Susanne Kischkel

Verirrte Zebrastreifen

 
Verirrte Zebrastreifen
Als Arthur das Zebra an diesem Morgen in den Spiegel schaut und sich dabei die Zähne putzt, hält er plötzlich seine Zahnbürste an. Er besieht sich mit großen erschrockenen Augen im Spiegel. Er reibt sich die Augen und blinzelt. Nein, er irrt sich nicht. Er sieht tatsächlich heute Morgen anders aus. Ihm fehlen seine Zebrastreifen! Er muss sie verloren haben, aber wo? Und wann? Er läuft zurück. Die Zahnbürste noch zwischen den Zähnen und untersucht sein Bett. Nein, hier liegen sie nicht. Auch auf dem Weg zurück ins Badezimmer kann er sie nicht finden. Ob er sie gestern aus Versehen abgewaschen hatte? Er hatte am Abend noch mit seinen Freunden dem Elefant und dem Nilpferd unten am Fluss gebadet. Er beendet nachdenklich seine morgendliche Zebrahygiene. Au weih, was denken denn jetzt seine Freunde von ihm? Er hat noch nicht mal eine Erklärung für sein neues eigenartiges Aussehen. Er schämt sich vor den anderen Zebras ohne seine Streifen. Ist er denn nun kein richtiges Zebra mehr? Ist er jetzt das einzige Zebra auf der großen weiten Welt, dem die Streifen fehlen? Er hatte wohl schon mal von einem Tier gehört, dass seine Hautfarbe verändern kann, aber dass ein Dalmatiner einen Punkt verliert, oder die Giraffe einen braunen Fleck, davon hatte er bisher noch nie gehört. In der Zeitung hat er auch noch nichts darüber gelesen. Er ist sich nicht sicher, ob das normal sein könnte, dass man als Zebra mal einen Streifen verlieren könnte. Aber er hatte gleich alle verloren! Er war total weiß! Arthur jedenfalls will ein vollständiges Zebra sein und deswegen beschließt er sich auf die Suche nach seinen Streifen zu machen. Er streicht sich noch mit einer Schweineborstenbürste über die Ohren und ordnet seine kurze schwarze Mähne. Dann läuft er den Weg zurück zum Fluss. Aber weder am Flussufer noch im Wasser kann er seinen verloren gegangenen Streifen finden. Was soll er nun machen? Fieberhaft sucht er nach einer Lösung. Er geht zu seinem Onkel und schildert ihm sein Problem. Glücklicherweise ist sein Onkel zufällig Maler un! d schläg t ihm vor, ihm ein neues Streifenkleid einfach auf das Fell zu malen. Nach kurzem Überlegen findet Arthur die Lösung gar nicht so schlecht und besieht sich die Farbtöpfe. Er mischt sich eine schöne Zebrastreifenfarbe an und mit gekonnten Pinselstrichen malt ihm der Onkel wunderschöne neue Streifen auf sein weißes Fell. Gleich läuft Arthur zum Spiegel und besieht sich das Kunstwerk. Sehr zufrieden bedankt sich Arthur bei seinem Onkel und macht sich wieder auf den Heimweg durch die Savanne. Da es schon seit einigen Wochen nicht mehr geregnet hatte, überrascht ihn zu seinem neuen Zebrastreifenglück auch noch ein erfrischender Platzregen. Heftig prasseln die Regentropfen auf ihn herab. Vergnügt über den tollen Tag kommt er zu Hause an. Zu spät bemerkt er allerdings, dass der Regen ihn nicht nur erfrischt hat, sondern ihm gleich seine neuen Streifen abgewaschen hat. Leider hatte der Onkel keine wasserfeste Farbe benutzt! Die Streifen sind vom Wasser zerlaufen und tropfen in hässlichen Rinnsalen vom ihm herab. Traurig und verwaschen geht Arthur an diesem Abend schlafen. Aber an Schlaf ist gar nicht zu denken. Er wälzt sich unruhig von einer Seite auf die andere und überlegt.
