei. Der Ofen war erloschen und übrig war nur noch ein Häufchen Asche.

 
                                                           ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.10.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Was wäre, wenn ...? Eine Frage, die oft den Menschen anfällt, wenn ihm etwas nicht gelungen ist. Sie kann selbstquälerisch sein und wird deshalb meist vermieden. Ist der Frager stark genug, sich ihr zu stellen und eventuell seelische Qualen zu ertragen, kann sie zu Erkenntnissen führen. Stellt man solche Fragen geschichtlichen Ereignissen, sind die Reaktionen vielfältiger. Was soll's, ist doch vorbei - so die am weitesten verbreitete Reaktion. Aber beim Nachdenken über geschichtliche Unfälle oder Zufälle können sich Gedanken aufdrängen, dass nicht alles genauso und nicht anders hätte passieren müssen!

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