Arno Gündisch

Was von unten kam

 Klack, klack, klack, klack....

Die Stiefel von Ricarda S- hinterlassen ein Perkussionsmuster auf dem Asphalt der Schneider-Wibbel-Gasse. Nicht ganz der heiße Salsa-Rhythmus, den sie gewohnt war. Doch es war Donnerstag abend im Februar und es war Düsseldorf, nicht Palma...

Also freute sie sich auf das ihr nahes Zuhause und auf das heiße Bad voller üppiger Aromen. Und auf Marios starke Hände, die ihre üppigen Brüste streicheln würden, bevor seine Zunge...

War das ein Erdbeben? Warum vibrierte der Boden denn so?

Ricarda stand einen Augenblick still. Da erreichte sie aus dem Hintergrund eine fiepsende Stimme:

Oh Ricarda, Mon Amour! Oh, ein Rotwein zu zweit!“

Ricarda verdrehte die Augen. Da war er wieder, dieser Angeber namens Roberto F-. Der kleine Altstadt-Napoleon und Besitzer mehrerer Restaurants, die seine Einsfünfundsechzig dennoch nicht vertuschen konnten. Von bloßem Besitz ließ sich Ricarda in ihrer Partnerwahl jedoch nicht beeinflussen. Zwar mochte sie Siegertypen, doch mussten sie außer ihrem Erfolg noch einiges an Aussehen vorzuweisen haben. So wie Mario, der Diskothekenbesitzer-einsfünfundneunzig groß, muskulös, ein mehrfacher Könner. Einer, der zu ihren Maßen eben paßte-einsfünfundsiebzig, durchtrainiert, mit eindeutig südländischem Einschlag seitens ihrer spanischen Mutter.

Hallo, Roberto“ Ihr Lächeln klang gequält. „Tut mir leid, ich bin heute so müde...“

Ricarda, cherie, das sagst du jedes Mal..“

Peeeter! Mensch, Peter, wo steckst du?“ Peeeeeter!“

Lass uns mal da drinne nachsehen..“

Mensch. Manni, bist du blöd? Boaaah, der Gestank...“

Irritiert blickten Ricarda und Roberto zum Ausgang Flinger Straße hin, wo drei reichlich angetrunkene Gestalten aus dem Dunkel hervortorkelten.

Hallo Süße“ lallte der Vordere, eine ungepflegte Erscheinung um die einsfünfundachtzig mit einer meterlangen Schnapsfahne, „hast du unseren-“

Signores, was soll das?“ Robertos Gestalt schien auf einmal um einen Meter gewachsen zu sein. „So früh und schon so besoffen?“

Er ist da drin, Kurt, er ist da drin!“

Ein untersetzer Zecher um die Dreißig/Einsachtzig mit riesigem Bierbauch wies diagonal über seine rechte Schulter.

Ricarda verdrehte die Augen. Nun war es also doch passiert! Da mussten sie sich schon monatelang mit den Kanalisationsarbeiten herumschlagen, lästige Umwege in Kauf nehmen, von dem miserablen visuellen Aspekt mal ganz abgesehen. Dabei müsste es doch jedem Unbedarften längst klar sein , dass sich früher oder später ein angetrunkener Altstadtgänger das Genick darin brechen würde!

Die Stadtverwaltung wiegelte alles ab. Halb so wild, das Ganze. Jedes Loch ist von einem genügend hohen Schutzzaun umgeben, so dass niemand so leicht reinfallen oder reinklettern könne...Denen war die Kreativität und Energie mancher schnapsbeseelten Zecher einfach unbekannt..

Eine innere Stimme riet ihr, schleunigst ihre gemütliche Wohnung am Ende der Bolkerstrasse aufzusuchen , wo Mario bestimmt schon sehnsüchtig auf sie wartete...Einem anderen Impuls folgend, beschloß sie jedoch, den Zechern auf der Suche nach ihrem verschollenen und/oder verunglückten Freund zu helfen, und sei es auch nur, um Robertos lästigem Gesülze zu entkommen...

Der hatte übrigens schon längst das Weite gesucht, wie immer, wenn eine Situation zu eskalieren drohte, oder persönlicher Einsatz gefragt war...

