In einem besonders abgelegenen und waldreichen Teil des „Fredeburger Landes“ – einer zwischen Eslohe, Winterberg und Schmallenberg gelegenen, sauerländischen Mittelgebirgslandschaft – geht es seit einiger Zeit angeblich nicht mehr mit rechten Dingen zu! In einem zwischen Schmallenberg und Siedlinghausen an der Landesstraße 742 gelegenen Waldstück kommt es in der letzten Zeit nämlich immer wieder zu zumindest seltsamen Ereignissen, als deren Verursacher man in früheren, weniger aufgeklärten Zeiten wohl Kobolde oder Waldgeister angesehen hätte:
Jogger, Wanderer und normale Spaziergänger aus der näheren Umgebung beschweren sich bei den zuständigen Stellen der Gemeindeverwaltungen, besonders während der Sommermonate, oft mehrmals in einer Woche über befremdliche Zustände in dem besagten Waldstück, wobei sich vor allem weibliche Wanderer und Spaziergänger über angebliche Belästigungen durch anzügliche Bemerkungen und Zurufe aus dem Unterholz beklagen – auffallend ist hierbei der wiederholte Hinweis darauf, daß jene beleidigenden Anzüglichkeiten immer in einem seltsamen, kreischend-fipsigen Tonfall von mehreren, abseits der Wege zwischen den Bäumen und Sträuchern sitzenden Beobachtern zum Besten gegeben würden!
Nicht weniger eigentümlich als die regelmäßigen Beschwerden von Wanderern, Joggern und Spaziergängern sind die Berichte und Erlebnisse einiger Beamter der zuständigen Landkreispolizei: Im Verlauf der L 742 gibt es besonders zwischen Rehsiepen und dem Jagdschloß Siedlinghausen einige recht enge Kurven, wobei es an einer besonders engen Kurve – die zudem noch an einem recht steil abfallenden Hang liegt – relativ oft zu schon etwas dramatischen Unfällen kommt. Das wirklich Seltsame hierbei sind allerdings nicht die Unfälle selbst, sondern die Art und Weise, in welcher die Polizei von diesen Unfällen in Kenntnis gesetzt wird! Mindest ein- bis zweimal in jeder Woche läutet in der Polizeidienststelle Siedlinghausen das Telephon und eine Unfallmeldung von recht eigener Art wird hörbar.
Es ist nun allemal an der Zeit, die eigentlichen Verursacher der bis jetzt beschriebenen seltsamen Ereignisse vorzustellen: Die meisten Leser haben wohl ein vergleichsweise freundliches Bild von so harmlosen Zeitgenossen wie Hasen, Igeln, Eichhörnchen oder Waldmäusen im Sinn – hier soll jetzt einmal eine „Bande“ unternehmungslustiger kleiner Waldbewohner vorgestellt werden, die mit unserer weit verbreiteten Vorstellung vom harmlos-ängstlichen Häschen oder Mäuslein wenig oder gar nichts gemeinsam hat. Die bepelzten und schnurrbehaarten Hauptakteure unserer Geschichte verbringen ihre Zeit in einer sehr eigenwilligen und – mit strengen Moralmaßstäben gemessen – wohl als reichlich „ungezogen“ zu bezeichnenden Weise, die ihnen trotzdem – oder gerade deswegen – ein fortgesetztes und nicht eben geringes Vergnügen bereitet!
Zu den liebsten Beschäftigungen unserer munteren, vierpfotigen Unterholzbewohner gehört neben dem Verspotten übergewichtiger Joggerinnen und kniebundbehoster, ergrauter Wanderer das „Flugautokucken“: An warmen und trockenen Nachmittagen verbringen die uns schon bekannten, unternehmungslustigen Hasen, Igel, Eichhörnchen und Waldmäuse gerne mehrere Stunden, indem sie sich wie bei einem regelrechten Picknickausflug in unmittelbarer Nähe der bereits beschriebenen und für betont sportliche Autofahrer nicht gerade ungefährlichen, engen Landstraßenkurve einrichten.
Wie Kinozuschauer in einem Actionfilm warten unsere schadenfrohen Unterholzbewohner auf den nächsten unaufmerksamen Autofahrer, der die nicht eben kleinen Warnschilder mit den Hinweisen auf die enge Kurve und den anschließenden Steilhang unbeachtet läßt, weshalb er in seinem Auto einige Sekunden später die schon oft reparierte Leitplanke durchbricht und mehr oder weniger elegant den besagten Abhang hinuntersaust, um unter lautem Splittern und Krachen mit den weiter unten stehenden Bäumen bekannt gemacht zu werden – Wenn es dann wieder einmal soweit gekommen ist, verschaffen sich unsere Picknickfreunde schließlich einen vollendeten Genuß, indem sie gemeinsam zur nächstgelegenen Telephonzelle laufen, mit vereinten Kräften die Tür aufziehen, und im Inneren des Telephonhäuschens schließlich aufeinander klettern („He! Nimm deine Füße aus meinem Gesicht!“), bis es den am weitesten oben sitzenden Tieren schließlich gelingt, den Hörer aus seiner Aufhängung zu zerren und den Polizeinotruf auszulösen.
