Es ist angenehm, ein Regierungschef zu sein. Man kann
arbeiten, wann man möchte. Man kann tun und lassen, was man möchte.
Meine erste Amtshandlung war eine sehr erfreuliche. Ich habe mir einen
Harem zugelegt. Na ja, Harem ist vielleicht nicht das richtige Wort.
Ein weiblicher Beraterstab – der Ausdruck paßt vielleicht besser. Es
sind sieben ausgesprochen hübsche junge Damen, die offiziell für mich
arbeiten. Eine ist beispielsweise für die Kontakte zur Medienbranche,
eine zweite für die Kontakte zum Handel, eine dritte für die Kontakte
zur Kosmetik- und Wellnessbranche zuständig. Doch sie erfüllen noch
eine weitere Aufgabe. Wenn meine Frau zu viel nervt, kann mein Harem
für sie einspringen. Sie erfüllen diese Aufgabe wirklich hervorragend.
Ich
mag es nicht, wenn Leute in der Öffentlichkeit Kaugummi kauen.
Kaugummis mußten auf meinen Druck hin aus dem Handel verschwinden. Ich
mag es nicht, wenn Leute in der Öffentlichkeit auf den Fingernägeln
kauen. Ich mag es nicht, wenn Leute in der Öffentlichkeit flöten. Meine
zweite Amtshandlung bestand darin, eine Sittenpolizei einzurichten, die
solche Vergehen ahndet. Die Strafen können bis zur Amputation von
Fingern und Unterkiefern gehen.
Ansonsten bin ich aber in der
Bevölkerung gut gelitten. Ich bin ja auch viel unterwegs und daher –
anders als meine vielen Vorgänger – auch nicht immer in der Presse
präsent. Da ich reisewütig bin, gehe ich oft auf Staatsbesuch. Ich
kenne inzwischen ganz Europas, weite Teile Asiens, Afrikas, Ozeaniens
und Nordamerikas. Nur Südamerika ist noch ein weißer Fleck auf der
Landkarte. Das kann ich aber noch nachholen.
Die deutsche Wirtschaft
muß mich so weit wie möglich auf meinen Reisen begleiten. Anfangs gab
es noch Schwierigkeiten damit. Es gab Widerstände. Ich mußte die
Wirtschaftskapitäne mit der Polizei zuhause abholen lassen. Da haben
die Leute eingesehen, daß sie mir zu gehorchen haben. Heute klappt aber
alles.
Heute tut wieder die ganze Welt am deutschen Wesen genesen.
Unser Export hat noch nie soviel Geld verdient wie zu meiner Zeit. Ich
betreibe sowieso eine wirtschaftsfreundliche Politik. Ich konnte
beispielsweise unserer Filmindustrie auf die Beine helfen. Die
Regierung gründete eine staatliche Filmproduktionsgesellschaft. Ihr
erster Auftrag: Sie sollte die Städte, Länder und Landschaften auf
Celluloid bannen. Sie sollte wichtige Unternehmen,
Unternehmerpersönlichkeiten, Kirchen, die wichtigsten Sportvereine und
wichtige Kulturschaffende porträtieren. Heute ist die Firma ein
wichtiger Produzent von Musikvideos. Die Firma ging früher auf Musiker
zu und erstellte mit ihnen Musikfilme. Um die Profitabilität und Wert
des Unternehmens zu erhöhen, verfilmt die Firma heute die Bücher von
Edgar Wallace, Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, Ngaio Marsh und
Francis Durbridge.
Der Vertrieb der Filme ist einfach. Sie werden im
Fernsehen und Kino gezeigt, dann als Video bzw. DVD veröffentlicht und
dann in unseren Auslandsvertretungen vertrieben. So bekommt die Firma
wenigstens einen Teil der Produktionskosten ersetzt. Auf die
Ausgabenseite brauchte sie sowieso nicht zu achten. Die Steuerzahlen
kamen für alle Verluste auf. Inzwischen können wir das Unternehmen mit
Gewinn verkaufen.
Ein staatlicher Schallplattenverlag mit Musik- und
Literaturproduktionen wird seine Nachfolge antreten. Hier soll ein
umfangreiches Repertoire klassischer Musik- und Literatur entstehen.