Nun gut, Jungs, wie ist euer Peter da reingeraten?“

Ähhh..also, Madame, das war so“...ließ sich Kurt vernehmen. „Wir waren gerade im Weißen Bären, alle schon ziemlich besoffen, da ist der Peter recht laut geworden, weil die Schnepfe von der Theke ihm keinen Whisky geben wollte. Danach wurden die stinkig und haben uns alle rausgeschmissen, mit dem Peter zuerst...die ließen uns nicht mal pinkeln gehen..“

Der Peter mußte aber; und zwar dringend...“ ergänzte der übergewichtige Zecher. „Wir kamen an diesem Loch vorbei, da sagte der Peter, wartet mal, ich muß..“

Wir hatten nämlich noch was vor, heute abend“ lallte der dritte Zecher, ein schlaksiger Kerl um die Zwanzig/Einssiebzig.

Ja, wir wollten zum Bahndamm, da soll`s n geilen Puff geben“, nahm Kurt den Faden auf. „Da lassen die dich nicht rein mit vollgepisster Bux...“

Die armen Frauen, dachte Ricarda, laut aber sagte sie: „Und dann kroch der Peter einfach mal zum Pinkeln in den Schacht, richtig?“

Ja, so war`s..aber ich glaube nicht, dass er zum Pinkeln gekommen ist“, erzählte der Schlaksige weiter. „Kaum war er unten, als er auch schon in den Kanal reinkroch...zuerst dachten wir, er will nicht, dass wir ihm beim Pinkeln zusehen, doch dann hörten wir ihn rufen...Karla, Karla!“

Die Karla war nämlich seine Ex, leider gestorben“ ließ sich Kurt vernehmen. „Und weißt du wie? Nun, sie fiel einmal in ein Loch..und weg war sie!“

Warum er aber ausgerechnet hier und jetzt nach Karla rief, dazu in dem Kanal, konnten wir nur raten...da kam auf einmal dieser Gestank...Mann, das roch wie Tonnen Scheiße am Gären...und dann..dann hörten wir ein Gurgeln, und weg war Peter!“

Mensch, Manni, das weißt du doch nicht“ fuhr Kurt den Bierbäuchigen an. „Vielleicht ist er noch da drin mit kaputten Knochen, und wir erzählen hier Märchen..Wir müssen jemanden verständigen, Polizei, Feuerwehr oder so...Madame, haben Sie ein Handy?“

Ja, sicher..aber zuvor will ich mir die Unglücksstelle selber ansehen..“

Kurz entschlossen folgte Ricarda den drei Zechern auf die Flinger Straße, wo sich eine weitere Umzäunung der offen gelegten Kanalisation befand. Der Zaun war recht hoch, doch einer geübten Free Climbing-Expertin konnte auch er nicht widerstehen. Ricarda entledigte sich kurzerhand ihrer Stiefel, und schwang sich auf den Zaun hinauf. Oben angelangt, riskierte sie einen Blick nach unten.

Zwar konnte sie im Dunkeln nicht viel erkennen, dafür aber umso besser riechen. Und was sie roch, ließ sie an Schlachthäuser denken, in denen täglich Ströme von Blut flossen...

Hastig schwang sie sich hinunter, ohne auf die gierigen Blicke der Zecher zu achten, die ihre muskulösen Beine allzu gerne studierten...

Euer Peter muss schlimm verletzt sein, er hat viel Blut verloren. ...“

Mensch, wir müssen wen rufen, Feuerwehr, Polizei, Notarzt....am besten alle zusammen..“Manni kramte sein Handy hervor und begann hastig, Rufnummern einzutippen.

Nun gut, Jungs..dann hoffe, ich, dass der Peter noch einmal davonkommt..und trinkt das nächste Mal nicht so viel..“

Mit dieser Ermahnung nahm Ricarda ihre Stiefel in die Hand und ging in Netzstrümpfen weiter. Bis nach Hause war es nicht mehr lang, und das kühle Pflaster tat ihren Füßen gut..

Kurz bevor sie die Haustürschlüssel aus ihrer Handtasche hervorkramte, fiel Ricardas Blick auf ein nahe gelegenes umzäuntes Loch, eine weitere Baustelle der Kanalisationsarbeiten. Schon wollte sie die Haustür aufsperren, da stieg ihr ein eigenartiger Geruch in die Nase.

Es roch wie damals...

..als sie Rolf kennenlernte, ihre erste große Liebe. Es war Sommer, sie war zu Besuch bei Verwandten im Sauerland, als sie sich in Rolf verguckte ,einem braungebrannten, athletischen Studenten..er studierte Bauingenieur...

Der Tag darauf..sie wird ihn nie vergessen..die Wiese, der Geruch von frisch gemähtem Heu..sie lag mittendrin, die Sonne schien auf sie und Rolf hernieder..vergoldete seine Muskeln, sein dunkelblondes Haar, seine Männlichkeit...die Hitze...die Leidenschaft, die sie beide fortriß...

