Ich habe es einfach weiter
geschrieben, das mit Irma und Chris, und das ist jetzt der Anfang…
PROLOG
Es war
kurz vor drei Uhr morgens, also kurz vorm Rausschmiss. Sie stand alleine vor
der fast leeren Tanzfläche und grübelte vor sich hin. Über ihr Leben – und
wieso sie noch nie einen Mann getroffen hatte, in den sie sich rückhaltlos
verlieben konnte. Und sie dachte über ihre Trennung vom Ex nach, die Trennung
war richtig gewesen. Absolut richtig. Trotzdem fühlte sie sich etwas verlassen,
aber das war natürlich Quatsch, sie hatte jetzt die absolute Freiheit alles zu
tun, was sie wollte. Und sie hatte schon einiges getan in den letzten Monaten.
Verrückte Sachen unüberlegte Sachen... Aber irgendwie war alles in die Hose
gegangen, irgendetwas stimmte nicht mit ihr, denn auch Bernie, den sie
unbedingt haben wollte, sprang nicht so richtig auf sie an. Das mit ihm war
eine einzige Katastrophe, vor allem im Bett. Und danach war er einfach
abgehauen und hatte sich auch nicht mehr gemeldet. Den konnte sie wohl
vergessen, aber es hatte wehgetan. Warum? Allmählich dämmerte ihr, dass es so
wehtat, weil sie sich in ihrer Eitelkeit gekränkt fühlte. Oh nein, vielleicht
sollte sie sich erst einmal von Männern fernhalten, bis sich ihr Geisteszustand
normalisiert hatte...
Ich bin
jetzt zwar frei, aber auch vogelfrei, grübelte sie wehmütig weiter - und sie
bemitleidete sich deswegen ein wenig.
Just in
diesem Augenblick quatschte sie jemand von der Seite her an. Sie blickte nach
rechts. Der kann mich nicht meinen, dachte sie erstaunt. Sie schaute also
vorsichtshalber nach links, aber da stand niemand. Oh Wunder, er meinte sie
doch!
Er sah
überwältigend aus mit seiner imposanten Größe, er war so verständnisvoll und
nett, und sie lachten über die gleichen Dinge. Obwohl sie hinterher gar nicht
wusste, worüber sie sich eigentlich unterhalten hatten. Er legte seinen Arm um
sie, und sie schmiegte sich an ihn. Irgendetwas war an ihm, das sie bisher noch
nie erlebt hatte, etwas Vertrauenswürdiges, und sein Körper erschien ihr wie
die Ergänzung zu ihrem eigenen. Er erzählte ihr, dass er Biologie und Chemie
studiert hatte und dass er bald Lehrer sein würde. Auch das war so
vertrauenswürdig.
Hand in
Hand gingen sie zu ihr nach Hause. Sie tranken Rotwein und hörten Musik. Und
wieder unterhielten sie sich, aber es gab keine Berührungen mehr, er saß auch
nicht mehr nahe bei ihr, und Irma fühlte sich ein bisschen verunsichert.
Bis sie
dann irgendwann in die Küche gingen. Irma lehnte sich an die Arbeitsplatte und
er fasste sie um ihre Taille. Sie dachte nur noch daran, dass er sie gleich
küssen würde, sie sah ihn wie gebannt an, und ihre Lippen öffneten sich
erwartungsvoll.
Aber
anstatt sie zu küssen sagte er: „Lass’ uns ins Bett gehen“, und deutete lässig
mit der Hand in Richtung Schlafzimmer.
Schock!
Irma wollte ihren Ohren nicht trauen. Warum war er so beschissen direkt? Was
sollte das?
„Nein,
will ich nicht!“ sagte sie heftig. Eigentlich wollte sie ja doch, aber nicht
so. Es sollte schon ein bisschen netter ablaufen...
