Klaus-Peter Behrens

Das Tor zwischen den Welten, Teil 27

- 3 -

Am nächsten Abend wurden sie, wie versprochen, abgeholt und in den Festsaal geleitet. Überall herrschte emsige Betriebsamkeit. Der Festsaal unterschied sich von dem Saal, in dem die Freunde am Tag zuvor gewesen waren, nur durch seine Größe. Mit einer gewissen Genugtuung stellten sie fest, dass sich ihre Plätze relativ weit oben an der U-förmigen Tafel befanden. Wirdnix hingegen bemerkte enttäuscht, dass das Festessen noch nicht aufgefahren war.

"Erst wird geheiratet, dann wird gegessen", klärte Gart ihn auf. Dean und Tom musterten aufmerksam die Menge, konnten aber zu ihrer Enttäuschung Myrana nicht ausmachen. Dafür entdeckten sie Baumbatz, der sich wie ein Schiff in der Brandung durch die Menge pflügte und Kurs auf ihren Tisch nahm.

"Ich soll Euch von Myrana grüßen", rief er, während er mißbilligend Wirdnix ansah, der gerade die Servietten auf ihre Eßbarkeit hin prüfte. Dean und Tom wollten sogleich wissen, wo sich die Elfin die ganze Zeit aufgehalten hatte.

"Hatte zu tun", erklärte der Troll einsilbig.

"Womit?", kam es genauso kurz zurück.

Die dichten Augenbrauen des Trolls hoben sich.

"Darf ich nicht sagen, Überraschung", verkündete er ernst.

"Ich liebe Überraschungen", knurrte Gart. Verärgert rutschte er auf seinem Stuhl weiter nach vorne. Mit der Axt auf dem Rücken saß es sich auf diesen Lehnstühlen wirklich unbequem und dabei hatte er sie für den feierlichen Anlaß extra auf Hochglanz poliert.

"Weißt du etwas über das Schiff, das uns über das Nebelmeer bringen soll?", fragte Meister Reno vi´Eren neugierig.

"Wartet ab", erwiderte der Troll, grinste und verschwand wieder.

"Das hat uns ja richtig weiter gebracht", fluchte Tom und sah frustriert dem sich durch die Menge brechenden Troll nach.

"Ja, er ist schon eine richtige Plaudertasche", stimmte Dean ihm zu. Ein Trommelwirbel lenkte ihre Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Unter dem Jubel der anwesenden Menge, betraten der Sohn des Protektors und die Tochter des Waldfürsten den Saal. Die Zeremonie begann.

"Ich glaub, ich muß mal verschwinden", sagte Dean, den plötzlich ein dringendes Bedürfnis überfiel.

"Jetzt?", fragte Wirdnix entgeistert.

"Gutes Timing!" Tom reckte den Daumen nach oben.

"Hört auf ihn zu ärgern", lenkte Meister Reno vi´Eren ein. "Wir werden deine Abwesenheit schon erklären, falls jemand fragen sollte."

Dean sprintete los, doch wo waren die Toiletten? Eine Wache gab ihm eine ungefähre Lagebeschreibung, wonach er die halbe Burg zu durchqueren hatte.

"Großartige Architektenleistung", schimpfte er vor sich hin, während er durch die verlassenen Gänge rannte und verzweifelt nach dem erlösenden Schild Ausschau hielt. Zu spät registrierte er eine entgegenkommende Waldelfin, die es ebenfalls sehr eilig zu haben schien und brachte diese zu Fall.

"Entschuldigung", murmelte er nervös. Die Elfin rappelte sich wieder auf. Dann erkannte sie, wer in sie hinein gerannt war.

"Dean? Was machst du denn hier?"

Dean war verblüfft. Vor ihm stand eine Elfin im atemberaubenden, lindfarbenen, hochgeschlitzten Abendkleid, das hervorragend zu den, zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckten Haaren paßte.

"My...Myra..ra...na?"

Die Erscheinung nickte und bückte sich, um ihr Kleid in Ordnung zu bringen. Der tiefe Ausschnitt offenbarte dabei Aussichten, bei deren Anblick Dean schwindelig wurde. Myrana richtete sich wieder auf.

