Frank Hornburg

Der Bahnhof

 

Ich stand auf dem Bahnsteig und wartete mit vielen anderen Leuten auf den Zug, der wieder einmal Verspätung hatte. Schon lange wollte ich mal wieder nach Berlin fahren und nun hatte ich endlich einmal Zeit dazu. Endlich kam der Zug, der natürlich brechend voll war. Wir fuhren und ich vertrieb mir die Zeit mit meinem MP3-Player. Plötzlich hielt der Zug an einem Bahnhof, der nirgendwo verzeichnet war. Dass die Züge öfters mal mitten auf freier Wildbahn hielten wusste ich ja schon, aber niemals so genau in einem Bahnhof. Die Reisenden warteten auf eine Lautsprecherdurchsage, die auch sofort folgte:

„Sehr verehrte Reisende, es tut uns sehr Leid. Aufgrund von technischen Schwierigkeiten fährt dieser Zug nicht über den Bahnhof Wannsee. Reisende dorthin steigen bitte hier aus und nehmen einen anderen Zug. Beachten Sie dazu die Lautsprecherdurchsagen auf dem Bahnsteig. Wir bitten um ihr Verständnis und wünschen ihnen einen schönen Tag.“.

Murrend stand ich auf und verließ den Zug. Unglücklicherweise wollte ich am Wannsee aussteigen, denn da war eine Ausstellung, die mich interessierte. Na ja, sei es drum. Musste ich eben auf die nächste Bahn warten. Als ich mich umschaute, konnte ich keine Lautsprecher entdecken. Aber dafür waren die Steinplatten schön gepflegt und auf dem Bahnhofsschild stand in schicker Schrift das Wort Marker Bahnhof. Die Leute auf diesem Bahnsteig warteten viel gelassener auf den Zug als auf anderen Bahnhöfen. Ich schlenderte durch eine Flügeltür ins Empfangsgebäude und studierte den Fahrplan. In einer Viertelstunde kam der nächste Zug. Da ich noch Zeit hatte, besichtigte ich die Architektur des Hauses und stellte fest, dass es viel schöner als andere Bahnhofshallen aussah. Die Zeit verging wie im Fluge und schließlich lief ich zu den Gleisen, weil die Bahn in einer Minute einfahren sollte. Doch fünf Minuten später stand der angekündigte Zug immer noch nicht bereit. Verwundert ging ich zum nächsten Schaffner und fragte nach der Verspätung. Kopfschüttelnd zog er eine goldene Taschenuhr aus der Jacke und sagte:

„Es ist erst fünf Minuten nach drei. Der nächste Zug müsste in fünf Minuten da sein.“.

„Aber es ist jetzt bereits viertel nach drei und ich muss zum Wannsee.“.

„Der nächste Zug zum Wannsee kommt in fünf Minuten.“, wiederholte der Schaffner.

Ich bedankte mich für die Information und setzte mich auf eine Bank. Schnell war eine Viertelstunde vergangen, mir wurde langsam unheimlich zu mute. Zumal ich ja wieder nach Hause musste. Auf einmal kam mir eine Idee: Ich hatte doch eine Bahnkarte dabei. Also packte ich diese aus und sah, dass der Wannsee nur einige Meterchen entfernt sein musste. Ich stellte aber auch fest, dass der Marker Bahnhof gar nicht eingezeichnet war. Aber der vom letzten Bahnhof aus waren es nur einige Meterchen zu Fuß. Ich packte die Karte wieder ein und steuerte auf den Ausgang zu. Doch was war das? Der Ausgang war mit Brettern vernagelt. In dem Moment hörte ich Schreie hinter mir und drehte mich um. Die Leute waren verschwunden und das gesamte Gebäude war mit ruß überzogen. Das Dach fehlte, durch den Boden wucherten Pflanzen. Die schicken Glasscheiben waren weg und überhaupt sah das Haus verfallen aus. Auf dem Bahnsteig bot sich mir dasselbe Bild. Verzweifelt und verwirrt setzte ich mich auf eine Bank und dachte nach. Auf einmal hörte ich eine Stimme, die vom leeren Gleisbett her. Es war ein Mann in Bauarbeiteruniform der sich gewundert hatte, warum sich jemand auf dem verfallenen Bahngelände herumtreiben sollte. Dann erklärte er mir, dass es im Jahre 1951 ein Feuer gab, welches den gesamten Bahnhof vernichtete. Ich bin dann nicht zum Wannsee gefahren, sondern nach Hause. Es sind vier Stunden vergangen, die mir wie eine vorgekommen war. Noch tagelang dachte ich über das Erlebte nach, aber fand keine Erklärung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.01.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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