„Stell’
dich nicht so an!“ Bei diesen Worten grinste er böse. „Letztens bin ich mit der
Freundin eines Kollegen ins Bett gegangen, und hinterher habe ich den Arm um
sie gelegt, und sie hat mir von ihren Problemen erzählt...“
Irma
starrte ihn fassungslos an. Was sollte das? Warum sagte er das? Bis es ihr
endlich klar wurde: Er wollte nur mit ihr pennen und sie außerdem noch
demütigen, indem er ihr von anderen Frauen erzählte. Das tat weh, und das
konnte sie sich nicht gefallen lassen.
Die
darauf folgende verbale Auseinandersetzung war nicht von schlechten Eltern, und
Irma machte den Anfang:
„Ich
hab’ aber keine Probleme, und außerdem wäre es sowieso viel zu gefährlich für
dich, mit mir zu schlafen!“ In einem Winkel ihres Gehirns fragte Irma sich, was
sie da überhaupt von sich gab, aber sie konnte es nicht steuern, es war wie ein
Programm, das vollautomatisch ablief.
„Und
wieso bitte?“ Seine Stimme klang amüsiert.
„Jeder
Mann, der mit mir schläft, verliebt sich in mich.“ Diese Worte verließen
ungehindert ihren Mund, und sie staunte selber darüber. Es war natürlich
völliger Schwachsinn.
Und
tatsächlich glotzte er sie daraufhin ungläubig an und schnaubte verächtlich.
Bis jetzt hielt er sie immer noch um die Taille gefasst, aber nun ließ er sie
los und trat einen Schritt zurück.
Und sie
spürte es als schmerzlichen Verlust. Wieso standen sie sich auf einmal als
Feinde gegenüber? Konnte man sich in ein paar Stunden so an den Körper eines
Mannes gewöhnen? Das war doch alles nicht normal!
„Und
außerdem“, ihr Mund konnte nicht aufhören, Blödsinn zu erzählen, „bin ich
sowieso frigide!“ Obwohl, so blödsinnig war das gar nicht, denn beim ersten Mal
hatte sie immer ihre Probleme, und beim zweiten und beim dritten auch. So wie
letztens bei Bernie, er war der Freund von ihrem Ex, und sie wollte ihn
erobern. Aber es klappte einfach nicht...
Das war
wohl ein bisschen zuviel für ihn, denn er fing an zu lachen und konnte gar
nicht mehr aufhören zu lachen.
Bis ihr
schließlich der Kragen platzte und sie ihn anblaffte: „Wenn du’s nicht glaubst,
dann kannst du ja abhauen!“
„Natürlich
glaube ich das nicht“, sagte er mit gefährlich ruhiger Stimme, und seine Augen
glitzerten irgendwie. „Aber ich könnte dir ja mal zeigen, wie das geht. Ich
würde dich lecken, bis du mich anflehst, dich zu…“
„Halt’
die Klappe! Halt’ ja die Klappe!“ Irma hörte ihre Stimme wie durch einen Nebel
hindurch, sie klang laut und hysterisch. Aber noch schlimmer war, sie stellte
es sich vor, wie er sie zuerst leckte und dann, na ja... Und es machte sie an!
Gewisse Teile ihres Körpers gerieten dadurch in Hitze. Warum musste sie sich
das vorstellen? Das war ja krank! So was von krank! Und ihre eigene Fantasie
trieb ihr vor Zorn das Blut in die Wangen.
Am
liebsten hätte sie ihm in seine... Teile getreten, die bestimmt schon so
wahnsinnig viele Frauen beglückt hatten. Aber das würde er sich bestimmt nicht
gefallen lassen.
Also
schmiss sie ihn hinaus, obwohl es ihr weh tat. Warum tat es weh? Keine Ahnung.
Jedenfalls schmiss sie ihn hinaus mit den Worten: „Hau’ bloß ab und lass’ dich
nie wieder hier blicken!“
Und er
ging, nicht ohne ihr vorher einen mörderischen Blick zugeworfen zu haben, der
sie erschütterte. Was wollte er? Was hatte sie ihm getan? Was war passiert?
Irma war
nun wirklich zutiefst verunsichert. Aber dieser Zustand hielt nicht lange an.
