Ferdinand Hanke

Wahr oder erfunden?

Eine der beiden Geschichten ist (reineweg) erfunden,

die andere hat sich so zugetragen!  Welche ist wahr, welche erfunden?

 

Auf dem weißen Strahl

„Nicht von schlechten Eltern, dieser Stoß ins Kreuz!“

Dabei hatte Kreisler gerade von einem saftigen Schweinsbraten geträumt. Und ausgerechnet in dieser wunderschönen Traumphase sprang ihm ein Höllenbraten ins Genick. Unwillig rappelte er sich hoch und fluchte leise vor sich hin. Inzwischen zog die Landschaft wieder schneller vorbei, der Schaffner wollte die Fahrkarten sehen, auf der anderen Seite der Polsterbank spielte ein jugendliches Duo Trampolin. Im 2ter-Klasse-Abteil tobte das Leben.

Die beiden Jungs waren dabei, ihre neonfarbenen Rucksäcke in der Gepäckleiste zu verstauen. So konnte Kreisler kurz in ihre Gesichter schauen. Schüler waren es, die zur Zeit wohl mit typischen Hautproblemen zu kämpfen hatten. Ihr Selbstbewußtsein schien deswegen aber keineswegs angegriffen zu sein; lebhaft und laut besprachen sie, was ihr Herz gerade bewegte. Mithören war kein Problem.

„Auf dem weißen Strahl geht`s ab in den Himmel. 9fache Warp-Geschwindigkeit mindestens. Von unten siehst Du die Düse nur noch im Umriß. Aber Kondensstreifen müssen da sein, die bringen`s nämlich.“

„Aber wie kommt er denn vom Boden weg? Wie stellst du dir das denn vor?“

Der leichte Triumph in der Stimme des zweiten Knaben wies darauf hin, daß ersterer seiner Meinung nach einen Denkfehler gemacht haben mußte. Doch cool kam der Konter:

„Er wird hochgebeamt, ganz einfach. Vor den Augen aller Leute. Und die kriegen als echte Eingeborene den Mund gar nicht mehr zu.“

Als Erklärung für Doofe wird lässig nachgeschoben:

„Das riesige Raumschiff sieht man natürlich nicht, es hat sich getarnt.“

„Ne, ne. Das ist Quatsch. Das will er bestimmt nicht so haben. Da hab ich was anders im Kopf, das ist viel realistischer. Eine Szene auf dem Friedhof. Es ist Mitternacht. Ganz klar. Außerdem knallt es und kracht es ganz fürchterlich, weil ein mittelschwerer Orkan vorbeizieht. Die Gestalten, die durch die Szene schleimen, haben triefende Fetzen am Leib und stapfen im Morast. Dann geht die Kamera voll drauf. Auf den body. Viel Blut. Sie haben ihn ja auch abgestochen. Die Därme sabbern an der Seite raus, so grau und glibberig. Richtig lecker, weißt du. Im übrigen blutet er aus allen Knopflöchern, vom Kopf, von den Händen, von den Füßen.“

„Echt geil, Alter! Die volle action!“    Ja, da kommt beim Jungvolk die Begeisterung auf. Kreisler ist inzwischen der Heißhunger auf Schweinsbraten vergangen:

„He, ihr beiden Videofreaks? Welches Horror-Spektakel habt ihr euch denn gerade reingezogen? Ihr könnt einem damit ja richtig den Appetit verderben!“

Kreisler schaut um die Ecke in zwei verdutzte Gesichter hinein.

„Ein Gruftie mischt sich ein! He, Alter! Halt  dich raus , wenn sich Erwachsene miteinander unterhalten!“

Das trifft Kreisler nun auch. „Alter“, das wäre ja noch gegangen! Aber „Gruftie“, das war hart und gar nicht „geil“.

Der Blonde war etwas gnädiger:

Ob Sie’s glauben oder nicht, wir sind gerade bei der Arbeit! HAUSAUFGABEN! Unser Paster hat uns gesagt, wir sollen uns das mal richtig vorstellen, was damals passiert ist, im alten Ägypten oder wo das spielt. So richtig in echt. Filmmäßig gesehen. Wie mit der Kamera. Wegen der Lebendigkeit. Und jetzt sind wir dabei. Also! Irgendwas auszusetzen?“

Verdauen ist angesagt! So schwere Kost muß, ja muß erst einmal verdaut werden. Konfirmanden hatte er hier vor sich, die gerade biblische Geschichte in Szene setzten. Gedanklich gesehen. -  „Phantasiemäßig, Alter!“

„Dann hast du gerade über die Kreuzigungsszene gesprochen?!“

„Bingo! Der Kandidat hat 99 Punkte!“

„Und du, du hast von Christi Himmelfahrt geredet?!“

„Sagen Sie mal, wollten Sie früher auch Pastor werden?“    Und zu seinem Kumpel:“ Er quatscht auch so geschwollen! Da lob ich mir doch unsern neuen Vikar. Der hat’s drauf!“

Nun hatte es bei Kreisler geschnackelt. Endlich war auch er bereit, an der Erleuchtung teilzuhaben. Einmal tief  durchgeatmet und die kleinen grauen Zellen auf Trab gebracht:

„Wie wäre es mit Arnold  Schwarzenegger in der Hauptrolle?“

Die ungläubigen Blicke konnte er sich nun wiederum nicht erklären.

