Manon Meyers

Der Richter von Utopia

Betty lehnte sich zurück und seufzte. Völlige Dunkelheit umgab sie, ausdruckslose Stille machte sich in dem Wohnzimmer breit. Erst vor ein paar Sekunden hatte sie den Fernseher ausgeschaltet und vergessen dabei das Licht anzumachen. Mit einem etwas traurigen Blick wandte sie ihren Kopf zur Seite dort wo ihr Freund Henry sass. Er war völlig ruhig, sagte kein Wort, aber er zitterte. Betty konnte es spüren, sie wusste dass er ihre Nähe suchte, es sich aber nur schwer eingestand weil der Schmerz den er im Augenblick empfand einfach viel zu gross war. Einen Moment lang lauschte Betty auf das Surren des Kühlschranks. Es war fast das einzige Geräusch das sie vernehmen konnte.
Lass ihm einfach Zeit, sagte sie sich immer. Vielleicht sollte sie einfach ein Nickerchen machen. Henry würde es sicher nicht mal merken, so weggetreten war er im Moment. Da drehte Betty ihren Kopf von ihm weg und schaute nach rechts, nach draussen. Es regnete. Von hier aus konnte sie einen ziemlich hohen aber dünnen Baum erkennen. Seine farbigen Blätter hingen wehmütig nach unten, völlig schwer vom vielen Regen. Die Äste beugten sich tief in Richtung Bürgersteig und sahen mindestens doppelt so traurig aus wie ihre Blätter. Einige Blätter lagen bereits am Boden, zertreten von den vielen Füssen der Menschen die hier tagtäglich vorbeispazierten. Einen Moment später spürte Betty, wie sich Henrys Bein bewegte und gegen ihres stiess. Betty verspürte ein Kribbeln, eins wie sie es schon lange nicht mehr empfunden hatte. Henry hatte tatsächlich ihre Nähe gesucht! Betty tastete in der Dunkelheit nach seiner Hand und begann seine Handfläche zu streicheln. "Sollten wir vielleicht zu dir aufs Zimmer gehen? Jade und deine Eltern könnten gleich zurückkommen." Betty sprach sehr leise, obwohl sie wusste dass niemand zu Hause war.
Henry rückte ein Stückchen von Betty weg und schüttelte ihre Hand ab. "Lass meine Hand los."
Betty konnte nicht länger stillsitzen, sie musste Henry sagen was sie dachte: "Verdammt nochmal, ich kann das einfach nicht mehr mit ansehen!" fluchte sie "Du badest hier in Selbstmitleid, nimmst deine Mitmenschen überhaupt nicht mehr ernst, Gott, ich kann nicht mehr!"
"Dann geh' doch." meinte Henry mit unglaublich ruhiger Stimme. "Du findest den Weg vor die Tür ja auch ohne fremde Hilfe." meinte er mit einem sarkastischen Unterton und lachte leise.
"Du verschwendest all deine Energie, Henry, indem du einfach nur dasitzt, dich bemitleidest und andere Menschen mit deiner Melancholie fertigmachst." Betty kämpfte mit den Tränen. Nur nicht weinen, nur nicht weinen, sagte sie sich immer wieder. Henry hasst es wenn ich weine, schwirrte es ihr durch den Kopf.
"Warum soll ich denn nicht deprimiert sein?" fragte er heftig in die Dunkelheit. "Ich kann nicht sehen, Betty. Ich werde niemals wieder sehen können, niemals! Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen wie das ist, blind zu sein, für immer sein Augenlicht verloren zu haben!"
Betty starrte in die Schwärze des Zimmers. Ihr Herz tat ihr weh. Henry hatte ja Recht. Sie konnte nicht wissen wie es ist blind zu sein, vom Augenarzt gesagt zu bekommen Sie werden ihr Augenlicht wohl niemals wiederlangen. Aber es war schwer, dessen war sich Betty bewusst. Als sie Henry plötzlich leise weinen hörte, rückte sie zu ihm ans andere Ende der Couch heran. Sie hatte Henry niemals vorher weinen gehört. Es war ein eigenariges Gefühl. Vielleicht liess er Betty jetzt an sich heran und teilte seinen Schmerz mit ihr. Vorsichtig umarmte sie ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Sie fühlte wie eine Träne seine Wange hinunterfloss. Einen Moment lang spürte sie, wie er die Arme um sie legen wollte, doch dann kam eine völlig andere Reaktion, eine die sie von Henry normalerweise nicht kannte. Er stiess sie von sich ab. Es traf Betty wie einen Messerstich in die Brust.
"Ich glaube du solltest jetzt gehen." meinte Henry leise. Kurz darauf hörte er wie Betty vom Sofa aufsprang und spürte einen leichten Luftzug. Sie verschwand aus der Tür und er hörte wie sie den Flur entlanglief. Danach öffnete sie die Haustür und ging hinaus. Dann verstummten auch ihre Schritte.

Es war dunkel und es regnete. Luke Lancaster war gerade dabei ins Bett zu gehen als er ein Klopfen an seinem Fenster vernahm. Wer mochte wohl noch zu so später Zeit zu ihm kommen? Da er seine Brille nicht aufhatte konnte er nur schlecht sehen wer plitschnass im Regen vor seinem Fenster stand. Als er aber nahe genug heranging erkannte er Betty, deren braunes Haar ihr im Gesicht hing und deren Klamotten ganz durchnässt waren. Es musste etwas passiert sein, denn sonst würdeBetty niemals freiwillig durch den Regen zu seinem Haus laufen.
"Bist du verrückt, Betty?" schrie Luke. "Du erkältest dich noch. Komm erstmal rein." meinte er und liess Betty durch sein Fenster steigen. Als er das Fenster schliessen wollte, fiel ihm erst richtig auf wie trostlos die ganze Gegend aussah. Luke hasste diese Traurigkeit. Deshalb drehte er schnell seinen Kopf weg und widmete sich Betty. Sie weinte.
"Wahrscheinlich fragst du dich..." Betty schien völlig aufgelöst zu sein und wirbelte mit den Armen umher. "Sicher möchtest du wissen wieso ich ausgerechnet zu dir komme, Luke, ich wusste einfach nicht zu wem ich sonst gehen sollte. Ich kam einfach gerade an deinem Haus vorbei und ein Wärmegefühl überkam mich, es war einfach so, dass ich wusste dass du immer ein offenes Ohr für mich haben würdest. Ich habe mich einfach nur danach gesehnt mit bei jemandem zu s..." Betty liess sich von den Luke in den Arm nehmen, er tröstete sie, und eine unglaubliche Erleichterung durchlief sie. Sie hatte ja nicht gewusst wie er auf ihren Besuch reagieren würde, wo die beiden doch immer ein Paar gewesen waren und sich aufgrund eines völlig schwachsinnigen Grundes getrennt hatten. Aber jeder schwachsinnige Grund war auch ein Grund.
"Eigentlich wollte ich mich zwar schlafen legen, aber du weisst, ich bin ein guter Zuhörer." meinte Luke liebevoll und bat Betty sich zu setzen. Er war irgendwie froh sie wiederzusehen, denn er hatte sie in letzter Zeit so schrecklich vermisst.
"Ich, ich möchte nicht reden. Ich wollte einfach nur dass jemand mich im Arm hält." Betty war eindeutig einsam. Wenn sie sich nach einem vertrauenswürdigen Gespräch gesehnt hätte, hätte sie normalerweise ihre beste Freundin Jade oder auch Anna, eine andere Freundin von Betty, um Rat gefragt. Aber sie wollte einfach nur ein bisschen Trost. Sie wusste dass Luke derjenige war der ihr am besten Trost spenden konnte. Sie wusste das auch aus ihrer früheren Beziehung mit ihm. Dass sie damals Schluss gemacht hatten, hatte viel mehr an Betty gelegen. Sie war sich selbst nicht im Klaren darüber gewesen wer sie war und was sie eigentlich wollte. Deshalb war sie auch nicht imstande gewesen eine Beziehung zu führen. Luke hatte vorgeschlagen ihr mehr Freiraum zu lassen, und als sie diesen nutzte verliebte sie sich über Nacht in Henry. Henry hatte ihr Leben verändert. Ihr Geist war plötzlich ganz klar gewesen und sie spürte wie ihre versteckte Seele langsam in ihr erwachte. Und nun, nun hatte sie wieder das Gefühl nichts zu sein, denn seit Henry blind war hatte sich alles in ihrem Leben drastig verändert. Betty war ein sehr verletzlicher Mensch, auch wenn sie nach aussen manchmal so stark zu wirken versuchte. Sie konnte einfach nicht mit ansehen wie Henry sich systematisch zerstörte.
Luke spürte dass es etwas mit Henry zu tun haben musste, denn auch Luke war bekannt dass Henry sein Augenlicht durch eine heimtückische Krankheit verloren hatte. Solche Nachrichten sprachen sich in einer Kleinstadt wie Lily Creek eben schnell um.
Luke gab Betty genau das was sie im Moment brauchte. Trost. Trost ohne grosse Worte und lange Unterhaltungen. Sie brauchte keinen Rat, nur jemand der bei ihr war. Es war etwas anderes wenn sie bei jemandem war wie Luke als bei jemanden wie Anna. Anna war zwar eine sehr gute Freundin von Betty, aber sie war jemand der gleich versuchte einem einen Rat mit auf den Weg zu geben. Mit ihr konnte man lange Unterhaltungen führen, genau wie mit Jade. Anders bei Luke. Wenn man wollte, konnte man sich mit ihm unterhalten, aber wenn man nicht wollte war er einfach nur da. Das schätzte Betty an ihm so. Und er war ein sehr guter Freund.