Okay, die Sache war gelaufen. Sie dachte kaum noch an ihn, obwohl sie manchmal
einen Schreck kriegte, wenn sie irgendwo einen sehr großen Mann sah. Aber es
stellte sich immer heraus, dass er es nicht war. Gott sei Dank! Und auch in der
Disco traf sie ihn nie mehr.
Also
vergiss ihn, Irma! Er ist nicht dein Ding.
Und Irma
vergaß ihn allmählich, oder zumindest dachte sie, sie würde ihn allmählich
vergessen. Aber daran, wie sie von nun an die Männer taxierte, nämlich nach
Größe, Aussehen und Ausstrahlung, stellte sie fest, dass er ein fester
Bestandteil ihrer unbewussten Gedanken geworden war. Doch das fand sie nicht
weiter beunruhigend.
~~~~~~~~~~~
DIE PARTY
Eigentlich
hatte Irma überhaupt keine Lust, auf die Party zu gehen. Wozu auch? Man lernte
ja sowieso nix Gescheites kennen, den Zahn hatte sie sich mittlerweile
abgeschminkt, oder hieß es gezogen? Und wenn sie mal was ‚Gescheites’ kennen
lernte, dann entpuppte es sich als unverschämtes Monster. Wie dieser Chris vor
ein paar Wochen, dieser Hai in der Maske des guten Freundes, der spät in der
Nacht seine Beute in den Kneipen der Großstadt schlug. Sie hatte doch
tatsächlich gedacht, er würde etwas für sie empfinden. Aber auch den Zahn hatte
sie sich abgeschminkt oder gezogen. Wie auch immer...
Karel,
der Wirt vom E-body, ihrer Stammkneipe gab die Party, Irma als Stammgast war
natürlich dazu eingeladen, und mit Maja, der Wirtin war sie sowieso gut
befreundet.
Sie
hatte versprochen, ein wenig bei den Vorbereitungen für die Party mitzuhelfen.
Also baute sie schon am Samstag nachmittag das kalte Büffet auf, sie schnitt
Salate, Zwiebeln und Knoblauch, bereitete verschiedene Salatsoßen zu und
versuchte, Steaks, Koteletts und anderes Grillzeugs mit Öl, Gewürzen und
Kräutern zu marinieren, damit es nicht so schlimm schmeckte wie die fertig
gekauften Sachen. Sie dekorierte den langen Tisch auf der Terrasse mit
Trockenblumen, Petersilie und Tomaten und platzierte überall Stapel von bunten
Papptellern mit Geschirr und Servietten, damit sie gut erreichbar waren. Sie
stellte verschiedene Soßen hin, außerdem
Zaziki, Taramas, Oliven, gefüllte und ungefüllte Pfefferschoten und
andere leckere Sachen.
Es
machte ihr richtig Spaß. Bestimmt waren diese Vorbereitungen befriedigender als
die Party selber. Nebenbei quatschte sie ein wenig mit Maja, der blonden
schwedischen Wirtin. Maja fühlte sich nicht gerade glücklich mit ihren Gatten
Karel, war ja auch kein Wunder – Karel soff manchmal wie ein Loch, er war ein
so genannter Quartalssäufer, der monatelang trocken war, aber dann auf einmal
ausflippte... Über kurz oder lang würde diese Ehe wohl scheitern, dachte Irma,
aber das wollte sie Maja nicht so direkt sagen.
Spät am
Nachmittag ging Irma nach Hause, um sich erst ein wenig zu entspannen und sich
dann gemütlich in die Badewanne zu legen. Maja hatte ihr jede Menge Nahrung
aufgedrängt – alles was nicht mehr aufs Büffet passte – ihr Kühlschrank war
voll, und sie konnte mindestens zwei Tage davon leben, ohne die Wohnung
verlassen zu müssen...
Und sie
wusste immer noch nicht, ob sie zur Party gehen sollte. Vielleicht, wenn
Freundin Jessi da wäre. Aber die war gerade in Urlaub gefahren und würde erst
in drei Wochen zurückkommen.