"Und, gefalle ich dir?", fragte sie und drehte sich einmal um die eigenen Achse. Dean wurde puterrot. Verzweifelt fragte er sich, warum ihm sein sonst so leistungsfähiges Gehirn bei solchen Gelegenheiten immer die richtigen Antworten verweigerte. Vielleicht sollte er mal einen entsprechenden Kurs belegen oder öfter "Titanic" sehen.

"Du... du ... siehst ....... anders aus", brachte er stockend hervor. Großartig, dachte er, das hätte Leonardo di Caprio auch nicht besser hin bekommen. Myrana schien das ähnlich zu sehen.

"Danke, das ist genau das, was eine Frau gerne hört", sagte sie leicht verstimmt.

"Ich meine .... ich ... ähh ...... will sagen...."

Myrana winkte ab.

"Was willst du eigentlich hier?", unterbrach sie brüsk seine geistigen Ergüsse. Das rief in Dean schlagartig dringende Bedürfnisse wieder wach.

"Toilette", rief er, drehte sich um und rannte den Gang hinunter.

"Aber die liegt in der anderen Richtung", rief sie ihm hinterher, doch Dean war bereits um die nächste Ecke verschwunden.

Soll er das doch selbst herausfinden, dachte Myrana, die über die wenig erbaulichen Komplimente Deans immer noch verärgert war. Ein Grinsen trat auf ihre türkis geschminkten Lippen.

Im Festsaal wurde derweilen ausgelassen gefeiert. Die eigentliche Vermählung war eine unbürokratische Angelegenheit gewesen. Jeweils ein Sprecher der Elfen und des Protektorats hatten die Eheschließung öffentlich verkündet und damit war der Bund besiegelt. Zur Überraschung Toms sah er sich an dem opulenten Büfett einer runderneuerten Myrana gegenüber.

"Starke Aufmachung", lobte er mit vollem Mund das ungewöhnliche Outfit Myranas. Die seufzte innerlich. Irgendwie hatte sie sich eine andere Wirkung auf die Freunde erhofft.

"Gute Tarnkleidung", sagte Gart anerkennend, der sich neben Tom emsig den Teller voll schaufelte. "Im Wald fällst du damit garantiert nicht auf. Sehr geschickt."

Myrana schnaufte.

"Ihr versteht euch wirklich darauf, Frauen Komplimente zu machen."

"Entschuldigung, ich meine, du siehst wirklich gut aus", korrigierte sich Tom rasch und lächelte Myrana gewinnend an.

"Ja, ja, ich verstehe euch schon." Myrana winkte ab. "Und dabei habe ich eine Überraschung für euch."

"Wirklich?"

Tom und Gart rückten neugierig näher.

"Laßt uns zu den anderen gehen, dann erzähle ich es euch – vielleicht."

 

Nach langen Irrläufen durch die endlosen Gänge der Burg, war Dean endlich wieder im Festsaal eingetroffen. Enttäuscht stellte er fest, dass das Fest in vollem Gange war. "Mist, ich habe die Vermählung verpaßt", ärgerte er sich, während er sich zu seinem Platz an der Festtafel durchkämpfte. Unterwegs traf er auf Kapitän Bris, den er seit ihrer Ankunft hier nicht mehr gesehen hatte. Der erzählte ihm sogleich freudestrahlend, dass man ihm und seinen Männern eine Stellung als Testsegler für die jeweils fertiggestellten Schiffe angeboten habe. Da die Bezahlung erheblich besser sei als das, was er bisher verdient hatte, würde er den Job annehmen. Dean gratulierte ihm und kämpfte sich weiter zu seinem Platz durch. Wenigstens einer ist glücklich, dachte er. Als er ankam, stellte er fest, dass nur Gart und Meister Reno vi´Eren anwesend waren.

"Na, wieder im Land?", begrüßte ihn der Zwerg. "Du hast das Beste verpaßt."

"Schön", antwortete Dean frustriert. "Wo sind die anderen?"

"Oh, mein treuer Wirdnix stellt neue Essensrekorde am Büfett auf und Tom tanzt", informierte ihn Meister Reno vi´Eren, der fröhlich einen Weinkrug schwenkte.

