Achim Müller

Schlaflos

Ich lebe seit einigen Monaten in einem Erziehungsheim. Heute ist eine besondere Nacht. Ich liege in meinem Bett und kann nicht schlafen. Es ist sehr spät, drei Uhr durch, fast halb vier. Seit etwas mehr als 3 Stunden bin ich 11 Jahre alt. Heute habe ich Geburtstag, der erste, den im Heim verbringe. Ich lausche den Geräuschen. Auf der anderen Seite des Zimmers schläft mein Zimmergenosse, er ist fast ein Jahr älter als ich, und schon länger hier. Er atmet laut und hin und wider schnarcht er leise. Ich höre das Wasser in den Heizungsrohren rauschen. Das Wasser fängt an zulaufen, und die Rohre knacken ein wenig. Dann rauscht es einige Minuten, und dann hört das Wasser wieder auf zu laufen. Nach einigen Minuten geht das von vorne los. Irgendwo draußen fährt ein großes Auto oder ein Lastwagen vorbei. Wenn an sich darauf konzentriert, hört man auch den Wind in den Bäumen draußen rauschen. Und dies obwohl die Fenster zu sind.
Ich kuschele mich in meine Decke und vergrabe meinen Kopf in mein Kissen.
Ich überlege, meine Mutter, was macht sie? Denkt sie am mich? Hat sie mir ein Geschenk gekauft? Eine Karte geschickt? Geld? Nein ein Geschenk währe mir lieber. Seit Tagen lauere ich auf den Postboten, ich habe aber nichts mitbekommen. Habe die Erzieher es als Überraschung für mich zurückgehalten? Oder hat meine Mutter mich vergessen?
Meine Mutter, ich vermisse sie sehr. Ihren Geruch, wenn sie mich in ihre Arme nahm, sie roch gut. Ich vermisse Ihre Liebe, das knuddeln mit ihr. Ich fühle mich so geborgen, wenn Sie mich in ihre Arme nahm. Wenn sie mich lieb drückte.
Ich drehte mich herum, hielt mich am Bettgestell fest. Unter meiner Decke war es mollig war, im Zimmer war es kühl. Ich zog die Hand wieder unter die Bettdecke. Mein Bett zu Hause war weicher. Außerdem war mein Stofftier noch dort. Schlappi, ein großer Stoffhund mit langen Hängeohren. Mein Onkel hatte den auf der Kirmes geschossen, und mir mitgebracht. Seitdem war er zuhause bei mir im Bett. Aber in Heim, da hätten die mich ausgelacht. Ich bin ja nun schon 11, ein großer Junge.
Ob meine Mutter jetzt schläft? Oder ist sie wach und denkt an mich? Ich habe sie lange nicht mehr gesehen.
Im Frühsommer hatte ich Sie zuletzt gesehen, da war ich noch zuhause. Zusammen mit ihrem Freund haben wir gefrühstückt. Dann bin ich in die Schule gegangen. Meine Mutter war arm, mein richtiger Vater ist gegangen, als ich noch ganz klein war.
Meine Mutter hat Sozialhilfe bekommen, und hin und wieder irgendwo geputzt.
Ihren Lebensunterhalt hat Sie durch Gaunereien aufgebessert. Sie hat bei Versandhäusern Sachen bestellt, und nicht bezahlt. Und einige andere Betrügereien. Für mich war das normal, so lief das eben. Zweimal ist sie deswegen schon vor Gericht gewesen. Immer hatte sie versprochen es nicht mehr zu tun.
Als ich an diesem Morgen zur Schule ging, ahne ich nicht, das ich meine Mutter zu letzen mal sah. Gegen Mittag holte mich eine andere Lehrerin aus der Klasse, und brachte mich zum Schuleiter. Ich bekam vor Angst richtige Bauchschmerzen. Was hatte ich den ausgefressen?
Im Büro des Schulleiters wahr eine fremde Frau, die sagte mir sie währe vom Sozialdienst, und ich müsste mitkommen. Ein Mitarbeiter des Jugendamtes währe zu Hause bei mir und hole meine Anziehsachen. Ich würde für einige Zeit in ein Heim müssen, weil die Polizei meine Mutter und ihren Freund ins Gefängnis gebracht hat. Meine Mutter und ihr Freund haben etwas verbotenes getan, und es währe nicht meine Schuld. Nicht meine Schuld? Aber warum werde ich bestraft, und muss in ein Heim?
Nein, das währe doch keine Strafe für mich, und ich hätte es da gut versuchte man mich zu trösten. Tapfer kämpfte ich mit den Tränen.
Der Schulleiter hat mir sogar die Schulbücher aus den Schulranzen genommen, die gehören schließlich der Schule meinte er.