Gerade
als sie aus der Badewanne stieg, rief ihr bester Freund an und fragte: „Bist du
schon fertig?“
„Ich weiß
nicht, ob ich gehen soll“, stöhnte Irma unentschlossen.
„Stell’
dich nicht so an. Wenn’s nicht gut ist, kannst du ja wieder gehen. Und so weit
ist es ja nicht...“
Irma
fühlte sich immer noch zwiespältig „Ich kämpfe noch mit mir, aber vielleicht
komme ich ja doch...“ Ralf war wirklich ein guter Freund, sie schnitt ihm immer
die Haare, und er versorgte sie mit guten MP3s, nicht ganz legal natürlich,
aber mein Gott...
Kurz
danach rief Anna an. Anna war Teil eines Pärchens, und der männliche Teil hieß
Markus. Die beiden waren echt nett, Irma kannte sie schon seit Jahren, und man
besuchte sich oft gegenseitig. Früher war ihr Ex immer dabei gewesen. Von wegen
früher, das war gerade mal ein paar Monate her... „Sollen wir dich abholen?“
fragte Anna.
„Nein
nein, das muss nicht sein, und ich weiß auch gar nicht, ob ich überhaupt
hingehe...“
„Quatsch,
wir holen dich gleich ab!“
Und Irma
gab sich schließlich geschlagen. Es gab kein Entrinnen. Sie musste wohl zu
dieser Party.
~~~~~~~~~~~
Das Haus
von Karel und Maja war ziemlich groß und hatte einen riesigen Garten. Leider
spielte das Wetter nicht richtig mit, und fast alle Leute trieben sich drinnen
herum. In einem Raum konnte man tanzen, in dem anderen befand sich eine
richtige Bar, und wer Lust hatte, konnte im oberen Stockwerk Videos schauen.
Irma
hatte Lust, ein wenig zu tanzen. Sie schenkte sich an der Bar ein Glas Rotwein
ein, denn Selbstbedienung war angesagt. Sie ging in den Tanzraum und lauschte
der Musik. Die Musik war natürlich wie immer... alt. Karel hatte wirklich einen
Gruftie-Geschmack. Er stand auf die Stones, auf Trini Lopez und auf Roxy Music,
und genau die spielte er auch immer in seiner Kneipe, dem E-body. Selbst
hartgesottene Stammgäste verfluchten den Musikgeschmack des Wirts und waren
froh, wenn er mal nicht da war.
Tanzen
zu dieser Musik war nicht sehr verlockend, also ließ Irma ihre Blicke
schweifen. Natürlich war nichts Gescheites an Männern da, die guten waren alle
schon vergeben, und die anderen waren eben nicht gut. Aber das machte nichts,
sie konnte sich auch so amüsieren. Es war besser, wenn man keine Hoffnungen
hatte.
Also
tanzte sie doch ein bisschen, ausnahmsweise wurde nämlich was Neues gespielt,
irgendwas aus den Achtzigern – das war wirklich extrem neu für Karels
Verhältnisse, und auch extrem gut zum Tanzen.
Danach
machte sie eine Runde durch das ganze Haus, um Bekannte zu begrüßen. Ach du
lieber Himmel, da war Bernie, der Freund von ihrem Ex, auf den sie mal scharf
war. Aber irgendwie hatte es nicht mit ihm geklappt. Bernie sah sie, kam
freudestrahlend auf sie zu und versuchte sie zu umarmen. Aber Irma wich vor ihm
zurück, jetzt wollte sie ihn nicht mehr, und sie wusste auch nicht, was sie
jemals an ihm gefunden hatte. Aber war schon komisch: Als SIE ihn noch wollte,
da wollte ER sie nicht. Sie hatten zwar miteinander gepennt, aber es war sehr
seltsam und überhaupt nicht befriedigend gewesen. Hinterher hatte er so einen
Quatsch über Transzendentale Meditation erzählt. Voll furchtbar, und dann war
er abgehauen und hatte sie auch nicht mehr angerufen. Vielleicht war sie ein
bisschen zu aktiv gewesen, sie wollte es erzwingen, dass er sich in sie
verliebte. Und das mochten die Männer vielleicht nicht.
