Klaus Lutz

Die Reise


Man muß weiter machen. Gegen alle Widerstände. Gegen alle Lügen,
Unterstellungen, Hinterhältigkeiten und Verleumdungen. Irgendwie, ist
das nun mal das Leben. Und am Ende formt es die Lebenskunst. Und
gehört damit zu dem Spaß, der dem Leben etwas vollkommenes ver-
leiht. Ohne die Menschen, die einen eiskalt hassen oder heiß lieben,
wäre das Leben nichts. Und es ist das Glück, wenn das ganze mit Phan-
tasie geschieht. Nur so wird der Hass, ebenso wie die Liebe, zu einem
Genuß. Aber trotz dieser Freude, muß ich wieder zu leben anfangen.
Etwas unternehmen, was diesem Leben einen Sinn gibt. Jeden Tag
schreiben.

Die Reise

Ich war zum ersten mal, seit meinem Unfall mit dem Rollstuhl unterwegs.
Drei Wochen Tunesien und dann wieder zurück. Alles stand fest. Hotel,
Vollpension, Strand und Sonne. Zu 100 Prozent war klar, was geschehen
würde. Im Rollstuhl war nun alles endgültig. Ein Leben ohne Überrasch-
ungen. Das Leben von Allen. Die im Urlaub bis um 10 Uhr schlafen und
sich dann an den Strand legen. Und zu Hause bis um 6 Uhr schlafen und
dann zur Arbeit gehen. Und das alles so, als gäbe es sonst nichts. Meine
bisherigen Reisen waren immer ein Abenteuer. Ich wußte nie wo ich am
Ende, ankommen würde. Aber ich kam dem Ziel immer ein Stück näher.
Zu dem Leben das Echt ist
.

Jetzt würde alles anders sein. Das hatte mit gewohnten Reisen nichts zu tun.
Ich brauchte Zeit, um mich zu erholen. Und Zeit, um Abstand zu gewinnen.
Von Nachbarn und anderen netten Leuten. Und vielen Flachsinnshöhepunk-
ten an Schlauheiten. Und von all dem Behindertenmist. Von Ärzten, Rollstuhl-
gruppen und Ämterkram.


Alles ist geistige Kindergartenakrobatik. Aber nicht das Leben. Nur auf Äm-
ter angewiesen zu sein, hat keinen Charme. Und von Lebenskunst, ist das
alles sehr weit entfernt. Das Leben ist immer der nächste Antrag. Und die
Welt ist nur noch ein kleines Amt. Und mit jedem neuen Antrag wird dieses
Leben kleiner. Und die kleine Welt mächtiger. Und ständige Erkrankungen,
sind der Himmel unter dem das Ganze geschieht.


Jetzt kam der letzte Aufruf. Ich wurde mit dem Rollstuhl ins Flugzeug gebracht.
Und auf einen Platz gesetzt. Die Begleitung nahm neben mir Platz. Ich suchte
etwas das aufheiternd ist. Ich schaute mich im Flugzeug um. Aber ausser den
Stewardessen gab es nichts interessantes. Ich hätte eine nette Geste oder einen
freundlichen Blick gebraucht. Oder eine höfliche Frage:" Was möchten Sie trink-
en, oder sitzen Sie bequem." Irgend eine Simulierung von Zuneigung. Wenn auch
nur von einer Stewardess. Und wenn auch nur, mit rein beruflicher Professionali-
tät. Ich wollte lesen, aber konnte mich nicht konzentrieren. Ich hätte mich gerne
unterhalten. Aber entweder die Begleitung hatte keine Lust, oder redete nur Blöd-
sinn. Ich schloß die Augen. Und ging zurück an Plätze die schön waren. Und zu
Menschen mit denen ich Glücklich war. Und träumte.