Wenn in der Polizeiwache in Siedlinghausen dann schließlich das Telephon läutet, und der diensthabende Wachtmeister aus der Hörmuschel nur ein mehrstimmiges, kreischend-pfeifendes „Tatütata! Tatütata!“ vernimmt, wundert er sich inzwischen nur noch wenig und weiß, daß es an einer ganz bestimmten Landstraßenkurve wieder einmal einen lautstarken Unfall mit reichlichen Blech- und Baumschäden gegeben hat!
Neben der Gemeindeverwaltung und der Landkreispolizei hat natürlich auch der zuständige Jäger bemerkt, daß in einem Teil seines Reviers ein wenig ungewöhnliche Dinge geschehen, weshalb er sich – nachdem er von den betroffenen Wanderern, Joggern und Spaziergängern schon mehrfach auf das Waldstück, „in dem es wohl irgendwie spukt“, hingewiesen worden ist – schließlich selbst dorthin auf dem Weg macht.
Nachdem der Jäger in dem mittlerweile schon etwas verrufenen, kleinen Waldstück zwischen dem Jagdschloß Siedlinghausen und dem Frettloh eingetroffen ist, muß er auch wirklich nicht mehr besonders lange auf den ersten Spuk der vermeintlichen Waldgeister warten: Schon nach wenigen Schritten entlang des als ganz besonders verhext geltenden Trampelpfades vernimmt unser Jägersmann aus dem nahen Farn und Buschwerk ein zischelndes Gekicher, das ihn jetzt auch selbst bereits daran zweifeln läßt, daß hier alles seine Richtigkeit hat – so recht seltsam wird ihm allerdings erst in demjenigen Augenblick zumute, in welchem ihm ein gut versteckter Chor aus Hasen, Igeln, Eichhörnchen und Waldmäusen mit erschreckender Lautstärke das Lied vom Jäger aus Kurpfalz in die Ohren pfeift und kreischt.
Der sonst nicht unbedingt besonders ängstliche Jäger wirft seinen ganzen Mut sowie – vor lauter Erschrecken – auch sein Gewehr ins dichte Farnkraut und ergreift fürs erste die Flucht. Unsere kleinen Chorsänger sind mit dem Ergebnis ihrer Gesangsprobe sehr zufrieden und werden von ihrer Neugierde und Unternehmungslust auch bald dazu getrieben, sich das hingeworfene Gewehr des Jägers einmal aus der Nähe anzuschauen: die Hasen und Eichhörnchen mit ihren vergleichsweise kräftigen Pfoten beginnen auch bald, an dem Jagdgewehr herumzufummeln, bis sich mit lautem Knall tatsächlich ein Schuß löst, worauf sich die gesamte „Unterholzbande“ laut kreischend und zeternd hinter die nächstgelegenen Baumstämme rettet.
Sehr lange halten es die kleinen Hauptdarsteller unserer Geschichte allerdings nicht in ihren Verstecken aus, denn ihre Neugierde ist doch gar zu groß und einen so schönen, lauten Knall muß man doch auch ein zweites Mal zustandebringen können – und deshalb trauen sich unsere pelzigen Helden (denen eine neue, interessante Möglichkeit eines manchmal etwas rüden Scherzes nie lange verborgen bleibt!) doch ziemlich bald wieder an das Gewehr heran, das da so verlockend im Farnkraut liegt. Der im Moment ziemlich nervöse und ratlose Jäger, der sich das ganze Schauspiel aus einer sicheren Entfernung von einigen 100 Metern angehört hat, fragt sich entsetzt, wer denn jetzt wohl mit seinem Dienstgewehr in der Gegend herumschießt, weshalb er nach dem zweiten Schuß seinen ganzen Mut zusammennimmt und vorsichtig zu der Stelle zurückkehrt, an welcher sich unsere tatendurstigen Unterholzanarchisten vergeblich abmühen, um noch einen dritten Knall zustande zu bringen.
Angesichts des sich langsam und vorsichtig nähernden Jägers ergreifen unsere pelzigen Freunde schließlich doch die Flucht, wobei sie das schwere Gewehr leider doch im Farnkraut liegenlassen müssen, obwohl sie sich doch gerade die so verheißungsvoll aussehende Patronentasche näher anschauen wollten! Dem tapferen Jägersmann bleibt es schließlich nur noch übrig, sein Gewehr mit den zugehörigen Patronen wieder aus dem Farnkraut zu holen und sich den jetzt verlassenen „Picknickplatz“ der angeblichen Waldkobolde anzusehen, wobei er sich erstaunt selber fragt: „Wo haben die nur den Schnaps hergenommen?“
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.03.2009.
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von Klaus-D. Heid
Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.
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