Sie
wanderte weiter. Karel, der Wirt sah trotz der relativ frühen Stunde schon
ziemlich angeschickert aus. Aber damit sollte sich seine Frau
auseinandersetzen.
~~~~~~~~~~~
SCHOCK
Erst
traf sie Ralf wieder und kurz danach Anna und Markus. Man beschloss, sich auf
die überdachte Terrasse zu setzen, weil es da relativ leer und ruhig war.
Man
unterhielt sich, und es war nett.
Der
Grill kokelte vor sich hin, irgendein Saufbold aus Karels Kneipe hielt ihn im
Gang und grillte jede Menge Koteletts, Würstchen und Gemüse. Daneben stand der
Tisch mit dem Büffet, das immer noch ganz gut aussah, obwohl schon große Lücken
in der Deko klafften, man hatte sie teilweise einfach aufgefuttert.
Irma lud
sich ein wenig Brot, Tzaziki, Oliven, mit Frischkäse gefüllte Pfefferschoten
und Tomaten auf einen Pappteller, stellte sich den Teller vorsichtig auf den
Schoß und fing genüsslich an zu essen.
„Der
Tisch sieht toll aus!“ Anna bewunderte die ausgefallene Deko, und Irma gab zu,
dass sie es gewesen war, die das verbockt hatte.
„Wie
kommst du nur auf solche Ideen?“
„Weiß
ich auch nicht“, sagte Irma und steckte sich eine dicke mit Knoblauch gefüllte
Olive in den Mund. Vielleicht sollte sie ja besser keinen Knoblauch essen. Ach
Quatsch, war ja sowieso kein Mann in Sicht, und das war auch besser so. Im
Moment schien sie nicht viel Glück mit Männern zu haben…
Man
unterhielt sich über Musik, über die Arbeit – und irgendwann kam das Gespräch
auf Irmas Ex, über den Ralf sich gar nicht nett äußerte. „Sei froh, dass du den
Arsch los bist“, sagte er.
Anna und
Markus waren allerdings anderer Ansicht. Sie hofften immer noch, Irmas Trennung
von Oliver wäre nur vorübergehend, und sie würde wieder mit ihm zusammen
kommen.
Reines
Wunschdenken, wie Irma fand.
„Das ist
doch ein Vollidiot!“ meinte Ralf verächtlich. Ralf war ein netter Kerl, ein
guter Freund und vor allem unglaublich verlässlich.
„Ich glaube, du und Oliver, ihr gehört zusammen“, sagte Anna, und ihr Freund Markus haute in die gleichen Tasten: „Ihr beide seid doch ein eingespieltes Team!“
Irma war
verblüfft. So sahen die das? Das war absolut unrealistisch, es war vorbei, und
sie war froh, dass es vorbei war.
Sie
sagte nichts dazu, sondern starrte auf den großen Tisch mit dem kalten Büffet,
ohne ihn wirklich zu sehen. Natürlich wünschten sich Anna und Markus, dass
alles wie früher wäre, die gegenseitigen Besuche, die gemeinsamen
Unternehmungen, eben die Sachen, die zwei Pärchen miteinander trieben... Aber
es war endgültig vorbei, und sie würden sich an den Gedanken gewöhnen müssen.
Irma
starrte immer noch auf den Tisch, ohne ihn zu sehen.
Und dann
auf einmal sah sie ihn doch, den Tisch, weil da nämlich jemand stand. Es war
ein großer Mann mit langem lockigen Haar, er hatte eine saugute Figur und sah
irgendwie aus wie ein Seeräuber…
Nein,
das war doch nicht? Oder etwa doch? Irma konnte ihre Augen nicht von diesem
Anblick losreißen.
Und als
ob er ihren Blick gefühlt hatte, drehte der Kerl sich um und sah ihr voll in
die Augen. Er grinste und kam auf sie zu, während sie wie gelähmt auf ihrem
Stuhl saß. Nein, das konnte nicht sein. Wie kam er hierhin? Oder hatte er das
arrangiert?
