Abschied
Sie stand im Türrahmen. Sah mir zu wie ich meine Sachen zusammenpackte. Unkonzentriert, fahrig kramte ich umher, es gab soviel zu sagen, absurd, dass ich einer Tätigkeit wie dem Zusammensammeln von unbeweglichen Gütern soviel Energie opferte.
Aber das Reden hatte seine Chance gehabt, in stundenlangen Gesprächen hatten wir versucht einander zu begreifen, mit allen Sinnen, mit Worten umgarnt, gestikulierend, unter Zuhilfenahme sinnlosester Argumente um die Entscheidung gerungen, Tränen waren geflossen, auf beiden Seiten, der physische Kontakt unausweichlich.
Ein letztes Mal im Bett gelandet. Halbentkleidet, eine Socke fehlt mir bis heute, Jahre danach.
Vor lauter Umklammern, Festhalten und Lieben blieb die Lust auf der Strecke. Doch um den Höhepunkt ging es schon lange nicht mehr. Haut an Haut, fahrige Berührungen, Zärtlichkeiten, die es schon monatelang nicht mehr gegeben hatte, verzweifelte Küsse, Liebesschwüre.
Am Ende war ich bis an ihre Körpermitte gerutscht, mein Kopf auf ihren Schenkeln. Ihr Geruch in diesen letzten Momenten bleibt unvergessen, ich erinnere mich an die Sommersprossen in ihrer Kniekehle. Einzigartigkeiten, die mir in den sechs Jahren unseres gemeinsamen Zusammenlebens nie aufgefallen waren. Nun umklammerten meine Lippen diese wunderbaren Male, während ihre Finger durch mein Haar wanderten.
Seltsamerweise, ich erinnere mich, war ich in diesem Augenblick für meine Locken dankbar. Irgendwie hätte ich es deplaziert gefühlt, wenn ihre Hände eine Halbglatze oder gar einen Haarkranz getreichelt hätten. Stundenlang hielt es uns zwischen den Laken, bis ein unruhiger Schlaf zuerst sie, dann auch mich für ein paar Stunden aus dem Kreuzfeuer nahm.
In den Tagen danach gingen wir uns aus dem Weg, bauten eine notdürftige Wand zwischen uns auf, sie vergrub sich in ihre Arbeit, kam erst in den Abendstunden heim, ich zog sinnlos mit den Kumpels um die Häuser, zu deprimiert, um mich in einen Rausch hineinfallenzulassen.
Ansonsten ein sehr hygienischer Mensch vernachlässigte ich sogar das Notwendigste, bis mir mein bester Freund ein Duftbäumchen schenkte.
„Das ist aber nicht für deine Karre“, so seine Worte, „sondern für dich. Hängst es dir so lange um, bis du wieder unter die Dusche gehst.“
Weil er das in einer geselligen Runde tat, hatte er die Lacher auf seiner Seite.
Am gleichen Abend blieb ich solange in der Wanne, bis meine Haut wie Kreppapier aussah.
Dann also der Tag des Auszuges.
Ein kleiner, unbedeutender Schritt für die Menschheit, ein unerträglich grosser für uns beide.
Wir sahen uns an. Dieser Abschied war endgültig. Ein voneinander Losdriften. Auf verschiedenen Strömungen in unterschiedliche Richtungen. Das Miteinander hatte ein Ende.
Zuviel Geschehenes, das Worte nicht mehr zusammenfügen können.
Zuviel, das ungeschehen geblieben war.
Wie können zwei Menschen, die einander so sehr lieben, sich so weit voneinander entfernen? Was hat das Alltägliche an sich, dass eine Beziehung sich derart abschleifen kann?
Fragen ihre Augen, während ihr Mund stumm bleibt.
Ich weiss es nicht, weiss so vieles nicht, antworte ich ohne Worte.
Irgendwann hatte ich meinen Krempel beisammen. Ein Minivantaxi reichte aus, um alles zu verstauen. Während der Fahrer die letzte Schachtel hinuntertrug, legte ich den Wohnungsschlüssel aufs Bord.
Zeit für ein paar letzte Worte, für…
Fehlanzeige.
In meiner Erinnerung wische ich mir den Schweiss von der Stirne. Wir sehen uns an.
Tränen laufen ihr übers Gesicht.
Ich habe das Bedüfnis sie…
Aber nein.
Rückwärts gehe ich zur Tür.
Sie macht einen halben Schritt nach vorne.
Einen ganzen zurück.
Als ich endlich draussen bin, habe ich keine Kraft mehr, die Türe zu schliessen.
Wir haben uns nicht einmal umarmt….
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.10.2008.
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