Auch Anna konnte nicht schlafen. Sie machte sich Gedanken um Henry. Henry war ein guter Freund und der Bruder ihrer Freundin Jade. Er machte im Moment einen sehr schlimme Zeit durch, und es tat Anna im Herzen weh dass sie nicht mehr für ihn tun konnte. Auch für Jade und ihre Eltern war es schlimm, ihren Sohn so am Boden zu sehen. Dabei war Henry immer so ein fröhlicher Mensch gewesen, so voller Hoffnung. Er hatte es eigentlich gar nicht verdient so zu leiden, seine Familie eben so wenig. Dann dachte Anna an Betty. Sie war ein Mensch der sehr viel Liebe brauchte, deshalb hatte es Anna auch sehr gewundert dass sie sich ausgerechnet in den kühlen Henry verliebt hatte. Aber vielleicht hatte sie gespürt dass hinter der eisernen Mauer ein gutmütiger Mensch steckte der mehr Liebe geben konnte als jemand der von Natur aus eher romantisch und gefühlsbetont war. Aber jetzt war Henry blind, jetzt war er völlig am Boden, er war einfach nicht in der Lage Betty Liebe zu geben. Das machte Anna Sorgen. Sie wusste dass Betty gleich zu Luke rennen würde sobald es wirklich schlimm wurde. Und der tröstete sie nur allzu gerne. Nichts gegen Luke, aber Betty war mit Henry zusammen und sie liebte ihn auch. Aber in Momenten der Trauer war man einfach zu allem fähig.
Anna kletterte aus ihrem Bett und ging zu ihrem Fenster das gross offen war, obwohl es draussen nicht gerade angenehm warm und sehr nass war. Anna streckte ihren Kopf heraus. Frische Luft tat ihr im Moment ziemlich gut und das Plätschern der Regentropfen wirkte beruhigend auf sie. Dann schloss sie für einen kurzen Moment die Augen. Sie versuchte sich vorzustellen wie es war, blind zu sein, aber sie konnte es nicht. Sie konnte die Gefühle die Henry wohl im Moment haben musste, nicht nachempfinden. Er konnte nicht mehr sehen. Die Welt um ihn herum war dunkel. Es war etwas anderes blind geboren zu werden, als mit achtzehn plötzlich blind zu werden. Plötzlich hörte Anna das Telefon klingeln. Nanun, wer rief dann zu so später Zeit noch an?
"Anna am Apparat."
"Anna..." Es war Henry, seine Stimme klang zitternd. Es hatte einige Zeit gedauert bist er die richtige Nummer gewählt hatte. Er konnte mit seiner Blindheit einfach noch nicht umgehen. "Ist Betty vielleicht bei dir?"
"Nein." Anna dachte an Luke. Verdammt. Sie war sich sicher dass sie bei ihm war. "Aber ich bin sicher es geht ihr gut, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Henry."
"Ich mache mir doch keine Sorgen!" erwiderte er plötzlich und schmiss den Hörer auf die Gabel. Natürlich hatte er sich Sorgen gemacht. Aber er hatte im Moment genug andere Sorgen, zuviele um sich noch Gedanken darüber zu machen wie es Betty ging.

In der Zwischenzeit hatte Betty eine ganze Weile lang in Lukes Armen gelegen.
"Und du möchtest wirklich nicht darüber sprechen?" fragte er noch einmal nach. "Obwohl ich mir schon denken kann was los ist." meinte er. Dabei dachte er wieder an Henry. Den armen Henry.
"Ich gehe jetzt lieber nach Hause." meinte Betty, deren Kleider völlig durchnässt waren. Luke und sein Bett waren jetzt ebenfalls nass. Aber das schien ihm wenig auszumachen. Betty war nicht kalt. Luke hatte sie sie in der kurzen Zeit mit soviel Wärme erfüllt dass jegliche Kälte in ihr verbannt worden war. Es ging Betty besser. Aber nur für den Augenblick. Irgendwie hatte sie das Gefühl als ob sie zu Henry zurückgehen müsste um nochmal mit ihm zu sprechen. Aber sie hatte Angst davor. Er würde sie nur wieder von sich wegstossen wie er es vorhin getan hatte.
"Du weisst dass du immer zu mir kommen kannst." meinte Luke liebevoll. "Als Freund." fügte er dann noch hinzu, weil er wusste wie sehr Betty ihren Henry liebte. Wie gesagt, er hatte ihr Leben verändert, er hatte in so kurzer Zeit sehr viel für sie getan. Luke hatte es damals nicht geschafft Betty wirklich glücklich zu machen. Henry hatte es geschafft.
"Okay." Betty stand vom Bett auf und öffnete das Schlafzimmerfenster. Kurz darauf stand sie wieder im strömenden Regen, winkte Luke noch einmal zu und lief dann davon. Vielleicht sollte sie jetzt aber nach Hause gehen. Vorher aber ging sie nochmal an Henry's Haus vorbei. Sie erkannte Licht in seinem Schlafzimmer. Wahrscheinlich aber war es eine Gewohnheit von ihm auf den Lichtschalter zu drücken. Dabei brauchte er den Lichtschalter gar nicht mehr. Nur wenn jemand sein Zimmer betrat. Dann erkannte Betty ihre Freundin Jade, sie stand mit dem Rücken zum Fenster gekehrt und schien mit ihrem Bruder zu diskutieren. Was brachte es mit Henry zu diskutieren? Er ertrank doch fast in seinem Selbstmitleid und liess sich einfach nicht helfen. Wenn er etwas hasste dann war es Mitleid. Ein bisschen konnte Betty ihn auch verstehen. Henry fühlte sich hilflos. Und er war ein Mensch der sich von Natur aus nicht sehr gerne helfen liess. Verdammt, wieso liebte sie ihn nur so sehr? Wieso hatte sie sich ausgerechnet in den Bruder ihrer besten Freundin verlieben müssen? Erst durch die Trennung von Luke hatte sie Henry richtig kennengelernt.
"Ich liebe dich, Henry." flüsterte Betty. Ein sanftes Lächeln huschte sogar über ihr Gesicht. Wie gerne hätte sie sich jetzt in Henry' starke Arme gekuschelt, seinen Duft eingeatmet und die Augen geschlossen, mit dem Gedanken dass die beiden glücklich waren.

