Daniel Kutscher

Auszug

Erschrocken stob die Schafherde auf,
die vorher friedlich grasend die Kuppe des kleinen Hügels
bevölkert hatte, suchte Schutz unter einem Felsvorsprung, nahe
dem nun erwachten Schäfer, der, ärgerlich ob der Störung
seiner Schützlinge, nach seinem Hund pfiff und zum Rand der
Ebene späte, vor der die Tiere geflohen waren. Einige Minuten
blinzelte er gegen die Sonne, ehe er ein leises Stampfen und den
Klang blecherner Hörner vernahm. Eilig trieb der Schäfer
mit quergehaltenem Stab die Schafe dicht an die Felswand und lies den
Hund scharf auf sie achtgeben, bevor er sich wieder der Erhebung
zuwandte, über die gerade die ersten Banner eines Heeres
getragen wurden. Prunkvoll golden glänzte das Wappentier auf
blauem Grund, mahnte jeden Betrachter seinem Herrn die angemessene
Ehrfurcht zu entbieten. Diesen folgte ein Regiment soldatischer
Musikanten, eine Kapelle, groß genug das Fest einer prächtigen
Stadt zu zieren, die jeden Beobachter, oder vielmehr jedem hörenden
Wesen auf ihrem Weg, von der Macht des kommenden erzählte, die
Armee lobte in den höchsten, kunstvoll gegossenen, Tönen
und ihr zugleich auch den Takt vorgab, nach dem jeder kleinste Teil
des eisernen Lindwurms marschierte.
Ein großes Blöken brach
unter den Schafen aus, das der Hirte eilig zu stoppen suchte, jedoch
sowieso keine Beachtung durch die ziehenden Kämpfer fand. Das
Heer fuhr fort die Hügelspitze zu überschreiten und der
Schäfer schaute mit großen Augen auf die immer neuen
Reihen von Soldaten, die sich zu Gruppen formierten, die wiederum
Kolonnen bildeten und doch nur stets die Vorboten der nächsten
Welle waren. Der Hirte lies seinen Stab sinken als der Strom der
Kämpfer auch nach einigen Minuten nicht nachlassen wollte. Auch
die Schafe hatten sich wieder beruhigt, die Musik war enteilt und nur
noch das monotone Stampfen der schweren Stiefel rollte über die
Landschaft. Erfreut, dass seine Tiere wohl nicht als Verpflegung
enden würden, setzte sich der Schäfer zwischen ihre
wolligen Leiber und betrachtete das gebotene Schauspiel.
Vor ihm zog das Heer des mächtigen
Fürsten Krup, der für diese wichtigen Auftrag alle Kräfte
seines Landes aufbracht hatte. Vorneweg - und immer noch - zogen die
Fußsoldaten, tapfere Kämpfer der Vasallen von Krup,
mutige, gewandte Männer, die stolz ihre Waffen präsentierten.
Der Fürst selbst hatte ihre Bewaffnung bezahlt und – bei Gott
– selten waren prächtigere Waffen in den Händen Niederer
gesehen worden. Diesem nicht endenden Strom Bewaffneter folgten die
mit zerlegten Belagerungstürmen, Tri- und Rammböcken schwer
beladenen Wägen der Waffenschmiede, die von kräftigen
Pferden gezogen und begleitet von viele Knechten, die Acht gaben,
dass kein Teil auf der langen Reise verlorenginge, tiefe Furchen im
weichen Untergrund hinterließen. Dicht dahinter schritt das
Herz des Zuges über die Hügelkuppe, die prunkvolle
Reiterei. Die einfachen Ritter - und doch waren bereits diese so
reich geschmückt, dass einem die Augen von den vielen Farben und
mannigfaltigen Spiegelungen auf ihren Rüstungen schmerzten -
bildeten ein großes, tief gestaffeltes Rechteck um die Fürsten
in ihrer Mitte. Der Schäfer stand auf, konnte aber weder die
Fürsten, noch den Führer der Armee erkennen, denn zu groß
war die Zahl der Reiter, die ihn von deren Anblick trennte. So
entging ihm, dass der Sohn, Frank, noch war er ohne Beinamen, des
Fürsten Krup selbst diese Schar führte.
