Helmut Wurm

Sokrates und eine deutsche Leitsprache und Leitkultur

Sokrates sitzt in Berlin am Ku’damm und hat ein Schild vor sich stehen, auf dem steht zu lesen: Deutsche Leitkultur mit Leitsprache oder tolerantes Multi-Kulti? Eine Gruppe von Passanten steht um ihn herum und es entwickelt sich zwanglos eine Diskussion – eben so, wie er es vor über 2000 Jahren in Athen auch gemacht hat. Sokrates hat das Gespräch mit den Worten begonnen: „Ich möchte keine Meinung vorgeben oder machen, ich möchte nur zum Denken anregen. Jeder kann sich dann seine Meinung selber dazu bilden“.

Ein Passant: Für mich kommt nur Multi-Kulti in Frage. Ich möchte fremde Menschen und fremde Kulturen nicht mehr nur auf Reisen erleben, ich möchte sie ständig in meiner Straße, um die Ecke, in den einzelnen Vierteln von Berlin erleben. Ich möchte nebenan eine griechische Kneipe mit griechischen Speisen und griechischen Gästen haben. Ich möchte eine Straßen weiter ein türkisches Milieu erleben können. Ich möchte in der Parallelstraße afrikanische Menschen treffen und afrikanische Rhythmen hören können. In der Wohnung über mir wohnen Asiaten und wir diskutieren oft zusammen. Deutsche Kultur langweilt mich und ist geschichtlich überholt. Ich habe mir von jeder Sprache ein paar Brocken gemerkt und sonst reden wir mit Gesten und in English. Denn Deutsch können die meisten meiner ausländischen Freunde nur schlecht oder gar nicht. Das finde ich verständlich, denn gutes Deutsch ist viel zu schwer und deutsche Kultur viel zu widersprüchlich und anspruchsvoll. Wer sich damit beschäftigen möchte, kann das ja tun, aber bitte als sein Privatvergnügen. Ein buntes Multi-Kulti, das ist nach meinem Geschmack und ich setze mich entschieden dafür ein, dass es hier in Berlin so bleibt und die Vielfalt weiter zunimmt. Bunte Vielfalt, das brauche ich. Und Andersdenkende müssen zurückgedrängt werden.

Ein anderer Passant: Ich finde es schade, wenn eine über tausendjährige Kultur an Wert verliert und als ein Privatvergnügen bezeichnet wird. Denn dann zerfiele ja die Gesellschaft hier in lauter Parallelgesellschaften und das Verbindende würde eine oberflächliche, letztlich bruchstückhafte Mischkultur. Und wonach sollen sich denn Schüler orientieren? Es gäbe keine verbindliche Orientierung. Dann blieben nur jeweils eigene Schulen für die einzelnen Parall-gesellschaften als Alternative. Und ich fürchte, dass es dann nicht nur ein friedliches Nebeneinander geben wird, sondern dass Spannungen zwischen den einzelnen Parallel-Kulturen und Parallel-Religionen entstehen werden. Ich werde mich deswegen entschieden dafür eintreten, dass es in Deutschland eine Leitkultur und Deutsch als Leitsprache gibt. Und die Multi-Kulti-Vertreter müssen zurückgedrängt werden.

Sokrates: Da haben wir ja schon 2 gegensätzliche Positionen gehört und beide Vertreter lassen gegenüber Andersdenkenden keine vorbildhafte Toleranz erhoffen. Ich beginne mir Sorgen zu machen.

Ein weiterer Passant: Ich gehe noch weiter als der erste Sprecher. Ich möchte demnächst nach Spanien oder in die Türkei ziehen. Hier in Berlin ist mir das Klima zu kalt. Und dort in dem angenehmeren Mittelmeerklima möchte ich leben, wo und wie und wie lange es mir beliebt. Man sollte die Welt, zumindest Europa, zur Misch-Besiedlung nach Wunsch und Laune freigeben. Wer kommen möchte, aus welchen Gründen auch immer, kann nach hier kommen und wer gehen möchte, soll gehen. Die Behörden sollen nur das Notwendige zu regeln das Recht haben und die Polizei, egal wer sie stellt, hat das Verbrechen zu bekämpfen. Alles andere sollen die jeweiligen Bewohner vor Ort absprechen und regeln. Kulturen und Sprachen interessieren mich nicht – vielleicht gibt es ja bald eine Europa-Kultur und Europa-Sprache... Ich habe einmal etwas von Esperanto gehört...