Mr. und Mrs. Levin machten sich wirklich Gedanken um ihren Sohn. Henry war erst seit einem Monat blind, es war nicht einfach, weder für Henry noch für sie.
"Ich weiss einfach nicht mehr was ich machen soll, Doug!" Leann, Mrs.Levin, weinte. Sie hatte schwer daran zu knabbern dass ihr Sohn sich plötzlich dermassen hängen liess.
"Leann, für uns alle ist es schwer." meinte Doug und versuchte seine Frau zu beruhigen. "Henry braucht Zeit um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Wir müssen ihm seinen Freiraum lassen aber gleichzeitig für ihn da sein damit er weiss wie wichtig er uns ist."
Plötzlich erschien Jade im Wohnzimmer. "Er liegt jetzt im Bett aber ich denke nicht dass er schläft." Jade setzte sich zu ihren Eltern auf die Couch. "Ich mache mir wirklich ernsthafte Sorgen um ihn. Sein Selbstmitleid ist kaum zu ertragen, er wirft mit Sachen um sich und er war drauf und dran seine Notenblätter zu zerreissen." erklärte Jade. Auch sie war dem weinen nahe.
"Es ist eben nicht einfach für Henry." meinte ihr Vater.
"Aber er war doch immer so ein guter Pianist." Mrs. Levin schluchzte.
"Mum, Henry konnte besser spielen als jeder andere, er kannte alle Stücke von Mozart auswendig. Ich weiss sogar noch wie er mir Händel's Largo vorgespielt hat. Und jetzt ist er blind, er kann die Tasten nicht mehr sehen. Man sagt zwar immer, das Spielen kommt aus dem Gefühl heraus und es mag auch funktionieren, aber Henry muss sich erst daran gewöhnen. Er ist jetzt blind und glaubt nichts mehr zu können." Jade versuchte ihre Mutter aufzumuntern, ihr zu sagen dass schon alles wieder gut wird, aber auch Jade machte sich ihre Gedanken. Sie hatte Henry vorhin doch selbst erlebt, er war völlig ausser sich gewesen.
"Weisst du Leann, ich denke du solltest dich lieber schlafen legen." meinte ihr Mann und schaute sie mitleidig an. "Es bringt nichts wenn wir jetzt zu Henry hochgehen, er lässt nicht mit sich reden und ich glaube er will im Moment wirklich allein sein."
"Papa hat Recht, du brauchst ein bisschen Schlaf." meinte Jade, stand von der Couch auf und ging in die Küche. Sie wusste dass Betty vorhin hier gewesen war und normalerweise wäre sie auch noch hier, aber sie hatte es wahrscheinlich nicht mehr ausgehalten. Kein Wunder, Betty war ein Mensch die alles sehr persönlich nahm und gab sich gleich für alles selbst die Schuld. Jetzt wo es Henry so schlecht ging und er sie mit sich in die Tiefe zog, fehlte es ihr einfach an Liebe. Betty's Mutter war sehr früh verstorben, sie war knapp ein Jahr alt. Ihr Vater war ein viel beschäftigter Mann, musste für Betty und ihre grosse Schwester Lara sorgen. Es blieb ihm kaum Zeit den Menschen Liebe zu geben die sie am meisten brauchten. Betty hatte schon sehr viel durchgemacht, zuviel, auch viel von dem Henry noch nie etwas gewusst hatte. Nur Jade. Betty hatte einfach nicht gewollt dass Henry sich zuviele Sorgen macht.

Der nächste Tag brach an und die Sonne ging langsam in Lily Creek auf. Ein erstes rosa breitete sich über dem Himmel aus, vermischt mit einem himmlischen blau, das sich zu seinem zauberhaften violett ausübte, dazu mit einem glänzenden gelb und vermengt mit einer orangen Mischung.
Betty lag noch halbmüde im Bett als sie hörte wie jemand Steine an ihr Fenster warf.
"Was ist denn los?" seufzte sie und stieg mühsam aus dem bett. Mit noch halb geschlossenen Augen schlenderte sie zum Fenster und streckte ihren Kopf heraus. Plötzlich erkannte sie ihre Freundin Anna. Was wollte die denn in aller Frühe hier?
Betty lief nach untern und machte Anna die Tür auf. "Noch nie etwas von schlafen gehört?" regte sich Betty auf und liess Anna eintreten. "Ich habe eine schwere Nacht hinter mir und würde wirklich gerne ein bisschen schlafen." Betty ging in die Küche und liess sich völlig übermüdet auf einem Stuhl niedersinken. "Was hast du auf dem Herzen?"
"Eigentlich mache ich mir nur Sorgen um dich. Das mit Henry ist nicht leicht."
"Anna, es ist wirklich nett dass du dich um mich sorgst aber es geht mir gut. Henry und ich mache eben gerade eine schwierige Phase durch. Mein Gott, für seine Eltern ist es mindestens doppelt so schwer, Henry ist immerhin ihr Sohn. Und Jade..."
"Jade hat Blair, Betty. Sie ist nicht allein in dieser Situation. Da ist jemand der sich um sie sorgt, ihr zu helfen versucht, sie in den Arm nimmt wenn sie sich danach sehnt. Aber da Henry selbst betroffen ist hast du niemanden. Bitte Betty, mach' keinen Blödsinn." flehte Anna und dachte an Luke. Ja, Luke war ein netter Kerl, vielleicht sogar zu nett.
"Ich muss mich an diese neue Situation gewöhnen, ich komme damit klar."
Anna war sich dessen nicht so sicher. Betty war diejenige die am allerwenigsten mit Henry's Situation klarkam. "Warst du gestern bei Luke?" fragte sie plötzlich.
Betty gab keine Antwort. Ja, sie war bei Luke gewesen. Er hatte sie getröstet.
"Also warst du bei ihm. Betty, du weisst dass das nicht gut ist."
"Er hat mich in den Arm genommen, er hat mich weinen lassen und nichts gesagt. Er war einfach nur da. Luke hat mir das gegeben was ich so sehr gebraucht habe." Betty traten ein paar Tränen aus den Augen. Jeder Gedanke an Henry tat so ungeheuer weh.
Anna hätte jetzt auf Betty einreden und ihr sagen können, dass es besser wäre Luke nicht wiederzusehen, aber Anna liess es sein. Betty war im Moment sehr schwach. Mit ihr zu reden würde sie noch mehr durcheinander bringen. Vielleicht war der einzige Weg ihr zu helfen, sie einfach in den Arm zu nehmen. So wie Luke es getan hatte. Das musste man ihm lassen. Er hatte gewusst was Betty brauchte. Anna hatte es nicht gewusst.