Schön, kraftvoll und gleichsam
anmutig war das Ross, auf dem der junge Kriegsherr thronte, ein Tier
der fürstlichen Ställe im Süden des Landes, unter
tausenden ausgewählt, Generationen der Zucht unterworfen und
seit Jahr und Tag ausgebildet diesem Ritter in der Schlacht
beizustehen. Eine reich bestickte Decke, von der Fürstin selbst
bearbeitet, schützte das Tier vor dem Staub der Reise und lies
den Sattel weich aufliegen. Es war ein altmodischer Sattel, der vorne
und hinten seinem Reiter durch zwei bis auf Höhe des Nabels
reichende hölzerne Schalen Halt gab, wenn dieser eine Lanze
brechen sollte. Der Fürst hatte ihn mit Bedacht anfertigen
lassen und auch selbst die Motive ausgewählt, die die zwei
emporagendenen Teile des Sattels zierten. Vorne, hin zum Hals des
Pferdes, war die Taufe des jungen Kämpfers in die starken Fasern
des Eichenholzes geschnitten worden. Ein Priester hob gerade den
Jungen aus dem Taufbecken und streckte ihn so hoch er konnte in einen
Strahl gleißenden Lichts, der durch ein Fenster im Rücken
des Gottesmannes brach, so dass alle Besucher der Kirche ihren
künftigen Herrscher begutachten konnten. Die hintere Stütze
zeigte den Vater des Feldherrn an der Seite des Kaisers auf den
Mauern Jerusalems, welches sie gerade den Heiden entrissen hatten.
Oft hatte der Fürst von diesem ruhmreichen Moment erzählt
und seinem Sohn dabei auffordernd auf die Schulter geklopft.
Frank drückte seine Beine in die
Steigbügel, richtete sich auf und lies den Blick über das
Heer schweifen. Nicht, dass er sich Sorgen machen müsste, ob
seine Soldaten ihn noch begleiteten, Staub und Lärm versicherten
ihm ständig deren Anwesenheit, doch wollte er seinem Unterleib
etwas Entspannung gönnen, denn, obwohl der Fürstensohn
selbst die Innenseite des Sattels geschliffen und mit Leder
ausgeschlagen hatte, überwog hier der Schutz die Bequemlichkeit
nur zu deutlich. Auch seine Rüstung war ihm gerade kein Grund
zur Freude. Am Morgen, als der Zug die Stadt, die sich zu Füßen
der fürstlichen Residenz angesiedelt, durchquert und verlassen
hatte, ein Spalier jubelnder Bürger und Bürgerinnen
passierend, die nicht müde wurden den heldenhaften Mut und das
erhoffte Schlachtenglück der Recken zu lobpreisen, und sich die
Strahlen der aufgehenden Sonne in den Zierraten seines Harnisches
brach, so dass er, hell leuchtend, ein Vorbild für sein Volk und
ein Botschafter seiner Familie, die Massen durchritt und noch in den
untersten Straßen die Umrisse seiner stolzen Eltern auf dem
Balkon des Bergfrieds zu erkennen glaubte, war er ob ihr noch so
glücklich gewesen, wie an jenem Tag, als die Schmiede des Hofes
sie ihm gebracht hatten. Doch nun hätte er sie gern gegen ein
leichtes Reisegewand getauscht, denn noch viele Tagesritte trennten
ihn vom Heim seines Gegners und so schien es ihm nicht nötig
bereits jetzt voll gerüstet zu marschieren, aber er wagte nicht
wegen dieses Wunsches sein Heer zu belästigen. Einzig seinen
Helm hatte er seinem Knappen gegeben und stattdessen zum Dreispitz
eines Gelehrten gegriffen, den er noch aus seiner Zeit an der
Akademie stets mit sich trug, den Seitenblicken seiner adeligen
Begleiter zum Trotz. Gerne dachte er an die Jahre in der Akademie
zurück, denn so sehr sie sich auch von seiner sonstigen
Ausbildung unterschieden hatten - seit seinem sechsten Lebensjahr war
er vor allem mit körperlicher Entwicklung und dem Umgang mit
allerlei Waffen beschäftigt worden - so hatten sie ihm doch
andere Wege ermöglicht, die er, nicht bevorzugt, aber doch als
überdenkenswerte Alternative, immer in Betracht zog. Die meisten
seiner Begleiter hatten ihre Schwerter und Schilde an den Sätteln
ihrer Pferde befestigt, damit ihre Reise nicht durch sie gestört
