Alfred Hermanni

Bekifft in Deutschland - Ich, der Terrorist

 

von Alfred Hermanni 25.02.2007

 

In diesen Tagen, Ende der siebziger Jahre, war unsere Republik gefangen in der Angst vor dem Terror der RAF- Organisation. Die Ermordung politischer und wirtschaftlicher Funktionäre hielt das Land schon seit über zehn Jahren im eisigen Griff und bescherte uns eine immer weitergehende Kontrolle unseres öffentlichen und auch privaten Lebens.

Als Hippie hörte man des öfteren zwar scherzhaft gemeinte, aber doch Angst vor anders denkenden Menschen innewohnende Bemerkungen, über unser Aussehen und den daraus abgeleiteten politischen Ansichten. Man wurde zum langhaarigen Bombenleger, Anarchisten oder Sympathisanten erklärt, weil man nur anders aussah.

Aber so sind die Menschen. Sogar Tiere sind so.

Unter vielen schwarzen Affen hat ein weißer Affe keine Überlebenschance.

Als langhaariger Hippie wurde so mancher Freund Opfer von bürgerlichen Schlägern, die in uns willkommene Beute sahen. Wir waren ja auch so friedfertig, geradezu penetrant friedfertig.

Und verdächtig.

Denn wir waren gegen alles. Gegen Ausbeutung, gegen Armut, wir waren gegen verhungernde Kinder, gegen Krieg, und gegen Atomkraft. Gegen den Staat, sein heuchlerisches Bürgertum, gegen Fernsehen und gegen Waschmaschinen...

Und wir waren Kiffer. Und Kiffer denken anders, Kiffer sind faul, Kiffer wollen den Staat zersetzen, drücken sich vor der Bundeswehr, machen stattdessen Zivildienst und helfen kranken, alten und behinderten Menschen.

So oft wurde ich gefragt, warum ich keinen Alkohol trinke und stattdessen Hasch rauche.

Hasch ist doch gefährlich, man wird automatisch Heroinsüchtig und bestiehlt dann alte Damen und so weiter und so weiter.

Ich kannte einen Junkie der nie im Leben Haschisch rauchte, aber über Alkohol und falschen Freunden zum Schwerstabhängigen wurde.

Aber Alkohol ist ja keine Einstiegsdroge!

Bis heute habe ich das scheiß Heroin nie angerührt und wie von den meisten Hippies wird es auch heute noch von mir geächtet.

Und damals gab es noch viele Hippies.

 

An diesem Tag ging ich mit Rudi, meinem alten Freund aus Kindheitstagen zu Ernst, den wir, wenn er nicht dabei war, Örnie nannten.

Hallo Thomas, hallo Rudi”, begrüßte uns Ernst als er die Tür öffnete.

Hi, Alter, alles klar?“ grüßte auch ich und wir traten ein.

Alfred und Udo, zwei alte Kumpel von Ernst saßen auf den Sitzkissen und hörten Musik. Ernst hatte die größte Plattensammlung die ich je sah, etwa

zweitausend LP’s füllten seine Regale und waren sein ganzer Stolz.

Ey Thomas, du Nase, trifft man dich auch mal wieder?“ fragte Alfred

zur Begrüßung.

Na, altes Sackgesicht“ war Udo’s lieb gemeinte Bemerkung zu meiner Anwesenheit.

Hallo, ihr Tittengesichter. Alles klar?“

Klar.“

Na klar.“

Wie geht’s dir Thomas? Wir ham’ uns ja schon lange nicht mehr gesehen“ wollte Alfred wissen.

Iss’ schon wahr, es geht aber gut. Wie geht’s dir? Was macht Henri?“

Henri war Alfred’s Hund, eine Mischung aus einem Pinscherbastard und einem afghanischen Windhund.

Der ist zu Hause.“

Und sonst?“

Wie immer. Wollen wir einen rauchen?“ fragte Alfred, wartete meine Antwort gar nicht ab und fing an eine Pfeife zu bauen.

Gern, was hast du denn für’ne Sorte?“

Türken.“

Geil“ sagte ich und freute mich auf das Pfeifchen, denn ich wusste, dass es ein besonders gutes Dope war. Ernst hatte vor ein paar Tagen schon davon geschwärmt.

Alfred hatte immer gute Sorten.

Sein Geheimnis wo er das herbekam. Sein älterer Bruder hatte über drei Jahre im Knast gesessen. Gerüchten zufolge hatte er angeblich über Fünfzig Kilo Dope verschachert und war unter den Hippies in unserem Vorort schon fast eine Legende.

