Ramona S.

Der Energievampir


Da steh ich nun, hebe die Scherben meiner Ehe auf. Einer Ehe, die ich eigentlich nicht wollte, aber doch freiwillig einging. Nun habe ich sie zerschlagen, diese Scherben unter enormen Druck zwar, aber ich habe sie zerschlagen. Musste sie zerschlagen musste mich befreien. Das weiß ich jetzt. Eigentlich bin ich froh darüber, aber die Folgen dessen, was ich mir selbst angetan habe, spüre ich noch heute. Manchmal unerwartet kommt es wieder dieses Gefühl der Machtlosigkeit und der Energieleere und dann überkommt mich eine Wut. Eine Wut die so groß ist, dass ich sie in die Welt hinausschreien möchte, damit sie verschwindet und alles was an ihr heftet.

 
So begann es, vor nicht mehr als vier Jahren. Für meine Familie sind es nur vier Jahre. Für mich ist es kleines Leben, ein anderes Leben.
Ich war eine energiegeladene, selbstbewusste Powerfrau. Gerade hatte ich mir, spontan wie ich schon immer war, aus dem Bauch heraus, ein altes Häuschen gekauft. Ich stand fest im Leben, hatte einen guten Beruf und hatte jetzt sogar ein eigenes Haus. Ich kündigte meine Wohnung, von der ich mich nur schweren Herzens trennte, denn ich hatte so nette Vermieter.  Zog kurze Zeit später in mein eigenes Domizil. Das Haus lag in meinem Heimatort, nur wenige Häuser von meiner Mutter entfernt. Ideal, denn zu Ihr hatte ich schon immer ein sehr inniges, fast freundschaftliches Verhältnis.
Der obere Stock des Häuschens war nicht modern, aber bewohnbar. Also schlief ich die erste Nacht im Wohnzimmer auf einer unbequemen Sonnenliege. - Na was man nicht alles so in Kauf nimmt, für den eigenen Traum.-  
Ich war gerade wieder Single, aber glücklich und nun wollte ich mich mit viel Energie und mit neuen Ideen an die Renovierung dieses Häuschens machen. Alles lief toll, die Renovierung lief zwar langsam an, aber es ging uns gut von der Hand. Da ich nicht soviel Geld hatte um die Renovierung schnell durchzuziehen, hatte ich mir vorgenommen, alles Stück für Stück fertig zustellen. Zuerst war das obere Stockwerk dran. Täglich kam meine Mutter vorbei und half, wo sie nur konnte. Das Haus war für uns ein Spielplatz und die Renovierung und das sanfte Herantasten an das Projekt Haus, ein großer Spaß.  Es musste verputzt und gestrichen werden. Der alte Holzboden wurde liebevoll abgeschliffen, verfugt und versiegelt. Ich strotzte nur so vor Energie und Lebensfreude und wir wollten uns an diesem Haus verewigen. Wir wuchsen mir unseren Aufgaben und die Schwierigkeiten, die sich ergaben meisterten wir bravourös auch ohne gute Fachkenntnisse. Ich hatte das Gefühl, vor Energie zu platzen und glaubte die Welt läge mir zu Füßen. Alles was ich anfasste gelang und somit konnte ich alles schaffen. Meine Mutter und ich wuchsen weiter zusammen. Es  gab auch mal Auseinandersetzungen aber im Großen und Ganzen verstanden wir uns gut. Hatte ich etwas Geld wurde dies gleich ins Haus investiert. Hatte ich keines, gab es andere Dinge zu tun, für die kein Geld nötig war. Nach unserem Gutdünken haben wir den Garten und den alten Baumbestand auf Vordermann gebracht. Die Bäume wurden gestutzt, bis wir einen Mexikaner Hut durchwerfen konnten. Tagelang wurde die „alte Werkstatt“ von Müll und Schrott befreit. Dann wieder mit neuem Werkzeug bestückt und penibel eine Wand mit einer Aufhängung für diverse Werkzeuge angelegt. Ich ertappte mich beim Träumen, ständig hatte ich neue Einfälle und die irrsten Ideen. Dann hab mir ausgemalt im Winter in dieser alten Werkstatt, für mein ungeborenes Kind eine Puppenstube oder sonstiges Spielzeug zu bauen. Für die kalten Tage hätte ich mir einen kleinen Werkstattofen rein gestellt und nach Bedarf befeuer! t. Ich t räumte und glaubte nichts im Leben könnte an meinem stabilen Fundament rütteln…

