Ute Buchberger

Kinderträume, Weihnachten und die alten Kerle

Weihnachten nach dem ersten Weltkrieg und vor dem zweiten Weltkrieg war für die Kinder, die in dieser Zeit lebten, mehr als karg. Oftmals konnten die Eltern ihren Kindern am Weihnachtsabend nur eine warme Stube bieten, geschweige denn Geschenke. Falls es doch Geschenke gab, so waren es praktische Dinge: Handschuhe, Mütze, warme Socken oder einen Schal. Ein Teller mit Äpfel und Nüssen rundete den Gabentisch ab. Mehr gab ge nicht. Puntkum.
 
So ähnlich verliefen auch die Weihnachtsfeste der Freunde Gerd und Franz, die im schönen Spessart zu Haus waren. Sie wuchsen in einer Kleinstadt auf und drückten sich in der Adventszeit ihre Nasen an den Scheiben des einzigen Spielwarengeschäftes ihres Heimatortes platt.
 
Gegenstand ihrer ganzen Sehnsucht und ihrer ganzen Kinderträume war die elektrische Eisenbahn, die im Schaufenster aufgebaut war und ihre Runden dort drehte. Das Bähnchen tuckerte an kleinen Dörfchen vorbei, fuhr durch dichte Wälder, den Berg hinauf und durch den Tunnel hindurch. Es war eine Freude zuzusehen. Gerd und Franz schauten zu. So oft  sie konnten standen sie vor dem Schaufenster und unterhielten sich, wie schön es doch wäre, ein solches Spielzeug sein eigen zu nennen. Ganze Nachmittage könnten sie dann in der warmen Stube zubringen und spielen, spielen und nochmals spielen.
 
Für solche Träumereien hatten die Eltern leider kein Verständnis. Geld wurde für die wirklich wichtigen Dinge im Leben gebraucht. Kinderspielzeug wurde in eigener Arbeit hergestellt. So gab es dann auch lange Gesichter bei Gerd und Franz, als das christkind ihnen je eine selbstgeschnitzte Holzeisenbahn unter den Weihnachtsbaum legte. Solch eine Bahn wollten sie nicht und eine andere gab es nicht.
 
Nun, die Zeit verging. Aus den Kindern wurden junge Burschen, die in die Lehre gingen und die Kinderträume von der Eisenbahn gerieten ins Hintertreffen.. Nur so ab und zu mal, wenn es Weihnachten wurde und die Erinnerung an die frühen Tage der Kindheit hoch kam, dann, ja dann dachten sie wieder an die Eisenbahn.
 
Der zweite Weltkrieg rollte mit all seinen Schrecken über Europa hinweg und an eine Eisenbahn war überhaupt nicht mehr zu denken. Gerd und Franz waren froh, wenn sie abends noch lebten, wenn sie etwas zu essen hatten und wussten, dass ihre Familien noch unversehrt waren.
 
Auch diese Zeit der Schrecken ging vorüber. Es begann der Wiederaufbau. Europa erstand aus Schutt und Asche neu.
 
Gerd und Franz hatten Glück gehabt. Sie hatten den Krieg unbeschadet überlebt und kehrten wieder zurück in die kleine Stadt im Spessart. Das Wirtschaftswunder, das in den fünfziger Jahren begann, nahm auch von den beiden Besitz und das Geschäft blühte! Mann konnte doch direkt ans Heiraten denken. Da waren doch zwei sehr hübsche, nette Mädchen aus der Nachbarschaft, die oft mit rotem Kopf und verschämten Kichern an ihnen vorübergingen. Nun ja, jung gefreit, nie gereut. Dich Hochzeiten der beiden Freunde wurden gefeiert. Gerd und Franz waren jetzt solide Ehemänner.
 
Gerd wurde als erster Vater! Ein kleiner, niedlicher Junge wurde geboren. Ein Stammhalter! Die Freude der Eltern war riesengroß. Im Hinterkopf von Gerd dämmerte jä die Erinnerung an einen Jugendtraum herauf. Eine elektrische Eisenbahn! Jetzt kann dieser langgehegte Kinderwunsch Realität werden. Durch Wölfchen, den kleinen Sohn in der Wiege, wird sich sein Traum doch noch erfüllen.Gerd macht imGeiste schon Pläne. Er entwirft Landschaften, baut Bahnhöfe, malt kleine Figuren an und, und und............... ist so richtig glücklich.
 