Ernst hatte derweil Teewasser zum Kochen gebracht und brühte uns einen

Darjeeling First Flush.

Rudi stand an Ernie’s Plattensammlung und suchte sich eine Musik aus.

Udo hatte die Augen geschlossen und hörte Stereo.

Dann durfte ich das Pfeifchen anpaffen und merkte schon beim ersten Zug,

dass Ernst nicht ohne Grund davon schwärmte. Es war ein gutes Zeug.

Nach ein paar Minuten war das Pfeifchen geraucht und ich lehnte mich zurück, um der Musik zu lauschen.

Das Dope war heftig gut.

Meine Gedanken zerstreuten sich in alle Richtungen, ließen sich nicht mehr greifen und es schien mir als denke etwas anderes anstelle von mir.

Vor meinem geistigen Auge sah ich einen großen Trichter in dem sich alle möglichen ungeordneten Gedanken verwirbeln, zu bizarren und seltsam geformten Mustern formieren und nach unten durch den Trichter in mein Bewusstsein strömen, um dort zu dem zu werden was ich jetzt denke.

Jeder Ton der Musik zerstob die Gedankenmuster zu neuen Wirbeln und Mustern, ließ sie sich neu formieren und mich als seltsame, von mir nicht gewollt gedachte Gedankenketten erreichen, deren Ursprünge ich nicht mehr zurückverfolgen konnte.

Mein Mund wurde immer trockener, geradezu ausgedörrt erschien er mir und ich lechzte nach Wasser.

Vor mir stand eine Tasse Tee und ich nahm einen Schluck. Die Trockenheit

löste sich auf und ich merkte, dass der Tee heiß war. Sehr heiß.

Die Hitze fraß sich meinen Schlund hinunter, breitete sich wie ein pyroklastischer Strom in meinem Magen aus und ließ eine Hitzewelle nach der anderen durch meine Adern strömen.

Ich begann zu schwitzen und vernahm Udo’s mir überlaut erscheinenden Kommentar: „Heiß, wa’?“

Ich konnte nicht antworten, denn die entsprechenden Gedanken befanden sich noch im Trichter...

... und gelangten erst nach einiger Verzögerung in die Außenwelt.

Jau“ war das Resultat dieses komplizierten Denkvorgangs.

Langsam ebbten die Glutströme in meinem Inneren ab und machten den Weg für ein angenehm warmes und wohliges Gefühl frei.

Es wurde sehr angenehm.

Ich fühlte mich wohl und ein freundschaftliches Gefühl zu meinen Freunden hier erfüllte mein Denken und ließ mich lächeln.

So lässt es sich aushalten kam mir in den Sinn, ohne den Umweg über den Trichter.

Dann verlor sich der Trichter in den unendlichen Weiten meiner Innenwelt, löste sich auf und verschwand im Nebel der nun von Ernst angerauchten neuen Pfeife.

Wir rauchten schweigend, schauten uns an und begannen plötzlich grundlos zu kichern. Wir steigerten uns zu einem Lachen und bald darauf brandete eine laute Kakophonie aus Gelächter, Gejohle, und unartikuliertem Gebrüll über uns her.

Ebenso schnell wie es begann hörte es aber auch wieder auf und wir schwiegen wieder.

Nach einer Weile stieß mich Rudi von der Seite an.

Woll’n wir gehen?“ fragte er mich leise.

Wohin?“ fragte ich zurück.

Erst mal raus. Das Wetter ist schön. Vielleicht ein Eis essen.“

Gute Idee. Kommt ihr mit ein Eis essen?“ fragte ich in die Runde.

Nee, keinen Bock“ meinte Ernst.

Heute nich“ antwortete Udo.

Alfred sagte nix und baute wieder ein Pfeifchen.

Soll’n wir die Pfeife noch mitrauchen und dann gehen?“ fragte ich zu Rudi gewandt.

Könn’ wa’ machen.“

Und so machten wir es.

 

 

 

Hast du eigentlich Geld dabei?“ fragte ich Rudi als wir nach draußen gingen.

Nee, ich dachte du hättest...“

Ohne Moos nix los, so ist es nun mal. Keine Arme, keine Kekse.

Ich hab eine andere Idee“ meinte Rudi „Wir gehen eben noch kurz bei mir zu Hause vorbei. Ich hab’ noch ein paar Böller vom letzten Sylvester im Keller.“

Nachdem sich Rudi mit seinem Arsenal ausstaffierte gingen wir zu einem Brachgelände außerhalb unseres Vorortes.

