Gaby Schumacher

Die Treppe der Hoffnung

Lisa betrat das Licht durchflutete Treppenhaus.

So sehr sie ihre bedrückende Gedanken belasteten, vermochte sie in dieser Helligkeit nicht in Panik zu verfallen.

„Ist es nur ein trügerischer Schein oder bedeutet es einen Wink des Schicksals?“

Höher und höher schraubte sich die Treppe. In das Dach des Hochhauses weit über ihr war eine riesige Glaskuppel eingelassen worden, durch das die junge Frau den strahlend blauen Himmel sehen konnte. Dieses Strahlen tröstete ihre sehnsüchtige Seele wie das herzliche Lächeln eines vertrauten Menschen.

 

"Ach, wie schön war es doch damals!"

Die Erinnerung daran wärmte ihr Herz. Gleich erschien ihr die Treppe nicht mehr endlos und die Stufen weniger steil zu sein.

 

Lisa, die Besitzerin eines Buchgeschäftes und Georg, der erfolgreiche Verleger, lernten sich während einer Lesung kennen. Ihre Augen trafen sich, er sprach sie an, sie führten eine interessante Diskussion über das vorgestellte Buch und spürten sofort, dass sie dieselbe Wellenlänge besaßen. Ein Thema löste das vorhergegangene ab. Nach der Veranstaltung bat er sie um ein Wiedersehen. Aus der anfänglichen Sympathie wurde Freundschaft und diese wandelte sich zu einer innigen Liebe. Sie wurden ein Paar und verlebten einige unbeschwerte Monate.

 

"Und dann war plötzlich alles anders, so schrecklich anders!"

Lisa verhielt einen Augenblick. Der Gedanke an das, was das Schicksal ihnen dann beschieden hatte, vernichtete innerhalb einer Sekunde die eben noch empfundenen Glücksgefühle und das Schwere drückte sie nieder.

 

Georgs Verlag ging in den Konkurs, er selber stand hochverschuldet auf der Straße und Lisas Buchgeschäft hielt sich ebenfalls nicht länger. Die Konkurrenz erwies sich als zu mächtig. Für Beide stürzte eine Welt zusammen, zumal wider Erwarten jegliche Versuche scheiterten, doch noch in ihrer Branche Fuß zu fassen. Lisa und Georg verkrafteten dies nicht und sie strandeten als Obdachlose. Nach und nach verschwand das letzte bisschen Hoffnung, jenem entwürdigenden Leben jemals wieder den Rücken kehren zu können. Apathisch ertränkten sie ihre Verzweiflung im Alkohol.

 

Lisa überlief eine Gänsehaut:

"Wenn ich an all die Demütigungen, an die Trostlosigkeit damals denke ... !"

 

Jedoch hielt der Zug des Lebens für die Beiden noch eine Wende bereit, auf die sie keinesfalls mehr zu hoffen gewagt hatten. Eines Tages lernte Georg einen Leidensgenossen kennen. Allerdings war jenem das große Glück vergönnt, trotzdem noch wahre Freunde zu haben, wohlhabende Freunde, die alles daran setzten, ihn wieder von der Straße zu holen. In den Gesprächen mit jenem Mann erwachte Georg aus seiner Apathie und schöpfte neuen Mut, den er dann auch Lisa zu vermitteln suchte. Aber sie fühlte sich ausgelaugt und zu schwach für einen solchen Kampf.

Eines Tages dann ging Georg mit seinem Kameraden fort:

„Ich will so nicht länger leben. Ich werde kämpfen!“, erklärte er ihr.

Der Abschied zerriss Lisa fast das Herz.

 

Monat für Monat verstrich. Dann erfuhr Lisa, dass Georg in der Nachbarstadt Fuß gefasst und auch eine Wohnung gefunden hatte.

„Es kann also doch klappen ... !“

Diese Überlegung rüttelte sie aus der Lethargie und gab ihr die für immer verloren geglaubte Energie zurück. Die sich ständig steigernde Sehnsucht nach dem Mann, den sie von ganzem Herzen liebte, bewirkte ihr Übriges. Lisa nahm eine Putzstelle an, fand eine kleine Wohnung und führte wieder ein normales Leben. Nach und nach kehrte ihr Optimismus zurück. Sie kündigte und bewarb sich mit Erfolg als Buchverkäuferin, fand neue Freunde und Freundinnen.

Aber die Sehnsucht nach Georg nagte immer drängender an ihr. Von den ehemaligen Kameraden erfuhr sie seine Adresse. Nichts hielt sie mehr zurück. Diesmal lenkte nicht das Schicksal sie, sondern sie das Schicksal.

 

Sie machte den Schritt in die Ungewissheit, der gleichzeitig das Zeichen für ihr neues Selbstwertgefühl war.

„Ich kann stolz auf mich sein!“

Leichter wurde es ihr zumute und mit beschwingten Schritten lief sie die letzten Stufen bis zur fünften Etage hinauf. Dort stand sie dann vor seiner Wohnung und betrachtete das elegante Namensschild.

„Ja, Georg, du hast es geschafft!“

Nachdem sie die Klingel gedrückt hatte, lauschte sie den sich der Türe nähernden vertrauten, so sehr geliebten Schritten und sehnte sich mit klopfendem Herzen nur noch der Sekunde entgegen, in der er ihr gegenüber stehen würde. So wie früher.

„Ob er mich noch will?“

Die Türe öffnete sich. Stumm sah Georg ihr in die Augen. Sein Blick verriet alles. Sämtliche Ängste sowohl alle Fragen, die sie beschäftigt hatten, waren unnötig gewesen. Sie war endlich zu Hause. Bei ihm.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.01.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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