Wäre ihm
zuzutrauen, dem Drecksack... Obwohl... Nein, es konnte nicht sein, es war
reiner Zufall. So anziehend war sie nicht, um so einen Typen... Obwohl sie
manchmal ziemlich anziehend war... Und wie lange war er schon da? Hatte er das
Gespräch mitbekommen? Ach Quatsch, das interessierte ihn bestimmt nicht.
Er kam
unaufhaltsam auf sie zu, beugte sich zu ihr herab, drückte ihr flüchtig einen
Kuss auf die Stirn und sagte: „Hallo Irma!“
Irmas
Mund stand leicht offen, sie glotzte ihn fassungslos an und sagte auch etwas
ähnliches wie „Hallo“. Fast wäre ihr dabei der Teller mit den Vorspeisen vom
Schoß gefallen.
Aber
schon drehte er sich weg, ging wieder zum Büffet, packte sich irgendwas auf
einen Teller, gönnte ihr noch ein flüchtiges Lächeln – und verschwand im Haus.
„Huch,
was war das denn?“ fragte Anna erstaunt.
„Er ist
Lehrer“, antwortete Irma zerstreut. Und Anna, die wohl in dieser Aussage
keinerlei Zusammenhang mit ihrer Frage erkannte, schaute sie verblüfft an.
Irma
ignorierte die neugierigen Blicke, die Ralf, Anna und sogar Markus ihr
zuwarfen. Wie sollte sie denen das erklären? Sie konnte es sich ja selber nicht
erklären, und es war besser, wenn sie nichts von dieser blöden Geschichte
wussten.
Tatsächlich
war sie ein wenig durcheinander, und das machte sie ziemlich fertig. Wie konnte
das passieren? Sie hatte sich ja total von dem Kerl überrumpeln lassen.
Peinlich, peinlich.
Ihre
Freunde hielten jedenfalls die Klappe und ließen sie in Ruhe, während sie
krampfhaft versuchte, ihre Unsicherheit in den Griff zu kriegen. Und es
funktionierte einigermaßen. Irma dachte noch einmal nach und kam zu dem
Schluss, dass seine Anwesenheit bestimmt Zufall war. Und darauf konnte sie sich
einstellen. Die Stadt war nicht so groß, dass man sich nicht über den Weg
laufen konnte. Wenn’s aber kein Zufall war, dann würde sie das schon merken.
Jetzt kannte sie ihn ja und würde nicht mehr auf ihn reinfallen – und auf
seinen Charme auch nicht, falls er den raushängen lassen sollte.
Und
wenn, dann wollte er sowieso nur das eine. Okay, das wollte sie auch, sie
wollte unbedingt wissen, wie er im Bett war. Wenn er so gut war, wie er aussah,
dann war es bestimmt überwältigend. Aber nein, die meisten gut aussehenden
Männer benahmen sich im Bett wie elende Stümper. Sie hielten es wohl nicht für
nötig, ein bisschen was für die Frau zu tun. Irma musste kichern. Anna schaute
sie befremdet an, aber Irma bemerkte es gar nicht, sondern dachte weiter nach:
Bernie sah ja auch gut aus, auf eine massive Weise irgendwie, aber im Bett?
Heiliger Strohsack! Nur das eine, nämlich rein-raus, und er fand das auch noch
normal! Aber Chris traute sie mehr zu. Falls er sie überhaupt wollte, es waren
ja so viele hübsche Frauen hier, und er hatte die freie Auswahl...
~~~~~~~~~~~
EIERTANZ
Aber es
war erregend, die Party war Klasse, das Leben war toll, und eine halbe Stunde
später wanderte Irma ins Barzimmer, um sich noch ein Glas Rotwein zu
genehmigen. Und um weiter zu überlegen.