Am Flughafen stand für die Passagiere ein Bus. Der Alle zum Hotel fuhr. Wir
waren Stunden unterwegs. Und ich sah mir das Land an. Mir gefielen die Städte.
Die weißen Häuser. Die Straßencafes, die Märkte. Und die kleinen Geschäfte
mit ihren Auslagen. Ich wäre gern durch eine dieser Städte gebummelt. Und
hätte am liebsten in einem dieser Cafes gesessen. Und das ganze Treiben dort
miterlebt. Gespräche, Tee und Menschen die all das mögen
.

Das Hotel hatte ein Gebäude mit Rezeption, Barraum und Restaurant. Und et-
liche Bungalows. Zum Inventar des Barraums gehörten Sessel und Tische. Und
eine Vitrine mit Kuchen. An den Pfeilern hingen Bilder. Die Wände hatten einen
roten Anstrich. An der Theke gab es etliche Barhocker. Und Flaschen mit Whisky,
Cognac, Schnaps und Likör. Und Bier und Limonade.


Unser Bungalow hatte ein Zimmer, mit einem Doppel und Einzelbett. Einen
Kleiderschrank und eine Komode. Vor dem Fenster hingen blaue Vorhänge.
Die Wände waren geweißt. Und es gab ein Telefon, das aber ausser Betrieb
war. In einem Nebenraum war die Toilette und Dusche untergebracht.


Die Begleitung hatte mehr erwartet. Und überlegte noch, ob er ein trauriges,
freundliches oder überhaupt kein Gesicht machen sollte.


Ich bestellte noch einen Tee. Ich stand in einer gemütlichen Ecke. Und konnte
mit Ruhe alles beobachten. An der Bar und an den Tischen saßen einige Gäste.
Aus Lautsprechern kam Musik. Zwischen den Tischen spielten Kinder. Kellner
notierten Bestellungen. An der Rezeption redeten einige Leute mit einer Ange-
stellten. An der Eingangstür standen Koffer und Reisetaschen. Zwei Tische weit-
er, las ein Mann eine französische Zeitung
.

Ich dachte an Menschen, die ich von meinen früheren Reisen kannte. An all die
Träumer, Gläubigen und Clowns. Für die das Reisen die Bühne ist, auf der nie-
mand Sie demütigt und verletzt. Liebende, an denen ein Heer von Narren vor-
über geht, denen nichts die Augen öffnet. Ich wünschte Sie mir alle an meinen
Tisch. Ich hätte den Rollstuhl vergessen. Und wäre noch einmal mit Ihnen gereist
.

Ich mochte immer das Alleine sein. Ich konnte meine Sachen packen und ein-
fach verreisen. Wann immer ich wollte. Oder ich schmiß einfach einen Job. Und
genoß das Leben. Ging Spazieren. Las viel. Dachte nach. Und war zufrieden.
Ich vermißte nie etwas, weder Fernsehen noch Radio. In meinem Kopf waren
immer tausende von Geschichten. Und Eine, endete interessanter, als die An-
dere. Ich hatte alle Gedanken, mit denen das Leben ein Spiel ist, das zu spielen
sich lohnt. Und Tage die nie langweilig wurden. Mein Leben war ein Plan, der
immer in die Freiheit führte. Und nur da traf ich Menschen mit denen ich leben
konnte.


Der Rollstuhl hatte das alles verändert. Ich mochte kein Geschleime und Ge-
sülze. Keine Heuchelei und Geschwätz. Und das traf ich nun fast überall. Und
in der dümmsten Form. Leute die nur mit Ihrer Arroganz glänzen. Da Ihnen
dies mit Ihrem Denken nicht möglich ist. Und die glauben, das sei das beson-
dere Leben.


Ich wollte mit diesen drei Wochen etwas sinnvolles anfangen. Ich hatte mir Fran-
zösische und Spanische Lehrbücher mit genommen. Ich hatte nach meinem Un-
fall angefangen Sprachen zu lernen. Einfach weil ich eine Beschäftigung brauchte.
Etwas an dem ich mich in Disziplin üben konnte. Ich sagte mir:" Lerne täglich
zwei Stunden." Und schaffte dann gerade mal eine Stunde. Aber ich hatte etwas
zu tun.