"Tanzt?"

"Ja, siehst du dort hinten, mit Myrana." Gart zeigte mit einem Hühnchenschenkel in Richtung Tanzfläche. Tatsächlich erkannte Dean dort Myrana und Tom, der sich bemühte, zu den fremdartigen Klängen passable Tanzschritte aufs Parkett zu legen, was ihm Deans Ansicht nach nicht so recht gelang.

"Sieht aus, als sei ihm das Essen nicht bekommen", bemerkte Wirdnix, der sich mit einem Teller voller Leckereien zu ihnen gesellte, mit einem Blick auf Toms Verrenkungen. Dean schwieg. Eifersüchtig beobachtete er, wie sich die beiden amüsierten.

"Myrana hat übrigens eine Überraschung für uns", sagte Meister Reno vi´Eren geheimnisvoll.

"Eine Überraschung? Was für eine Überraschung?"

"Wir segeln morgen früh ab", verkündete Gart, der wohlgenährt wie ein bärtiger Buddah auf seinem Stuhl hockte. Die Axt hatte er immer noch nicht abgelegt.

"Wir segeln ab? Wie?"

"Nun, Myrana war nicht untätig. Sie hat erreicht, dass uns der Protektor ein Schiff zur Verfügung stellt, mit dem wir über das Nebelmeer reisen können. Kein großes Schiff zwar, aber immerhin ein Schiff. Ein Teil der Elfen wird uns begleiten und die Mannschaft bilden", erklärte Meister Reno vi´Eren.

"Toll", sagte Dean einsilbig.

"Warum gehst du nicht hinüber und tanzt auch einmal mit ihr und bedankst dich?", fragte Meister Reno vi´Eren. "Das würde sie sicher freuen."

"Weil ich nicht tanzen kann, und außerdem bin ich müde. Wir sehen uns morgen. Ich lege mich aufs Ohr."

Müde und deprimiert stand Dean auf und kämpfte sich durch die ausgelassene Menge zum Ausgang durch. Gart sah ihm stirnrunzelnd nach.

"Ich hab ja geahnt, dass das Ärger gibt", murmelte er leise. Myrana hatte gesehen, dass Dean den Raum wieder verlassen hatte. Eilig ging sie zu den Gefährten.

"Was hat er denn?", wollte sie wissen.

"Ist müde", erklärte Wirdnix kauend.

"Hmmm."

Myrana nagte an ihrer Unterlippe und zerstörte so den kunstvoll aufgetragenen Lippenstift. Tom, der ihr gefolgt war, sprach beruhigend auf sie ein.

"Laß ihn! Er fühlt sich auf Partys nicht wohl. Der ist am liebsten bei seinen Käfern und Pflanzen. Das hier ist nichts für ihn." Tom winkte ab und versucht Myrana wieder auf die Tanzfläche zu ziehen, doch die widersetzte sich ihm.

"Warum holst du ihn nicht zurück? Ich finde, er sollte mit uns feiern", warf sie Tom vor. Der zuckte nur die Achseln. Myrana seufzte.

"Ich sehe schon, das bleibt an mir hängen", sagte sie und machte sich auf den Weg, um Dean zurückzuholen.

"Versteh einer die Frauen." Irritiert griff Tom nach seinem Weinkrug und nahm einen kräftigen Schluck.

"Ist das wirklich so kompliziert?", fragte Meister Reno vi´Eren lächelnd.

 

Dean hatte endlich die Burganlage hinter sich gelassen und ging den einsamen Weg zum Gasthaus hinunter. Der Mond war aufgegangen und warf ein weiches Licht auf die Pflastersteine.

"Warum baue ich in ihrer Nähe bloß immer so einen Mist", seufzte er schwermütig. "Ich bin eben nicht Tom. Vielleicht ist es ja wirklich besser, wenn wir morgen endgültig in Richtung Heimat aufbrechen. Ich passe einfach nicht hierher."

"Dean!"

Erstaunt drehte er sich um. Myrana kam den Weg hinunter geeilt.