Warum
überlegte sie überhaupt? Alles war normal, es war Zufall, dass er hier war, und
er wollte bestimmt nichts von ihr. Trotzdem sah das Leben auf einmal
verheißungsvoll aus, das Blut floss ihr schneller durch die Adern, und sie
spürte es förmlich rauschen.
Aber sie
musste aufpassen, sie durfte nicht offenkundig nach ihm Ausschau halten, sie
würde einfach so tun, als ginge sie das gar nichts an. Und es ging sie ja auch
gar nichts an.
Sie goss
sich noch ein Glas ein und sah aus den Augenwinkeln, dass Chris gerade
hereingekommen war, zusammen mit einem Typen, den sie flüchtig aus dem E-body
kannte. Die beiden unterhielten sich angeregt, und Irma schlenderte lässig an
ihnen vorbei.
Es
sollte schließlich nicht so aussehen, als ob sie vor ihm weglaufen würde. Aber
sie musste sich das gut einteilen, mal einfach dableiben und mal einfach
abhauen, wenn sie sich über den Weg liefen. Also ganz normal handeln...
Und vor
allem musste sie sich von anderen Männern fernhalten. Denn irgendwie hatte sie
das Gefühl, als sähe Chris das nicht so gerne, eingebildet und arrogant wie er
war. Gut, er hatte sie mit Ralf gesehen, aber Ralf zählte nicht als Mann,
obwohl er objektiv gesehen gar nicht schlecht aussah. Und er war der netteste
Kerl überhaupt, aber leider war er gar nicht ihr Typ.
„Hallo
Irma, mein Schatz!“ Eine dunkle Stimme schreckte sie auf. Oh nein, Bernie! Sie
war voll in ihn hineingelaufen. Hoffentlich hatte Chris das nicht gesehen.
Sie
packte Bernie beim Ärmel und versuchte, ihn unauffällig aus dem Barzimmer zu lotsen.
Aber Bernies massige Gestalt war nicht so einfach weg zu lotsen, es war so, als
versuchte man, einen schweren Sack Kartoffeln irgendwohin zu bewegen.
„Was ist
denn los mit dir?“ zischte sie ihn leise an. „Und seit wann bin ich dein
Schatz?“
„Ich glaube,
ich liebe dich, Irma“, Bernie lallte ein wenig. Er hatte vermutlich schon
reichlich gesoffen, und wenn er so weitermachte, würde er bald in einer Ecke
liegen und schnarchen, und dann hätte sich das Problem gelöst. Mein Gott, bin
ich gemein, dachte Irma.
Aber
tatsächlich wusste sie nicht mehr, warum sie jemals Gefühle für Bernie gehegt
hatte. Mittlerweile argwöhnte sie, dass sie ihren Ex damit ärgern wollte, indem
sie mit seinem besten Freund rummachte. Tja, so musste es wohl gewesen sein.
Und hoffentlich hatte Chris nichts von diesem Spielchen mitbekommen...
„Sprich
doch noch ein bisschen lauter! Da hinten haben sie dich noch nicht gehört!“
Irma warf unauffällig einen Blick hinter sich – und schaute Chris voll in die
Augen. Er grinste.
Hilfe,
wie peinlich! Sie verzog das Gesicht zu einem nichts sagenden Lächeln,
jedenfalls sollte es so aussehen wie ein nichts sagendes Lächeln, aber es wurde
wohl eher eine Grimasse.
„Du
spinnst doch!“ sagte sie zu Bernie. Sie ließ ihn einfach stehen und marschierte
aus dem Zimmer heraus.
Und
plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie vor ein paar Wochen zu Chris gesagt
hatte, nämlich: Jeder der mit mir schläft, verliebt sich in mich! Ha! Jetzt
konnte der Blödmann mit eigenen Augen sehen, dass es stimmte. Na ja, ein bisschen
stimmte. Manchmal...
~~~~~~~~~~~
Ein paar
Stunden später hat sich die Lage nicht groß geändert.
Was für
ein Eiertanz. Man geht sich aus dem Weg, behält sich aber trotzdem im Auge.
Sehr seltsam, aber aufregend.
