Josef Haider

Zwischen Thujenzaun und Apfelbaum. Eine Art Liebesgeschichte

Dann fällt mir etwas vor die Füße. Ich erkenne nicht gleich was es ist, aber es erregt sofort meine Aufmerksamkeit. Ich muss an der Wäscheleine angestoßen sein. Vielleicht nicht einmal das. Ein sanfter Windhauch hat mir dieses herrliche Nichts vor die Füße geweht. Es hing lose an der Leine. Keine freie Wäschekluppe ist zu sehen. Ich bücke mich und hebe das zarte Stück auf. Erst als ich es in meine linke Hand lege erkenne ich es. Es handelt sich um einen Tanga. Einen hübschen, roten String Tanga. Ein Hauch mehr als Nichts. Er bedeckt das Notwendigste und gibt das Wesentliche preis. Er fühlt sich weich an. Seide? Vermutlich handelt es sich um Seide.

Als Ina ihre Unterwäsche im Trockenraum des Kellers aufzuhängen begann, wusste ich gleich, dass sie etwas von mir will. Ich bin der Einzige in der ganzen Siedlung der diesen Raum sonst noch verwendet. Ihre Unterwäsche hängt einzig für mich dort.

Mit Unterwäsche meine ich keine Boxershorts, die man auch als Zelt verwenden könnte, und keine BHs, die auch meine Großmutter getragen hätte. Ich spreche von Reizwäsche, die ihrem Namen gerecht wird. Sie hängt sie auch nie lieblos auf die Leine, neben einem alten Handtuch oder so. Nein, sie stellt Kompositionen zusammen, die das Herz eines jeden Mannes höher schlagen lässt: Schwarze Corsagen mit hauchdünnen Nylonstrümpfen, unschuldige weiße Negligés, seidene BHs mit verführerischen Tangas, dazu noch Strapse. Eine Creation verführerischer als die andere.

Als wir uns das erste Mal im Treppenhaus sahen, und sie sanft: „Hallo, ich bin Ina, die neue Nachbarin!“ hauchte, und ihre Lippen dabei formte, als würde sie mich im nächsten Moment küssen, hat sich etwas zwischen uns ereignet. Ein Knistern. Ein leises aber klares Knistern, das mehr sagt als 1000 Liebesschwüre.

Ich habe ihr gleich Blumen geschenkt. Rote Rosen, die Boten der Liebe. Sie nahm sie freudig entgegen, bedankte sich und zog sich sogleich wieder in ihre Höhle zurück. Hübsche Frauen wollen erobert werden. Sie kokettieren. Stacheln mit Eifersucht den Liebenden an. Spiele. Das sind doch alles Spiele, wie sie seit Menschengedenken zwischen Mann und Frau gespielt werden.

Ihr Tanga gleitet langsam durch meine Finger. Er hat ein kräftiges Rot. Rot, die Farbe der Liebe, die Farbe der Leidenschaft. Mein Gesicht versinkt in diesem wunderbaren Nichts und ein sanfter Geruch klettert meiner Nase empor. Wie kann ihre Wäsche nur so wunderbar duften? Als ob sie nicht in einem staubigen Kellerabteil hängen würde, sondern an einem einsamen Strand, wo eine sanfte Briese vom Meer, ihre Reizwäsche, während eines Sonnenaufgangs, zum Tanzen bringen würde.

Ich überlege, was ich mit ihren Tanga machen soll. Er wurde staubig, hier am Boden des Kellerabteils. Soll ich ihn Ina einfach so zurückgeben, oder wieder auf die Leine hängen, als ob nichts geschehen wäre? Ich entferne sorgsam alle Staubfusseln und stecke ihn in meine Jackentasche. Das Schicksal hat ihn mir vor die Füße geweht, das Schicksal nehme ich an.

 

Im Stiegenhaus begegne ich Peter. Jener dumpfen, farblosen Gestalt, die mir Ina letzte Woche als ihren festen Freund vorgestellt hat. Er grüßt nicht. Geht an mir vorbei, als ob ich Nichts wäre. Ein wirkliches Nichts, nicht dieses herrliche Nichts, das ich in meiner Jackentasche trage. Dieses Nichts wirst du heute nicht über die langen Beine streifen, die schier zum Himmel reichen. Dieses zarte Nichts ist jetzt mein!

Wenig später ertönen wieder diese ungleichen Melodien, dieser ungleichen Wesen. Ihre sanften Laute, voller Liebreiz und Sehnsucht, unterbrochen von diesem gepressten Gestöhne eines primitiven Primaten. Ach, wie sehr ich diesen Mann hasse. Diesen Idioten. Sieht er denn nicht, dass er nur ein Spielball ist, im Spiel zweier Liebenden.  Er hat seinen Zweck erfüllt. Es wird Zeit, dass er das Spielfeld verlässt!