"Warum gehst du schon?", fragte sie ein wenig außer Atem, kaum dass sie bei ihm angelangt war. Der Wind und das Laufen hatten ihr Kleid reichlich derangiert, so dass es prächtige Aussichten bot, die Dean in neue Gefühlswirrungen stürzten und für eine kräftige Gesichtsfarbe sorgten. Myrana musterte den mit offenen Mund dastehenden Dean neugierig. Er schien irgendwie nicht ganz da zu sein.

"Alles in Ordnung?", fragte sie nun doch ein wenig besorgt. Dean nickte. Jetzt hatte sich auch noch seine Stimme verabschiedet. Verärgert musterte er den Boden. Wo war nur das Loch zum Verschwinden, wenn man es brauchte. Doch das Loch schien sein Flehen nicht zu erhören und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu einer Antwort durchzuringen.

"Müde", krächzte er mitleiderregend.

"Müde? Hmmm."

Myrana kam näher und Dean begann an Farbe zuzulegen.

"Wir legen morgen ab. Dann kommt ihr vielleicht endlich nach Hause. Freut dich das nicht?"

"Hmmm, doch, doch", brachte Dean mühsam hervor. Myrana war enttäuscht. Die Antwort entsprach nicht ganz ihrer Erwartung. Neugierig hakte sie nach.

"Bestimmt gibt es bei dir zu Hause etwas, das auf dich wartet?"

"Hmmm."

Mit Magendrücken dachte Dean an den Abgabetermin seines Vortrages. Das Semester konnte er wirklich vergessen.

"Muß noch einen Vortrag halten", murmelte er.

"Ohh, verstehe."

Myrana seufzte. Tom hatte wohl recht. Dean schien sich wirklich nur für Pflanzen und Käfer zu interessieren. Als Elfin hatte sie auch ein ausgeprägtes Interesse an der Pflanzen- und Tierwelt, es gab aber auch noch ein paar andere Dinge.......

"Gibt es nicht etwas, was dich hier in dieser Welt besonders fasziniert hat und für das du dir gerne mehr Zeit genommen hättest?", fragte sie und lächelte verführerisch, während sie mit einer Haarsträhne spielte. Dean überlegte.

"Die ...die.. Golems fand ich interessant", sagte er schließlich und nickte.

"Die ... Golems?"

Myranas Stimme schnappte über. Das war zuviel. Irritiert sah sie an sich herunter. War das Kleid wirklich so verkehrt?

"Für einen Biologen sind sie eine echte Herausforderung. So etwas gibt es bei uns nämlich nicht", erklärte er Myrana mit wissenschaftlicher Begeisterung.

"Elfen auch nicht", zischte diese zurück. Dean nickte. Innerlich verfluchte er sich. Anscheinend hatte er schon wieder alles verdorben.

"Nein, Elfen auch nicht", stimmte er lahm zu und versuchte nicht in den abgrundtiefen Ausschnitt zu sehen, auch nicht im Namen der Wissenschaft.

"Schön, dass du das auch schon feststellst. Nicht schlecht, immerhin bin ich auf Platz zwei, gleich hinter den Golems. Wundert mich nur, dass es mir zumindest gelungen ist, die Schnapper zu verdrängen", fauchte sie den verstörten Dean an, der nicht wußte, wie ihm geschah.

"Die .... die .... Schnapper? Die ... habe ich ....... völlig vergessen, ............ ich denke nämlich.......", brachte er mühsam hervor, wurde aber durch einen Wutschrei Myranas unterbrochen, die mit dem Fuß aufstampfte.

"Das ist zuviel, wir sehen uns Morgen", zischte sie beleidigt und rauschte in Richtung Hafen ab.

"....nur noch an dich", beendete Dean seufzend den angefangenen Satz, doch Myrana war schon außer Hörweite. Wütend schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. Immer lief alles verkehrt. Aber was sollte er machen? Myrana zog ihm förmlich den Boden unter den Füßen weg, wenn sie ihm so nahe kam. Vielleicht sollte er Meister Reno vi´Eren bitten, ihn mit einem Zauberspruch von seiner Schüchternheit zu befreien. Seufzend begab er sich zum Gasthof. Vielleicht würde sich ja im Laufe der weiteren Reise der richtige Zeitpunkt ergeben, tröstete er sich.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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