Klara Stubenrauch

Das ist eine dumme Idee

Die Schritte kommen immer näher. Laute Rufe dröhnen durch das Haus. Schnell verstecken sich die beiden Kinder unter dem Bett. Sie hatten schon vorher die Sirenen gehört, die die Menschen vor den ständigen Bombenangriffen der Französischen Kriegsdüsenjäger warnen sollen. Die Eltern rennen dann immer durch die Häuser und suchen ihre Kinder um sie in den Keller zu bringen. Das haben Ida und Jan schon oft miterlebt. Ida ist erst sechs Jahre alt. Ein Jahr älter als ihr Bruder Jan. Sie sind schon oft mit ihrer Mutter in den Keller geflüchtet. Auch jetzt sucht die Frau voller Sorge ihre Kinder, aber diesmal haben die Beiden keine Lust. Heute liegen die Geschwister unter dem  Bett, als die Mutter in das Zimmer stürmt und flüchtig die Schränke durchsucht. Als sie nichts findet, ruft sie laut und sucht im nächsten Raum. Unter dem Bett hat sie nicht nachgeschaut. Als die hurtigen Schritte wieder verklingen, kriechen die Kinder aus ihrem Versteck hervor. Plötzlich ertönt ein schrecklich lauter Knall. „Irgendwo ist eine Bombe eingeschlagen.“ sagt Ida. Sie laufen ans Fenster und schauen auf das weite Meer. Wenn sie aus dem Fenster schauen sehen sie immer nur Meer und Himmel. Manchmal auch die schmale Straße, die sich am Ufer entlang zieht. Aber nur wenn sie sich weit nach vorne beugen, die liegt nämlich genau am Fuß des Hauses. Am Abend kommt immer die Sonne. Sie steht genau über dem Meer bevor sie darin untergeht. Die Kinder schauen in den Himmel und suchen den hellen Feuerball. Sie finden ihn schnell, denn der ganze Himmel ist rot. Und am rötesten ist es bei der untergehenden Sonne. Der Himmel spiegelt sich im Wasser. Mit all seinen Sternen. Dann glitzert das Wasser und Ida sagt dann immer: „ Jetzt kommen die Wasserfeen und wenn man lange genug auf die Oberfläche schaut, sieht man eine den Kopf aus den Wellen stecken. Aber nur wenn man ganz gut hinschaut.“
 
Jan hat noch nie ein Fee gesehen aber Ida schon. Das hat sie selbst gesagt. Gerade fliegen zwei Düsenjäger an der Sonne vorbei. „Wie schön das ist.“ flüstert Jan. „Die Düsenjäger?“ fragt Ida. Jan schüttelt den Kopf. „Nein “,sagt er leise: „die Sonne.“ Ida nickt langsam. Dann springt sie auf und zieht aus einer Kiste eine kleine Puppe hervor.
 
„Wenn die Sonne das Wasser berührt ,werfe ich mein Mädchen da rein.“ Sie deutet auf  das Wasser. „Dann kann sie über das Meer zur Sonne laufen und sie anlangen.“ „Nein.“ Sagt Jan: „Sie würde verbrennen und dann im Wasser untergehen. Genau wie die Sonne.“ Ida schüttelt den Kopf: „Sie wird nicht verbrennen. Sie wird ihr eine Nase malen.“ „Eine Nase?“ fragt Jan. „Ja.“ Meint Ida. „Und?“ - „Und Augen.“ – „Einen Mund auch?“ – „Einen Mund auch. Mit Ohren!“ Jan wirft eine Murmel aus dem Fenster. Die Kugel schlägt auf dem Ufersteg auf, hüpft noch einmal hoch und rollt über den Rand ins Wasser. Jan verfolgt sie mit den Augen vom Fall bis zu dem Moment, als sie vom Wasser verschluckt wird und sie nicht mehr zu sehen ist. Er lauscht dem dumpfen „Deung, Deung, Platsch“, lehnt sich an die Wand und sagt, fast flüsternt: „Das ist eine dumme Idee, der Sonne ein Gesicht mit Ohren zu malen.“ „Warum?“ fragt Ida. Jan sagt traurig: „Wenn die Sonne Augen hat, sieht sie den Krieg.“ „Wenn die Sonne eine Nase hat, riecht sie das Pulver.“ Ergänzt Ida. Jan nickt : „Wenn die Sonne einen Mund hat, schmeckt sie das Blei, das in der Luft fliegt.“ Ida schaut ihre Puppe an. „Wenn die Sonne Ohren hat, hört sie die Schreie.“ „Aber das schlimmste“ sagt Jan, „ist: wenn die Sonne Augen hat, sieht sie die ganze graue Welt. Und dann scheint sie nicht mehr.“ Ida setzt sich auf das Bett. „Aber wir könnten an sonnigen Sommertagen in ihre leuchtenden Augen schauen. Und sie könnte singen, wenn ihre Nase über den Horizont blinzelt.“ Jan öffnet das Fenster und setzt sich auf die Fensterbank. Dann lacht er: „Mit ihren Ohren könnte sie hören, wenn jemand seine Taschenlampe nicht findet. Und dann könnte sie ihm ihr Licht schicken.“ Er lacht leise. „Ja,“ sagte Ida: „so wird es auch sein. Wenn mein Mädchen losläuft, wird sie meine Wachsmalkreiden in der Hand halten. Blau, für die Augen. Grün, für die Nase.“
 
„Und Rot, für den Mund!“ lacht Jan. „Ja!“ lacht auch Ida. Plötzlich hören sie noch einen Knall. Noch lauter als der Erste. Dann wackelt das Haus. Ida fällt auf den Boden und sieht gerade noch wie die Wand zum Flur eingerissen wird. Bretter und Staub fliegen durch die Luft und Ida muss husten. Der Staub brennt in ihrem Hals. Sie steht auf ,doch dann knallt es noch einmal. Das Beben zieht ihr die Beine weg. Als sie auf dem Boden aufschlägt, schmeckt sie Blut. Des Lärm ist unerträglich. Wieder knallt es. Ida schreit vor Schmerz und Angst. Da fällt ein großes Brett auf ihren Rücken. Ida brüllt vor Schmerz auf. Auf einmal ist alles leise. Als sich Ida unter dem schweren Brett hervorzieht, kann sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie betrachtet ihr zerstörtes Zimmer. Als sie sich zur Sonne dreht, scheint sie ihr direkt in Gesicht. Das Fenster ist weg. Die Wand und Jan auch...
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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