Ramona K.

Fast ein guter Tag

 

Kai ging am Ufer des Flusses entlang, der sich schlängelnd durch die Landschaft wand.

Der Fluss war nicht sehr breit, dafür konnte er an manchen Stellen jedoch sehr tief werden. Man musste aufpassen, wo man hintrat. Aber Kai kannte sich aus.

An der Uferböschung stand das Schilf hoch und gab einem einen gewissen Sichtschutz. Wenn man sich verstecken wollte, konnte man es hier sehr gut aushalten.

Kai genoss es hier zu sein. In der Stille konnte sie ihre Gedanken ordnen, jedenfalls soweit wie möglich. Hinter ihrer Stirn herrschte fast nie Ruhe. Ständig machte sie sich Gedanken.

Wenn sie hier am Ufer des Flusses saß, den sie so gern hatte, dann dachte sie zwar noch immer viel nach, doch wurde der Gedankenstrom wenigstens ein wenig gezähmt, alles war irgendwie leichter.

 

Sie bemühte sich, flache Steine über das Wasser springen zu lassen, doch nur mit mäßigem Erfolg. Sie wollte aber nicht aufgeben, es zu versuchen. Irgendwann würde es schon klappen, sagte sie sich.

 

Gleich würde vielleicht ihre Freundin mal wieder zu ihr stoßen. Sie kannte als Einzige den Platz, an dem Kai ihre freie Zeit verbrachte, war aber leider schon längere Zeit nicht mehr hierher gekommen.

 

Es war der einzige Ort, an dem die beiden sich sehen konnten. Aber es war ja auch ein guter Ort. Ein schöner Ort, um sich Geschichten zu erzählen, zu flachsen, oder einfach um still beieinander zu sitzen. Oft aber, hielt sich Kai allein hier auf.

 

Unbekümmert, die sorgenvollen Gedanken zum Schweigen gebracht, lief sie im Sonnenschein den Fluss ein Stück hinauf. Die Schuhe hatte sie ausgezogen, um den warmen Sand unter ihren Füßen zu spüren. Es war beruhigend.

Dann bemerkte sie ein leises Geräusch. Woher es kam wusste sie nicht direkt einzuordnen.

Ein Rascheln im Schilf. „Hallo? Ist da jemand?“, fragte sie, dem Schilf zugewandt.

Keine Antwort.

„Komm raus, Katrin, ich weiß, dass du es bist“, unsicher, ob dies tatsächlich der Fall war.

Im Schilf raschelte es nun lauter. Das Geräusch kam näher, und das Schilf teilte sich vor ihr.

Heraus trat ein Junge, den sie noch nie gesehen hatte.

 

„Hallo“, sagte er scheu, jedoch mit einem kleinen Lächeln. Der Junge sah nett aus, fand Kai.

Er hatte dunkles Haar, dass ihm strubbelig vom Kopf abstand. Sein Pony hing ihm fast in den Augen.

„Hey“, sagte sie. „Möchtest du dich zu mir setzen?“.

„Ja, gern“, antwortete er.

„Ich habe dich hier noch nie gesehen“, meinte Kai. „Kaum jemand kennt diesen Ort.“

„Na, du kennst ihn, und jetzt kenne ich ihn auch“, antwortete der Junge verschmitzt.

„Wie heißt du denn?“, fragte er nach einer kurzen Pause.

„Mein Name ist Kai“, sagte sie.

„Kai??“, fragte er verblüfft nach. „Was ist das denn für ein Name? Du bist doch ein Mädchen, oder etwa nicht?“

Kai kannte diese Frage nur zu gut. Es war eine Plage.

„Und wie ist dein Name?“, erwiderte sie, ohne auf seine zu antworten.

„Mein Name ist Adam“, sagte er.

„Adam. Wie der aus der Bibel?“, hakte sie nach.

„Ja, genau wie der.“

„Gefällt mir“, meinte Kai nur.

„Und wie alt bist du?“, wollte sie noch wissen.

„Ich werde bald neun, und dann komm’ ich in die dritte Klasse“, verkündete er stolz.

„Ich bin schon in der dritten Klasse“, sagte Kai.

 

Es erfolgte eine kurze Stille, die jedoch nicht unangenehm war. Es war, als würde sie Adam bereits lange kennen und als sei es nicht das erste Mal, dass sie zusammen hier an „ihrem“ Flussufer saßen.

 

„Kannst du Steine über das Wasser flitschen lassen?“, fragte Kai und drehte sich so, dass sie Adam ansehen konnte.

„Na logo!“, sagte er.