Betty betrat das Haus der Levins. Henry's Mutter hatte ihr geöffnet.
"Könnte ich bitte zu Henry, wenn das möglich wäre?"
Mrs. Levin nickte nur. Weinend. "Aber ich warne dich. Es ist ein grauenhafter Anblick."
"So grauenhaft kann es nicht sein, ich hatte denke ich schon den graufenhaftesten Anblick den ich mir denken kann." Betty dachte an ihren Grossvater. Ein perveres Schwein. Fast ein Jahr hatte sie unter Höllenqualen gelitte, vier Jahre war sie alt gewesen. Betty erinnerte sich kaum noch an diese Zeit. Aber manchmal wachte sie nachts auf, schweissgebadet. Sie wusste dass ihr Grossvater sie immer angefasst hatte. So etwas vergass man nicht.
Als Betty Henry's Zimmer betrat, traf sie der Schock. Überall lagen zerbroche CDs, zerrissene Bücher unrd Papier. Henry hatte sein Klavier umgeworfen, genauso wie den Computermonitor, der aber glücklicherweise noch intakt zu sein schien. Was man von der Steroanlage allerdings nicht behaupten konnte. Betty erkannte noch ein paar Glasscherben und Kissen die Henry wohl auch durch das Zimmer gewibrelt haben musste. Inmitten dieses Trümmerfeldes stand Henry selbst.
"Henry!" schrie sie und ging auf ihn zu.
"Geh weg, Betty!" fauchte er sie an. "Ich will dich nicht mehr sehen."
"Aber was machst du da, Henry? Was ist denn los?"
"Ich reagiere mich ab. Und nun geh endlich. Ich kann kein weiteres Mitleid mehr gebrauchen!"
Betty griff nach seiner Hand. Er riss sie nicht los. Und plötzlich merkte sie wie er wieder zu weinen begann. Er liess seinem Schmerz freien Lauf, das war doch ein gutes Zeichen, es könnte ein Wendepunkt sein, er könnte sie an seinem Schmerz teilhaben lassen.
"Es zebricht mir das Herz dich so leiden zu sehen, Henry." stiess sie plötzlich hervor und umklammerte seine Hand noch fester.
"Betty..." Henry riss sich von ihr los. "Ich möchte allein sein!"
Betty sah sich in seinem Zimmer um. Wie tief war Henry nur gesunken? Wieso machte er das?
"Du weisst dass ich immer für dich da bin. Ich kann dir helfen." Betty sah ihn flehend an.
Obwohl Henry nicht sehen konnte spürte er wie verzweifelt ihre Blicke waren.
"Zusammen stehen wir das durch. Henry, ich liebe dich doch!"
"Betty, bitte, mach' es nicht noch schwerer..." meinte Henry "Bitte geh' jetzt!" Seine Stimme klang auf einmal viel leiser, entschlossener. Er wollte wirklich allein sein.
¨"Okay." meinte Betty. "Ich liebe dich." flüsterte sie ihm noch zu, doch Henry reagierte nicht darauf.
Als Betty die Zimmertür wieder schloss, hörte sie erneut wie Henry Gegenstände zerschmetterte. Tränen liefen ihr aus den Augen. Verdammt! Wieso ausgerechnet Henry? Betty lief die Stufen hinunter und fand im Wohnzimmer die weinende Mrs. Levin. Seine Mutter schien besonders unter der Situation zu leiden.
"Kann ich etwas für Sie tun, Mrs Levin?" fragte Betty liebevoll.
"Nein, nein, schon gut. Du sollst mich nicht in diesem Zustand sehen."
"Aber ich kann Sie verstehen." meinte Betty und setzte sich neben sie auf die Couch. "Es tut uns allen weh Henry so leiden zu sehen. Auch ihrem Mann, glauben Sie mir."
Mrs. Levin begann noch heftiger zu weinen. Auch Betty weinte. Aber sie versuchte stark zu sein, auch wenn es nicht ganz einfach war. Henry liebte sie. Ja sie wusste dass er sie liebte. Und wenn ihre Liebe so stark war, dann würde sie auch diese Krise meistern. Dass hoffte Betty jedenfalls.

Henry fühlte sich vollkommen ausgelastet. Er war müde. Aber das war ja auch kein Wunder! Vorsichtig tastete er sich durch sein Zimmer hin zum Fenster, das er sachte öffnete. Als er seine Kopf herausstreckte, fiel ihm etwas völlig Ungewöhnliches auf. Noch nie hatte er die Luft so intensiv gespürt, noch nie war sie so unglaublich intensiv in seine Nase gedrungen. Henry nahm den wohltuenden Geruch in sich auf. Dann aber packte ihn der Wunsch wieder sehen zu könnte - er wünschte sich den hübschen Garten hinter seinem Haus sehen zu können, den Teich, die kleinen Hügel, der Wald und die Katzen aus der Nachbarschaft - Henry vermisste den Blick auf die ländliche Schönheit von Lily Creek. Wie wunderschön es doch immer war, wenn abends die Sonne zwischen zweier Hügel unterging, die etwas weiter von Henry's Haus lagen. Die ganze Farbenbracht fehlte ihm so sehr. Der weisse Schnee fehlte ihm. Alles fehlte ihm. Vor allem, dass er die Menschen, die er am meisten liebte nicht mehr sehen konnte.

Unterdessen verliess Betty das Haus der Levins. Als sie durch das Gartentor ging, drehte sie sich noch einmal um und schaute zu Henry's Zimmer hoch. Das Fenster stand offen. Wenigstens schien er es normal geöffnet zu haben, nicht zerschmettert, wie Betty es befürchtete hatte. Doch als sie so auf das offene Fenster starrte, konnte sie fast spüren wie schlecht sich Henry fühlte - sein Schmerz drang nach draussen, zu Betty, die danach griff und versuchte seinen Schmerz mit ihm zu teilen. Aber Henry liess es nicht zu. Und plötzlich sah sie, wie er das Fenster schloss. Er wollte sie einfach nicht mit sich runterziehen. Dabei hätte sie ihm doch so gerne beigestanden, die schwere Zeit gemeinsam mit ihm durchgestanden.
"Hallo Betty." erklang plötzlich eine Stimme.
Betty drehte ihren Kopf vom Fenster weg. "Jade." stiess ie hervor und starrte ihre Freundin an. "Ich habe solche Angst." erklärte sie mit zitternden Stimme und presste ihre Augen fest zusammen in der Hoffnung ihre Tränen zurückhalten zu können.
"Das haben wir doch alle." meinte Jade. Sie liess Blairs Hand los und marschierte zu Betty. "Ich hätte hier sein sollen und dich warnen müssen, du hättest dir diesen Anblick ersparen müssen."
Betty wollte noch etwas sagen doch sie war im Moment viel zu schwach.
"Schon gut." meinte Jade und schloss Betty in ihre Arme. "Für uns alle ist es schwer."
Blair dachte daran was Jade ihm erzählt hatte. Dass Anna Jade wegen Luke und Betty angerufen hatte. Dass Betty so tief abgerutscht war hätte er nicht gedacht, denn normalerweise trug sie immer alles mit sehr viel Fassung. Diesmal aber schien es nicht so zu sein. Sie brauchte Trost. Viel Liebe. Liebe die ihr Henry im Moment einfach nicht geben konnte. Und Luke, Luke war jemand der viel zu sehr auf sein Herz hörte. Sein Verstand spielte kaum eine Rolle.
"Jade, ich glaube, ich glaube ich gehe lieber nach Hause. Betty braucht dich jetzt, mehr als du mich brauchst."
"Okay." Jade nickte und lächelte ihm zu. Nichts mehr war wie es einmal war. Alles brach zusammen. Selbst Jade wusste dass auch irgendwann ihre Beziehung zu Blair darunter leiden würde, wenn das mit Henry nicht bald aufhörte. Nicht dass man Henry die Schuld geben sollte, nein, ganz im Gegenteil, jeder war schuld, denn keiner, keiner konnte mit der Situation umgehen.
"Wir seh'n uns." meinte Blair und verabschiedete sich. Er hatte zwar eigentlich gar nicht vor nach Hause zu gehen. Er wollte zu Luke, mit ihm reden. Die beiden kannten sich, nicht sehr gut, aber gut genug damit Blair wusste wie geblendet Luke manchmal sein konnte.