Wir sind dann zum Rathaus gefahren, zum Jugendamt. Dort wurde dann hektisch telefoniert und verhandelt. Soviel ich mitbekam ginge es darum, in welches Heim ich sollte und man vergewisserte sich noch mal beim Richter, ob er meine Mutter wirklich nicht aus dem Gefängnis lassen mochte. Er mochte nicht. Auch mein Onkel war am Telefon, aber dort wollten die mich nicht hingeben. Immerhin durfte ich einige Minuten mit dem sprechen.
Am späten Nachmittag, bin ich dann mit der Monika, so hieß die Frau vom Jugendamt, erst in die Pommesbude gefahren um etwas zu essen. Dann hat die mich hier ins Heim gefahren, die Fahrt dauerte 2 bis 3 Stunden. Mir war zum Heulen. Alle taten sehr freundlich. Die Gruppe hat mich feierlich aufgenommen. Trotzdem, obwohl ich es nie zugeben würde, habe ich in dieser Nacht geheult.
Am nächsten Tag brauchte ich nicht i n die Schule, ich war alleine mit den Erziehern im Gruppenhaus.
Am nächsten Tag kam ich dann im Heim in die Grundschule.
Das ist jetzt ungefähr 7 Monate her. Ich habe nur 3 Briefe von meiner Mutter bekommen obwohl ich ihr am Anfang mehrmals die Woche geschrieben hatte. Mein Onkel hatte mich mal im Heim besucht, durfte mit mir aber aus irgendwelchen Gründen nicht raus. Anfangs hatte meine Mutter mir geschrieben, dass die einen guten Anwalt hätte, und der alles regeln würde, und wir wieder zusammen sein würden. Aber mittlerweile glaube ich nicht mehr daran.
Oh, wie leid ich mir nun tat, am liebsten würde ich jetzt einschlafen.
Ich lauschte den Geräuschen, irgendwo ging eine Türe. Das Wasser rauschte wieder im Rohr.
Aufwachen!!! Das Lischt ging an, und Annette, eine Erzieherin stand in der Türe. Na, da war ich doch eingeschlafen.
Erwartungsvoll bin ich aufgestanden. An das was ich so geträumt hatte, konnte ich mich nicht erinnern. Aber ich hoffte auf eine Geburtstagsüberraschung.
Im Waschraum wieder das übliche Chaos. Geschrei und das Geheule vom Armin, den die wieder fertig machten, weil der mit 9 Jahren immer noch ins Bett macht. Na ham deine Pampers schon den neuen Koalaverschluss? Normalerweise mochte ich den Armin nicht besonders aber heute habe ich mich zur Feier des Tages vor ihn gestellt. "Last den in Ruhe, der kann doch nichts dafür!" Auf die Pluspunkte, die ich vom Erzieher dafür bekam, war ich gar nicht scharf.
Beim Frühstück stand bei meinem Tisch ein großer Geburtstagskuchen, mit 11 Kerzen darauf.
Also hatten wenigstens die Erzieher und die Gruppe an mich gedacht. Ich wurde auch von den anderen auf dem Stuhl hochgehoben und hochleben gelassen.
Auf dem Weg zur Schule hat der Armin mich noch angesprochen, er reichte mir die Hand, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag noch. Das war lieb von ihm.
Nachmittags nach der Schule habe ich zwei Geburtstagskarten bekommen. Eine war von meinem Onkel, und die andere von der Stadt wo ich früher wohnte. "Der Bürgermeister" stand auf dem Umschlag. Ui, dachte ich, der schreibt mir? Na ja die Karte darin war "nur" von Monika, die Tante von Jugendamt.
Meine Mutter? Hat die mich vergessen? Ich fragte nach. Nein der Briefträger ist schon da gewesen.
Gegen 15 Uhr, haben die mich dann aus der Gruppe geholt. Zum Chef ins Verwaltungsgebäude sollte man mich begleiten. Na den hab ich gefressen, wenn der mir gratulieren wollte, hätte der auch herkommen können.
Na ja, er hat mir gratuliert, und gefragt wie es mir geht. Gut habe ich dem geantwortet. Wenn der wüsste, hab ich mir gedacht.
Moment noch, da ist noch was hat er mir gesagt, als ich schon gehen wollte.
Die haben mich gegenüber in einen Besprechungsraum gesetzt. Moment noch.
Auf einmal klingelte das Telefon. Stellen Sie bitte durch.
Man gab mir den Telefonhörer. Ich lauschte der Stimme am Telefon, eine fremde Frau fragte mich wer ich bin, meinen Name bitte, Moment, ich verbinde. Fragend schaute ich den Erzieher an, der mit mir im Raum war. "Es ist die Vollzugsanstalt", flüstert er, "die verbinden!" Er gab mir ein Zeichen, das ich den Hörer ans Ohr halten soll. Ich hörte eine Stimme, eine vertraute Stimme! Mutti? Mutti! Mir liefen die Tränen übers Gesicht. Leiser verlies der Erzieher das Zimmer und schloss die Türe hinter sich.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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