werde. Frank tat es ihnen nach. Er lehnte sich zurück, soweit es
die Stütze seines Sattels zuließ, und befestigte über
der rechten Flanke des Tieres seinen Schild, ein sich nach unten
verjüngender Verbund aus Holz und Eisen, dessen Vorderseite zur
Hälfte mit dem Wappen der Familie, restlich mit einer
Darstellung des Schutzheiligen seines Hofes bedeckt war. Links
befestigte er sein Schwert, das er erst gestern, im Verlauf einer
feierlichen Prozedur, erhalten hatte. Am Vorabend wurde der Jüngling
mit seiner zukünftigen Waffe in einer Kapelle eingeschlossen,
denn betend, in Ehrfurcht vor der Aufgabe, sollte er den Morgen
erwarten, an dem dann der ganze Hofstaat ihn wieder in Empfang nahm,
wusch, salbte und zu dem Ort geleitete, an dem der Bischof und sein
König warteten, um ihn mit der höchsten Ehre zu segnen und
ihm sein Schwert, eine Gabe seines Lehrmeisters, einem großen
Schmied und noch größeren Kämpfer, der sein ganzes
Leben der Klinge verschrieben hatte und der sich mit dieser Waffe -
sie war vollendet ausbalanciert und zudem so schön, dass den
Prinzen mehr als nur einmal ein neidischer Blick ihretwegen traf -
ein Denkmal geschaffen hatte, anzuvertrauen. So erleichtert ging die
Reise weiter und der Schäfer trieb seine Tiere in den letzten
Strahlen der untergehenden Sonne zurück in den Stall, während
hinter ihm noch bis tief in die Nacht die Proviantwägen der
Armee vorbeirollten. So groß mussten die Vorräte sein,
dass die Länge der Wagenkolonne die des Soldatenzuges um ein
dreifaches übertraf, denn weit war das Land, das es zu erobern
galt, entfernt und in karger Umgebung die Burg des Gegners gelegen,
so dass weder Freund noch Feind erwartet werden konnten. Viele Tage
und durch viele Länder marschierte das Heer des jungen
Feldherrn, ehe sie ihr Ziel zu Gesicht bekamen. Über einer
weiten Ebene erhob sich, auf einem Berg gelegen, die Burg ihres
Widersachers, umgeben von nassem, sumpfigen Land, dessen wässrig
spiegelnde Fläche das gesamte Gebiet, bis auf die unmittelbare
Nähe der Burg, bedeckte, doch da sich das Heer keinem direkten
Beschuss aus der Feste aussetzten wollte, wurden die Zelte auf den
trockensten Stellen des glucksenden Bodens errichtet. Noch während
die Soldaten das Lager bereiteten - sie brachen dabei in üblicher
Art der der Landser in eine geschwätzige Fröhlichkeit aus
und sprachen, kaum war ihr bescheidener Beitrag geleistet, in
begeistertster Weise dem mitgebrachten Wein zu, so dass, je mehr
Zeltgiebel sich in den Himmel reckten, das Lager sich mehr und mehr
in einen Festplatz verwandelte, auf dem sich die Menschen munter
zuprosteten und ihre Becher auf einen schnellen Sieg, reiche Beute
oder das Weib zuhause leerten - bestieg Frank erneut sein Ross um die
Feste näher zu betrachten. Er ritt von Süden an die Burg,
wobei ihm ihre unbemannten Zinnen mit jedem Schritt, den er sich ihr
näherte, mächtiger und bedrohlicher erschienen. Zwischen
Frank und dem steinernen Trutzbau erstreckte sich auf dieser Seite
der Burg ein dichter Wald, groß genug um einen guten Teil
seines Heeres Deckung zu gewähren, wie er schätzte. Der
Prinz band sein Pferd am Rand des Waldes an und schlich, auf jeden
seiner Schritte achtend, die sanfte Steigung zur Feste hinauf, froh
über seine Rüstung, die ihn vor Verletzungen durch das
dichte Buschwerk schützte, während er mit wachsender
Verwunderung feststellte, dass er ohne die Gefahr einer Entdeckung
bis an die Mauer der Burg gelangen konnte, die überdies alt und
verwittert wirkte, große Stücke waren bereits
herausgebrochen und bedeckten den Boden vor ihm. Ungläubig
betastete er die Mauer, tatsächlich, schon unter leichtem Druck
liesen sich Steine aus ihr lösen und rieselten als Staub durch