Auch am nächsten Morgen strahlt ihm sein weißes Fell aus dem Spiegel entgegen. Leider sind seine Streifen nicht von alleine über Nacht wieder aufgetaucht. „Meine Schwester ist Schneiderin. Ich werde zu ihr gehen, sie soll mir einen zebratypischen Fellmantel nähen.“ Sofort nach der üblichen morgendlichen Zebrahygiene läuft er los. Seine Schwester erklärt sich natürlich sofort zu Lösung dieses schwerwiegenden Problems bereit. Sie näht ihm einen wunderschönen flauschigen Fellmantel in einem superschicken schwarz-weißen Zebramuster. Arthur fühlt sich gut eingekleidet und läuft wieder sehr vergnügt mit seinem neuen Kleidungsstück nach Hause. Unterwegs trifft er einige seiner Verwandten an einer Wasserstelle. Nach dem heißen Tag wollen sie hier ihren Durst löschen und sich ein wenig ausruhen. Er läuft zu ihnen, um sie zu begrüßen. Aber was ist das? Die anderen Zebras nehmen gar keine Notiz von ihm. „Was ist los, kennt ihr mich nicht mehr? Ich bin`s doch, Arthur!“ „Hast du ein anderes Streifenmuster? Wir haben dich gar nicht erkannt!“, ergreift ein Zebra das Wort. Verwandte Zebras erkennen sich nämlich an ihrem Streifenkleid. Arthur erzählt seiner Familie die ganze Geschichte. Nachdem er dann seinen Mantel abgelegt hat, glauben ihm die anderen Zebras dann doch seine etwas merkwürdige Geschichte. Sie stellen Arthur noch einige Fragen zu dem Verschwinden seiner Streifen, auf die Arthur aber auch keine Antwort weiß. Dann gehen alle zusammen zum Baden in den Fluss. Arthur ist es beim Laufen in der heißen Sonne sehr warm geworden unter seinem Flauschmantel und findet die Lösung doch nicht so praktisch. „Ach, hätte ich doch nur meine eigenen Streifen wieder. Alles wäre viel einfacher“, so denkt er traurig. Nun ist er nicht nur das einzige Zebra weit und breit dem die Streifen fehlen, sondern auch noch das einzige Zebra, das einen gestreiften Zebramantel trägt. Obwohl er versucht, sich so gut wie möglich an seine neue Berühmtheit in der Herde zu gewöhnen, fühlt er sich doch immer als Außenseiter. Die Angehörigen seine! r Famili e zeigen sehr viel Verständnis und überlegen gemeinsam, wie sie das Problem lösen könnten. Es werden Freunde und Bekannte befragt und alle diskutieren das Problem miteinander. Einer ruft sogar eine Hotline an, aber da Arthur keinen Streifencode mehr hat, hat er auch keine Kundenummer. Und ohne Kundennummer gibt es auch keine Lösung für das verloren gegangene Zebrastreifenproblem. Eines Tages bekommt Arthur Post von einem Freund aus der Stadt. Dieser wohnt nicht wie er in der freien Wildbahn, sondern in einem großen Gehege mit anderen unterschiedlichen Tieren. So eine Art Wohngemeinschaft. Es gibt sogar Leute, die bezahlen Geld dafür, dass sie den ganzen Tag zwischen den Mitbewohnern dieser Wohngemeinschaft herumlaufen dürfen. Das findet Arthur etwas seltsam, aber da es ja viele Dinge im Leben gibt, die man seltsam findet, macht er sich nicht ganz so
viele Gedanken darüber. Sein Freund jedenfalls aus dem Wohngemeinschaftsgehege schreibt: „Komm mich doch mal besuchen! Wir haben uns lange nicht gesehen und sicherlich gibt es viel zu erzählen.“ So nimmt Arthur seinen kleinen Koffer, packt seine Zahnbürste und seine Schweineborstenbürste ein. Denn seine morgendliche Zebrahygiene ist ihm total wichtig. Dann zieht er seinen schicken Mantel an. Er kauft sich eine Fahrkarte und fährt mit dem Zug viele, viele Stunden in die Stadt. In der Stadt angekommen, muss Arthur sich erst mal orientieren. Alles ist hier so anders. Es gibt weder ausgetretene Wege, in denen er laufen kann, noch erfrischende







