Andi Binda

Ein Paradox aus Fliegen


Schwarz. Zählen Tage, wenn man sein Leben nur noch in Jahren wahrnimmt? Nun, wen dem so wäre, wüsste ich wie lange es her ist. Oder auch nicht. Es gibt so bestimmte Ereignisse im Leben, am besten man stellt sie sich als kleine hinterlistige Uhrmacher vor, die unaufhaltsam an deiner inneren Uhr herum schrauben, als wäre sie nichts weiter als ein billiges Ostblock-Imitat einer Breitling oder was der Mann von Welt sonst noch so trägt. Der Haken an der Sache ist nur der, dass es ziemlich an deiner geistigen Verfassung nagt, wenn sich Stunden, Tage und Wochen nur noch in Fleisch, Maden und diesen grässlich nervigen Fliegen messen lassen. Doch das ist der Preis, denn vielleicht jeder Mann mittleren Alters einmal in seinem Leben zahlen muss. Der Einsamkeit den gehörigen Tribut zollen, könnte man meinen. Doch es gibt auch Zeiten, in denen dich der bestialische Gestank beinahe um den Verstand bringt und das hämmernde Ticken dieser gottverdammten Ramsch-Uhr , mit der unsichtbaren Signatur eines kleinen hartarbeitenden Semi-Eingeborenen , deinen Schädel sprichwörtlich zum Platzen bringt... Aber wie kam ich eigentlich in diese nicht gerade alltägliche Situation? Alles fing an mit einem, allseits bekannten, stinknormalen Montagmorgen in der Dienststelle. Earl prahlte vor den Jungs wiedermal mit erfundenen Frauengeschichten und Betsy, die Inkarnation einer verschlampten Halbtagssekretärin, versank wie jeden Morgen in einem dieser kitschig pseudo-erotischen Groschenromane und wünschte sich heimlich in die verschwitzten Arme eines beliebigen Höhlenmenschen, welcher Gott weiß warum, das Dasein eines einsamen, von Kopf bis zum Zeh durchtrainierten Bauernprinzen fröhnt. „ Hey Carl, Alles Gute zum Geburtstag! „ vernahm ich ihre grunzenden Gratulationsrufe, doch da war ich schon längst in der Firmencafeteria verschwunden. Denn wenn ich eines mehr hasste als Montage, dann Montage am ersten des Septembers. Meinem Geburtstag. Dem Tag, an dem meine Mutter einst ihr Leben gab, um es mir zu schenken. Und dem Tag , an dem ich 38 Ja! hre spät er den wahrscheinlich einzigen Menschen verlor, für den ich mehr als unverdünnte Apathie empfinden konnte. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich an diesem gewohnt beschissenem Arbeitstag die Firma verließ und mich auf einen entspannten Abend einstellte, nur Carol, Ich und eine Flasche Dom Perignon, um diesen Tag anschließend mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen von dannen ziehen zu lassen. Wirklich naiv von mir anzunehmen, es würde wirklich so ablaufen. Es war gar nicht mal die sperrangelweit geöffnete Haustür, die mir zu denken gab. Vielmehr die trügerische Stille, welche mir aus dem voll beleuchteten Einfamilienhaus entgegen schwappte und jeden Zweifel daran unter sich begrub, dass dieser Abend der Zweisamkeit passe war. „Carol bist du zu Hause?“ rief ich die Treppe zum Schlafzimmer hoch, ohne auch nur mit dem Geräusch einer fallen Stecknadel zu rechnen. Stille. Ich wandte mich dem Wohnzimmer mit integrierter Küchenecke zu, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass ich sie dort bestimmt nicht auffinden würde. Ziemlich sicher war noch milde ausgedrückt. Ich wusste es. Also begab ich mich wieder in den Vorraum und stieg die scheinbar unzähligen Stufen Richtung Schlafzimmer hinauf. Carol lag begraben in der teuren und „Oh mein Gott“ verboten hässlichen Den-Haag – Designerbettwäsche , welche uns Carols Mutter ( Gott habe sie selig ) , letztes Weihnachten geschenkt hatte. Ganzkörpervermummt, einmal abgesehen von dem roten Büschel Haarpracht, das aus der Bettdeckenmumifizierung ragte und sie mich als meine Frau identifizieren ließ. Und dass es sich um Carol handelte, war genau so gewiss, wie ich von der ersten Sekunde in diesem Raum an wusste dass sie tot war.
Das total eingesaute Bett und die schon beinahe übertrieben mit Blut und Schädelfragmenten übersäten Wände, deren Anblick sogar Lucio Fulci ein Magengeschwür verschafft hätten, sprachen nun einmal Bände. Die Frage, wer einem so liebenswürdigen Menschen, der keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte, etwas so schreckliches antun könnte, erübrigte sich genau so schnell wie die, warum mir nicht in den Sinn kam, unverzüglich die Polizei zu rufen. Höchstwahrscheinlich lag es an meiner triefenden Uniform, meinen mit Blut und Gehirnstückchen verklebten Händen, oder auch dem in tiefrot getauchten Vorschlaghammer in meiner Rechten, der mir erst in diesem Moment aufzufallen schien.
Wir hatten uns in der letzten Zeit nicht mehr viel zu sagen.


Nun liege ich hier neben dir, bin dir näher als es je jemand sein könnte und frage mich: Lag es an der zunehmenden Distanz zwischen uns, welche uns zu verschlucken drohte, oder vielleicht an dem verfickten Scheißkerl, der dich des öfteren besuchte als du einsam warst?
Oh ja, ich wusste es von Anfang an, und habe es genossen zu beobachten wie du die kleine, perfekte Hausfrau gemimt hast. Doch du hattest die Rolle nie richtig glaubwürdig rübergebracht, Schätzchen.


Nun, zählen Tage, wenn man sein Leben nur noch in Jahren wahr nimmt? Um eines klar zu stellen, ich habe nie aufgehört sie zu lieben, und werde es auch nie tun.
Bis mein Tod uns scheidet. Soviel war sicher.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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