"Ich weiss, Luke, dass Betty letzte Nacht bei dir war." begann Blair sofort als er Luke's Zimmer betrat. "Das heisst, ich weiss es von Jade und die weiss es von Anna aber das spielt keine Rolle. Tatsache ist dass ich mir Sorgen mache, um Betty und um dich."
"Sie kam als Freund zu mir. Ich versuchte ihr einfach nur Trost zu spenden. Mein Gott, Blair, sie wollte einfach nur dass jemand sie im Arm hält. Das was sie im Moment mit Henry durchmacht ist sehr schwer für sie. Ich nutzte die Situation aber keinesfalls aus! Für wen hältst du mich?"
"Luke, ich weiss doch dass du eine solche Situation niemals absichtlich ausnutzen würdest. Aber gib's doch wenigstens zu. Du liebst Betty immer noch, du nimmst sie nur zu gern in den Arm. Und wenn sich die Situation mit Henry noch mehr zuspitzt dann wird die Situation eines Tages eskalieren. Damit macht ihr, du und Betty, euch nur Probleme. Und ihr tut Henry ganz schön weh. Als ob er nicht schon genug Schmerz erleiden muss."
"Ja, okay, ich mag Betty. Aber das heisst nicht dass ich sie immer noch liebe."
"Wenn es nach dir gegangen wär, hätte eure Beziehung nie ein Ende gefunden."
"Ich habe sie eben mehr geliebt als sie mich."
"Und du tust es immer noch. Begreifst du denn nicht? Sie läuft die geradewegs in die Arme und du lässt das nur allzugerne zu. Unbewusst. Bitte, Luke, tu dir selbst einen Gefallen und versuche Betty aus dem Weg zu gehen, so lange bis sich die Situation mit Henry gemildert hat."
"Und wie lange soll das bitte sein? Soll ich mich etwa verstecken?"
Blair shüttelte den Kopf. "Natürlich nicht. Aber versuche Betty zu meiden. Sieh mal, du willst doch auch nicht dass es Henry noch schlimmer geht als jetzt. Betty und er machen eine schwierige Phase durch. Ich glaube du bist der Letzte, der sich um sie kümmern sollte."
Luke senkte traurig seinen Kopf, sein schwarzes, leicht lockiges Haar fiel ihm sanft ins Gesicht. Seine braunen Augen wirkten sehr klar, sie waren gross aufgerissen und starrten auf den Boden. Seine männliche, starke Statur wirkte auf einmal so schwach und hilflos. Er konnte es einfach nicht mit ansehen wie schlecht es Betty ging. Und er durfte ihr nicht einmal helfen. "Ich weiss dass Betty Henry liebt, dass sie in ihm das gefunden hat was sie immer gesucht hat. Meine Liebe war eben stärker als ihre. Ja, ich liebe sie immer noch, aber ich werde sie Henry garantiert nicht wegnehmen. Ausserdem ist Betty viel zu anständig um so etwas zu tun."
"Im Normalzustand würde sie es auch nicht tun. Aber jetzt schon. Ihr geht es ziemlich schlecht."

Es war der Tag danach. Immer wieder hörte Henry das Musikstück Moon River aus dem gleichnamigen Film, denn es war eine Melodie die er immer wieder gerne gehört hatte und immer noch gern hörte. Damals, als er und Betty sich das erste Mal begegnet sind hatte er dieses Lied laufen. Er erinnerte sich noch genau an die Jeans und das weisse T-Shirt das sie an diesem sonnigen Frühlingstag getragen hatte. Es war weiss gewesen, wie die Lilien seiner Mutter. Betty hatte wundervoll gerochen, wie einen junge, zarte Rose. Jade und Betty hatten sich in der Schule damals kennenglernt, doch damals war Betty noch mit Luke zusammen gewesen. Bis sie sich getrennt hatten und irgendwie hatten Henry und Betty sich seit diesem Tag näher kennengelernt.
Da klopfte es an Henry's Zimertür. Seine Mutter betrat zitternd das Zimmer. "Wie geht es dir, Henry?"
"Lass mich in Ruhe, Mutter." Henry stand vom Bett auf. Dann stolperte er über einige seiner Büchter und fiel hin. "Verdammt nochmal!" stiess er hervor und wollte aufstehen. Seine Mutter versuchte ihm zu helfen doch Henry schlug wie wild um sich. Er fühlte sich verletzt wenn jemand probierte ihm Hilfe anzubieten. Denn er brauchte keine Hilfe. Er kam ganz gut mit sich alleine klar.
"Wieso benimmst du dich so, Henry?" schrie seine Mutter. "Du behandelst uns alle wie ein Stück Dreck und dabei wollen wir die alle doch nur beistehen. Weisst du eigentlich was du uns antust, Henry?"
"Verzieh dich!" brüllte dieser und warf mit einem Buch um sich. "Verschwinde!"
Leann war nur noch zum weinen. Verletzt und angsterfüllt verliess sie Henry's Zimmer. Auf dem Flur begegnet sie dann Jade die Henry hatte schreien hören. Sie war ganz schön mitgenommen von all dem.
"Ich kann Henry nicht mehr so sehen, Mum. Du und Papa könnte ihn nicht mehr so sehen. Wie lange soll das denn noch so weitergehen, verdammt? Das ist doch kein Leben mehr?"
"Jade, Kleines, beruhige dich." meinte ihr Mutter, schluchzend. "Henry geht es sicher bald wieder besser."
"Ich hasse es wenn du das sagst. Denn du weisst selbst dass Henry uns alle kaputt macht." Jade lief die Stufen hinunter. Sie musste aus diesem Haus raus. Sie konnte es nicht ertragen, dieses Geschrei, diese Wut, dieser Hass. Und sie konnte es nicht ertragen immerzu nur traurig zu sein.
Draussen vor der Tür traf sie auf Anna und Betty.
"Wir sollten gerade zu dir." meinte Anna.
"Wie geht es Henry?" fragte Betty gleich.
"Nicht anders als sonst." Auch Jade hatte Tränen in den Augen. "Er dreht komplett durch und das Schlimmste ist, niemand kann ihm helfenn. Bei uns im Haus ist die Hölle los. Ihr müsstet mal meine Mutter sehen. Sie weint nur noch, schreit rum wenn Henry in der Gegend ist und stopft sich dann wieder mit Schlafpillen voll. Mein Vater arbeitet den ganzen Tag nur um der Situation aus dem Weg zu gehen. Henry geht es absolut dreckig und ich würde ihm so gerne helfen aber er lässt ja niemanden an sich ran."
"Darf ich nach ihm sehen?" wollte Betty wissen. "Ich weiss er wird nicht mir reden und mich rauswerfen, aber ich muss ihn wenigstens nur für einen kurzen Moment sehen."
"Geh nur." meinte Jade und marschierte auf Anna zu.
"Du darfst nicht verzweifeln, Jade. Das Leben ist manchmal unfair und hart. Aber du hast ja Blair, mich und Betty. Wir sind doch alle für dich da. Niemand lässt dich so schnell allein."
In diesem Moment traf auch Luke vor dem Haus der Levins ein.
"Was macht der denn hier?" wunderte sich Jade und schaute Betty's ehemaligen Freund skeptisch an.
"Es tut mir leid wenn ich einfach so hier eintreffe, aber ich würde gerne einmal nach Henry sehen."
"Ich glaube aber nicht dass er dich sehen will." wandte Jade ein. "Schliesslich warst du einmal mit Betty zusammen und er liebt Betty. Ausserdem ist diese gerade bei ihm und ich denke nicht dass du sie stören solltest. Vielleicht redet er ja mal endlich mit ihr." erklärte Jade.
In diesem Moment kam Betty zur Tür heraus. "Ich kann da nicht rein." meinte sie, weinend. "Ich kann dieses Zimmer nicht betreten, es würde mich nur noch verrückter machen." meinte sie. Dann erblickte sie Luke. Was wollte der denn hier? Wollte er Henry etwa erzählen dass sie letztens bei ihm war?
"Ich flehe dich an, Jade, ich glaube ich kann Henry helfen." meinte Luke.
"Niemand kann Henry helfen. Er braucht jemanden der ihn versteht. Und das kann niemand von uns."
"Lass es mich versuchen, Jade." flehte Luke.
"Okay. Wenn es sein muss. Aber ich wettte du bist in einer Minute wieder hier draussen bei uns. Henry wird dich nämlich nicht sehen wollen, dich mit Sachen bewerfen und anschreien. Du wirst voller Angst flüchten und sagen dass du diesen Menschen lieber nie wieder unter die Augen treten willst."

