Thomas Hofer

Geben ist seliger....?

Weiss, wohin man blickt. Tünche klebt an der Wand, deckt jegliche Phantasie zu.  Potentielle Freude wird von diesem aggressiven Weiss praktisch absorbiert. Terminiert. Erased geradezu.
Ansonsten dominiert hier eine gewisse Hektik.   Hospitales Chaos.
Schon beim Eintreten, wenn man die Anmeldung sucht, ist es als würde ein unsichtbarer Schiedsrichter andauernd rote Karten verteilen, aber keiner läßt sich vom Platz stellen.
Durch eine Mischung aus „Vorhof zur Hölle“und „Scrubs“ tröpfelt ein Schwarm  Homo sapiens, (das zweite sapiens müssen sie sich erst verdienen) in Richtung des Lichts.
Ich lasse mich hineinfallen und mitreissen.
Einmal um die Ecke, am Kaffeeautomaten vorbei und man ist am Ziel seiner Träume
ERSTAUFNAHME.
Allgemeines Rascheln, Flüche werden gezischt, die vor lauter ausländischen Terminologien wie  Harry Potter´sche Zaubersprüche anmuten. In Textilfalten und Taschen sucht man nach Schreibgerät.  Mancher Nichtfündige wendet sich in seiner Verzweiflung an die Person hinter dem Schalter.  Keine gute Idee. Die Hohepriesterin der Anmeldung weist mit rotgelacktem, wenn auch leicht abgeblätterten Zeigefinger, einem Zauberstab gleich, auf das Regal mit den Formularen.  Der Ehrenkodex des Hauses scheint Verbalkommunikation mit dem Personal erst nach Abgabe des lebensnotwendigen Wisches zu erlauben.
Neben mir ist einer den Tränen nah.  Nach äonenlanger Suche hat er endlich das Papier in seiner Sprache gefunden.  Kurzer Triumph, der nur wenige Sekunden dauert.
Hilfesuchend starrt er um sich.  Doch jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Füllt aus, bekritzelt, kratzt sich das Haupt (mit Schreibgerät!), oder stiert seinerseits kulisuchend um sich.
Ehe den armen Kerl sämtliche Lebenssäfte verlassen, fasse ich mir ein Herz und rette sein Leben.   Wer  weiss, was dieser Mensch bereits erdulden musste.  Ein Flüchtling womöglich, seine dunkle Hautfarbe weist auf eine Herkunft aus der Fremde hin. Im schlimmsten Fall von Schleppern um die gesamte Barschaft gebracht, musste Frau und Kinder in der Heimat zurücklassen, beschwerliche Reise zwischen Sattelschlepperkardanwellen, das Leben in ständiger Bedrohung. Hier im gelobten Land werfen sie ihm einen Job vor die Füsse, friss oder stirb, den er daheim nicht für noch weniger Geld angenommen hätte.
Und diesem Menschensohn soll man das Schreibgerät verweigern?  Die wichtigste Notwendigkeit die man als Patient in einem Spital hiesiger Breitengrade mitzubringen hat?
Spucken möchte man auf solch niedere Instinkte.  Wohlhabend westlich/industrialisierter demokratischer Herkunft wissend, greife ich voll Empathie in die Tasche und reiche dem Mann DEN KUGELSCHREIBER.  Ein kleines Schreibgerät für mich, ein Schlüssel zur Glückseligkeit für den Kollegen.
Schon schiesst ihm eine Träne ins Auge, seine Dankbarkeit ist zum Greifen, Himel hilf, er wird mir doch nicht seinen Erstgeborenen schenken?  Schwarze Fingernägel entern meinen Unterarm, wollen weiter Land erschliessen, wandern bergan.   Was habe ich getan?
Als hätte man Homer Simpson einen All you can eat- Scheck in die Pfote gedrückt.
Aus tiefster Kehle, tausend Jahre Unterdrückung, let my people go, schiesst es aus ihm heraus.
„Dank, vieles dank, du gutt Mann, beste Mann von ganze Tag….“
„Lass stecken Freund“, alles Anwidernde hinunterschluckend klopfe ich ihm auf die Schulter, viel fehlt nicht und er sagt Massa zu mir.    So schnell fühlt man sich also wie Abraham Lincoln, wenn ich dem Typen jetzt noch einen Fünfer zustecke, dann ist mir der Blowjob sicher.
Doch halt, wir wollen nicht zu weit gehen. Sachte, zärtlich beinahe, schiebe ich diesen Ausbund an Dankbarkeit von mir, ehe er mich in seiner Freude besteigt.  Unter unzähligen, kaum verständlichen Lobhudeleien schafft er es, sich von mir zu lösen und trollt sich samt seinem Anmeldewisch in eine Ecke.  Noch ein oder zwei Schluchzer wollen raus, dieser Tag verspricht ein guter zu werden.
Na endlich, wie wird man imaginären, jedoch sehr wohl vorhandenen Dreck los?
Umständlich reibe ich an der Jacke herum, um eine Entgiftung wird man nicht herumkommen. Das hat man nun von seiner Freundlichkeit.  Bakterien und Pistazienschalen.
Weshalb futtern diese Typen andauernd Hülsenfrüchte? Nikotinersatz?  Do not smoke, eat peanuts?
Egal.  Sinnlose Gedanken beiseite schiebend widme ich meinem eigenen Formular.
Als gelerntem Inländer fällt einem die Schreibe kinderleicht.  Schwungvollen Letters gebe ich die notwendigen Angaben zum Besten, bin grad so in Form, am liebsten würde ich noch eine Zierzeile druntersetzen.  Wie in der Schule. Was hat man sich nicht gefreut über das gütige Lob der Frau Lehrerin, aber egal. Keine Zeit jetzt.