Lag es doch am Alter?

 

 

 

 

2. Geschichte

 

 

Richtig getroffen

 

Der Weg durch die labyrinthischen Gänge seiner Schule sollten ihn eigentlich in den Deutschunterricht eines Oberstufenkurses führen. Ungewöhnlicher Lärm quoll jedoch aus der offenen Tür einer 6ten Klasse. Kreisler hörte rhythmisches Geklatsche, Anfeuerung,  höhnisches Gejohle. Da war etwas im Gange, also rein in die Bude.

Den Blick gebannt in die Mitte gerichtet, bemerkte der Kreis der erregten Gemüter den Lehrer gar nicht, bis dieser sich etwas nachdrücklicher Einlaß in den „Ring“ verschaffte.

„Aufhören, sofort aufhören!“

Und  .. , richtig getroffen! Da wälzten sich noch zwei Leiber am Boden, in einander verkeilt, nach Atem ringend. Beide hatten schon etwas abbekommen, sonst hätten sie nicht geheult.

„Schämt ihr euch eigentlich gar nicht?“

Kreisler hatte die Jungen am Kragen hochgezogen und hielt sie auseinander. Wilde Blicke zeigten an, daß noch viel Wut im Geschäft war.

„In eurem Alter müßte man  mehr im Kopf haben! Da trägt man seine Streitigkeiten doch anders aus!“

„Er hat angefangen!“

„Nein, stimmt nicht. Er hat mich beleidigt!“

Diese Sprüche kannte ein 45jähriger Lehrer. Das war die alte Leier. Also auch die alten Maßnahmen:

„Erst mal alles hinsetzen! Und Ruhe, aber ein wenig plötzlich! Und nun zu euch zwei Gestalten. Raus mit der Sprache! Was war los?“

„Der hat sich einfach auf meinen Platz gesetzt. Das kann ich mir doch nicht gefallen lassen! Meine ganzen Sachen hat er vom Tisch geschmissen und sich dann auf meinen Platz gesetzt!“

„Und dann mußtest du natürlich gleich die Fäuste fliegen lassen?“

Der blonde Wuschelkopf nickt auch noch!

„Freundchen, darüber werden wir noch zu reden haben. Und nun zu dir.“

Kreisler hatte den anderen am Ärmel und drehte das käsige Gesicht, das hinter den jetzt wirren langen Haaren zum Vorschein kam, ins Licht. Der Schülerblick  ging hinaus ins Weite.

„Hallo, ich red` mit dir!“

Der Blick glitt hoch an die Decke.

„In solchen Fällen gehen wir dann auch mal ins Sekretariat und rufen die Eltern an.“

Kreisler schärfte seine Aufmerksamkeit, suchte am Ausdruck und am Mienenspiel  nach Reaktionen. Und richtig. Der Schülerblick wurde gerade:

„Da werden Sie wohl Pech haben!“

„Und warum?“

„Meine Mutter ist tot.“

Das saß. Kreislers forsche Bemühungen wurden sichtlich gedämpft.

„Na, dann wird sich ein Gespräch mit deinem Vater wohl lohnen.“

„Geht auch nicht. Der ist im Gefängnis.“

„Was??“

„Ja, der hat sie doch erschossen, meine Mutter!“

„Hör mal, auf den Arm nehmen kann ich mich alleine, dazu brauche ich dich nicht.“

 

„Was ist denn los, Herr Kollege? Hat es Streit gegeben mit dem Neuen?“

Also die hatte Kreisler gerade noch gefehlt. Diese schneidende Stimme, die klappernden Blockabsätze, das großgeblümte Kleid.

„Ach, Frau Lützge-Butenschön “, formulierte Kreisler wie im Reflex, „ was klargestellt werden mußte, haben wir klargestellt!“ Und für sich:  Du alter Drachen mußt auch nicht alles wissen!

 

Das war alles reichlich schnell gegangen mit dem Schülerstreit und seiner Schlichtung. Kaum Zeit zum Überlegen, zum Überdenken, da nervten die angehenden Abiturienten schon mit Notendiskussionen.

Dann in die Fluraufsicht. Die Schüler strömten gerade durch die Eingangstür, da zupfte jemand an Kreislers Ärmel.

“Übrigens“,  sagte eine zarte Mädchenstimme und schaute bedeutsam zu ihm hoch, „was der Jens, der Neue, über seine Eltern gesagt hat, das stimmt! Der wohnt jetzt bei seiner Oma bei uns in der Straße.“

Sprach`s  und strömte weiter.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.11.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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