"Wer ist da?" stiess Henry wütend hervor als er merkte dass jemand sein Zimmer betrat. "Wer ist da?"
"Ich bin's, Luke."
Henry wusste gleich wer Luke war. Luke, Bettys Ex-Freund. Der Junge der Betty vor Henry geküsst hatte.
"Ich bin mir sicher dass du nicht gut auf mich zu sprechen bist, aber ich komme im Frieden."
"Was willst du?"
"Dir eine Geschichte erzählen."
"Wow, Luke Lancaster, der Ex meiner Freundin will mir eine Geschichte erzählen. Sag' mal spinnst du, Arschloch? Sieh zu dass du mein Zimmer verlässt! Ich will dich nicht hier haben!"
"Willst du überhaupt noch jemanden in deinem Zimmer haben?"
"Du hast kein Recht so mit zu reden!"
"Hast du denn ein Recht so mit mir zu reden? Soll ich dir mal etwas sagen, Henry? Du behandelst deine Mitmenschen wie denn allerletzten Dreck. Betty war letztens so fertig dass man wirklich Angst haben musste sie würde sich das Leben nehmen. Und deine Schwester ist auch nicht weit vom Koma entfernt. Hast du eigentlich irgendwann einmal nachgedacht wie es deiner Mutter geht?"
"Lass mich in Ruhe, Luke."
"Sei froh dass du überahupt eine Mutter hast die das mit dir aushält. Eine Freundin die dich immer noch liebt obwohl du sieh wie einen Gegenstand hin und her schiesst. Jeder versucht dich so gut zu behandeln und als Dank dafür tust du ihnen weh. Als ich als kleines Kind an Leukämie erkrankt war, war meine Mutter bereits tot und mein Vater auf Geschäftsreise. Ich sah meinen Vater vielleicht dreimal im Jahr, wenn ich Glück hatte. Und meine Tante und mein Onkel die für mich sorgten kümmerten sich viel lieber um ihre eigenen Kinder als um mich. Du weisst nicht einmal was für ein Glück du hast, Henry, dass sich soviele Menschen um dich sorgen. Um micht hat sich niemand gesorgt."
Henry war auf einmal ganz ruhig. "Tut mir leid." meinte er plötzlich, versuchte sich vorwärts zu tasten um sein Bett zu finden.
"Ein paar Schritte nach rechts dann müsstest du gegen die Bettkante stossen."
"Danke." Henry befolgte Luke's Anweisungen und setzte sich aufs Bett. "Was war das für eine Geschichte?"
"Ich habe sie der Richter von Utopia genannt. Eigentlich ist diese Geschichte nichts Besonderes, es gibt nur meien Gefühle meines etwas verunglückten Lebens wieder." meinte Luke mit einem pessimistischen Ton. "Sie handelt von Utopia, einem Paradies wo die Menschen glücklich zusammenleben bis dieses Paradies verurteilt wird und ein schwarzer Schleier es überdeckt."
"Du bist bestimmt ein wunderbarer Schriftsteller. Und so ein schlechter Mensch bist du eigentlich nicht. Es ist eben nur, du und Betty, ihr wart früher einmal Paar und du warst deshalb immer ein Feind für mich."
"Betty liebt nur dich. Das kann ich dir versichern. Du musst mich nicht als bösen Feind sehen der versucht dir die Freundin wegzunehmen. Wenn ich dir Betty wegnehmen wollte, dann würde ich nicht versuchen ihr zu helfen und zu dir kommen um mit dir zu reden."
"Danke. Ich danke dir dass du diese Situation nicht ausnutzt."
"Ich muss jetzt nach Hause gehen." Luke sagte diesen Satz mit einer ungewöhnlichen Gelassenheit, so als hätte dieser Satz keine Beduetung für ihn. Denn was war schon sein Zuhause? Ein Zuhause hatte er doch nie gehabt.
Luke marschierte aus dem Haus, in den Vordergarten wo die anderen noch standen.
"Er ist jetzt warm." lachte Luke. "Ihr könnt zu ihm gehen."
"Aber was meinst du damit?" wollte Jade wissen, doch Luke gab ihr keine Antwort. Er ging einfach nur.
"Er muss es geschafft haben. Er muss es tatsächlich geschafft haben mit Henry zu reden." Betty lächelte innerlich. "Luke ist so anders, Jade. Er vollbringt Dinge von denen andere Menschen nur träumen können."
"Er hat einfach die Gabe Menschen zu helfen, Betty."
"Nein. Das hat man nicht einfach so. Wenn Gott einem do ein Geschenk gibt, dann muss schon ein wirklich ganz besonderer Mensch sein. Verdammt, Jade, ich wünschte ich könnte Luke helfen. Ich wünschte ich könnte ihm helfen dass er endlich seine Vergangenheit vergisst." Betty tropften Tränen aus den Augen.
"Ach Betty, beruhige dich." Jade nahm ihre Freundin in den Arm und starrte verzweifelt in den blauen Himmel. Das war alles zuviel für Betty. Zuviel für ein verletzliches Geschöpf wie sie. Betty hatte in letzter Zeit schon genug Stärke aufbringen müssen, Stärke dafür dass sie ihre Mutter tot aufgefunden hatte, und es war nicht einfach so dass ihre Mutter gestorben war, nein, sie hatte sich selbst das Leben genommen und Betty einen Abschiedbrief hinterlassen. Jetzt wo Betty endlich Zeit hatte zu vergessen, passierte das mit Henry. Und sie machte sich Sorgen um Luke.
"Geh nach Hause Betty, du musst dich ausruhen." meinte Jade. "Ich werde zu Henry gehen und mit ihm reden. Er wird mittlerweile wissen dass wir ihn alle über alles lieben und dass er das nicht mehr so einfach vergessen darf, also mach dir keine Sorgen." Jade liess Betty los und schaute Anna fragend an. "Kannst du sie bitte nach Hause bringen?"
Anna nickte, packte Bettys Arm und ging mit ihr in Richtung Heim. Obwohl auch Betty nicht wusste wo sie eigentlich hingehörte.