Ein nächster Passant: Also so locker und leicht wie die Reichen und Promis es handhaben, denkt sich das mein Vorgänger. Mal hier, mal da, mein Zuhause ist dort, wo es mir am Besten gefällt... Dann werden bald Hunderte von Millionen Zuwanderern vor allem nach Mitteleuropa kommen. Denn das ist der landschaftlich schönste und sozialwirtschaftlich der angenehmste Teil der Welt. Hier gibt es viele Arbeitsplätze, Sozialsysteme und Gesundheitsfürsorge. Aus Afrika, aus China, aus Sibirien werden dann die Massen herströmen. 1 Milliarde und bei dem Bevölkerungswachstum in den armen Ländern bald 2 und 3 Milliarden werden zuwandern und in Europa aufeinander hocken, werden alles niedertrampeln, die Sozialsysteme zusammen brechen lassen, die Wälder roden, die Landschaft zerstören, die Umwelt mit Müll zuschütten und die Idylle hier wird vorbei sein. Ich denke noch entschiedener und konservativer wie der zweite Sprecher. De Gaulle und Adenauer wünschten nach dem letzten Weltkrieg ein friedliches Europa der Vaterländer, aber nicht des freien Multi-Kulti. Man sollte die EU wieder einschränken, jedes Land sollte seine Leitkultur und seine Leitsprache pflegen und die Zuwanderung einschränken. Die anderen Nationen außerhalb Deutschlands sind nicht so multi-kulti-fanatisch wie viele Menschen in Deutschland. Weshalb müssen wir Deutsche die Welt um eine utopische Idee bereichern, die in der Realität nicht funktionieren wird?

Sokrates: Jetzt sind die gehörten Meinungen noch weiter auseinander wie zu Anfang. Dazu möchte ich nun doch einige klärende Bemerkungen machen. Es stimmt nach meinen Beobachtungen, dass die meisten anderen Nationen nicht bereit sind, ihre traditionelle Kultur und Landessprache einzuschränken oder aufzugeben. Wenn Zuwanderer in anderen Ländern wirklich frei und chancengleich leben möchten, dann müssen sie sich an deren Kultur und Sprache anpassen. Das gilt schon in unserer Nachbarschaft. Wer die schweizerische Staatsbürgerschaft erwerben möchte, dessen Kinder zumindest müssen ihre Sprache dem Schwitzerdütsch anpassen. In den USA fördert man die Umbennung der Vor- und Nachnamen von Einwanderern an das Englische. Und in arabischen Ländern ist es undiskutabel darüber nachdenken zu wollen, ob das jeweilige Arabisch nicht die Staatssprache bleiben soll. Andere Nationen sind bezüglich ihres Identitätsbewusstseins viel selbstbewusster. Die meisten Deutschen hingegen wirken auf mich, entschuldigt den Ausdruck, wie „geprügelte Hunde“, wenn man auf Heimat, Heimatliebe oder sogar Nationalgefühl und deutsche Identität zu sprechen kommt. Ich erkläre mir das mit dem tiefen Schock, den das verbrecherische NS-Regime und der 2. Weltkrieg bei den Deutschen hinterlassen haben. Sie sind völlig verunsichert, bekommen ihre NS-Vergangenheit vom Ausland dauerhaft vorgehalten und bleiben deswegen verunsichert. Natürlich dürfen die Nazi-Verbrechen niemals vergessen werden. Aber man kann Menschen auch Mut machen, sich an die überwiegend besseren Seiten ihrer Geschichte zu erinnern. Denn bei ständig niedergedrückten Menschen können sich nach meinen Erfahrungen mit der Geschichte einseitige, extreme oder sogar extremistische Eintellungen leichter entwickeln und verbreiten.