seine Finger. Auf die immer noch verlassenen Zinnen achtend ging er
nachdenklich zu seinem Pferd zurück, band es los und wandte sich
nach Westen um die Festung zu umrunden - in gebührendem Abstand
natürlich, denn nichts wäre peinlicher, als während
einer Erkundung dem Feind in die Hände zu fallen. Fast parallel
zu Beginn der neuen Mauer zog sich der Wald zurück und das
Gelände fiel schnell ab, so dass an dieser Seite der Burg die
Höhe ihrer Mauern von einem ebenso hohen, steilen Felshang
verdoppelt wurde. Jedoch war diese Höhe, wie der Fürstensohn
lächelnd feststellte, nicht so unerreichbar, als dass sie nicht
mit Belagerungstürmen bezwungen hätte werden können
und sein Lächeln wurde breiter als sein Blick auf die
scharrenden Hufe seines Pferdes fiel, die ihn auf eine weite Fläche
trockenen, glatten Bodens aufmerksam machten – Ideal für den
Einsatz von Kriegsmaschinen. Frank bemerkte, dass die Mauerkrone der
Festung noch immer unbemannt war, und nach kurzem Zögern
beschloss er, sein Glück auf die Probe zu stellen. Der Prinz gab
seinem Pferd die Sporen, das ihn daraufhin in einem weiten Bogen
dicht an die Mauer brachte, die wie er bemerkte, zwar in wesentlich
besserem Zustand als die bisher gesehene, aber nichts, was dem
Beschuss seiner Triböcke lange Widerstand würde leisten
können, war. Laut lachend ritt er weiter, zur Nordseite der
Burg, wo ihn der Anblick des Festungstores erwartete, dessen Mauer
hier auf keine Unterstützung durch eine günstige natürliche
Position bauen konnte, wohingegen der Prinz erkennen musste, dass der
Boden mit unzähligen Felsbrocken überzogen war, was den
Einsatz großer Maschinen von vorneherein ausschloss. Reglos
verharrte er einige Zeit und prägte sich das Gebiet ein, bevor
er die Ostseite der Burg begutachten wollte, die jedoch zu seiner
Enttäuschung gänzlich von einer Schlucht geschützt,
die so tief und weit, war, dass er jeden Gedanken an ihre
Überwindung, zumal die Mauer dahinter in gutem Zustand schien,
sofort aufgab und stattdessen den Weg zurück ins Lager suchte.
In der inzwischen errichteten Zeltstadt, die sich aufgrund des
schlechten Untergrunds weit zerstreut und zergliedert hatte, fand er
die meisten seiner Männer bereits im tiefen Schlaf des Rausches
und die Übrigen arbeiteten kräftig daran diesen Zustand
ebenfalls zu erreichen, vermutete er zumindest, als er die kehligen
Stimmen von Weibern und ihren Töchtern gröhlen hörte,
denen er zu einem Feuer folgte. Der Fürstensohn nahm sich einen
freien Schemel und stieß mit den noch stehenden auf den Krieg
an.
Am nächsten Morgen schickte er
sogleich seinen Knappen Sand, Holz, Erde und was man noch brauchte um
die Umgebung der Burg nachzustellen, holen und unter seiner Anleitung
entstand ein detailliertes Modell der feindlichen Festung. Im Osten
begrenzt durch einen unüberwindlichen Graben, im Süden
umgeben von dichtem Wald, der Westen geschützt durch die
verstärkten Mauern und vor die Nordseite stellte man zwei kleine
Figuren, um an das Tor an dieser Stelle zu erinnern. Frank nickte
zustimmend, bevor er alle aus dem Zelt schickte und ihnen mitteilte,
er wolle Nachdenken und keiner solle ihn stören, solange er
nicht nach einem Diener verlange. So verliesen alle seinen Baldachin
und warteten, weit genug entfernt, dass ihre Gespräche nicht
nach innen dringen und den Prinzen stören konnten, auf die
Entscheidung ihres Führers. Die Sonne zog ihre Bahn und als es
Abend wurde einigten sie sich darauf, dem Prinzen ein gutes Mahl in
sein Zelt schieben zu lassen, denn, so bekräftigten alle
einander, er müsse gut Essen, um gut Denken zu können und
auf die Weise wäre die Störung wohl am geringsten. So
geschah es und die Gemeinschaft ging zu Bett, sich gegenseitig