Ohne nachzudenken, ließ Ricarda die Stiefel fallen und schwang sich auf den Zaun. Der Geruch nach Heu schien hier noch stärker, berauschte sie..ohne zu wissen, was sie tat, sprang sie in den Schacht...

Unten angekommen, störte sie zwar der Matsch, der zwischen ihren Zehen hervorquoll, doch folgte sie dem Geruch in den Schacht...irrte sie sich, oder erklang da eine ferne Stimme?

Ricarda...Ricarda...meine Liebe....“

Um Ricardas Fassung war es geschehen.

Rolf....Rolf, bist du das?“

"Ricarda....Ricardaaaa“ tönte es aus dem Schacht, schon etwas lauter. Gleichzeitig war ein eigenartig schleifendes Geräusch zu hören, wie etwas ungeheuer Großes, da schlängelnd näher kam...

Der Geruch von Heu wurde schwächer und durch den üblichen Baustellengeruch von nasser Erde und frischem Zement ersetzt. Ricardas Hirn arbeitete etwas klarer. Zum ersten Mal schien ihr klar zu werden, wo sie sich befand. Angewidert betrachtete sie den Matsch am Boden und die Schmutzflecken an ihren Kleidern.

War sie tatsächlich in den Schacht gestiegen, um Rolf zu finden, der vor zehn Jahren bei Bauarbeiten in Südspanien spurlos verschwand? Er stieg in einen Schacht hinunter, hieß es, und kam nie wieder zurück.

Einen Schacht wie diesen hier...

Das Schleifen wiederholte sich, dieses Mal bedrohlich nah. Und nun roch Ricarda etwas ganz anderes..

Einen Gestank von tausend Friedhöfen und Schlachthäusern...

Noch ehe sie sich erholen konnte, kroch etwas schmatzend aus der Schachtöffnung hervor. Zwei rote, sichelförmige Augen fixierten das zitternde Opfer...

Etwas Vielgliedriges mit messerscharfen Zangen stürzte sich auf Ricarda, die nicht mal Zeit zum Schreien hatte, bevor sie in die Schachtöffnung gezerrt wurde, eine breite Spur von Blut und Eingeweiden hinterlassend...

 Rheinische Post Düsseldorf, 02.03.2009:

 Düsseldorf-Aufgrund zweier schwerer Unfälle mit ungewissem Ausgang beschloss die Stadtverwaltung, die dringend notwendigen Arbeiten zur Modernisierung der Altstadtkanalisation erstmal auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Experten sehen den Grund dafür in der instabilen Beschaffenheit des Untergrundes in diesem Bausektor, der von der Statik her ganz neu bewertet werden muss. Projektleiter Dirk S- sieht demzufolge einen Neuansatz der Kanalisationsarbeiten in frühestens einem Jahr.

Von den beiden Verunglückten Peter F- (29) und Ricarda S- (32) fehlt nach wie vor jede Spur. Polizei und Feuerwehr gehen inzwischen davon aus, dass beide ihren Verletzungen erlegen sind. Darauf deutete schon der hohe Blutverlust an den Unglücksorten hin. Trotzdem werden alle Bewohner Düsseldorfs nach wie vor gebeten, bei der Suche nach den beiden Verschollenen behilflich zu sein.

Hinweise jeder Art können an allen Polizeidienststellen abgegeben werden.

Stille, Dunkelheit. Feuchte Kälte.

Dann Bewegung. Das Erdreich wird von etwas ungeheuer Starkem durchwühlt, das Schwingungen hinterlässt.

Ein Bewohner der oberen Welt würde sie als Radiowellen bezeichnen und vielleicht das hören:

Mario, Marioooo, wo bist du? Hier ist es so kalt, und ich friere...Wie ich mich nach dir sehne..Mariooooooo....komm, mein Starker, verwöhn mich noch mal...“

Die klamme Luft der Unterwelt ist durchsetzt von der Frequenz tödlicher Miasmen...

Ganz Düsseldorf ist zur Zeit eine einzige Baustelle. Man hat seine liebe Not mit all den Umgehungen, Umleitungen und Schleichpfaden, die mitten auf der Promenade entstehen.
Links grüßt ein massiver Bagger, rechts ein Holzzaun, der über Nacht entstand und oftmals ein tunnelartiges Loch verbirgt.
Wie wäre es aber, wenn in all diesem Chaos etwas gleich Starkes unbemerkt den umgekehrten Weg nimmt-nämlich den von unten nach oben?
Würde uns das genauso begeistern wie der medial gefeierte Fortschritt der Bauarbeiten?
Arno Gündisch, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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