Und dann muss ich ehrlich meine Meinung ausnahmsweise andeuten. Ich bin ein echter Freund und Vertreter eines multikulturellen Nebeneinanders. Ein so entschiedener Wahrheitssucher wie ich kann gar keine andere Einstellung ent-wickeln. Aber soweit ich die Geschichte überblicke, hat es leider noch nie langfristig eine tolerante, stabile und harmonische Mult-Kulti-Gesellschaft gegeben. Ich meine hier nicht Gesellschaften, die durch Verschmelzung verschiedener Kulturen zu einer neuen eigenen Kultur gelangt sind. Über kurz oder lang sind immer die Spannungen und Gegensätze zwischen den einzelnen Parallelgesellschaften wieder aufgebrochen. Man denke an den Libanon, der lange Zeit als ein solches multi-kulturellesVorbild im Nahen Osten galt und in den letzten Jahren in einen furchtbaren Bürgerkrieg geraten ist. Man denke an das frühere Jugoslawien, das nach dem 2. Weltkrieg als toleranter und halbdemokratischer Staat des so genannten „Konkurrenz-Sozialismus“ galt. Man denke an Zypern, wo heute noch 2 Parallelgesellschaften sich verfeindet gegenüber stehen. Man denke an Belgien, das immer wieder in einen französisch-wallonischen und einen flämisch-niederländischen Teil zu zerbrechen droht. Auch die Schweiz ist kein Vorbild für einen funktionierenden Multi-Kulti-Staat, denn sie besteht nicht aus Parallelgesellschaften, sondern aus jeweils kulturell relativ homogenen verschiedenen Landesteilen mit verschiedenen Landessprachen, die nur durch den Wunsch, sich politisch-demokratisch vom Ausland abzugrenzen, zusammengehalten wurden und werden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die idealistischen Vertreter eines globalen Multi-Kulti oder zumindest eines Multi-Kulti in Mitteleuropa zum ersten Mal in der Geschichte Erfolg hätten und eine solche wirklich harmonische Gesellschaft errichten könnten, in der jede Parallelgesellschaft die andere toleriert, und wo keine der Parallelgesellschaften mehr politisches dominantes Selbstbewusstsein entwickelt. Und ohne Parallelgesellschaften wird es die ersten Jahrzehnte, vermutlich das erste Jahrhundert nicht gehen, denn Bevölkerungs-Verschmelzungen brauchen Zeit. Aber vielleicht sollte man darüber nachdenken, in einer Volksabstimmung zu klären, wie die deutsche Bevölkerung sich ihre Zukunft vorstellt. Eine Minderheit von Politikern sollte in einer so wichtige Frage nicht über die Zukunft eines Volkes entscheiden.

Ein fanatischer anderer Passant: Ich kann über diese Phantasterei bezüglich Toleranz und Volksabstimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur den Kopf schütteln. Probleme unserer Zeit sind keine Nüsse, die man zwischen zwei weichen Kissen knacken kann. Deutschland und das Deutschtum sind in großer Gefahr. Deutschland ist der schönste und angenehmste Lebensraum der Welt. Und die deutsche Kultur ist die wertvollste der Welt. Wenn alle Grenzen aufgelöst werden, will alles und jeder hier hin und seine Kultur hier verbreiten. Das ist ein Niedergang. Das wollen wir verhindern, wir, meine Freunde und ich, die einer Gruppierung angehören, die man im Inland und Ausland sehr misstrauisch beobachtet. Wir wollen den Werten, Lebensformen, Institutionen und Gesellschaftsformen des früheren Deutschlands auf dem Höhepunkt seiner Macht wieder zur Geltung verhelfen. Demokratie ist für die Deutschen immer aufweichend und schädlich gewesen. Wir werden sie abschaffen und durch eine andere und zwar autoritäre Staatsform ersetzen. Die deutsche Sprache und Kultur werden von uns, wenn wir die Macht errungen haben, in Schulen und Gesellschaft wieder zu Leitzielen erhoben werden. Und die Macht in Deutschland wollen wir erringen, dazu ist uns jedes Mittel recht, um Deutschlands willen. Wir werden nicht zimperlich in den Methoden sein. Wir werden die Jugendlichen durch ein kämpferisches Menschenbild begeistern, wir werden ihr Vorbilder und Ideale von deutscher Größe und Selbstbewusstsein vermitteln. Und von Deutschland aus werden wir in ganz Europa wieder die alten christlich-nationalen Werte zur Macht verhelfen. Als Voraussetzung dafür muss die deutsche Sprache als verbindliche Leitsprache im Grundgesetz festgehalten werden.

