Klaus-D. Heid

Einkaufserlebnis

„Ich hab etwas, das Dir gefällt!
Willst Du es haben, gib mir Geld!
Hast Du kein Geld, dann bleibt es mein;
so einfach kann ein Handel sein!“

Einkaufserlebnis

Manuela S. stocherte mit langen, knallig rot lackierten Fingernägeln in ihrer Mundhöhle herum, um sich von einem lästigen Stück Frikadelle zu befreien, das sich in einer Zahnlücke verschanzt hatte. Sie war sich sicher, daß es sich nur noch um Sekunden handeln konnte, bis ihre Zunge endlich wieder das gewohnte Loch ertasteten würde. Als sich diese Hoffnung als Trugschluß erwies, griff Manuela S. zu stärkeren Geschützen! In aller Gemütsruhe kramte sie aus ihrer Handtasche eine Nagelfeile hervor, mit deren Hilfe sie nun versuchte, das festsitzende Fleischstückchen heraus zu bohren.

Ungefähr eine viertel Stunde kratzte, bohrte und stocherte sie in den Tiefen der löchrigen Zahnreihen herum, bis sie auf unangenehmste Art und Weise bei ihrer Operation gestört wurde:

„Bitte, verzeihen Sie, Fräulein; aber können Sie mir wohl sagen, wo ich Oberhemden finde?“

Äußerst verärgert über die Störung zog Manuela S. die Nagelfeile aus ihrem Mund heraus. Schnell wischte sie ihren feuchten Finger an der Bluse ab, bevor sie auf die Frage des Mannes einging.

„Zweiter Stock! Glaube ich jedenfalls!“

Ohne sich weiter um den Fragenden zu kümmern, wollte Manuela S. ihre Odyssee durch die Mundhöhle fortsetzen, als sie auch schon mit der zweiten Frage des gleichen Mannes konfrontiert wurde.

„Bin ich denn hier nicht im zweiten Stock, Fräulein?“

Jetzt war Manuela S. deutlich anzusehen, wie sehr sie sich in ihrer Tätigkeit gestört fühlte! Mit einer Gesichtsfarbe, die perfekt zu ihren Fingernägeln paßte, herrschte sie den Mann an:

„Ich kann schließlich nicht alles wissen! Fragen Sie doch eine Kollegen! Übrigens bin ich gerade beschäftigt! Sehen Sie das denn nicht?“

Sie haben Recht! Manuela S. ist kein typisches Beispiel für Verkäuferinnen, die uns jeden Tag mit ihrem Wissen und ihrem Fachverstand verwöhnen. Bestimmt ist Manuela S. eine dieser Ausnahmen, die einen dunklen Schatten auf die Berufsgruppe der Verkäuferinnen werfen! Es ist meine feste Überzeugung, daß die meisten Berufskolleginnen von Manuela S. das störende Stück Frikadelle viel schneller beseitigt hätten, um dann dem Kunden höflich, aber bestimmt zu bedeuten, daß auch eine Fachverkäuferin nicht zu jeder Frage eine passende Antwort haben kann... !

Um mich jedoch davon zu überzeugen, wie es tatsächlich um die Qualifizierung der Verkäuferinnen im Einzelhandel bestellt ist, habe ich die Probe aufs Exempel gemacht! Ich habe mich stundenlang und als harmloser Kunde getarnt, in ein Kaufhaus eingeschlichen, um der Frage auf den Grund zu gehen:

›Wie sehr stören Kunden den Arbeitsalltag einer Verkäuferin?‹

Einer alten Angewohnheit folgend, begann ich meinen Testmarsch im Untergeschoß eines Kaufhauses, das sich den Slogan ‚...Sie sind unser Bestes!‘ auf die Fahnen geschrieben hatte.

Wenn das denn stimmen sollte, würde mein Rundgang durch die prall gefüllten Regale voller Schreibwaren, Schulranzen und Geschenkbüchern, zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden! Schon immer wollte ich mich in aller Gemütsruhe über ein paar Dinge informieren, die meiner Familie und mir von Nutzen sein konnten!

Darüber hinaus liebe ich den Geruch von Papier und Leder; und ich freute mich regelrecht darauf, ohne festes Ziel durch die Gänge zu wandern.