versichernd, dass man sich am folgenden Tag wieder treffen und auf
eine Entscheidung warten werde. So zogen zwei Wochen ins Land, wobei
jeden Tag dem Prinzen zwei Mahlzeiten - schweigend und ohne seiner
angesichtig zu werden - überbracht und dann die stumme Wache vor
seinem Zelt wiederaufgenommen wurde. Allmählich wurden auch die
Soldaten unruhig, denn die anfängliche Freude über die
Erholung nach dem anstrengenden Marsch war abgeklungen und nun nahm
mit jedem Tag der Unmut über die Untätigkeit zu, sowie im
gleichen Maße auch der Weinverbrauch. Doch die Fürsten
schüttelten bei jeder Anfrage nach Befehlen nur den Kopf und
deuteten stumm auf das Zelt des Prinzen. Weitere vier Wochen später,
noch immer war weder vom Prinzen, noch von der Burg des Gegners ein
Lebenszeichen bemerkt worden, häuften sich die Beschwerden der
Soldaten. Der Sumpf mache sie krank. Die Heimkehr sei in
unerreichbarer Ferne solange noch Untätigkeit herrsche. Ebenso
schlossen sich die Waffenschmiede an, dass ihre Maschinen zu faulen
begönnen. Doch wieder deuteten nur stumme Finger auf das
schweigsame Zelt. Zwei Monate später, die Zahl der Toten die dem
Sumpffieber zum Opfer gefallen waren, hielt sich etwa die Waage mit
denen, die sich erhängt oder totgesoffen hatten, schleppten sich
nur noch wenige, und selbst diese mutlos, in die Nähe des
Zeltes. Und nach 5 Monaten schließlich hatte der letzte
Angehörige des Heeres sein Leben ausgehaucht. Stille lag über
dem Lager. Überall lagen verstreut die leblosen Leiber toter
Soldaten. Manche sahen aus wie kürzlich verstorben. Bei anderen
trat schon deutlich das Skelett hervor. Gerade in diesem Moment, trat
der Prinz aus seinem Zelt und verkündete laut seinen Beschluss:
„Wir greifen an der Westseite an!“
Lange hatte er mit sich gerungen, bis
er zu diesem Entschluss gekommen war, unzählige Male hatte er
das Modell umrundet, ehe sich sein Geist festigen konnte. Vom Süden,
das war ihm klar, hätte er gute Chance, den Feind zu überaschen.
Der Wald war dicht und groß genug, dass sich ein stattliche
Streitmacht an die Burg und die in diesem Abschnitt schwache Mauer
heranführen liese. Man könnte die Feste im Handstreich
nehmen, sogar ohne große Verluste. Doch, war dies nicht zu
offensichtlich? Musste diese Schwäche dem Gegner nicht noch viel
mehr ins Auge springen als ihm? Was, wenn er seine Männer in den
Wald schickte, der übersäht mit Fallen und speerbewehrten
Gruben war? Und selbst wenn die Kämpfer das überleben
sollten, wieviele Feinde würden sie, geschwächt wie sie nun
waren, hinter der Mauer erwarten? Wenn der Burgherr nicht gleich den
ganzen Wald in Brand steckte und er seinen Männern so einen
schmerzvollen Feuertod auferlegte. Den Prinzen schauderte es bei
dieser Vorstellung. Dann hatte er seine Gedanken der Westseite
zugewandt. Zwar war hier die Mauer stark und keine Deckung für
seine Krieger vorhanden, doch erhoffte er sich davon vor allem
weniger unangenehme Überraschungen durch seinen Gegner. Hier
könnte er die ganze Macht seiner Kriegsmaschinen anwenden, mit
aller Kraft die Mauern bestürmen. Der Boden war günstig für
dieses Unterfangen und seine Männer gut gerüstet. Doch
könnte der Boden brüchiger sein als seine schnelle Prüfung
es glauben machte. Auch wusste er nicht, welche Verteidigung ihn dort
erwartete. Vor seinem inneren Auge sah er seine Truppen von
brennendem Pech überschüttet, die Belagerungstürme von
Brandpfeilen zerschossen oder umgestürzt, nachdem sich die Erde
unter ihnen geöffnet hatte. Die Kugeln der Triböcke könnten
von den Mauern abprallen und seine eigenen Soldaten dahinraffen.
Kopfschüttelnd schritt Frank weiter zur Nordseite. Hier, so
erinnerte ihn das Modell, konnte er keine schweren Waffen einsetzen.