                Triumphierend schiebe ich mich durch die umständlich Schreibenden und ordne mich in zweiter Spur am Schalter ein.  Direkt hinter einer Mutter mit Kind, die der Schalterschwester zu erklären versucht, welches Fingerchen sich das Schätzchen aua gemacht hat.    Derweil blicke ich mich nach meinem alten Kumpel aus Südirgendwasland um, wie weit ist er wohl, bei der zweiten Zeile gar?  Geburtsjahr?   Das könnte er wissen. Wenn er die Hürde seinen eigenen Namen zu schreiben geschafft hat, dann ist das ein Klacks für ihn.
Doch so weit der Blick auch schweift, bis an den Rand der Warteräumlickeiten, dort wo in der Ferne der Kaffeeautomat würzige Brisen sendet, er ist nicht zu finden, der Knabe.  Entweder er ist pissen gegangen oder hat aufgesteckt.  Ohne Dolmetsch geht´s wohl nicht. Mit meinem Kuli, der Arsch. Wieder sind 25 cent dahin.
So, Mutter mit Kind machen den Weg frei, dürfen zur Kinderstation, weil Bälger mit Wehweh halt nix bei den Erwachsenen zusuchen haben, gelle.  Ein wenig feixe ich noch hinterher, ehe ich dem Schalterdrachen mein WOHLAUSGEFÜLLTES Formular rüberreiche.
Kurz überfliegt sie die Angaben, ärgerlicherweise ohne wohlmeinendes Grunzen über die äußere Form der Arbeit, Schlampe, ehe es aus ihr hervorrülpst: „E- card!“   Auch das eine Geissel jener Gesellschaft, die ich  die meine nennen darf.   In der modernen Medizin bist du als erklärter Patient in den Augen der Bürokratie einen Scheissdreck wert, wenn sie dich ohne dieses türkise Plastikteil erwischen.
Kein Problem, ich lange in die Hosentasche, wo die Brieftasche sicher verwahrt und….
Nix.
Hä?     
 Tiefenbohrungen. 
Nichts.
Ich wechsle die Seite, rechte Arschtasche, rien, total.  Suchende Finger fahren ins Leere, grad eben hatte ich sie noch.  Hektisch wird an der Jacke gerissen, dann muss sie hier…VERDAMMT, keine Jacke an, wo kann die Scheiss Brieftasche sein, im Auto?
Nein, vorher hatte ich sie noch, als ich dem Troll einen Kuli geborgt habe.
Kuli? KULI?   Sämtliche Lichter gehen an.  Diebstahl!  Code Red!   Bin bestohlen worden!
Ruft die Polizei! Cobra! Nationalgarde!
1000 Hände rasen über den Körper, nichtsfündig.  Hinter mir Unmutsbezeugungen, eine Schlange hat sich gebildet, es handelt sich hierbei nicht um den Fanclub.
Hilfesuchend wende ich mich an die Vertrauensperson hinter dem Schalter.
„Hören sie, so ein haariger Affe hat mir das Portemonnaie geklaut, sie müssen ihn doch gesehen haben.“
„Ich muss hier gar nix.  Und sehen schon mal gar nicht.  Was auf dieser Seite vom Glas geschieht ist ihre Sache, ich bin nur für die Abwicklung zuständig. Hättense halt besser aufgepasst.“
Durch einen Schleier aus Wut und Schweiss, wobei letzterer aus allen Poren bricht starre ich sie an, bereit zum Verbrecher, zum Mörder gar zu werden.  Die aufgestaute Wut will ich loswerden, all die Ungerechtigkeit, mit einem einzigen Schlag….
„Wenn du nicht bald die Fliege machst, dann hilft die kein Spital der Welt mehr.“
„Genau!  Schau, dass du weiterkommst!“
„Blödmann! Abflug!“
Die Meute  hat sich meuchlings versammelt, mit hasserfüllten Gesichtern, Mistgabeln und Fackeln fordern sie meinen Kopf.  Oder so.  Allein der Typ hinter mir, sieht so aus als hätte er die Saurier aussterben lassen. 
 Zornig, aber mit einem Funken Vernunft im Hinterkopf  trete ich den Rückweg an.  Flüche werfe ich ihnen an den Kopf, die Krätze wünsche ich ihnen, die Polizei, Steuerfahndung, Zoll, Gesundheitsbehörde und andere Grauslichkeiten.   Ein Blick aufs Chronometer. Wie spät ist es?
Die Scheissuhr hat er mir auch geklaut! 
Draussen vor der Tür, ein Ausdruck, mit dem nicht nur Borchert um sich werfen kann, tobe  ich noch ein wenig herum, mögen die Typen denken was sie wollen.
Das verschafft ein wenig Abkühlung. 
Die erste Amtshandlung steht bevor, alle Karten sperren lassen, zuerst die Jahreskarte im Pornoladen, dann die Bank, nein umgekehrt.  
Das Handy gezückt.
Das Handy!
Wo ist das Teil?!
Erneuter Veitstanz, die Umstehenden rücken ab, während ich langsam den Verstand verliere.
Nie, nie, nie, niemehr werde ich irgendeinem Jemand, einem Mitbürger irgendwas sagen, oder eine Auskunft geben, der nächste, der den Mut hat nach der Uhrzeit zu fragen, frisst seine eigenen Zehen!
In heiserer Wut bestapfe ich den Beton unter meinen Füßen, jetzt könnt ihr mich am Arsch lecken, ich fahre zur nächsten Polizei und gebe dort sowas von einer Anzeige auf. 
Wenigstens weiss ich noch wo das Auto steht. Gleich ums Eck ist der Parkplatz. 
So die Schlüssel gekrallt, schon bin ich da.
He?  Wo sind die Schlüssel?
UND WO IST MEIN VERDAMMTES AUTO???

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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