Helmut Wurm

Sokrates und der überhastete Konjunktur-Politiker

 

Sokrates (sitzt auf den Stufen vor dem Parlamentsgebäude in Berlin. Ein ärgerlicher und hastiger Abgeordneter kommt über den freien Platz davor und will schnell ins Parlamentsgebäude. Dabei spricht er vernehmbar vor sich hin: „... Halbe Entschlüsse bringen nichts, hier sind drastischere Hilfen notwendig...“. Sokrates spricht ihn an):

 

Hallo, lieber Parlamentarier, du bis ja ziemlich aufgeregt und sprichst laut vor dich hin. Du forderst nicht halbe, sondern ganze Entschlüsse. Das ist normalerweise richtig. Halbe Sachen bringen nur halbe Erfolge. Aber worum geht es denn?

 

Der Parlamentarier: Ich sitze im Konjunktur-Ausschuss des Bundestages und rege mich über die halbherzigen Konjunkturhilfen der Koalition, vor allem von Frau Merkel und Herrn Steinbrück auf. Sie sind viel zu zurückhaltend in der derzeitigen Situation, sie haben viel zu wenige Hilfen für die Wirtschaft angekündigt. Wir stehen vor einer weltweiten großen Krise. Da muss man bezüglich konjunkturpolitischer Maßnahmen klotzen, nicht kleckern.

 

Sokrates (stellt sich unwissend): Was hat man denn von Seiten der Koalition derzeit beschlossen und was hätte man nach deiner Ansicht beschließen müssen?

 

Der Parlamentarier: Wenn derart die Nachfrage bei den Konsumenten weg bricht und wenn die Banken derart zurückhaltend mit ihrer Kreditvergabe sind, dann ist es nur eine Frage von Monaten, bis die Produktion nachlässt, bis viele Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren und bis die Wirtschaft zusammenbricht. Es beginnt jetzt eine Spirale nach unten, genau wie in der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Damals hat man nichts getan und dadurch ist damals die Krise so schlimm geworden. Heute muss man zeigen, dass man aus Damals gelernt hat und muss viel helfen, bevor es zu spät ist.

Wir haben gleich eine Sitzung des Konjunkturausschusses und da die meisten von uns

dieselbe Ansicht haben wie ich, dass nämlich das bisher angekündigte Hilfspaket zu gering ist, wird es eine harsche Kritik an der Regierung geben. Mögliche Hilfsmaß-nahmen gibt es genug: Steuersenkungen, Einkaufsgutscheine zu Weihnachten, Investitionshilfen für Unternehmen, Finanzspritzen für die öffentlichen Haushalte, Garantien für die Banken, höhere Sozialhilfen, usw.

 

Sokrates:  Du hast Recht, wenn du Hilfe rechtzeitig anmahnst. Aber da fällt mir ein - ich habe ja damals die Weltwirtschaftskrise auch beobachtet – dass damals viel Angst und Hysterie, also viel Psychologie, im Spiel war, dass es so schlimm kam. Bei weniger Panikstimmung hätte es damals so schlimm nicht kommen müssen.

 

Der Parlamentarier: Wenn du schon vom Gott Apollon die Unsterblichkeit verliehen bekommen und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 miterlebt hast, dann sage mir doch einmal, weshalb es damals nicht so schlimm hätte kommen müssen und was man damals hätte tun müssen?

 

Sokrates: Damals gab es weltweit eine Überproduktion und eine aus Leichtsinnigkeit entstandene Kreditblase. Es war abzusehen, dass es dadurch zu einer Krise kommen würde. Als dann der Geldkreislauf zusammenbrach, weil viele Banken Konkurs gingen,  hätte man die Einkommen erhöhen und den Geldkreislauf anregen müssen, um die Kaufkraft zu erhalten. Aber...

 

Der Parlamentarier (unterbricht Sokrates): Also ähnlich wie heute und man muss heute deswegen die Kaufkraft erhalten oder sogar noch erhöhen und viel Geld in den Geldkreislauf pumpen...