"Henry?" Jade klopfte an die Tür ihres Bruders. "Können wir reden."
"Komm nur rein." meinte Henry ruhig. "Du kommst gerade richtig." sagte er mit ruhiger, sanfter Stimme. "Ich habe hier ein Buch aus dem du mir vorlesen solltest. Ich würde es gerne hören."
Jade war froh über Henrys Gleichgewicht und setzte sich neben ihm aufs Bett. "Aber das sind ja nur Blätter. Du sagtest es wäre ein Buch."
"Ist es auch. Oder wird es irgendwann sein."
Jade nahm die Blätter. "Der Richter von Utopia, von Luke Lancaster. Luke schreibt?"
Henry nickte. "Lies mir vor, Jade."
"Mein Name ist Luke Lancaster und ich habe diesen Text im Namen meines Lebens geschrieben. Die handelnden Personen gibt es nicht wirklich und die Geschichte ist frei erfunden. Aber sie ist ein Teil von mir und meiner Kindheit. Ich möchte dass Sie es mit Bedacht lesen, ohne einen einzigen Buchstaben vergessen damit Sie immer wissen wie schön Utopia und wie traurrig dieses Paradies sein kann."
"Lies bitte weiter, Jade. Lies einfach nur, bis ich dich bitte aufzuhören."
"Utopia ist beleuchtet von der Sonne, gesegnet vom frischen Regen und geschützt vom ewig blauen Himmel in dem die weissen Engel wohnen, mit ihren goldenen Flügeln und ihren bezaubernden Lächeln. Utopia ist der Ort wo die Menschen und die Tiere eins sind, alle gleich, im ewigen Kreis des Lebens. Die Quellen bieten frisches Wasser, die vielen Bäume unzählige Vielfalt an exotischen Früchten. Nie gab es dieses Glück und diese Friedlichkeit wie in Utopia, es war der einzige Ort der sich der Liebe offenbarte und jeden mit Herzlichkeit aufnahm. Doch selbst Schönheit ist vergänglich. Du kannst zweimal in den selben Fluss springen aber es immer anderes Wasser. Irgendwann wird es auch schmutziges Wasser sein. Utopia wurde krank. Die Quellen boten kein reines Wasser mehr, die Bäume trugen keine Früchte mehr und die Engel flohen aus dem sonst so blühenden Paradies. Der Richter von Utopia hatte entschieden. ..."
Jade las Henry noch bis tief in die Nacht vor. Henry wollte dass sie weiterlas. Und sie tat es. Denn selbst Jade war so hin- und hergerissen zwischen Wahrheit und Wirklichkeit, Angst und Freude, scheitern und gelingen, Verzweiflung und Entschlossenheit, dass sie nicht mehr aufhören wollte. Ihr ging es wie Henry. Nur dass Henry die Geschichte noch viel teifer fühlen könnte als irgendjemander anderer auf der Welt.

"Betty? Du besuchst mich aber oft in letzter Zeit." grinste Luke als er Betty das Fenster öffnete um sie hereinzulassen. "Du siehst aber gar nicht gut aus. Hat Henry sich wieder aufgeführt?"
Betty schüttelte den Kopf. "Ich habe nicht einmal mit ihm gesprochen. Aber das wollte ich auch überhaupt nicht. Ich kann nicht mehr, Luke. Ich weiss einfach nicht was mit mir los ist!"
"Ach Betty." Luke schaute sie mitfühlend an. "Du nimmst die Dinge zu ernst. Dass Henry sich wie das letzte Arschloch aufgeführt hat ist nicht deine Schuld. Um ehrlich zu sein ich kann Henry sogar verstehen. Er hat das Gefühl von allem im Stich gelassen worden zu sein, denn er ist blind. Dabei darfst du nie vergessen wie gern er dich hat, Betty. Hmm, Kopf hoch! Das ränkt sich alles wieder ein."
"Wenn es nur das wäre. Wenn es nur die Sache mit Henry wäre."
"Was ist denn noch los, hmm? Du weisst dass du mit mir über alles reden kannst, egal was es ist, ich werde versuchen es zu verstehen."
"Ich weiss es ja selbst nicht einmal, wieso ich mich so schrecklich miserabel fühle und wieso ih das Gefühl habe zu ersticken in diesem ganzen Mist. Zwischen mir und Henry war immer alles in Ordnung, bis er plötzlich blind wurde. Er ist einfach nicht mehr derselbe!"
"Das wird er auch nie wieder sein. Er ist jetzt blind, er wird nie wieder so sein können wie früher. Aber du darfst nie vergessen dass egal was auch geschieht, er sein Herz nie verlieren wird."
"Zwischen ihm und mir hat sich etwas verändert. Ich habe das Gefühl nicht mehr so mit ihm zusammen sein zu können wie früher. Ja, früher, da war alles ganz anders. Wir waren richtig glücklich und ich habe wirklich geglaubt ich könnte die Geschichte mit meiner Mutter vergessen. Doch jetzt..."
"Henry weiss immer noch nicht was wirklich mit deiner Mutter passiert ist."
"Er weiss dass meine Eltern geschieden sind und meine Mutter in Manhattan lebt. Er weiss auch dass sie tot ist, aber nicht wie sie gestorben ist. Und von dem Brief weiss er auch nichts. Ich möchte auch nicht dass er es weiss. Ich hatte immer das Gefühl ihn mit meinen Problemen zu belasten."
"Nein, Betty. Denk nicht so etwas."
"Wie soll ich dir nur danken, Luke? Du bist der Einzige der mir noch zuhört und der mich versteht."
"Nicht der Rede wert." Luke schloss Betty in seine Arme, er musst fast weinen als er so fest bei sich hielt. Es erinnerte ihn viel zu sehr an die Zeit als er und Betty noch glücklich zusammen gewesen waren, oder scheinbar glücklich. Betty hatte Luke nie wirklich lieben können.
Betty hob ihren Kopf ein Stückchen und schaute Luke instinktiv an. Dann lächelte sie. Luke neigte seinen Kopf zu ihr und legte seine Stirn auf dir ihre, während aus seinem Auge eine Träne rann die über Bettys Wange rollte. Dann streichte er mit seiner Wange die von Betty und ein unaussprechliches Wärmegefühl durchfloss seinen zitternden Körper. Betty hatte ihre Augen schlossen und lächelte, denn sie war nicht allein. Es gab jemanden der bei ihr war. Jemanden den sie sehr gern hatte. Ein guter Freund.
"Du solltest jetzt gehen." Luke liess Betty plötzlich einfach so los. "Ich bin müde von der ganzen Aufregung und brauche ein bisschen Ruhe."
"Schick mich nicht weg, Luke. Bitte lass mich bei dir bleiben."
"Betty es wird spät. Du solltest längst zu Hause sein."
"Aber ich möchte bei dir sein verdammt nochmal! Verstehst du das nicht! Ich will hier schlafen, Luke, es fällt mir so schwer allein zu sein aber vor allem brauche ich dich. Bitte, ich will nur bei dir sein."
Luke seufzte. "Meinetwegen. Aber nur wenn deine Mutter nichts dagegen hat."
"Danke, Luke. Du bist wirklich ein wahrer Freund."

