Chantal Dierks

Schmetterlingsleben

 

Chrysanie, bitte komm doch einmal her, meine Liebe“, hörte das Mädchen ihre Mutter rufen. Ein Lächeln strahlte über ihr Gesicht, war denn ihr Vater aus den Tropen endlich wieder nach Hause zurückgekehrt? So wäre es eine waren Freude. Sie strich sich über das rote lockige Haar und zog schnell ihre Hausschuhe an, ehe sie die Treppe aus Eichenholz herunter eilte in die große Eingangshalle.

„Ja, Mutter?“, gespannt sah die kleine in das wunderschöne Gesicht ihrer Mutter, die sich zu ihr runter beugte. Ihr blondes Haar fiel ihr über die Schultern. Sie trug noch ihren bestickten Morgenrock mit den wunderschönen roten Schmetterlingen, die sich auf grünen Ranken über den Stoff strichen. Ihre Augen waren grün, sowie auch die Augen des Mädchens, ihr Lächeln warm und herzlich, als sie ihre kleine in den Arm nahm.

„Ich habe gerade einen Brief bekommen, mein Schatz“, sagte sie fürsorglich und strich über das rote Haar ihrer Tochter, welche genau wie sie noch ihren Morgenrock trug, der ihr aber noch etwas zu lang war.

„Was denn für einen Brief“, drängte die Kleine, als ihre Mutter sie hoch auf ihren Arm nahm und mit ihr in den hellen Salon brachte. Das Sonnenlicht fiel durch die Scheiben und erhellte den gelb gestrichenen Raum mit seinen hellbraunen Möbeln, mit seinem glitzernden Licht, welches von dem See hinter dem Haus reflektiert wurde.

„Von wem ist er, Mutter?“, fragte sie, während ihre Mutter sie auf ihren Schoß nahm und sich auf einem der Möbelstücke niederließ. Ihre Mutter drehte den Brief zwischen ihren Fingerspitzen. Es war einst weißes Papier gewesen, welches aber auf seiner Reise zu diesem Haus etwas gelitten hatte. Es war etwas dreckig und an einer Ecke hatte es einen Riss ins Innere, der den Brief jedoch nicht beschädigt hatte.

„Mach doch bitte auf“, drängte die kleine Rothaarige, während ihre Mutter schweigend über die Kanten des Umschlages fuhr.

„Er ist von deinem Vater, Chrysanie“, erklärte sie und legte den Brief in den Schoß ihrer Tochter.

„Von Vater?“, ihre Augen glitzerten, seit Monaten hatte sie nun nichts von ihrem Vater gehört oder ihn gesehen, er war mit einer Expedition in die Tropen gegangen um Schmetterlinge zu erforschen. Er war Professor, ein erfolgreicher Professor noch dazu und daher auch vermögend, was den Wohlstand der Familie erklärte, jedoch war es nicht Geld, dass Chrysanie und ihre Mutter brauchten, sondern ihre Vater oder eben ihren Mann, der so selten Zuhause war. Die Beziehungen spielten sich in selten Briefen oder kurzen Besuchen ab, in welchem er antike Stücke brachte, kleine Geschenke für Tochter oder Ehefrau oder ein paar Schmetterlinge für seine Sammlung im zweiten Stock, die doch niemand außer ihm betreten durfte. Es war der Kummer, der sie also zerfraß, als Chrysanies Mutter den Brief sah. Ob er länger weg bleiben würde? Auch die Kleine verstand den Kummer, sie war zwar jung, doch trotz alledem wusste sie genau, dass ihre Mutter darunter litt, wie sie selbst. Ein Kind brauchte seinen Vater, wie eine Frau ihren Mann und ihn noch nicht mal zu ihrem Geburtstag gesehen zu haben stimmte sie so sehr traurig, dass sie den ganzen Tag weinte, sodass auch jetzt den beiden die Tränen flossen und den Umschlag mit Tränen nässten.

„Mama, mach ihn bitte auf“, die Kleine legte ihre Hand auf die ihrer Mutter. Ihre Hand zitterte leicht dabei, ehe ihre Mutter den Brieföffner nahm und vorsichtig den Brief öffnete.

