Klaus-Peter Behrens

Artefaktmagie Teil 3 (vorläufiger Titel)

 

Ankunft

 

Während der Flugzeit vertiefte sich Michael derart in seinen Fantasyroman, daß er völlig überrascht war, als die Maschine bereits in den Anflug überging.

Nach einem endlosen Anstehen am Gepäckfließband machte er sich auf die Suche nach seiner Tante. Seine Eltern hatten mit ihr als Treffpunkt einen bekannten Automietschalter vereinbart, an dem sie auf ihn warten sollte. Diesen fand Michael auch relativ problemlos, nur von seiner Tante war weit und breit keine Spur zu sehen und das, obwohl der Flug zwanzig Minuten Verspätung hatte. Etwas beunruhigt setzte er sich auf seinen Kunststoffkoffer und musterte die Vorbeigehenden. Immerhin hatte er seine Tante eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen, und damals war er noch ein Kind gewesen. Das war nicht gerade hilfreich, um sie in diesem Gewühl zu erkennen.

Dann aber entdeckte er eine Frau, die sich eilig durch die Menge drängte und immer wieder hektisch umsah. Bekleidet mit einer Bluejeans und einem lässigen Sweatshirt wirkte sie zwar jünger, als er es von seiner achtundreißigjährigen Tante erwartet hätte, gleichwohl war sich Michael sicher, daß es sich hier um seine Verwandte handelte. Die Erleichterung auf ihrem Gesicht, als sie ihrerseits Michael entdeckte, bestätigte seine Vermutung. Er hatte tatsächlich seine Tante vor sich.

"Here you are", rief sie glücklich und lief auf Michael zu. "You must be Michael. I was so afraid, I could have missed you."

Michael sah sie irritiert an.

"Würde es dir viel ausmachen, mit mir auf Deutsch zu reden?", fragte er. "Ich hatte einen harten Tag und habe keine Lust, mich jetzt auch noch mit Englisch abzuquälen."

Schallendes Gelächter war die Antwort.

"Klar", erwiderte seine Tante grinsend. "Tut mir leid, aber ich habe seit dreizehn Jahren kaum noch Deutsch gesprochen. Die Macht der Gewohnheit, verstehst du?"

Michael grinste nun auch und nickte.

"Trotzdem wäre mir Deutsch lieber."

"OK, wie du willst. Die Verspätung tut mir übrigens leid, aber weißt du, es ist ein verdammt weiter Weg von den Highlands bis hierher und es gab ein paar Probleme ......"

"Probleme?", hakte Michael nach.

"Nicht wichtig", winkte seine Tante ab, obwohl ihr bisher unbeschwertes Gesicht etwas anderes ausdrückte. "Weißt du überhaupt, wo die Highlands liegen?", fragte sie, um Michael auf andere Gedanken zu bringen. Michael wurde wieder einmal rot. Erdkunde gehörte nicht gerade zu seinen Leidenschaften.

"Irgendwo nördlich von hier?", probierte er sein Glück.

"Bingo, jetzt laß uns deine Sachen im Wagen verstauen. Ich stehe im Halteverbot."

Draußen war es mittlerweile dämmerig geworden. Sich neugierig umsehend folgte Michael seiner energisch ausschreitenden Tante, die einen dreist im absoluten Halteverbot geparkten Landrover ansteuerte. Michael war sprachlos. Er war überzeugt, daß sich die weltweiten Automuseen um den betagten Wagen schlagen würden, sollte er einmal zum Verkauf stehen. Was der TÜV zu dem Vehikel sagen würde, versuchte er sich lieber nicht vorzustellen. Bevor er einen passenden Kommentar abgeben konnte, wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich vollständig von einem Wirbelwind auf vier Pfoten in Anspruch genommen, der aus der geöffneten Wagentür sauste und mit freudig wedelnden Schwanz Michael zur Begrüßung ansprang, als habe er einen lange vermißten Freund wiedergefunden. Michael fiel vor Schreck der Koffer aus der Hand, als der Golden Retrevier seine kräftigen Pfoten gegen seinen Brustkorb stemmte und versuchte, ihm das Gesicht abzuschlecken.

"Sammy, come here", rief seine Tante sofort energisch und versuchte, das Lachen zu unterdrücken. Widerwillig gab der Hund daraufhin sein Opfer frei, jedoch nicht, ohne ihm noch einmal gründlich über das Gesicht zu lecken.

"Entschuldige bitte, er ist noch jung", erklärte Tante Betty Michael, der sich das Gesicht mit dem Ärmel abwischte, während sie dem aufgeregten Hund den Kopf kraulte. "Ich konnte ihn nicht alleine zu Hause lassen. Dein Onkel John ist für ein paar Tage geschäftlich verreist, und deshalb habe ich ihn mitgenommen."