Einmal
sieht sie ihn zufällig mit einem Pärchen herumstehen. Aber es ist in
Wirklichkeit gar kein Pärchen, die pennen nur ab und zu miteinander. Und Olivia
ist so ziemlich die größte Schlampe überhaupt, die geht mit jedem ins Bett,
aber sie ist eine Schönheit und sieht außerdem noch interessant aus. Sie hat
eine bestimmte Masche, Männer anzumachen, nämlich sich hilflos hinzustellen und
aus ganz großen Augen zu glotzen... Total bescheuert, aber es wirkt immer. Auch
jetzt sieht sie so hilflos aus, und ihre Augen kullern fast aus ihrem hübschen
Gesicht. Wen will sie wohl anmachen?
Na wen
wohl? Irma muss ein Lachen unterdrücken.
Das
Objekt von Olivias Begierde kümmert sich absolut nicht um sie, aber Irma
wettet, dieser Schweinhund registriert jeden Blick, den eine Frau ihm zuwirft.
Oder wie in diesem Falle nicht zuwirft...
Hach,
ist das schön und aufregend. Irma greift sich Freund Ralf, sie gehen ins
Tanzzimmer und inspizieren die CDs. Aber da ist wirklich nix Gescheites dabei,
nur Stones, Roxy Music und Trini Lopez. If I had a hammer... Und ein bisschen
was aus den Achtzigern, Tears for fears, Billy Idol…
Karel,
der Wirt torkelt herein. Mann, ist der besoffen! Und er ist anscheinend
aggressiv wie ein alter gereizter Elefant. Irma schwant Böses. Die Party wird
wohl nicht mehr lange dauern, denn wenn Karel in diesem Zustand ist, legt er
sich mit den eigenen Gästen an, beleidigt sie, droht ihnen Schläge an – und
sogar Lokalverbot, was natürlich viel schlimmer ist.
Leider
hat sie Recht. Die Stimmung ist versaut, die ersten Gäste verlassen die Party.
Und es werden immer mehr, bis schließlich nur noch ein paar Leutchen übrig
bleiben.
Och
schade, das ist ja wohl gelaufen. Und wo ist Maja abgeblieben? Wahrscheinlich
ist sie frustriert ins Bett gegangen, denn wenn ihr Göttergatte Karel diesen
Zustand erreicht hat, dann kann ihn niemand mehr beeinflussen, geschweige denn
besänftigen. Arme Maja, denkt Irma. Scheiß Saufen! Obwohl, sie hat selber auch
ganz schön zugelangt heute Abend und ist deswegen, hupps, auch ganz schön
angeschickert.
Aber sie
will nicht, dass die Party vorbei ist! Was kann sie tun, damit die Party nicht
vorbei ist?
„Wir
könnten zu mir gehen.“ Huch, was sagt sie da? Aber jetzt hat sie es gesagt und
muss dazu stehen. Und vielleicht...
„Ich
komme mit. Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast“, sagt eine Stimme, die
sie irgendwie kennt. Und der Besitzer dieser Stimme ist, na wer wohl? Ja! Es
ist Chris!
Er hat
ihre Worte mitbekommen. Sonderbar, sonderbar, aber vielleicht war er gerade in
der Nähe. Und es gut, es ist saugut, dass er mitkommt. Vielleicht hat sie es ja
nur gesagt, damit er mitkommt, denn wenn er nicht mitkommen würde, wäre alles
andere schal und langweilig...
Sie
lächelt ihn an und sagt lässig: „Was sollte ich dagegen haben.“ Und denkt bei
sich: Konsequenz, dein Name ist nicht Irma...
Fortsetzung folgt
Vorheriger TitelNächster TitelAlle Irma-Chris Geschichten sind auf meiner Homepage, und zwar dort:
http://ingridgrote.de/html/bucher.htmlIngrid Grote, Anmerkung zur Geschichte
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ingrid Grote).
Der Beitrag wurde von Ingrid Grote auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.11.2008.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Ingrid Grote als Lieblingsautorin markieren
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von Eveline Dächer
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