Das Wölfchen wächst und geeiht. Geliebt und verwöhnt wird das Kind.. Liebevolle Eltern, zwei Großelternpaare, Cousine Meike, die Tochter von Gerds älterer Schwester und eine alte Tante sind um das Wohl des Kindes besorgt. Wenn abends der Herr Papa von der Arbeit kam, schnappte er sich den Kleinen hob ihn mit beiden Armen hoch in die Luft und schwenkte ihn herum. Wie jauchzte da das Kind.. Nie konnte sich Gerd vorstellen, diesem munteen, kleinen Jungen ein Leid anzutun. Wenn das Kind ihn ansieht un dlacht, wird ihm ganz warm ums Herz. Und dann die Eisenbahn. Bald wird er alt genug sein, um mit einer Eisenbahn zu spielen. Da wird eine Freude im Hause sein.
 
Die Herbstzeit ist dieses Jahr eine Zeit der regen Betriebsamkeit. Gerd und Franz sind in ihrer Freizeit im "Schuppen" tätig. Dort wird die Landschaft für die Eisenbahn gebaut. Berge und Täler werden modelliert und angestrichen. Bäume aufgeklebt, kleine Dörfer gebastelt und aufgestellt. Richtige kleine Figuren von Menschen und Tieren haben Gerd und Franz besorgt. Sie schaffen mit roten Gesichtern und werden wieder zu den Buben, die sie damals waren. Es macht ihnen riesigen Spaß. Endlich können sie, für Wölfchen natürlich, eine Eisenbahn - ihre Eisenbahn - bauen.
 
In alten Erinnerungen wird gekramt. Wie war das doch? Fehlt noch was? Ich denke, ich meine, usw.
 
Endlich steht sie fertig vor Gerd und Franz. Sie betrachten ihr Wunderwerk und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern. Prima haben sie das gemacht. Jetzt muss nur noch Weihnachten werden. Dann naht er endlich, der Dezember! Die ganze Familie ist mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Plätzchen werden gebacken. Stollenteig wird geknetet, nach der Gans im Stall wird geschaut und das Rotkraut begutachtet. Es liegt im Keller in Torf gebettet und harrt seiner Verwendung. Die Opas gucken eher nach dem Rotwein. Er muss zum Festessen passen. Dann kommt der Weihnachtsbaum ins Haus. Das Wölfchen muss ständig beobachtet werden und hält die Familie auf Trapp. Das Kerlchen ist flink wie ein Wiesel und neugierig dazu. Es hat sich vorgenommen, die Geschenke schon vor dem Fest zu entdecken. An der Plätzchendose ist er schon gewesen. Damit das  Gewicht stimmt, hat er die heimlich aufgegessenen Plätzchen durch Kieselsteine ersetzt, die er am Bach gefunden hat. Die Omas merken es erst viel später und müssen lachen. Wie erfinderisch das Bübchen doch ist. Niemand denkt daran, mit ihm zu schimpfen. Über Wölfchens Streiche lächelt alles. Munteres Kerlchen, so heißt es.
 
Der Weihnachtsabend ist da! Die gute Stube ist fest verschlossen. Das Wölfchen hat keine Chance nach dort zu gelangen. Es horcht: Drinnen hört es Geräusche und Flüstern. Die Mutter arbeitet mit dem Christkind, so hat man ihm gesagt. Wölfchen ist misstrauisch. Wenn das stimmt, so hätte er es doch kommen sehen müssen. Die Cousine versucht es mit Märchen und Liedern, den Kleinen zu beschäftigen. Die Oma lockt mit Plätzchen. Wölfchen wird immer zappeliger. So langsam wird es dunkel draußen. Der schnee glitzert in den letzten Strahlen der Sonne. Die Tante und die oma sind in der Küche beschäftigt. Ein verführerischer Duft macht sich im Hause breit. Cousine Meike gleingt es immer weniger, das Wölfchen in Schach zu halten. Als ihre Eltern ins Haus kommen, um den Weihnachtsabend mitzufeiern, atmet sie erleichter auf. Nun kann es nicht mehr lange dauern.
 