Um eventuell hektische Abläufe nicht zu sehr zu stören, rollte ich vergnügt morgens um zehn auf der Rolltreppe ins Untergeschoß. Sofort stieg mir der ersehnte Geruch in die Nase und ich stellte mich auf viele informative Gespräche mit dem Fachpersonal ein. Als erstes viel mir ein Regal ins Auge, auf dem hochgestapelt ein Sonderangebot plaziert war, das mich interessierte. Es handelte sich um hübsch eingebundene Terminkalender, die – allesamt mit Goldschnitt versehen – zu einem besonders günstigen Preis angeboten wurde. Jedes dieser Terminbüchlein sollte statt DM 29,80 nur noch DM 12,75 kosten! Ein echtes Schnäppchen, dachte ich mir und griff nach einem Exemplar, um es genauer in Augenschein zu nehmen.

„Bitte berühren Sie die Ware nicht! Es hat nämlich viel Arbeit gemacht, diese Stapel aufzurichten!“

Ich gehöre nun mal zu den Menschen, die gerne genau wissen, was sie kaufen! Außerdem erschien mir ein Terminkalender nicht unbedingt zu den Waren zu gehören, die besonderen hygienischen Bedingungen unterliegen! Ein wenig verärgert drehte ich mich zu der barschen Stimme um, die mich wie einen kleinen Jungen zurecht gewiesen hatte und blickte in ein Gesicht einer jungen Dame, die gut und gerne meine Tochter sein konnte.

Beide Augenbrauen waren, ebenso wie die Unterlippe und die Nase, von kleinen Ringen durchzogen.

Als Mann mit viel Verständnis für Modeerscheinungen, hätte ich nicht unbedingt etwas dagegen gehabt; aber gleichzeitig mit einem struppigen grell grün gefärbten Haarschopf sowie einem Tattoo auf der Wange (Ich liebe Dich!) konfrontiert zu werden, war mir doch ein bißchen zuviel des Guten!

Noch immer bester Hoffnung auf eine nette Shopping – Tour antwortete ich dem Mädchen:

„...haben Sie etwas dagegen, wenn ich einen dieser hübschen Kalender kaufe? Ich dachte nämlich, das sei der Sinn eines Kaufhauses! Oder stehen die Waren hier nur zur Dekoration herum?“

Ich hätte mir den etwas bissigen Ton verkneifen sollen. Anja Kleine (so stand‘ s auf ihrem Namensschild) stemmte plötzlich die Hände in die Hüften und schien wirklich nicht ihren besten Tag zu haben.

„Kaufen dürfen Sie schon! Aber angrabbeln müssen Sie die Ware ja nicht!“

Langsam beschlich mich das Gefühl, daß es vielleicht doch nicht so gemütlich beim Bummeln zugehen würde, wie ich es mir erhofft hatte! Natürlich hatte ich Verständnis für die Menschen, die in filigraner Kleinarbeit die Kalender übereinander gestapelt hatten – aber wie, um Himmels Willen, sollte ich einen Kalender zur Kasse tragen, ohne ihn berühren zu dürfen?

War es nicht vielmehr so, daß es der jungen Dame völlig egal war, ob sich diese Kalender verkaufen ließen oder nicht?

Unabhängig von dieser Frage wollte ich gerne einen der Kalender zum Sonderpreis von DM 12,75 kaufen! Da aber der gepiercte Papagei hinter mir stand, als gälte es die Kronjuwelen der Queen zu bewachen, mußte eine Klärung herbeigeführt werden!

„Sagen Sie, junge Frau; ist es hier Ihre Aufgabe, zu verkaufen und zu beraten? Oder hat Sie die Konkurrenz eingeschleust, um Geschäfte zu verhindern?“

Junge Menschen neigen dazu, den sarkastischen Hintersinn einer Frage zu überhören! Sie fühlen sich statt dessen schnell angegriffen und meinen, Kontra geben zu müssen.