Wasserstellen. Unaufhörlich fahren Autos, Busse und Lkw`s an ihm vorbei und von einer Baustelle kommt ein ohrenbetäubender Lärm. An einer großen breiten Straße mit vielen Autos bleibt er stehen um zu überlegen. Wo war noch mal der Weg zum Tiergehege? Er sieht in alle vier Himmelsrichtungen und versucht sich zu erinnern. Außerdem will er die große Straße überqueren, aber kein einziges Auto hält von alleine an. Wie er da so an der Straße steht, sein kleiner schwarzer Koffer neben ihm und über seinen Schultern der schicke Zebrastreifenmantel, fällt sein Blick auf etwas Gestreiftes. Plötzlich ist er sich ganz sicher! Da liegen seine Streifen auf der Straße! Sofort erkennt er sie wieder. Er weiß ganz genau, dass es seine sind! Ordentlich aneinander gereiht liegen sie einige Meter weiter vor ihm auf der Straße. Er sieht, wie eine ältere Dame gerade an der Straße an seinen Streifen stehen bleibt, um sie zu überqueren. Sofort halten die Autos an und die ältere Dame kommt sicher an der anderen Straßenseite an. Sogar, als er sich selber an seine Streifen stellt, halten die Autos sofort an. Glücklich geht er weiter und findet auch bald das Tiergehege. Seinem Freund dort erzählt er nach großer Wiedersehensfreude seine Entdeckung. Der findet die Geschichte so unglaublich, dass er sie gleich den Elefanten im Nachbargehege erzählt. Die Elefanten können es nicht fassen und erzählen es den Affen. Die Affen können es nicht glauben und erzählen es dem Nilpferd, und das Nilpferd den Flamingos und die können nicht warten, es den Pinguinen zu erzählen. Bis schließlich der ganze Zoo davon weiß und schließlich auch der Zoodirektor. Der freut sich über die einzigartige Sensation. Ein weißes Zebra im Zebrastreifenmantel in seinem Zoo! Er bestellt die Zeitungsreporter und die dürfen Arthur das Zebra mit dem Zebramantel fotografieren und einen großen Artikel in der Zeitung schreiben. Dort steht, wie bereitwillig Arthur das Zebra auf seine Streifen verzichtet, damit ältere Damen sicher die Straße überqueren könnten. Daneben ist Arth! ur auf e inem Foto abgebildet, wie er in seinem schwarz-weiß gestreiften Flauschmantel an seinen Streifen an der Straße steht. In Windeseile verbreitet sich die Nachricht über das besondere Zebra und viele Kinder und Erwachsene kommen in den Zoo, um sich das berühmte Zebra anzuschauen. Arthur bleibt bei seinem Freund wohnen im Zoo wohnen und genießt die Aufmerksamkeit der vielen Leute. Auch wurde ihm schon ein Auftritt im Fernsehen angeboten, aber darüber will er erst noch mal in Ruhe nachdenken. Jetzt erst mal genießt er sein neues Leben in der eigens für ihn hergerichteten hochmodernen Savanne. Mit überdachten Swimming-pool und Wellnessoase. Dort liegt er faul im Liegestuhl und trinkt Orangenlimonade. Er hat seine Hinterbeine übereinander geschlagen und wackelt mit den Hufen. Demnächst hat er einen Termin beim Bürgermeister, denn da wird er geehrt. Als das einzige opferbereite Zebra weit und breit im superschicken Zebraflauschmantel. Er freut sich auf diesen Tag und überlegt, ob er sich zu diesem Anlass einen neuen Mantel nähen lassen soll. Vielleicht mit Kuhflecken oder einem schwarz-gelben Tigerlook.
Susanne Kischkel





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