Ich war Frührentner. Und mußte etwas neues für mich entdecken. Eine Freiheit,
mit der dieses Leben nichts sinnloses ist. Auch nicht mit einer Querschnittlähm-
ung. Ich blieb zwar Volkswirtschaftlich ein Nullfaktor. Aber so konnte ich allen
Vorurteilen trotzen. Ich hatte Phantasie. Aber für dieses Leben brauchte ich auch
die besten Ideen. Um bei der Klarheit, mit der ich meine Situation sah, nicht wahn-
sinnig zu werden
.

Die Begleitung lag schon seit Tagen im Bett. Und schlief fast nur noch. Aber
sein Schnarchen war sympathisch. Und niemand konnte glauben, das er etwas
positives als Eigenschaft besitzt.


Ich mochte das Frühstück. Den Trubel im Restaurant. Am Büffet. Den ganzen
Lärm, das Durcheinander und Chaos. Die Kinder die umher irrten. Die Erwachs
enen, die noch verkatert aussahen. Und das Büffet, die Insel! Auf die sich alle
mit letzter Kraft retteten. Und sich Teller für Teller, einen Schritt weiter in Sich-
erheit begaben. Solange bis der Gipfel des Büffetgebirges errei-reicht war. Und
keine Gefahr mehr drohte.


Woran hätte der Mensch seinen Spaß, wenn er Vollkommen wäre? Wie wäre
dann sein Denken und Wissen? Und was würde er Leben und Fühlen? Wie wür-
de sein Umgang mit sich und der Welt aussehen? So weit ich sah, ist er im Urlaub,
diesem Ideal sehr nahe.


Es gab überall Stufen. Allein kam ich nicht zum Barraum. Nicht zum Restaurant.
Nicht zum Bungalow. Alleine kam ich auch nicht zur Dusche. Nicht zur Toilette.
Und auch nicht an die Kleidung im Schrank. Allein konnte ich auch die Hotel-
anlage nicht verlassen. Und allein konnte ich auch nicht die Städte und Orte besich-
tigen die interessant sind. Nicht nach Sousse. Nicht nach Hamameth. Nicht zu
den Ruinen von Karthago. Die einzige Abwechslung in diesen drei Wochen, war
ein Ausflug nach Tunis. Und ein kleiner Ort, nahe der Hotelanlage, zu dem ich ein-
mal fuhr. Meine Urlaubshilfe hatte zwar immer gute Laune. Und lag auch gern in
der Sonne. Und konnte auch Stundenlang an Cocktails schlürfen. Und das mit
Sonnenbrille und sehr viel Phantasie. Aber alles Andere war Ihm fremd
.


Ich weiß nicht ob es Ihre Augen waren. Oder Ihre Haare. Oder die Beine. Aber
ich hatte mich in Sie verliebt. Aber vielleicht fand ich sie auch nur sympathisch.
Ihre Freundlichkeit. Ihren Charme. Ihren Humor. Und wie sie sich bewegte. Und
mit Anderen diskutierte. Und wie all dies etwas angenehmes hatte. Aber even-
tuell, hatte ich mich überhaupt nicht in Sie verliebt! Und mochte Sie nur, weil Sie
mir Aufmerksamkeit schenkte. Sich hin und wieder mit mir unterhielt. Oder sich
zu mir setzte und etwas erzählte. Und mir auch mal ein Getränk an den Tisch bra-
chte. Und voller Toleranz und ohne Vorurteile zu sein schien. Aber wahrschein-
lich war es doch bloß ein Gefühl für Sie? Und ich sah Sie nur gern! Und es war
nichts besonderes, wenn ich mich in Ihrer Nähe besser als normal fühlte. Und ohne
bedeutung, wenn Sie mir hin und wieder zulächelte. Oder einen Klaps auf die Schul-
ter gab. Und Sie war auch nicht das, mit dem es im Leben etwas gibt, das Glück
heißt!

