Der Schnee fiel in großen Massen vom Himmel, die
Sicht war auf wenige Meter beschränkt. Wie ein seidener Vorhand
verhüllte die weiße Pracht den in Schnee versunkenen Wald. Die Bäume
waren eingehüllt in ihr weißes Winterkleid und trugen es scheinbar
voller Stolz und Anmut. Die wenigen Bäume, die sich über die anderen
Bewohner des Waldes empor hoben schienen wie Könige die ihr Land
betrachteten. Friedliche Stille umgab den Wald, die Flocken fielen zu
Boden, Schnee rieselte von Ästen. Ein Hirsch stand hoch erhoben auf
einer Lichtung und bewachte sein Revier.
Wie Donner durchbrachen
die knirschenden Schritte die Idylle, wie der Zorn Gottes wirkten tiefe
Stimmen, die plötzlich den Wald erfüllten. Der Hirsch brach durch ein
Gestrüpp und war verschwunden, Schnee fiel zu Boden. Die Rufe wurden
lauter, nun mischten sich auch quälende Schreie dazu, erfüllt von
Schmerz und Angst. Ein Moment der Ruhe kehrte ein. Der leise säuselnde
Wind legte sich, nur um sich wenige Sekunde später mit einer Kraft, die
nur ihm zustand, wieder aufzubäumen und um die kalten Stämme der Bäume
zu heulen. Die Rufe waren fast vollständig verklungen, nur noch Schreie
erfüllten den Wald, der noch vor wenigen Augenblicken wie der Himmel
auf Erden wirkte. Ein Rascheln im Busch. Ein Kind, noch zu klein um zu
begreifen, wovor es floh, sprang plötzlich hervor, mit seinen kurzen
Beinen und mit Tränen im Gesicht stolperte es durch den Schnee auf die
Lichtung zu, die eben noch der Hirsch bewacht hatte. Die Schreie waren
jetzt unerträglich und je lauter sie wurden desto mehr weinte das Kind.
Der Wald erbebte und ein Heulen nicht von dieser Welt war zu hören,
dann war es wieder ruhig. Das Kind stand auf der Lichtung, Perlen
rollten über sein zartes Gesicht. Es war ein junges Mädchen, gerade
erst fähig zu laufen, gehüllt in einen dünnen Fetzen Stoff, mit blanken
Füßen stand es im Schnee. Mit einem Schrei folgte dem Mädchen eine Frau
und als sie das Kind erblickte erhellte sich ihre Mine in kurzer
Erleichterung auf. Die Frau lief auf das Kind zu und noch im Schritte
nahm sie es in den Arm und rannte so schnell sie ihre Beine trugen. Der
Schnee knarrte unter ihren Füßen und ein weiteres Heulen lies die Frau
in Angst und Panik aufschreien und noch schneller laufen. Sie hatte mit
dem Kind auf dem Arm gerade den Rand der Lichtung erreicht und wollte
sich in der Dunkelheit des Waldes verlieren, als der Wald sich hinter
hier teilte und eine Kreatur ausspuckte, die nicht zu Gottes Schöpfung
gehörten. Die Augen waren Pechschwarz und die Zähne, die wie Krallen
aus dem Maul der Teufelsschöpfung heraus ragten, waren von Blut rot
verschmiert. Menschlichem Blut. Das Fell, dreckig und stinkend, und
doch, im matten Licht der durch die Wolken brechenden Sonne, glänzend,
legte sich eng an den mageren Körper der angst einflößenden Bestie. Im
Nacken sträubte sich das Fell, als die Kreatur die von Angst verzerrte
Frau entdeckte. Mit einem Knurren, das allen Hass in den Augen dieses
Höllenhundes wieder spiegelte, kam dieses Etwas auf seinen vier Pfoten
zum stehen. Der Wind trug den Gestank, den die Bestie ausströmte, zur
Frau herüber, die in einem engen Raum der Panik und der Todesangst
gefangen war und sich nicht bewegen konnte. Es stank nach verwesendem
Fleisch, nach Blut und nach Tod. Die Blicke der Frau und des Wesens,
das so fremdartig erschien, trafen sich. Die Angst in dem Blick der
Mutter, die ihr Kind schützen wollte, ließ die Bestie knurren. Da legte