„Na, hören Sie mal! Ich hab‘ s doch nicht nötig, mich von Ihnen anmachen zu lassen, Sie Spinner!“

Schade eigentlich! Ich hatte vor, in einem netten Plausch den Konflikt aus der Welt zu schaffen! Aber auch ich habe meinen Stolz und hielt deshalb den Zeitpunkt für gekommen, nach dem Vorgesetzten des Mädchens zu fragen. Vielleicht war es auch im Sinne des Kaufhauses, wenn der Abteilungsleiter erfuhr, was hier abging!

„Der ist zum Mittag!“, schnippte sie mir entgegen. „Und überhaupt hat er keine Zeit! Also? Was ist nun? Wollen Sie den Kalender nun kaufen oder nicht?“

Man soll den Tag nicht vor dem Abend verfluchen! Also teilte ich ihr mit sanfter Stimme mit, daß ihr Abwehrversuch gefruchtet hatte und daß ich den Kalender lieber für den doppelten Preis bei der Konkurrenz kaufen wollte!

„...ist mir auch recht!“ hörte ich sie noch sagen, bevor ich auf der Rolltreppe in höhere Gefilde entschwand, um vielleicht in einer anderen Abteilung bessere Erfahrungen zu machen! Plötzlich fiel mir nämlich ein, daß ich meiner Frau unbedingt ein ganz spezielles Parfüm mitbringen wollte, das man leider nur selten und schon gar nicht überall kaufen konnte!

Die Parfümerie befand sich – wie man schnell erriechen konnte – im Erdgeschoß! Hier herrschte bereits ein reger Andrang an den Ständen, auf denen diverse Probefläschchen postiert waren, um zum Kaufen anzuregen.

Unzählige Frauen und Mädchen umlagerten die Regale und waren in wichtige, kosmetische Gespräche mit den Verkäuferinnen vertieft.

Kleine Pappstreifen wurden eifrig besprüht, um dann vor den Nasen hin und her gewedelt zu werden. Die Innenseiten von Dutzenden Handgelenken wurden mit prüfendem Blick und schnuppernder Nase aneinander gerieben, um auch ja den richtigen Duft unter den überteuerten Wässerchen auswählen zu können.

Mir, als Mann im mittleren Alter, erscheint es immer etwas übertrieben, wenn sich Frauen dermaßen von Biagotti, Armani, Lauder und Boss inspirieren lassen – aber andererseits liebe ich es auch, wenn ein dezenter Duft die natürliche Ausstrahlung einer Frau betont. Vielleicht ist es mein Fehler, daß ich zu sehr das Wort ‚dezent‘ und nicht das Wort ‚Duft‘ betone!

Egal! Meine Frau hatte sich ‚CIAO‘ von Enrico Contese gewünscht. Nur ein einziges Mal haben wir es in einer kleinen Drogerie in der Nähe der französischen Grenze gefunden, und seitdem suchen wir – daß heißt, suche ich – ‚CIAO‘ bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Unter Umständen gab es ja die Möglichkeit, das Parfüm zu bestellen! Schließlich gehört Enrico Contese zu den Duftdesignern, die selbst von einem Joop und Hugo Boss mit Hochachtung bewundert werden!

Anders, als im Kellergeschoß, lebte und bewegte sich hier etwas. Ich, als Kunde, hatte das Gefühl, daß man durchaus die Chance haben konnte, eine kompetente Ansprechpartnerin zu finden. Alleine das Äußere der Frauen, die hier bedienten, war ‚perfekt‘! Wenn auch etwas viel make up auf den Gesichtern klebte, war es doch künstlerisch und geschmackvoll aufgetragen worden.

Sofort, als sich die Gelegenheit bot, eilte ich auf eine der Damen zu, die eben noch freundlich und etwas übertrieben eine Kundin mit zwei Tüten Schönheit verabschiedet hatte und bat sie um Rat!

„Wären Sie so nett und helfen mir bitte weiter? Ich bin nämlich auf der Suche nach...“

Das perfekte Gesicht unterbrach mein Frage, indem sie mir eine Antwort gab, die ich nicht hören wollte.

„Den Gang runter und dann rechts halten!“

Ich verstand nicht! Was war den Gang runter? Und was sollte ich rechts halten? Scheinbar verwechselte sie mich mit jemandem. Also startete ich einen zweiten Anlauf.