Vielmehr drängte sich in ihm der Wunsch, sein gesamtes Heer auf
diesem Feld vor der Burg aufmarschieren zu lassen und den Gegner
solange zu reizen, bis dieser hervorkommen musste, sich in offener
Schlacht stellte. Dann würde er ihn überrollen und durch
ein offenes Tor in seinen neuen Besitz einziehen können. Aber
was, wenn seine Soldaten nicht nur reizend, sondern auch reizbar
wären? Sie würden sich in die Nähe der Mauern locken
lassen und das Schauspiel des brennenden Pechs würde sich
wiederholen. Und selbst wenn der Feind hervor käme, sich zum
Kampf auf offenem Feld stellte, würde sein Heer standhalten? Und
wieviele Krieger mochte die Feste ausspeien? Sein Blick wanderte nach
links. Nein, dieser östliche Abgrund unterband jeden Versuch
hier einen Angriff zu wagen. Einen Moment schlich sich eine Idee in
seine Gedanken, man könne verwesende Tiere über die Mauern
schleudern und so eine Seuche unter den Verteidigern provozieren,
doch schneller als gedacht schämte er sich ob solch unedler
Methoden. Nein, die Lösung konnte nur im rechten Kampf liegen.
Doch von welcher Seite sollte er ihn wagen? Diese Frage trieb ihn
lange um. Lies ihn nicht schlafen und ruhn, quälte sein Denken
über viele Monate so sehr, dass er unfähig war, einen
anderen Gedanken zu fassen. Und nun hatte er sich entschieden, doch
fand sein Heer verstorben vor. Verfallene Zelte und Maschinen, tote
Leiber und unzählige Geier begrüßten ihn. Verwirrt
und verzweifelt irrte der Prinz durch die Überreste seiner
Armee. Hier und da drehte er Leichen um. Doch jedesmal war es ein
Unbekannter. Er konnte es nicht fassen. All seine Krieger, alle
Maschinen und Tiere.....nichts war ihm geblieben. Einzig vor seinem
Zelt stand ein gepackter Wagen. Davor die wohl letzten Pferde
gespannt. In ihm fand er alles von Wert und genug Nahrung um nach
Hause zurückzukehren. Er suchte nach Spuren eines Kampfes. Aber
nirgends war auch nur eine Wunde geschlagen. Kein Körper war
versehrt. Ratlos blickte er zur stummen Burg. Er glaubte ein leises
Lachen zu hören.
Nein. So konnte es nicht enden. Er
konnte so nicht zurückkehren. Niemals. Noch einmal blickte er
sich um. Aber kein Gefährte war zu entdecken. Sein Körper
straffte sich. Wenn nicht so, dann blieb ihm nur eine Möglichkeit.
Er rannte zu seinem Zelt zurück. Suchte seine Rüstung und
sein Schwert. Er legte beides an. Dann machte er sich auf den Weg zur
Burg. Er wollte den Burgherrn herausfordern. Ein Duell um alles. Er
erreichte die Burg. Hämmerte an das Tor. Ein Mann öffnete
und sah ihn fragend an. Er fragte ihn wo der Burgherr sei. Der Mann
lies ihn warten. Schließlich kam der Herr. Frank zog seinen
Handschuh aus und schlug ihm damit ins Gesicht. Der Herr schaute ihn
verwundert an. Schweigend deutete Frank auf die Reste seiner Armee.
Noch immer schien der Herr nicht zu begreifen. Frank erzählte
ihm stockend von seinen Männern. Und dass er gekommen sei den
Herrn zu töten. Der Herr sah ihn an. Lachte schließlich
warum er so spät das Richtige tue und lies ihn in Ketten legen.
Danach schickte er seinen Gefangenen zurück in seine Heimat. Er
schickte auch zehn Soldaten mit, die ihn bewachten. Diese brachten
ihn zur Burg seines Vaters. Der sah entsetzt auf seinen gefesselten
Sohn. Doch so sehr er ihn auch mit Fragen bestürmte, Frank blieb
stumm. Apathisch. So erzählten seine Bewacher was vorgefallen
war. Konnten sich kaum halten vor Lachen. Dann liesen sie die Fürsten
allein. Wieder fragte der Fürst seinen Sohn. Wieder keine
Antwort. Inzwischen hatte die ganze Stadt von der Rückkehr
erfahren. Schreiend und tobend warteten sie vor der Burg. Der Fürst
fragte seinen Sohn ein letztes Mal. Danach lies er die Hinrichtung
für den nächsten Tag verkünden. Niemand musste den
Adeligen zum Galgen führen.

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Daniel Kutscher).
Der Beitrag wurde von Daniel Kutscher auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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