Und dann noch: „Ich kann es dir zeigen, wenn du magst.“

 

Kai freute sich riesig. Sie hatte einen neuen Freund gefunden.

Sie stand auf, um geeignete Steine, die flach genug waren, um sie hüpfen zu lassen, zu suchen.

Sie fand in kürzester Zeit gleich sechs Stück. Das würde erst einmal genügen müssen.

 

Als sie sich umdrehte, um zurück zu Adam zu gehen, und ihm drei der Steine zu geben, konnte sie ihn nicht entdecken. Er war sicher nur ein Stück weiter in die andere Richtung gegangen, um ebenfalls nach Steinen zu suchen für sie, beruhigte sie sich. Doch auch, als sie ein Stück weiter lief, um die leichte Biegung des Flusses herum, konnte sie ihn nirgends sehen.

„Adam?“, rief sie laut. „Versteckst du dich? Wo bist du?“

Sie lauschte in die Stille hinein, aber es war kein Mucks zu hören.

 

Traurig setzte sie sich wieder ans Flussufer. Warum war Adam weggelaufen?

Vielleicht mochte er sie ja nicht mehr. Oder er durfte nicht länger hier bleiben.

 

Plötzlich stieg ihr ein seltsamer Geruch in die Nase, den sie nicht zuordnen konnte. Sie fühlte sich schwer, so als würde sie durch Schlick laufen und herunter gezogen werden, als sie aufstand, um der Ursache des Geruchs auf den Grund zu gehen.

 

„Beeil dich!“, hörte sie eine Stimme hinter sich. Sie schnellte herum und sah ihre Freundin Katrin.

„Wo bist du denn hergekommen?“, fragte Kai.

„Du musst dich beeilen“, rief Katrin ihr wieder zu. Diesmal drängender.

„Es riecht komisch, weißt du warum?“, fragte Kai. Sie fühlte sich ganz merkwürdig.

Katrins Gesicht verzerrte sich zu einer grausigen Fratze und sie rannte auf Kai zu.

Und bevor Katrin sie erreichte …

 

… wachte Kai auf.

 

Noch benommen, nur halbwach, ihr Herz noch rasend, setzte sie sich auf.

Sie konnte den Gestank noch immer riechen. Sie schüttelte sich, wie um den Rest des Traumes abzuschütteln. Sie war nun hellwach. Der Geruch aber blieb. Sie schnellte aus dem Bett, weil sie Angst hatte. Sie lief in das Schlafzimmer ihrer Mutter, dass direkt an ihres grenzte.

Hier war der Geruch viel stärker. Sie konnte nicht gut sehen, da nur die kleine Nachttischlampe, neben dem Bett ihrer Mutter, brannte. Ihre Mutter lag schlafend im Bett und bemerkte nicht, dass etwas nicht stimmte.

 

Kai ging näher ans Bett und konnte nun gut erkennen woher der Geruch kam. Panisch rief sie nach ihrer Mutter um sie zu wecken. Dann rannte sie ins Bad und nahm sich Handtücher, die sie im Waschbecken nass machte. Damit lief sie nun ins Schlafzimmer, weinend und in heller Panik. Schnell warf sie die Handtücher über die angekohlten Schuhe, die neben dem Bett standen und schüttelte ihre Mutter, um sie zu wecken. Diese jedoch schlug ihren Arm weg, schaute kurz zu ihr und murmelte nur unverständlich etwas, das klang wie: „Ls mch chlfen. Ls mch n Rhe.“

 

Kai wusste, dass es sinnlos war, es weiter zu versuchen.

Sie vergewisserte sich, dass nichts mehr glimmte, nahm die Zigaretten und den Aschenbecher vom Nachttisch ihrer Mutter weg, und brachte sie ins Wohnzimmer.

 

Langsam beruhigte Kai sich und sah sich nochmals im Wohnzimmer um, räumte die leeren Flaschen in die Küche, und leerte die restlichen Flaschen im Spülbecken aus.

Das würde zwar Ärger geben, aber das machte ihr jetzt nichts.

 

Sie war zwar nun wach, aber da sie morgen früh zur Schule musste, sollte sie noch ein wenig schlafen. Sie vergewisserte sich, dass ihr Wecker auch wirklich gestellt war und legte sich ins Bett.

Als sie sich hinlegte, dachte sie darüber nach, was alles hätte passieren können und weinte.

 

Irgendwann wurde ihr Schluchzen leiser, ihr Atem ruhiger und sie schlief schon fast, als sie daran dachte, dass sie Adam und Katrin ja eventuell wieder treffen, und einen schönen Tag mit ihnen verbringen könnte.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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