Ein weiterer fanatischer Passant (drängt sich nach vorne): Das werden wir verhindern. Wir werden auch nicht zimperlich sein. Wir werden in der Zukunft Schritt für Schritt unseren Weg erfolgreich gehen. Wir, meine Freunde und ich, gehören einer strengen islamistischen Gruppierung an. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung beginnt der Islam nun seinen Kreuzzug gegen das Christentum und gegen die westlichen Industriegesellschaften, die dekadent und verweichlicht geworden sind und nur Wohlstandswerten nachlaufen. Der Islam und die islamische Kultur sind für uns die Werte und Leitziele der Zukunft. Wir werden durch kontinuierliche Zuwanderung und durch hohe Kinderzahlen einen immer größeren Bevölkerungsanteil in Europa, hauptsächlich in Mitteleuropa, anstreben. Wir werden immer größere islamische Inseln in den großen Städten bilden und von da aus unsere politische und wirtschaftliche Machst ausbauen, bis der Islam die neue Kultur Europas sein wird. Denn wer Einfluss in Deutschland hat, der hat bald Einfluss in Mitteleuropa. Und wer Einfluss in Mitteleuropa hat, der hat bald Einfluss auf ganz Europa. Von Europa ging in den früheren Jahrhunderten die Unterdrückung des Islam aus, wir werden als Revanche Europa dem Islam zum Geschenk bringen. Deswegen muss allmählich das Arabische, die verbindende Sprache der Muslime, in den Schulen als Fremd-sprache eingeführt werden.

Sokrates (rollt völlig entsetzt sein Plakat zusammen): Solche Ziele und solchen Fanatismus kann ich nicht anhören, die kann ich nicht ertragen. Sie sind einerseits eine Beleidigung für die besonnene Mehrheit der Deutschen und andererseits eine Beleidigung für die friedliche, tolerante Mehrheit der hier lebenden Muslime. Mit solchen Extremisten denke ich nicht nach, vor diesen kann ich nur alle vernünftigen Deutsche und Zuwanderer warnen. Aber diese vernünftigen Deutschen gehören nach meiner Beobachtung leider zur weitgehend schweigenden, verunsicherten Mehrheit. Dabei wäre es sehr wichtig, dass diese verunsicherte, schweigende Mehrheit wieder ein Selbstbewusstsein bekommt und diese unseligen Extremisten-Gruppierungen aufsaugen und neutralisieren würde. Denn es gibt für die Deutschen nicht nur die Alternativen „freies Multi-Kulti“ oder „Rückfall in intolerante autoritäre oder sogar in diktatorische Systeme“. Dazwischen gibt es das Deutschland der Dichter und Denker, der Künstler und Philosophen, der Musiker und Komponisten, der Erfinder und Ingenieure, der Lehrer und Wissenschaftler, der Besonnenen und Toleranten. Dieses Deutschland sollten die Deutschen mit Selbstbewusstsein pflegen und fortführen. Das ist nach meiner Ansicht der beste Schutz gegen Extremisten aller Art. Und wenn die Mehrheit der Deutschen meint, dass für dieses andere, bessere Deutschland die deutsche Sprache eine Voraussetzung ist, dann kann man meinetwegen das Deutsche als Leitsprache, aber in maßvoller Form, im Grundgesetz verankern. Aber so lange, wie die verunsicherte, schweigende, aber besonnene Mehrheit der Deutschen weiter verunsichert bleibt und dieses andere Deutschland nicht auf ihre Fahne schreibt, mache ich mir große Sorgen um die langfristige innere Stabilität in Deutschland. Sie könnte nicht so friedlich und harmonisch werden, wie sich das die meisten erhoffen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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