 
Dann lernte ich meinen Mann kennen. Er hatte dunkle rehbraune Augen, braune Haare und ein freundliches Wesen. Er war einige Jahre jünger als ich und eigentlich war mein erster Gedanke, dass er überhaupt nicht für mich geeignet ist. Er war mir zu jung, naiv und unreif und eigentlich hatte er nichts was mich faszinierte. Er war ein netter Kerl, wir tranken ein Bierchen zusammen, ich dachte -wieso soll ich nicht mir ihm ausgehen oder mich freundlich mit ihm unterhalten?  Ich dachte mir nichts dabei. Aber heute denke ich - wäre ich ihm an diesem Abend aus dem Weg gegangen- die nächsten vier Jahre wären anders verlaufen…
Es gab eins das andere und noch bevor ich mich versah, waren wir ein Paar. Er zog bei mir ein und wir heirateten. Alles ging so verdammt schnell und unüberlegt. Natürlich muss ich sagen, er hat mich zu nichts gezwungen. Zumindest nicht direkt, aber ich glaube ich war in einer Art Trance, nicht fähig klar zu denken. Er erzählte mir von etwas und wenn ich noch so wenig seiner Ansicht war, irgendwann glaubte ich ihm oder ergab mich. Die Beziehung veränderte mich, er zog mich in seinen Bann und irgendwie führte er mich genau dort hin, wohin er mich haben wollte und ich… ging mit. Ich verlor mich immer mehr, hatte bald keinen Bezug mehr zu mir, meinen Gefühlen oder Gedanken. Als ich noch –innerlich bei mir war- sagte ich mal zu ihm „du raubst mir mein Lebenslicht“ - und das tat er auch. _Vielleicht hätte ich dort den Absprung wagen sollen.
Nach und nach gab ich mich auf nicht weil ich wollte, sondern weil es geschah. Ich die immer alles im Griff hatte, wurde von Tag zu Tag machtloser. Ich die Selbstbewusste, war plötzlich klein und schwach und wurde immer kleiner und schwächer und mein Haus versank im Chaos. Bald wurde mir alles zu viel. Mein Haus, mein Beruf, meine freunde, meine Hobbys alles war plötzlich mit einem enormen Kraftaufwand verbunden. Sogar morgens aufzustehen kam mir unüberwindbar vor. Ich kämpfte täglich gegen Windmühlen und verlor an Kraft. Ich kämpfte und kämpfte- heute weiß ich- an den falschen Fronten. Ich zog mich zurück, dachte ich brauche Ruhe und wieder Kraft zu sammeln. Dadurch kapselte ich mich ab und stand so immer mehr unter seinem Einfluss, der mir schadete. Ich verlor den Bezug zu Freunden, meiner Familie und mir selbst. Ich wusste nicht was mit mir und in mir passierte. Aber das schlimmste für mich war dass ich nicht wusste, woher es kam. Mein Gefühl wurde immer diffuser und es belog mich. Ich schob es auf die belastende Arbeit in der Jugendhilfe und den Schichtdienst. Denn ich war immer matt, kraftlos und antriebsarm. Ich hatte das Gefühl einen defekten Akku zu besitzen, den man ans Ladegerät hängt, der sich aber nicht mehr aufladen lässt. Ich konnte meinen Beruf nur noch unter Tränen und Angst nachgehen. Ich wurde krank, ständige Migräneanfälle, Schmerzen ohne erkennbare Ursachen, Übelkeit, Herzrasen und Schlafprobleme waren Begleiterscheinungen, die mir Angst machten. Meine Angst wuchs dass dieses „dunkle Loch“ in meiner Seele wachsen und mich verschlingen würde, dass ich vielleicht niemals den Ausweg aus dieser Lage finden würde. Der Endpunkt kam und ich landete mit einer Bruchlandung in einem Nervenzusammenbruch. Krankenschein und Psychotherapie folgen. Über Wochen war ich krankgeschrieben und immer wieder dieselben Fragen, die keine Antworten brachten, weil ich sie mir schon 1000mal selbst gestellt hatte. Aber nie hätte ich gedacht dass mein Mann der Auslöser für meine kritische Lage sein könnte. Ich st! and unte r wie unter Drogen, nicht fähig klar und logisch zu denken, geschweige denn auf mein Gefühl zu hören.
Ich brach die Therapie ab, weil sie mir nicht half und suchte mir -immer noch im Glauben meine Arbeit wäre Schuld- eine Weiterbildung zur Gesundheitspädagogin. Meine Familie erklärte mich für verrückt. Eine total „Überlastete“ sucht sich noch mehr Belastung?! Aber diese Flucht, einmal im Monat ein komplettes Wochenende und nur für mich zu sein, half. Die behandelten Themen passten genau in meine Situation und so therapierte ich mich selbst. Stück für Stück, Wochenende für Wochenende gewann ich so wichtige Distanz. Meine Mutter hatte über die Ganze Zeit immer wieder gesagt, sie habe den Eindruck, mein Mann wäre der Auslöser für diese Sache. Aber ich hörte nicht hin- denn ich liebte ihn ja- dachte ich. Dann fiel mir irgendwann ein Buch in die Hände, dabei ging es um Energievampire und ich fand sehr viele Parallelen. Dieses Wort ging mir seitdem auch nicht mehr aus dem Kopf.