 

Sokrates: ... aber wenn damals die meisten Leute nicht panikartig reagiert hätten, wäre der Abschwung flacher ausgefallen. So rannten die Sparer zu den Banken und holten ihre Gelder zurück, wodurch die Banken zusammenbrachen. So kürzten die öffentlichen Haushalte ihre Ausgaben und senkten die Bezüge der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, wodurch weniger gekauft wurde. So entließen die Unternehmen zu schnell Mitarbeiter, wodurch die Produktion und die Nachfrage sanken. Man hätte mehr die Ruhe bewahren müssen. Und...

 

Der Konjunkturpolitiker:  Und diese Panik verstehe ich, wenn man bedenkt, dass es damals keine richtige Konjunkturpolitik gab. Geld in den Kreislauf pumpen heißt die Devise heute. Die Ruhe bewahren ist das Falsche...

 

Sokrates: ... und dann, als in Deutschland und den USA eine richtige Konjunktur-politik durch das sogenannte deficit-spending begann, als der Staat mit öffentlichen Aufträgen die Wirtschaft und den Geldkreislauf ankurbelte, da war man überrascht, mit welch geringen Geldsummen der Wirtschafts- und Geldkreislauf wieder in Schwung gebracht werden konnte, allein durch das Vertrauen, das die Wirtschaft und die Bevölkerung in die Maßnahmen des Staates setzte. Vertrauen ist also wichtiger als Geld, die richtige Psychologie von der Regierungsseite her also wichtiger als viel Geld bereitstellen. Man sollte eine Politik der „ruhigen Hand“ anstreben und schrittweise reagieren, so wie es die Bundeskanzlerin Frau Merkel ja angekündigt hat, aber keine überhitzten Reaktionen anleiern. Das könnte mehr negative als positive Folgen haben.

 

Der Parlamentarier: Die Bevölkerung wird keine Geduld für eine Politik der „ruhigen Hand“ haben. Sie braucht das Gefühl, dass Geld in den Wirtschafts-Kreislauf fließt.

Welche negativen Folgen könnte das denn haben? Keine, nur positive! Sokrates, du kannst offensichtlich die Bundeskanzlerin gut leiden und redest deswegen wie sie.

 

Sokrates: Wenn viel Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt werden soll, dann kann man dieses Geld entweder nur durch weitere Schuldenaufnahmen oder durch Gelddrucken bereitstellen. Beides ist langfristig schädlicher als eine zeitlich begrenzte wirtschaftliche Rezession. Was meinst du, was die Menschen sagen werden, wenn eine Inflation ihre Ersparnisse aufzehrt und ihre Kaufkraft senkt und wenn die nächsten  Generationen über Jahrzehnte erhöhte Steuern zahlen müssen, um den Schuldenberg zu tilgen? Und der deutsche Staat hat bereits, wie übrigens die meisten europäischen Staaten, in den vergangenen Jahrzehnten derart viele Schulden aufgehäuft, dass es fraglich ist, ob man diese überhaupt noch ohne eine Inflation zurückzahlen kann. Die deutsche Finanzpolitik kann deswegen nur noch begrenzte Kreditmengen aufnehmen. Da sollte man warten. Bis man genau weiß, wo man am dringendsten helfen muss. Einen allgemeinen Geldregen kann sich die deutsche Wirtschaft nicht mehr leisten. Lass uns deswegen über die Folgen von zu wenig und zu viel Konjunkturpolitik nachdenken.  

 

Der Parlamentarier (maulend, aber zögernder in das Parlamentsgebäude gehend):

Inflation, höhere Neuverschuldung, langfristig höhere Steuern... das wäre auch nicht gut. Offensichtlich kann man sowohl durch Unterlassungen und als auch durch Über-treibungen Fehler machen. Vielleicht wäre eine Wirtschaftspolitik der ruhigen Hand doch besser? Darüber muss ich nachdenken...

 

Sokrates: Tu das, mein Lieber, ruhiges Handeln war noch nie falsch...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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