Helmut Wurm

Sokrates und der Landforstmeister und der Waldbau

(Im Herbst 2006 vor dem Sturm „Kyrill“ morgens im Wald)

Sokrates geht früh morgens im Wald spazieren. Ihm begegnet der für das Bundesland zuständige Landforstmeister. Beide bleiben stehen und es beginnt ein Gespräch.

Der Landforstmeister: Hallo, lieber Sokrates.... Hallo Herr Landesforstmeister.

Sokrates: Wir beide sind heute früh auf. Die morgendliche Waldluft ist ja besonders frisch, das soll man ausnutzen. Und ich kann mich gleichzeitig auf meine Gespräche heute vorbereiten. Die sind manchmal schwierig und oft erst nach einer gewissen Zeit oder erst nach inneren Erschütterungen wirken die Einsichten, zu denen meine Gesprächspartner gekommen sind.

Der Landforstmeister: Ja, lieber Sokrates, Waldluft ist gesund. Ich prüfe heute aber gleichzeitig, welche Baumarten ich auf den durch Abholzung frei gewordenen Flächen anpflanzen lasse. Zur Zeit verdienen wir Waldleute gut am Holzverkauf. Ich werde mich auch hier in diesem Waldgebiet für noch mehr Fichten entscheiden, als bisher schon wachsen. Fichten wachsen schnell, die Industrie nimmt sie gerne und das Land verdient an Fichten ich viel Geld.

Sokrates: Mir fällt in der Tat auf, dass hier viele Fichten stehen und die Jungkulturen fast ausschließlich aus Fichten bestehen. Ist das nicht eine Verarmung des Waldes? Man sieht hier weniger Tiere am Boden und hört weniger Vögel singen als im Mischwald. Und der Boden soll saurer werden durch die Fichten, wie ich hörte. Und der Boden soll fester werden, weil die Fichten weniger Wurzeln in die Tiefe senden und deswegen weniger Wasser speichern. Und weil die Fichte flache Wurzeln hat, soll sie auch bei Sturm leichter umfallen. Ist deswegen ein überwiegender Fichtenwald langfristig keine Fehlplanung?

Der Landforstmeister: Lieber Sokrates, jetzt muss ich dich bitten, auf dem Gebiet zu bleiben, in dem du Spezialist bist, in der Gesprächsführung nämlich, und mich in meinem Spezialgebiet anzuerkennen, nämlich für den Wald die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich habe schließlich Forstwissenschaft studiert. Auch hier gilt: Schuster, bleibe bei deinen Leisten...

Sokrates: Entschuldige, lieber Landesforstmeister, ich wollte dich nicht bevormunden. Ich habe nur so manches über Mischwald und Fichtenwald gehört und habe an die langfristigen Folgen für das gesamte Ökosystem gedacht. Ich interessiere mich für Pflanzen, Tiere, den Boden, das Klima... Ich sehe das alles als eine Einheit und eine gesunde Einheit ist langfristig immer noch das Beste.

Der Landforstmeister: Und ich denke daran, dass die Wirtschaft immer mehr nach dem Rohstoff Holz verlangt und den möchte ich langfristig bereitstellen. Ich bin Baumgärtner... Andere Wünsche müssen dahinter zurück stehen. Im Fichtenwald leben eben stillere Vögel. Und die Rehe und Wildschweine schaden sowieso dem Wald. Und Wasser wird in den Wiesenflächen nach neueren Erkenntnissen prinzipiell mehr gespeichert als im Wald, der selber zu viel Wasser verdunstet. Beim Wald glaubt jeder mitreden zu können. Das verbitte ich mir... Tschüss, Sokrates.

(Im Januar 2007 nach dem Sturm „Kyrill“ morgens im Wald)

Sokrates und der Landforstmeister begegnen sich wieder morgens im selben Waldstück. Wieder entwickelt sich ein Gespräch.

Sokrates: Hallo Herr Landforstmeister. Du siehst sehr bekümmert aus. Bedrückt dich der durch den Sturm „Kyrill“ angerichtete Waldschaden?

Der Landesforstmeister: Allerdings, Sokrates. Schau dich um, wie es hier aussieht... Windbrüche im Umfang ganzer Sportplätze mitten in den Waldungen ... Über Straßen und Wege sind die Bäume gefallen. Wer soll all die Stämme zersägen und das Holz abfahren? Wer soll das viele Holz kaufen? Der Sturm hat ein Vielfaches von dem gefällt, was in unserer Planung die Waldarbeiter fällen sollten. Wer soll die ganzen Flächen wieder aufforsten? So viele Waldarbeiter haben wir nicht mehr. Und dann sind durch die vielen herumliegenden Fichtenstämme die besten Bedingungen für eine Borkenkäfer-Plage geschaffen worden. Es ist eine Katastrophe. Das wirft unsere ganze Zukunftsplanung über den Haufen. Wenn sich das noch einige Jahre so wiederholt, dann hat die Wirtschaft bald zu wenig Holz. Und seit kurzem werde ich mit Anrufen und Briefen überschüttet von Naturschützern, Umweltverbänden, Waldliebhabern, Jägern..., die uns hämisch oder entrüstet vorwerfen, wir in den obersten Forstbehörden hätten nicht richtig für die Zukunft geplant. Fichtenwälder seien eben viel empfindlicher als Mischwälder. Es ist ein peinliches Spießrutenlaufen... Aber ich weiß, wer wirklich an dieser Katastrophe schuld ist, nämlich die vielen Autofahrer und die Industrie, die rücksichtslos CO2 in die Luft blasen und damit das Klima ändern. Dadurch entstehen immer heftigere Stürme. Und diese Stürme schaden dem Wald. Man sollte den Autofahrern und der Industrie strengere Vorschriften machen...

Sokrates: Wenn ich mich so umsehe, dann fällt mir allerdings auch auf, dass fast ausschließlich Fichten vom Sturm umgerissen worden sind. Sie stehen mit ihren flachen Tellerwurzeln nicht fest genug. In Laubwäldern sehe ich kaum Windschäden. Vielleicht ist die Verfichtung der Wälder doch der langfristig entscheidendere Fehler an den Kyrill-Schäden und nicht nur die Klimaerwärmung... Mischwälder halten offensichtlich den Stürmen besser stand. Und dort gibt es auch nicht so leicht eine Borkenkäfer-Invasion... Ich erinnere mich übrigens noch gut an unser Gespräch im Herbst. Da warst du sehr selbstsicher und überzeugt, dass Du richtig planst. Vermutlich gilt Ähnliches für die meisten deiner Kollegen in den obersten Forstbehörden. Studium schützt offensichtlich vor Fehlern nicht. Darauf habe ich in meinen Gesprächen immer wieder hingewiesen. Lass uns darüber nachdenken, lieber Landesforstmeister...

Der Landforstmeister (kleinlaut): Was bleibt mir anderes übrig...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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