sich das Biest schon in die Knie, fixierte die Frau und das Kind, das
eine willkommene Vorspeise für das Monster darstelle, und machte einen
Satz auf die kleine Familie zu. Mit unheimlicher Eleganz stobte es über
die Lichtung und der Gestank wurde immer intensiver. Zum finalen Sprung
ansetzend landete die Kreatur einige Meter vor der Frau, die beim
Anblick der Bestie ängstlich keuchte. Da kam diese Ausgeburt der Hölle
auf die Frau zugeflogen, das Maul weit aufgerissen. Die Frau schrie und
das Kind weinte und nur noch wenige Meter trennten sie vom sicheren
Tod. Mit weit aufgerissenen Augen stand die Frau da, unfähig auch nur
einen Muskel zu bewegen. In einem starken Anflug von Mutterinstinkt
drückt die Frau das Kind eng an sich, bereit, für ihre Tochter ihr
Leben zu geben. Aus den Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, nicht
mehr als ein Schatten. Und als das Monster nur noch einen Meter von der
Frau entfernt war, für die alles in Zeitlupe ablief, sprang eine
weitere Kreatur auf die Frau zu. Mit einem Schrei, erfüllt von Hass und
Zorn, stürzte es auf sie zu. Und traf mit der Kreatur in der Luft
zusammen. Das Wesen, das von der Seite gekommen war, stellte sich als
ein ausgewachsener und kräftiger Mann heraus, der die Bestie von der
Frau weggerissen hatte. „Lauf!“ schrie der Mann noch im Flug mit der
Bestie ringend. „lauf!“ formten seine Lippen das Wort erneut. Mit einem
unerbitterlichen und dumpfen Knall landeten die Bestie und der Mann auf
den Boden im Schnee. Mit der Routine eines Jägers zog der Mann ein
kurzes Messer aus einem Schaft, der am Bein befestigt war. Die Kreatur
stürzte sich auf den Mann, doch dieser zog mit dem Messer durch und
durchtrennte die Kehle des Ungeheuers. Schlapp landete der Körper neben
ihm im Schnee, schwarzes Blut färbte die weiße Pracht dunkel. Die Frau,
die immer noch wie angewurzelt im Schnee stand, keuchte erleichtert
auf. Mit einem Satz sprang der Mann auf die Beine und lief auf die Frau
zu. Mit einem kräftigen Ruck riss er sie am Arm mit. Die Lebensgeister
der Frau erwachten wieder und sie begann zu schluchzen. Der Mann zerrte
sie hinter sich her in den Wald hinein. Er blieb stehen und packte die
Frau an der Schulter. Er sah ihr in die Augen und nahm ihr durch diese
Geste die Angst. „Lauf in die Stadt, warne sie, dass sie kommen. Los!“
rief er ihr ins Gesicht. „Ab…Aber was ist mit dir?“ stotterte die Frau
und sie begann zu zittern. Sie kannte die Antwort bereits. „Ich werde
kämpfen!“ sagte er leise und sein Blick wurde zu Stahl. „ Nein, komm
doch…“ wollte die Frau ihn überreden, mit ihr zu kommen. „NEIN. Ich
kämpfe. Und jetzt lauf!“ sagte er eindringlich. Dann, in einem Moment
der Zärtlichkeit küsste er sie. „Und pass auf Fenia auf!“ flüsterte er
ihr noch zu. Schmerz lag in seinem Blick, als er seine kleine Tochter
ansah. „Auf das du eine große Kriegerin wirst“ sagte er ihr, und das
kleine Kind sah ihm in die Augen. Dann begann es zu weinen, als wüsste
es, dass es ihren Vater nie mehr wieder sehen würde. Dann rannte der
Mann zurück, im Lauf zog er sein Schwert. „Ich liebe dich!“ rief er
noch zurück zu seiner Frau. Dann war er verschwunden. Heiße Tränen
rannen der Frau übers Gesicht. Dann rannte sie los. Hinter ihr hörte
sie noch die Schreie der Krieger, die für ihr Land kämpften. Und
starben.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2008.
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