Mit dieser Behinderung ist das Verhältnis zu Frauen sowieso ein Drahtseilakt. Und
ein Absturz für das Publikum das Amüsanteste. Und das, worauf der ganze Zirkus
sich freut und wartet.


Ich lag im Bett. Michelle war gerade gegangen. Sie hatte sich geduscht. Sich noch
einige Minuten zu mir gesetzt. Und wollte nun Freunde besuchen. Ich fand noch eines
Ihrer Haare. Und am Arm war noch, ein Fleck von Ihrem Lippenstift. Und sie hatte
eine Haarspange vergessen. Ein Handtuch von Ihr hing über dem Stuhl.Und auch
Sandalen von Ihr standen noch in der Ecke. Und auf dem Fußboden lag noch das
Kissen, das sie aus dem Bett geschubst hatte.


Ich würde Sie am nächsten Tag wieder sehen. Ich war im Barraum mit Ihr verabre-
det.Das waren noch genau 13 Stunden 21 Minuten und 3 Sekunden. Oder 60 Kilo-
meter Fußmarsch auf ebenen Gelände. Oder 6 mal Casablanca und 6 mal „as Times
goes bye." Und Bogey. Oder 7 Aufenthalte in meinem Lieblingscafe
.

Die Begleitung lächelte ständig. Nach einigen Tagen merkten das die Leute. Und läch-
elten nicht mehr zurück.


Auf meinem Hosenbein, hatte sich eine Ameise verirrt. Sie bewegte sich zuerst in
Richtung des Knies. Dann ging Sie auf die Hosentasche zu. Und drehte sich einige
male im Kreis. Schließlich, lief Sie zur Innenseite der Oberschenkel. Machte aber
kehrt und nahm Kurs auf den Bauchnabel. Und hielt dann auf einmal inne. Auf dem
Gehweg, waren zwar einige Ihrer Gattung. Aber von da gab es wohl keine Hilfe. Ihr
mußte selbst was einfallen. Das Beste war, zuerst wieder zurück zum Knie. Und üb-
er das Schienbein zum Hosenbund. Und dann auf den Schuh. Und von da zum Geh-
weg. Und zu Ihren Artgenossen. Es gab eine Rettung. Und ich war sicher, das Sie
die fand
.

Ich stand mit dem Rollstuhl vor dem Bungalow. Eine Frau, war gerade beim Reinig-
en unserer Herberge! Und ein Mann brachte Kleidung von der Wäscherei zurück.
Zwei Gärtner, waren mit dem Pflanzen von Blumen beschäftigt. Nebenan spiel-
ten einige Leute boule. Im Schatten eines Baumes, las eine Frau eine Zeitung. Die
Straße herunter zum Hotel kam ein Lieferwagen. Auf dem Parkplatz, standen zwei
Reisebusse.


Der Himmel war ohne Wolken. Und der Tag ein Meer aus Lichttropfen. Und ein
Gedanke, wie ein unsinkbares Schiff. Und das Land die Körper die sich liebten.
Und die Sprache waren Reisen zu neuen Freunden. Zu Kontinenten die sich nur
von Gefühlen erobern ließen. Und die Heimat, in der Musik das Denken ist.


Michelle war schon im Barraum. Einige Ihrer Freunde und Freundinnen waren bei
Ihr. Sie unterhielten sich, stritten und lachten. Niemandem fiel auf, das mein franzö-
sisch holprig war. Alle meine Beiträge schienen perfekt. Auf dem Tisch, stand eine
Flasche bester Wein. Michelle nahm meine Hand.
 


 

der text wurde veröffentlicht.
und gut aufgenommen! lg Klaus
Klaus Lutz, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.02.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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