Ich
habe auch ein Übersetzerseminar im Niederrhein errichtet. Das ist eine
trickreiche Einrichtung. Über die Jahre hinweg erhielten die
Botschaften Geld, um vor Ort Bücher zu kaufen. Vordergründig erwarben
sie Prosa und Lyrik. Doch sie kauften auch viele Sach- und Fachbücher.
Bevorzugt Naturwissenschaften und Technik, aber auch
Gesellschaftswissenschaften und Sprachen. So waren viele Dolmetscher
und Übersetzer über lange Zeit damit beschäftigt, diese Werke ins
Deutsche zu übersetzen. Die normalen Bücher wurden dann auf dem
allgemeinen Buchmarkt verscherbelt. Die übrigen Werke wurden dann
gezielt in der Wirtschaft lanciert. So konnten wir dazu beitragen, die
Kosten für die Industriespionage deutlich zu senken. Englisch,
Französisch, Spanisch, Chinesisch und Russisch sind natürlich die
gängigen Sprachen. Aber auch Isländisch, Japanisch, Hindu, Aramäisch
oder Finnisch sind an dem Überseminar vertreten – um nur einige
Beispiele zu nennen.
Auch die Deutschland AG nahm inzwischen
deutlich an Fahrt auf. Zusammen mit dem Wirtschafts- und
Finanzministerium legte ich diverse Anlage- und Treuhandfonds auf. Wir
sammelten damit Billionenbeträge. Ehe Osteuropa sich versehen hatte,
kauften wir die dortige Infrastruktur auf: Krankenhäuser, den
Öffentlichen Personen- und Güter Nah- und Fernverkehr, Strom- und
Wasserversorger inklusive der Kanalisation und Müllentsorgung, Theater,
Schulen und öffentliche Bibliotheken. Deutsche Firmen modernisierten
diese Einrichtungen auf Teufel komm heraus. Deutsches Material kam dort
zum Einsatz. Das einheimische Personal wurde in Deutschland geschult.
Die deutschen Firmen verdienten sich eine goldene Nase. Die
Wertsteigerung der osteuropäischen und ex – sowjetischen Infrastruktur
war enorm. Inzwischen sind die Projekte abgeschlossen. Wir konnten sie
an französische, britische und amerikanische Investmentfonds verkaufen.
Jeder deutsche Fond konnte letztendlich riesige Gewinne an die Anleger
auszahlen. Unser nächstes Projekt heißt Bewässerung der Sahara. Wir
legen wieder Fonds auf. Sie sollen in Nord- und Westafrika
Meerwasserentsalzungsanlagen bauen und von da aus riesige Farmen
bewässern. Die Experten aus dem Entwicklungshilfeministerium arbeiteten
schon ganz konkrete Pläne aus, was wann wo zu erledigen ist. Wir werden
auch damit ein Heidengeld verdienen. Der Vorteil dieser Fonds? Sowohl
öffentliche Hand als auch Privatwirtschaft verdienen dabei.
Das
Geld, das wir im Ausland verdienten, wird gut in Deutschland, in der
Heimat, investiert. Die Städte müssen uns regelmäßig melden, welcher
Investitionsbedarf für die lokale Infrastruktur besteht. Dabei spielt
es keine Rolle, ob Straßen und Gebäude renoviert, Büchereien und
Musikschulen größere Anschaffungen erledigen, städtische Museen,
Schauspielhäuser und Opern Investitionen tätigen, Stadtwerke und ÖPNV
aufgerüstet oder andere Infrastrukturmaßnahmen finanziert werden
sollen. Wichtig ist aus meiner Sicht, daß die Städte zu guten
Wirtschaftsstandorten werden.
Vom Wirtschaftsministerium war die
Idee gekommen, Wirtschaftsbereiche wie erneuerbare Energien, der Life –
Science – Bereich oder die Ozeanographie zu fördern. Das
Wirtschaftsministerium übernahm auch die Federführung. Es arbeitete
erfolgreich. Diese Branchen siedeln sich zunehmend hier in Deutschland
an.
Ich kann mich nun allmählich aus der aktiven Politik
zurückziehen, um als „graue Eminenz“ im Hintergrund zu arbeiten. Ich
war 45 Jahre Regierungschef. Als ich mit 21 Jahren eher aus
Verlegenheit in das Amt gewählt worden war, sollte niemand ahnen, daß
ich mich so lange in dem Amt halten würde. Aber egal. Meine Rente ist
gesichert.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Andreas Rüdig).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.01.2009.
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