„Ich such nach einem Parf..“

„Ich sage doch! Den Gang runter und rechts halten!“

Irgendwie paßte nun der Ton der gestylten Dame nicht zu meinem ersten Eindruck.

Ich wollte den Gang nicht runtergehen! Und schon gar nicht jetzt! Und auch rechts halten wollte ich mich nicht! Es mußte doch möglich sein, eine Antwort auf eine lächerliche Frage zu erhalten! Es mußte auch möglich sein, erst einmal die dafür nötige Frage aussprechen zu können!

Bevor sich diese Ignorantin einer anderen Kundin zuwenden konnte, baute ich mich mit erhobenen Augenbrauen vor ihr auf.

„‘CIAO‘ von ENRICO CONTESE! Führen Sie das? Und wenn nein, können Sie es mir bestellen?“

Vielleicht traf sie die Erkenntnis wie ein Blitz? Vielleicht war es einfach ungewöhnlich, daß ein MANN in dieser Abteilung nach Rat suchte? Jedenfalls sah sie mich zum ersten Mal mit offenen Augen an.

Tatsächlich schien sie mich jetzt als Kunden zu verstehen, der in der richtigen Abteilung eine Auskunft haben wollte! Sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, soweit dies die mächtige Schicht Farbe auf ihrem Gesicht zuließ.

„Bitte verzeihen Sie..., aber ich dachte, Sie wollten in die Herrenkonfektion! Wissen Sie, heute morgen ist hier bereits so viel los, daß man kaum zum Denken kommt!“

Sehr sympathische Entschuldigung! Das war jetzt genau der richtige Ausgleich zu meinem Erlebnis in der Kelleretage des Kaufhauses!

„Wonach, sagten Sie, suchen Sie?“

„‘CIAO‘ von Enrico Contese! Es ist für meine Frau, müssen Sie wissen!“

Als sie registrierte, wonach ich suchte, weiteten sich ihre Augen, so sehr dies die falschen Wimpern und die angemalten Augenbrauen zuließen.

„CIAO? Ein echter Duft zum verlieben! CIAO ist eine Mischung aus afrikanischen Mahagoniduft und indischen Kräuterelixieren! Eine winzige Nuance Flieder macht ‚CIAO‘ zu einem der erlesensten Parfüms, das ich jemals riechen durfte! Wissen Sie; an der richtigen Frau macht ‚CIAO‘ jeden Mann zu einem Draufgänger. Leider kann ich es mir nicht leisten...! Schade!“

Das mit dem Draufgänger konnte ich so nicht bestätigen; aber auch mir gefiel der Duft von diesem Parfüm an meiner Frau ausgesprochen gut. Bedauerlich war nur, daß meine Frau das winzige Fläschchen verbraucht hatte!

„Und? Führen Sie es?“ fragte ich die Dame mit dem verträumten Gesichtsausdruck. „Haben Sie es vorrätig oder kann ich es vielleicht bei Ihnen bestellen?“

„Der kleine Flakon mit Zerstäuber kostet aber über zweihundert Mark!“

Ja! Das war schon viel Geld für so ein bißchen Duftwasser; aber noch mehr interessierte mich die Antwort auf meine Frage! Also wiederholte ich:

„Kann ich denn ‚CIAO‘ bei Ihnen bekommen, junge Frau?“

„...und der große Flakon mit der doppelten Füllmenge kostet bereits vierhundert Mark!“

Schade! Ich hatte so große Hoffnungen in das Gespräch gesetzt! Allerdings schien ich mich entweder unklar auszudrücken oder aber, die Sehnsucht der Verkäuferin nach ‚CIAO‘ war so groß, daß sie alles um sich herum - einschließlich meiner Frage - vergessen hatte!

Einen letzten Versuch wollte ich noch starten, bevor ich mich zu einem Vorurteil in Sachen ‚Verkaufsqualität‘ hinreißen ließ. Ich wollte nicht zu voreilig zwei Erfahrungen innerhalb einer halben Stunde als Maßstab für das gesamte Verkaufspersonal setzen!