Luke spazierte am nächsten Morgen, als Betty noch ruhig schlief, einfach so ohne zu wissen wieso durch das kleine Drof. Er begegnet Blair der womöglich gerade zu Jade wollte. Die beiden hatten wirklich verdammtest Glück. Sie führten eine intakte, glückliche Beziehung und das schon seit längerer Zeit. Die beiden waren einfach nicht allein. Sie hatten einander.
"Jade hat mir erzählt du hättest ein wahres Wunder vollbracht."
"Du meinst wohl die Sache mit Henry. Mein Gott, da ist doch nichts Grossartiges dabei?"
"Nichts Grossartiges? Luke, du bist der Beste! Ich danke dir so sehr dafür dass du Henry geholfen hast denn ich habe Jade endlich wieder lachen sehen können. Niemand von uns weiss wie du es gemacht hast, aber wir bewundern dich wirklich alle sehr. Die Art wie du in Henrys tiefstes Inneres eindringen und ihn zur Vernunft bringen konntest hätte nicht einmal der beste Psychologe geschafft."
"Mit ein bisschen Liebe geht alles, Blair. Man muss Henry nur spüren lassen dass man ihn wirklich gern hat. Er hat sich von jedem einfach schrecklich unverstanden und gedemütigt gefühlt."
"Wie oft haben ihm seine Eltern, Jade oder Betty gesagt wie sehr sie ihn lieben?"
"Mit einem Ich liebe dich haut das nicht hin, Blair."
"Egal, es ist phantastisch wie du ihm geholfen hast. Pass nur wegen Betty auf."
"Oh mein Gott, was denkt ihr denn alle eigentlich?"
"Ich weiss du bist nicht der Typ der anderen die Freundin ausspannt und du würdest Bettys hilflose Situation nie ausnutzen, aber ich habe Angst das du aufgrund deines Verständnisses und deines Mitgefühls Betty ungewollt zurück in deine Arme zerren könntest. Das würde Henry das Herz brechen und das ganze Szenario würde von vorne losgehen."
"Betty liebt Henry, ich bin nur ein sehr guter Freund für sie. Verdammt das spüre ich doch! Es ist immer so hart wenn sie bei mir ist und ich sie in den Arme nehme, denn ich weiss ich bin nur jemanden für sie der ihr bei dieser schwierigen Situation helfen soll. Ja, ich liebe Betty. Zufrieden? Aber sie liebt mich nicht. Henry ist ihre Welt. Ich sehe es doch."
"Eines Tages wirst du auch einen Menschen finden der dich genauso liebt."
"Eigentlich will ich das gar nicht, eigentlich brauche ich keinen Menschen der sich um mich kümmert. Ich bin es gewohnt allein zu sein, für mich selbst zu sorgen. Ich brauche keine zweite Betty die mich glücklich macht. Ich bin es auch so."
"Luke."
"Komm mir jetzt nicht mit 'Ach der arme Luke.'! Ich weiss dass ich Betty an Henry verloren habe, ich weiss dass er ihr mehr Liebe bieten konnte als ich je zuvor. Er hat es geschafft dass sie wieder glücklich wird. Betty und ich, das war nichts für die Ewigkeit."
"Aber ihr habt euch sehr geliebt. Ihr wart sehr verbunden miteinander."
Luke nickte. Betty hatte ihren Vater verloren. Er seinen ebenfalls. Nur hatte Bettys Steifvater sie jahrelang missbraucht, während Luke nie einen zweiten Vater bekommen hatte. Seine Mutter starb zwei Jahre danach. Selbstmord. Sie war nie mit dem Tod ihres Mannes klar gekommen. Seitdem lebte Luke bei seiner Tante und seinem Onkel. Er dankte Gott über alles, dass man ihn nicht in ein Waisenhaus gesteckt hatte, dass Tante und Onkel ihn aufgenommen hatte als er erst acht Jahre alt gewesen war. Niemand ausser ihm, Bettys Mutter und Jade wusste davon. Blair wusste, wie alle anderen, lediglich, dass sie ihren Vater, der sehr wichtig für sie gewesen war, verloren hatte. Nicht einmal Henry wusste von Bettys Vergangenheit.

Als Luke wieder bei sich zu Hause ankam sah er, dass Betty bereits wach war. Sie sass seelruhig auf dem Bett mit einem Kuscheltier im Arm. Wenn er sich nicht täuschte, dann weinte sie.
"Hey, Betty, was ist los?"
"Ich habe von ihm geträumt."
"Deinem Stiefvater?"
Luke nickte. "Du solltest es Henry sagen."
"Er hat im Moment genug Probleme. Ausserdem meidet er mich doch, andauernd."
"Ich habe Henry meine Geschichte gegeben. Ich weiss nicht ob er jemanden gebeten hatte, ihm vorzulesen, aber ich dachte es würde ihn ein klein wenig helfen wenn er sie hört."
"Welche Geschichte, Luke?"
"Der Richter von Utopia."
"Davon hast mir noch gar nichts erzählt."
"Ich weiss, und ich möchte es auch nicht, Betty, nicht jetzt. Bitte, geh zu Henry, er braucht dich im Moment und du brauchst ihn. Ihr solltet jetzt zusammen sein, er fehlt dir doch. Henry war gestern ausgesprochen ruhig und freundlich, ich bin sicher er weiss auch jetzt was er an dir hat. Wenn ich es schaffe mit ihm zu reden, ich, sein grösster Feind, dann wirst auch du es schaffen."
"Da bin ich mir nicht so sicher, Luke. Manchmal redet man lieber mit seinem ärgsten Feind als mit dem Menschen der einem am nächsten steht."
Luke gab Betty keine Antwort darauf, denn er wusste, in einem gewissen Sinne Recht. "Du solltest dennoch zu ihm gehen. Verdammt, Betty, ich kann dir nicht helfen. Ich habe dir nie helfen können. Du bist nie richtig glücklich mit mir geworden."
"Luke..."
"Betty, du solltest jetzt wirklich gehen. Okay, ich liebe dich. Wolltest du das hören? Dass ich dich immer geliebt habe und nie aufhören werde dich zu lieben, bis in meinen Tod? Aber ich weiss dass du und Henry, dass ihr zusammengehört."
Betty kullerten erneut Tränen aus den Augen. Sie wusste nicht mehr was sie tun oder denken sollte. Alles drehte sich nur noch um sie. Vielleicht wenn er mich in den Arm nimmt, geht es besser, dachte sie. Doch das tat er nicht. Er blieb auf dem Bett sitzen und schaute Betty an als ob er ihr dringend etwas sagen möchte. Dann schoss es wie ein Blitz aus ihm heraus. "Ich werde sterben, Betty. Deshalb kämpfe ich nicht um dich. Sonst wäre ich Henry gegenüber so gemein es zu tun."
Bettys Tränen stoppten für einen kurzen Moment. "Sterben?" flüsterte sie.
"Ich habe einen Hirntumor den sie nicht rausholen können. Wenn der nicht da wäre, würde ich um dich kämpfen, ich würde alles tun damit du zu mir zurückmachst um dir zu zeigen wie sehr ich dich liebe und dir das zu geben was du von mir hattest bekommen können. Ich möchte nicht, dass du allein sein wirst, Betty. Genau deshalb versuche ich die Beziehung zwischen dir und Henry zu kitten. Ich liebe dich viel zu sehr, Betty, viel zu sehr."
Bettys Kehle schnürte sich immer fester zu. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Sie wollte nicht über den Fakt nachdenken dass Luke unheilbar krank war und sie verlassen würde. Nein. Betty nahm Lukes Gesicht in beide Hände, sah ihn mit ihren weinend Augen an, und vergass für einen Moment alles Schlechte dieser Welt. Dann küsste sie. Luke küsste sie zurück.

Die Charaktere dieser Geschichte sind von einer tragischen Verzweiflung gekennzeichnet, eine Verzweiflung die auch am Ende keine Lösung findet. Damit stelle ich die Fragen an euch: wie würde die Lösung aussehen? Oder meint ihr, es gäbe keine? Ich würde mich über eure Anmerkungen freuen.Manon Meyers, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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