Hey, die alte Konservendose lassen wir fliegen. Das wird ein Spaß“, jubelte Rudi und platzierte einen Knaller unter die Dose, die nach der Explosion mehrere Meter hoch in die Luft flog.

Der laute Knall hallte unangenehm in meinen Gehörgängen nach, ich war immer noch reichlich angetörnt.

Obwohl wir schon siebzehn Jahre alt waren, ließen wir unserem Spieltrieb ungehindert freien Lauf und ich fühlte mich wie ein 10- jähriger Bub’ der sich an seiner kindlichen Welt erfreute. Es war ein schönes Gefühl, ein wenig wie eine Zeitreise in ein früheres Leben.

Wir bauten kleine Sandburgen, die wir mit Knallern wieder zerstörten.

Wir sprengten kleine Maulwurfshügel, jagten imaginäre Ungeheuer in die Luft

und ließen feindliche Panzer detonieren.

 

Völlig in unsere kleine Scheinwelt versunken bemerkten wir die Ankunft der

feindlichen Truppen erst als es zu spät war.

 

 

Hier spricht die Polizei! Lassen sie die Waffen fallen und heben sie ihre Hände!“ 

Laut drang die durch ein Megafon verstärkte Aufforderung zu uns rüber.

Rudi schaute mich verdutzt an und sagte: „Hab ich Halluzinationen? Sag mir, dass da keine Bullen sind!“

Ich weiß nich, ich glaub’ die sind echt.“

Das ham’ wa’ gleich“ meinte er und zündete einen Kracher an.

Rudi, nicht!“ rief ich als er ihn auch schon in Richtung der Polizeifahrzeuge warf, die etwa fünfzig Meter weit entfernt waren.

Der Böller explodierte in der Luft und dann ging alles ganz schnell.

 

Die Bullen zogen ihre Waffen, ein Hubschrauber war plötzlich über uns und schwarz vermummte Einsatzkräfte der Spezialeinheiten postierten sich um uns herum und hoben ihre Waffen.

Bevor ich überhaupt einem Fluchtgedanken Folge leisten konnte, lag ich schon, von gut getarnten Spezialisten überwältigt, bäuchlings auf dem Boden.

Ich war noch viel zu angekifft , um zu realisieren was mit mir geschah.

Der Lauf einer Maschinenpistole drückte mir schmerzhaft ins Genick, meine Hände und Füße wurden gefesselt und unsanft wurde ich auf die Knie gehoben.

Das sollen Terroristen sein?“ fragte einer der Bullen.

So wurde es über Funk durchgegeben.“

W...wie, w...was? T...Terrorist?! Ich, ein Terrorist? Wie kommt ihr denn darauf?“ fragte ich mit bebender Stimme, während die Angst in mir immer höher schlich und schließlich mein Gehirn erreichte.

Ich bin kein Terrorist“ wimmerte Rudi und kämpfte seine aufsteigende Panik herunter.

Ihr habt eben aufmerksame Mitbürger, die uns anrufen, wenn ihnen was verdächtig erscheint. Und ob ihr Terroristen seid wird sich herausstellen wenn ihr erst mal in U- Haft seid“ erklärte uns der Einsatzleiter.

Nun geriet auch ich zusehends in Panik. Voller Entsetzen sah ich mich den schlimmsten Verhören ausgesetzt, fühlte mich jetzt schon gefoltert und üblem Psychoterror ausgesetzt.

Ein zweiter Bulle hielt mir seine Pistole vor die Stirn und ich verspürte plötzlich einen dringenden Kackreiz. Wenn er nicht plötzlich laut aufgelacht hätte und ein allgemeines Gelächter unter seinen Kollegen damit auslöste, ich glaub’ dem Kackreiz hätte ich nachgegeben.

Sie lachten uns aus.

Die hörten gar nicht auf zu lachen.

Als ob sie bekifft wären kicherten und lachten sie und freuten sich wohl,

dass sie ihrem Spieltrieb so ungehindert freien Lauf lassen konnten.

 

Ende

So endeten die siebziger Jahre, ein neues Jahrzehnt lag vor uns und die Joints waren unsere Begleiter...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Geschichte hat mir mein Freund (die Hauptperson) erzählt. Ich habe mit seiner
freundlichen Erlaubnis diese dann zu einer Story gemacht. Auch sie ist eine zum
größten Teil wahre Geschichte. Alfred Hermanni
Alfred Hermanni, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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