Auf der Toilette hinter einer schmutzigen, verschmierten Tür sitzt reglos an die Wand gelehnt ein Stück Mensch, wie sonst soll man es nennen:
Die blutunterlaufenen Augen weit offen mit zu stecknadelgroßen schwarzen Punkten geschrumpften Pupillen. Manchmal zuckt sie krampfhaft oder ein zufriedenes, vielleicht sogar glückliches Lächeln breitet sich für kurze Momente auf ihrem kleinen, wächsern-bleichen Gesicht aus. Der linke Ärmel ist hochgeschoben, den Oberarm hat sie mit ihrem Hosengürtel abgebunden. Die Spritze liegt im Aschenbecher an der Wand. Ihre Armbeuge ist übersät ist mit blutverkrusteten, entzündeten Löchern. Ein dünner Blutfaden rinnt über die weiße Haut, tropft langsam auf die ungeputzten Fliesen am Boden, dem das egal ist, weil er schon "Schlimmeres" gesehen hat.
Vor ein paar Wochen erst ist sie in der Stadt angekommen - aus dem Dorf. Raus aus dem langweiligen Leben, das sie führte, hatte sie wollen. Lernen und vor allem zu leben war jetzt ihr Wunsch gewesen. Ihre neuen Freunde hatte sie bald gefunden und sie lachten mit ihr, waren so anders als diese spießigen Landkinder aus ihrer Vergangenheit. Sie rauchte ihren ersten Joint.
Alles wurde ganz langsam, ging wie in Zeitlupe vor sich. Sie fühlte sich wie in Watte gepackt. Sonst war da kein Gefühl, es 'gab' ihr nichts. Einige Zeit später bei einer Party gaben sie ihr Koks und sie wurde high. Und dann sagten sie - "eine Spritze ist keine Spritze." ... Einmal werden sie die WC-Türe aufbrechen - dann, wenn sie nicht mehr herauskommt - und man wird eine oder zwei Zeilen in irgendeiner Zeitung weit hinten lesen können, die lauten werden wie - "... schon wieder ... erst 16 ... armes Kind ..." - und in der Drogenstatistik wird sie gar nicht weiter auffallen.
Nur zu Hause, in dem langweiligen Dorf, werden sie weinen und nicht verstehen, warum ein Mensch sterben mußte, der doch das Leben gesucht hat.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.01.2009.
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