"Kein Problem", entgegnete Michael, der inzwischen neugierig den fröhlich mit dem Schwanz wedelnden Hund beobachtete. Das war interessant. Schon immer hatte er sich einen Hund gewünscht, aber seine Eltern waren strikt dagegen. Um so verwunderter war er, daß seine Tante einen hatte, obwohl seine Mutter nicht müde wurde zu betonen, daß sie als Kinder auch keinen Hund gehabt hatten. Zumindest das war eine angenehme Überraschung.

"Sammy heißt er also", stellte Michael belustigt fest und verstaute sein Gepäck in dem erstaunlich geräumigen Kofferraum, der im Gegensatz zu dem penibel aufgeräumten Kofferraum seines Vaters ein Sammelsurium von Gegenständen aufwies, deren Verwendungszweck sich Michael nicht einmal vorzustellen vermochte.

"Interessanter Kofferraum", bemerkte er, nachdem er sich auf den ausgeleierten Beifahrersitz niedergelassen hatte. Zu seinem Erstaunen ließ sich Sammy ruhig auf dem Rücksitz nieder. Eigentlich hatte er erwartet, daß der Hund die Situation sogleich ausnützen würde. Sammy blieb jedoch ruhig. Seine Tante schien seine Gedanken zu erraten.

"Er ist immer brav beim Autofahren. Außerdem fahren wir nicht weit. Ich habe uns ein Zimmer in einem kleinen Motel gebucht. Heute ist es schon zu spät, um in die Highlands aufzubrechen."

Dann ließ sie den Motor an und lenkte den Wagen in einem beängstigenden Tempo von dem Flughafenparkplatz herunter. Der Umstand, daß Michael auf der für ihn völlig ungewöhnlichen linken Seite des Autos saß, machte die Sache nicht unbedingt besser. Zu seiner Erleichterung dauerte die Fahrt aber tatsächlich nur wenige Minuten. Dankbar atmete er auf, als der Wagen auf dem Parkplatz eines kleinen Motels zum Stehen kam und der Motor gurgelnd verstarb. Offenkundig hielt er nicht viel von der Behandlung, die Tante Betty ihm angedeihen ließ.

"Ich glaube, in Hamburg würdest du mit dem Fahrstil nicht weit kommen", bemerkte Michael zynisch. Tante Betty lachte.

"Warte ab, bis wir in den Highlands sind. Da wirst du als Städter nicht weit kommen", erwiderte sie schlagfertig.

Das Motel war entgegen Michaels Erwartungen erstaunlich komfortabel. Das entsprach nicht dem Hang zum Spartanischen, den man den Schotten immer nachsagte. Aber anscheinend war hier vieles nicht so, wie er es erwartet hatte. Ihre Unterkunft bestand aus einem kleinen Schlafzimmer und einem gemütlichen Wohnzimmer, das zu Michaels Erleichterung unter anderem einen Fernseher beinhaltete.

"Du teilst dir mit Sammy die Couch, und ich nehme das Schlafzimmer", entschied Tante Betty nach einem kurzen Rundgang. "Einverstanden?"

Michael nickte nur. Allmählich übermannte ihn die Müdigkeit.

"Ich denke, ich lege mich gleich hin", murmelte er, gähnte ausgiebig und setzte sich auf die bunt gemusterte Couch, die zwar nicht seinem Einrichtungsgeschmack entsprach, in diesem Umfeld aber durchaus gemütlich wirkte. Sein Blick glitt kurz über zwei altertümliche Holzstiche, die an der Wand hingen, dann wurde seine Aufmerksamkeit schon wieder voll von Sammy in Anspruch genommen, der mit einem Satz auf die Couch sprang und es sich dort neben ihm bequem machte.

"Ich glaube, den wirst du nicht mehr los."

"Scheint so", murmelte Michael und strich über das Fell des Golden Retrievers, der sich daraufhin wohlig ausstreckte und noch mehr Platz für sich in Anspruch nahm.

"Ich gehe ins Bad. Du kannst ja inzwischen schon mal deine Sachen auspacken."

Michael murmelte irgend etwas Zustimmendes, aber als Tante Betty aus dem Bad wieder herauskam, war er bereits fest eingeschlafen. Sein Arm ruhte auf Sammy, der sie träge mit einem Auge anblinzelte.

"Willkommen in Schottland", flüsterte Tante Betty und legte Michael vorsichtig eine Decke über. "Ich bin gespannt, wie es dir hier gefallen wird."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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