Der Tisch für das Abendessen ist festlich gedeckt. Das Wölfchen ist kurz hergerichtet worden, denn es sah nach seinen Kämpfen mit Cousine Meike doch recht mitgenommen aus. Endlich, endlich ist es soweit. Das berühmte Glöckchen klingelt. Die große Tür zur guten Stube springt auf und da mit Engelhaar geschmückt steht auch der Weihnachtsbaum. Das Zimmer hat einen so festlichen Glanz, dass Wölfchen es beinahe nicht wieder erkennt. Doch da, was ist das? Im Hintergrund hört er ein Surren und Schnurren. Dann pfeift eine Eisbahnlokomotive. Das Wölfchen ist nicht mehr zu halten. Von wegen Weihnachtslieder singen, die Geschnke sind da und Wölfchen will sie in Besitz nehmen.
 
Meike führt ihn zu dem Tisch mit der Eisenbahn. Staunend steht das Kind davor. Es schaut mit großen Augen zu, wie die Bahn ihre Kreise zieht. Es streckt sein Händchen nach dem Zug aus. Die große Hand des Vaters gebietet ihm Einhalt: "Halt Wölfchen, nicht nach den Wägelchen greifen, die gehen sonst kaputt!" Meint der Vater. Wölfchen will es sich nicht ausreden lassen. a kommt onkel Franz dem Vater zur Hilfe: "Schau mal Wölfchen, man muss erst den  Strom ausschalten und dann kann man vorsichtig dieWägelchen vom Gleis nehmen. Aber nur ganz, ganz vorsichtig. Onkel Franz zeigt es Dir einmal." Und hast Du nicht gesehen, sind Gerd und Franz ins Spielen vertieft. Das Wölfchen hat keine Chance in die Nähe der Eisenbahn - seiner Eisenbahn - zu gelangen. Die anderen Geschenke, die so liebevol von der Mutter aufgebaut worden sind, interessieren  nicht mehr. Das Kind hat nur Augen für die Eisenbahn, die ihm doch gehört und die er nicht einmal anfassen darf. Nicht einmal in die Nähe lassen sie ihn, die alten Kerle.
 
Das Wölfchen heutl und strampelt. Es wird aus dem Zimmer gedrängt und soll sich beruhigen, soll brav sein. Das Wölfchen ist zutiefst enttäuscht. Es weint. Es zappelt. Es versteht die Welt nicht mehr. Was soll das? Es ist doch seine Eisenbahn, die das Christkind ihm alleine gebracht hat. Die Damen des Hauses sind beschäftigt, das arme Kind zu trösten, was sich als schweres unterfangen heraus stellt. Das Kind ist in seinem Kummer untröstlich an diesem Weihnachtsabend.
 
Die alten Kerle allerdings, die feiern zum ersten Male in ihrem Leben so richtig Weihnachten. So, wie sie es sich in ihrer frühesten Jugend gewünscht hatten. Heute stimmt für sie das alte Weihnachtslied: "Welch ein Jubel, welch ein Segen wird in diesem Hause sein........" Gerd und Franz sind wieder im Kinderland, haben sich einen Jugendweihnachtswunsch erfüllt. Sind sozusagen im siebten Himmel. Das Geheule und Gejammer aus dem Zimmer nebenan wird nicht sonderlich beachtet. Das Wölfchen wird noch viele schöne Weihnachtsfeste feiern. Überreich beschenkt von Eltern und Anverwandten wird es  seine Kindheit verbringen.
 
Gerd und Franz denken an ihre karge Kinderzeit und haben überhaupt kein schlechtes Gewissen. Sich etwas zurückholen, einen Ausgleich haben, etwas, was aiuch ihnen zugestanden hätte und was das Schicksal ihnen verwährte. Das ist schon so in Ordnung. Das Wölfchen kann morgen auch noch damit spielen, aber heute ist ihr Tag. Die alten Kerle haben ihren Weihnachtstraum realisiert. lassen wir ihnen die Freude.
 
Das Wölfchen hat sich übrigens getröstet.
 
 
 
Ende
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.10.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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