„Den kleinen Flakon, den für über zweihundert Mark – haben Sie den wohl am Lager? Ich möchte ihn nämlich kaufen!“

Es hatte einfach keinen Sinn...

„Eine gute Wahl, mein Herr! Es macht auch überhaupt keinen Sinn, die doppelte Menge zu kaufen! Ist ja überhaupt kein Preisvorteil, nicht wahr?“

Ich überließ die Schwärmerin ihren Träumereien und machte mich auf den Weg „...den Gang runter und dann rechts!“, um in die Herrenkonfektion zu gelangen.

Meine Hoffnungen richteten sich nun auf die Frage, ob ich eine kompetente Beratung in Sachen ‚Anzug‘ erhalten konnte. Das Parfüm für meine Frau würde ich über einen Versandhandel bestellen! Zumindest war dort die Wahrscheinlichkeit sehr klein, daß man vor lauter Begeisterung das Verkaufen vergaß!

Den Gang runter – und dann rechts!

Die Abteilung für Herrenkonfektion machte einen biederen Eindruck. Mindestens vier seriös wirkende, in langweiligen dunkelblauen Anzügen gekleidete Männer meines Alters, warteten auf Kundschaft.

Um diese Wartehaltung nicht zu offenkundig zur Schau zu tragen, schoben sie Hosen und Jacketts auf den Metallschienen der Ständer von links nach rechts. Ich sah, wie einer einen Anzug von der Stange nahm, um ihn – nach einen kleinen Rundgang mit beschäftigtem Gesicht – wieder an die gleiche Stelle zu hängen.

Ein anderer Verkäufer zog sich, da er sich offensichtlich unbeobachtet fühlte, irgend etwas aus der Nase und wischte das gefundene Etwas an einer Hose ab, die an einem ‚reduzierte Ware‘ Ständer hing!

Alles in allem war außer diesen Verkäufern kein Kunde zu sehen. Um so mehr erwartete ich, daß sich bei meinem Aufkreuzen alle Herren mit Brachialgewalt auf mich stürzen würden, um mich zum Kauf eines teuren Anzuges zu überreden!

Weit gefehlt!

Kaum hatte ich mich – interessiert suchend – an den Platz begeben, an dem die nicht reduzierten Anzüge hingen, hatten es die Herren Verkäufer geschafft, sich meinem Blickfeld zu entziehen!

Auch nach intensiven Bemühungen meiner Adleraugen, blieben die Verkaufskanonen verschwunden! Jetzt stellte ich mich so in die Mitte der Abteilung, daß man mich wirklich nicht übersehen konnte. Ich setze meinen ‚Verzweifelungsblick‘ auf, um die Hilfe der Verkäufer herbei zu flehen!

Nichts! Als hätten sie sich in Luft aufgelöst, stand ich alleine mit Hosen, Jacken und Oberhemden, in der riesigen Abteilung der Herrenkonfektion und verstand die Welt nicht mehr! Man mußte mich gesehen haben! Man mußte bemerkt haben, wie ich mich verzweifelt nach Hilfe suchend, umgesehen habe!

Wie lautete doch der Kaufhausslogan? „Sie sind unser Bestes!“? Wenn das so war, weshalb flüchteten dann die Verkäufer vor einem potentiellen Kunden, der in Kauflaune war?

Oder hatte sich den Slogan eine Werbefirma ausgedacht, die nichts, aber auch gar nichts, von der Realität wußte? Was mußte ich, als Kunde, eigentlich tun, um etwas kaufen zu können?

Antworten erhielt ich nicht; und wenn doch, waren es die falschen! Ware durfte ich nicht anfassen, und wenn doch, maßregelte mich ein poppiger Papagei aus der Freakshow! Verkäufer verkrümelten sich, nachdem sie ihren Nasenmüll an Verkaufsware geschmiert hatten...

Ganz langsam kam ich zu dem Schluß, daß ich entweder unter bestialischem Mundgeruch litt, einen ätzenden Schweißgestank verbreitete, zahlungsunfähig aussah – oder aber den Beweis erbracht hatte, daß es um Verkäufer und Verkäuferinnen dramatisch schlecht bestellt war!

Um mir nicht den Rest des jungen Tages zu verderben, entschloß ich mich, den Heimweg anzutreten. Gerade in dem Moment, als ich der Herrenkonfektion den Rücken kehren wollte, sprach mich ein junger Mann an, der mir zuvor nicht aufgefallen war.

„Sie können nicht finden, wonach Sie suchen?“

Na gut! Einen Versuch noch!

„Stimmt! Ich bin auf der Suche nach einem Anzug.“

Ich sah tatsächlich ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht des Mannes, der ungefähr zwanzig Jahre alt sein mochte. Seine Augen zeigten mir, daß er Lust darauf hatte, mir weiterzuhelfen.

„Und zu welchen Anlaß möchten Sie den Anzug tragen? Soll er für eine besondere Gelegenheit sein oder suchen Sie einen Anzug, den Sie auch alltags tragen können?“

Wunderbar! Herrlich! Fragen, die ich liebte! Hier war offenbar ein junger Mann am Werk, der seinen Kopf zum Denken benutzte! Da dachte jemand über meine Wünsche nach!

„Ich möchte ihn bei der Arbeit tragen, wissen Sie!

Er sollte also nicht zu empfindlich, aber trotzdem von guter Qualität sein! Außerdem mag ich kein Blau und hasse Nadelstreifen!“

Während ich ihm ansah, daß er nachdachte, sagte er zu mir:

„Na, da geht‘ s Ihnen wie mir! Meine Lieblingsfarbe ist übrigens Anthrazit. Und Ihre?“

Nachdem er von mir erfahren hatte, daß ich am liebsten Beige trug, führte er mich zu einem Anzug, den er mit sicherem Griff von der Stange nahm und mir reichte, als wüßte er, daß dieser und kein anderer Anzug zu mir passen mußte!

Selbst meine Größe hatte er korrekt eingeschätzt! Höflich bat er mich, den Anzug in einer Kabine anzuziehen, um mich in Ruhe vom Sitz und vom Material überzeugen zu können. Vollauf begeistert, verzichtete ich auf eine Anprobe und reichte den Anzug wieder dem jungen Verkäufer.

„Schon gut! Ich weiß, daß er paßt! Und er gefällt mir ausgesprochen gut! Wissen Sie eigentlich, daß Sie mir heute den Tag gerettet haben? Ich dachte schon, es gibt hier keine kompetenten Verkäufer... !“

Als er das hörte, wurde sein Lächeln noch etwas intensiver und eine leichte Verlegenheit mischte sich in seinen Gesichtsausdruck.

„Vielen Dank für das Kompliment! Allerdings befürchte ich, daß Sie sich zu früh gefreut haben!“

Was sollte das nun? Er hatte es geschafft, mir einen einzigen Anzug zu zeigen, der mir auch auf Anhieb gefiel – und nun das? Ich war schließlich von dem Zwirn so begeistert, daß ich noch nicht einmal auf den Preis geschaut habe! Na, wenn das keine Leistung von ihm war... ! Was also sollte seine Andeutung, daß ich mich zu früh gefreut hatte?

„Ich verstehe nicht, was Sie meinen, junger Mann! Stimmt irgend etwas nicht?“

„Doch, doch! Alles ist in bester Ordnung! Es hat mir viel Spaß gemacht, Ihnen weiterzuhelfen! Allerdings habe ich Ihnen meine Hilfe nicht als Verkäufer angeboten!

Ich bin nämlich auch auf der Suche nach einem Anzug und konnte einfach nicht mit ansehen, wie Sie scheinbar hilflos und ohne jede Beratung durch die Unmengen von Anzügen geirrt sind! Aber ist ja auch egal, oder? Hauptsache, Sie sind zufrieden!“

Donnerwetter! Ich war zufrieden! Allerdings war mein Weltbild in Sachen ‚Beratung‘ in diesem Kaufhaus ein für alle Mal erschüttert. Ich bedankte mich bei dem freundlichen ‚Aushilfsverkäufer‘ und konnte mir eine allerletzte Frage nicht verkneifen.

„Sagen Sie mal..! Verstehen Sie vielleicht auch was von Parfüms?

Ich suche da nämlich etwas ganz Bestimmtes...“

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