„Okay, Schatz“, sie lächelte schwach, ihr Gesicht spiegelte sich in einem der Fenster ihr gegenüber. Mit spitzen Fingern zog sie das Briefpapier aus dem Umschlag. Ein paar Schmetterlinge waren auf ihm abgedruckt, das Papier roch älter und nach fremden Blumen und auch ein bisschen nach ihrem Vater. Chrysanie konnte noch nicht lesen, aber die verworrene Schrift schien nicht in einer ruhigen Phase geschrieben worden zu sein.
Ihre Mutter klappte den Brief aus, ein Schmetterling fiel zu Boden. Er war getrocknet, gestorben, jedoch war seine Erscheinung noch lebendig, anmutig und so schön. Chrysanie hatte noch nie in ihrem Leben einen so schönen Schmetterling gesehen. Sie rutschte von dem Schoß ihrer Mutter und hob ihn vorsichtig auf, um ihn nicht kaputt zu machen. Der Brief verriet nur weitere Trauer und ein langes Warten, dass doch nie enden sollte, denn ihr Vater kam nicht wieder. Das Einzige was sie bekamen war seine Truhe, die die anderen seiner Mannschaft ihnen zurück brachten. Es waren vier Jahre vergangen, als sie zurückkamen, vier Jahre in denen Chrysanie nichts von ihrem Vater hörte. Sie war gewachsen, ein hübsches junges Mädchen geworden, vernarrt in den Schmetterling, den sie einst bekommen hatte. Ihre Mutter hatte es nicht ertragen. Die Schönheit die sie hatte verflog in die Krankheit. Sie lag im Bett und litt unter verschiedenen Leiden aus Sehnsucht zu ihrem Mann, bis die Männer vor der Tür standen und der Familie die schreckliche Nachricht brachten.

Ihr Vater war verschollen, verschollen in den Tropen. Es brauchte nicht lange bis ihre Mutter ihrer Krankheit erlag und sie Waise wurde.

 

Es vergingen die Jahre der Trauer, die allerdings auf Chrysanie keine Spuren hinterließen, keine Äußerlichen nur tiefe Innerliche. Es dauerte lange bis sie Vertrauen zu einem jungen Mann aufbaute und ihn heiratete, sie zogen in ein schönes Haus am See, doch die Sommer verbrachte sie stets im Haus. Ihr Herz war schwer, wenn sie sah wie ihre Tochter im Garten mit den Schmetterlingen tanzte. Schmetterlinge, die Tiere die ihr sowohl die Mutter als auch ihren Vater genommen hatten. Diese schönen anmutigen Tiere, die sie früher geliebt hatte, doch nun, sie hasste sie abgrundtief. Sie waren böse Kreaturen in der Gestalt wunderschöner Tiere. Ihre Miene verzog sich. Der Schmetterling in ihrer Hand war die letzte Erinnerung an ihren Vater und doch war es grausam sie an zu sehen, so grausam. Ihr Herz war schwer als ihr Mann wieder ins Haus kam.

„Schatz, da draußen ist ein alter Mann, er sagt, dass er sie unbedingt sprechen muss“, ihr Blick ging unbeirrt aus dem Fenster. Der Mann war alt und grau, er stand bei ihrer Tochter und reichte ihr einen alten Kescher mit einem silbernen Griff.

„Ich kenne diesen Kescher“, sie nahm die Vorhänge zurück und trat in den Garten, der Blick lag fasziniert auf dem Mann, der dem kleinen Mädchen half den Kescher zu schwingen.

„Chrysanie“, er blickte auf und trat einen Schritt auf sie zu.

„Dad“

„Es war die Schmetterlinge, die mich zu dir geführt haben“, er zeigte auf den Schwarm der roten Schmetterlinge, die gleich den waren, die auf dem Morgenmantel ihrer Mutter waren.

Sie lächelte schwach und reichte ihm seinen Schmetterling, den er ihr vor vielen Jahren geschickt hatte als letzte Erinnerung an ihn, an sein Leben.

 

Ein Auszug aus dem Brief des Vaters:

>>Der Schmetterling wird seine Schönheit solange behalten bis ich nicht mehr bin, mein Kind<<

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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