„Wenn du Ina noch einmal nachsteigst, dann polier ich dir deine dämliche Fresse!“ Dumpfe Worte eines dumpfen Menschen, der nichts versteht von der wahren Liebe. Ina möchte von dir befreit werden, wie eine Prinzessin von einem Prinz gerettet werden möchte, aus den Fängen des bösen Drachen. Würde sie sonst die Vorhänge zu ihrem Schlafzimmer offen lassen, wenn sie nicht wollte, dass ich sehe, wie du sie behandelst? Deine plumpen Hände, deine groben Bewegungen, nicht würdig sich an diesem herrlichen Körper zu vergehen.

Ich setz mich wieder in die Wiese, zwischen Thujenzaun und Apfelbaum, und nehme die Einladung zum Beobachten an. Die Jalousien sind oben, die Vorhänge geöffnet, nur die weißen Gardinen drüben den Blick leicht. Ina ist im Schlafzimmer und zieht sich an, während Peter im Wohnzimmer hockt, die Beine am Couchtisch, die Bierflasche in der Hand. Er sieht fern. Eine Vorabendserie. Seinem Intellekt angemessen.

Ina schnappt sich ihren Squashschläger und geht. Kein Kuss. Keine Verabschiedung. Nicht einmal ihre Blicke treffen sich. Das soll Liebe sein? Die Tür fällt ins Schloss und ihre Wege trennen sich, für immer.

Wie soll dieser Mensch sonst sterben, außer durch eine Wäscheleine, dem Symbol meiner Liebe zu Ina?

Ein paar Geräusche im Garten und er tritt heraus. Mut? Nein, Dummheit! Er geht den Garten ab und sucht die Quelle des Geräusches. Ich sehe ihn vor mir: Den breite Rücken, die O-Beine, den rasierte Kopf. Ich spanne die Leine so fest, dass sie sich tief in meine Haut drückt. Er hat Narben im Gesicht. Tiefe Furchen auf unebener Haut. Sein Nacken gleicht dem eines Stieres. Kurz kann ich in seine Augen sehen, diese leblosen, rohen Augen, und schon wendet er sich wieder ab. Ein kurzes Zögern, und dann pack ich ihn. Ich ziehe mit ganzer Kraft an den Seilen und sein Kopf schwillt an. Er schlägt um sich, versucht mich zu fassen, aber ich kralle mich an ihm fest, wie ein Zeck an seinem Opfer.

Langsam schwinden seine Kräfte. Er sinkt zu Boden, während ich noch immer an der Leine ziehe. Ich zerre ihn aus dem Garten und bringe ihn zum Apfelbaum.

Ina kommt nach Hause. Ihr Körper ist verschwitzt. Peters Abwesenheit scheint sie nicht weiter zu beschäftigen. Vermutlich geht er öfter, einfach so, außer Haus. Trifft sich mit Freunden und sauft sich einen an. Ina verschwindet hinter der Duschwand. Sie macht sich hübsch. Schließlich wird sie ja auch noch Besuch bekommen.

Ich sehe ihre Silhouette durch den geschlossenen Vorhang. Ein Handtuch bedeckt ihre Blöße, ein Handtuch trägt sie am Kopf. Ich bleibe noch etwas hier sitzen und beobachte sie. Ich kann ja nicht anläuten, solange sie nicht angezogen ist. Ich hab ja Stil!

Ein Handtuch fällt zu Boden, mit dem anderen schrubbt sie ihr Haar trocken. Sie geht in die Küche und schenkt sich ein Glas Rotwein ein. Sie hat sich noch immer nichts angezogen. Sie setzt sich auf das Sofa, wickelt sich in eine rote Decke ein und schlägt ein Buch auf.

Ich knüpft Peter auf den Apfelbaum und klettere mit ihm hoch. Sein schwerer Körper kostet mir meine ganze Kraft. Als er neben mir am Apfelbaum sitzt, gebe ich ihm einen Stoß. Ich hör es knacken. Genickbruch! Das untrügliche Zeichen des geglückten Suizids. Ich beobachte ihn noch etwas. Wie er da baumelt, mit dem Blick auf Inas Wohnung. Jetzt wird es Zeit für mich. Auch ich muss mich noch schön machen. Ich hab ja Stil. Heute kann Peter beobachten, wie man eine Frau behandelt. Hier. Ganz allein. Zwischen Thujenzaun und Apfelbaum. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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