 
Heute steh ich vor den Scherben meiner Ehe, es war nicht immer leicht- denn ich habe mich getrennt ohne zu wissen ob es „besser“ wird oder „schlimmer“. Denn bis zum Schluss konnte ich nicht glauben, dass eine andere Person, so etwas in mir auslösen kann. Aber ab einem Punkt ging es nur noch ums nackte Überleben. Denn es war Einzige was ich zu meiner Genesung noch nicht versucht hatte. Zunächst wurde es schlimmer, viel schlimmer, denn meine Kraft und mein Selbstbewusstsein waren weg und blieben weg. Mein Haus war in einem so erbärmlichen Zustand. Langsam setzte ich mich mit dem Gedanken auseinander, es mit schwerem Verlust verkaufen zu müssen.
Aber jetzt 6 Monate nach der Trennung und 2 Monate ohne Kontakt zu ihm, weiß ich, es war richtig und es war wichtig. Denn er ist ein Energievampir, zumindest für mich. Auf andere Menschen muss er nicht so einen Einfluss haben. Er hat in all der Zeit unserer Beziehung auch immer nur das Beste für mich gewollt. Er war sich seines negativen Einflusses auf mich, ebenso wenig bewusst wie ich.  Er ist kein schlechter Mensch, Nein- er hat mir einfach nur nicht gut getan.
Mein Häuschen ist fast fertig –mein Vater hat mir dabei sehr geholfen, ohne ihn wäre ich verloren gewesen- zumindest das Haus wäre verloren. Und mit dem wachsen des Häuschens kam auch meine Stärke und mein Selbstvertrauen zurück.
Natürlich war auch das nicht unbedingt eine leichte Zeit, für meinen Vater nicht und für mich auch nicht. Denn meine Träumen und Visionen kehrten mit meiner Genesung zurück und damit auch mein Dickkopf. Da waren Reibereien natürlich nicht zu vermeiden, aber es wird. Wenn ich jetzt noch mal vorsichtig zurück –in das schwarze Loch sehe- muss ich sagen, ich bin mit vielen Schrammen, blauen Flecken und vielleicht ein paar Knochenbrüchen weggekommen, aber ich hab es überlebt. Es hätte mich auffressen können. Was jetzt noch als „Rest“ geblieben ist, wird auch wieder werden. Zum Beispiel das Verhältnis zu meiner Mutter hat gelitten. Ich glaube manchmal, meine Veränderung in dieser Zeit kann sie nicht so einfach hinter sich lassen und sie ist sich vielleicht nicht sicher wie viel davon noch in mir steckt. Aber ich bin zuversichtlich… das wird schon wieder. Mein Akku ist ja auch wieder in Ordnung gekommen.

 
Was ich aus dieser Verbindung und dieser Situation zu lernen hatte, werde ich vielleicht in den nächsten 6 Monaten herausfinden. Zuerst habe ich mal noch eine Scheidung hinter mich zu bringen – wie doof, ich wollte immer den Richtigen heiraten.
Aber eins weiß ich jetzt - wieder- .
Jede noch so schwierige Prüfung im Leben hat einen Sinn, der sich einem irgendwann erschließt.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ramona S.).
Der Beitrag wurde von Ramona S. auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Ramona S. als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Kein Leben hinter mir: Trauma oder Irrsinn von Klaus-D. Heid



Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Lebensgeschichten & Schicksale" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Ramona S.

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Unser gemeinsames Leben von Karl-Heinz Fricke (Lebensgeschichten & Schicksale)
Krankheiten von Norbert Wittke (Glossen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen