Calvin Caumanns

Der Ausreißer


Er versuchte hilflos auf das Eis zurückzukommen, er versuchte laut um Hilfe zu rufen, doch das Wasser war so kalt, dass er nur ein leises Gepiepse von sich geben konnte. Er spürte seine Beine nicht mehr. Seine Hand schnitt er sich bei dem Versuch, sich am Eis hoch zu ziehen. Wie durch ein Wunder fasste er alle Kraft zusammen und zog sich hoch auf das Eis. Vorsichtig krabbelte er auf allen vieren über das Eis, auf das gefrorene Gras. Er fühlte sich jetzt sicherer. Er stand auf und ging über die Felder, bis an eine einsame Straße. Er brauchte Hilfe. Sonst war er nie auf Hilfe angewiesen. Seit drei Jahren waren seine Eltern tot. Nach der Beerdigung war er weggelaufen, weit , wo ihn niemand fand. Er lebte in einem Baumhaus im Wald. Er aß Pilze aus dem Wald, mit denen kannte er sich gut aus. Als sein Vater noch lebte, hatten sie oft für seine Mutter welche gesammelt. Er aß auch Fleisch und andere Sachen, die er sich im Dorf klaute. Manchmal ging er auch auf die Straße und bettelte um Geld. Er hatte schreckliche Angst als auf einmal die Lichter eines Autos zu sehen waren. Doch er brauchte unbedingt Wärme, trockene Kleidung und ein paar Pflaster für seine blutenden Hände. Die Menschen würden ihn fragen, wo er wohnt. Wenn sie rauskriegen würden, dass er keine Eltern hatte, müsste er ins Heim. Das Licht wurde heller und man hörte einen leisen Motor. Das blaue, etwas kleinere Auto fuhr jetzt auf ihn zu. Man hörte das schrille Quietschen von alten Bremsen. Eine Frau, Anfang fünfzig mit braun-grauen Haaren guckte ihn aus dem offenen Fenster an. „Was tust du hier so mutterseelenallein in der Wildnis?“ Ben nahm allen Mut zusammen und sagte: „Können sie mich mit ins Dorf nehmen, ich soll dort Milch für meine Mutter kaufen.“ „Aber es ist doch mitten in der Nacht. Setz dich erstmal ins Auto. Ben ging um das Auto rum und öffnete die Beifahrertür und setzte sich hin. „Um Himmels willen! Wie siehst du denn aus? Du bist ja nass und ganz blau im Gesicht und du zitterst. Was ist mit deinen Händen? Ist das Blut? Die sind ja aufgeschnitten! In Gottes Namen, was ist mit dir passiert? Hat deine Mutter dich geschlagen und vor die Tür gesetzt?“ „Nein, ich bin beim Spielen auf dem Eis ausgerutscht, anschließend mit dem Rücken auf das Eis gefallen, dann ist das Eis gebrochen. Könnten sie mich mitnehmen? Ich habe furchtbare Schmerzen vor Kälte.“ „ Wo soll ich denn hin mit dir? Jemand muss dich doch wieder zurück zu deiner Familie bringen.“ „Das ist  nicht wichtig ich werde morgen den Schulbus zurück nehmen.“  „Wie du willst, du kommst mit ins Dorf. Du darfst bei mir bleiben bis deine Sachen trocken sind. Aber ich werde dich persönlich zu deinen Eltern zurückbringen!“ „Das ist aber nicht“ konnte Ben noch sagen doch sie fiel ihm ins Wort und sagte: „ Junge, keine Wiederrede! Als sie an der Wohnung angekommen waren, entzündete die Frau den Kamin. „Wie heißt du, Junge?“ „Ben.“ „Und weiter?“ „Nur Ben.“ Sagte er etwas lauter, um weitere Nachfragen zu seiner Familie zu vermeiden.“ „Ich heiße Edeltraut Besstreut. Zieh deine Sachen aus und häng sie über die Heizung. Du setzt dich vor den Kamin. Ben zog alles außer seiner Unterhose aus. Ben war allerdings sehr erleichtert, dass die Frau so freundlich zu ihm war. „Ach du meine Güte! Deine Kleidung ist mir noch gar nicht aufgefallen. Du hast aber viele Risse und Löcher in deiner Hose. Und dein Pullover ist voller Flecken“ stellte Edeltraut mit abwertenden Blicken fest. „Ich finde das nicht schlimm.“ erwiderte Ben. „Deine Eltern scheinen nicht besonders wohlhabend zu sein.“ Darauf antwortete Ben nicht. Er saß vor dem Kamin und er dachte nach. Er dachte über seine Eltern nach. Ob sie es wohl gutfänden was er tut: Im Wald leben, andere beklauen, betteln, nicht in die Schule gehen? Vielleicht hätten sie sich gewünscht, dass er ins Heim ginge und in die Schule. Lange saß er vor dem Feuer, überlegte und erträumte sich ein besseres Leben bis ihn eine helle Stimme weckte: „Ben, Ben! Du musst eingeschlafen sein. Deine Sachen sind trocken. Ich werde mich im Badezimmer anziehen und dann bringe ich dich nach Hause.“! Er scha ute aus dem Fenster. Schwaches Morgenlicht schien hinein. Es war noch sehr früh. Edeltraut verschwand im Badezimmer. Jetzt musste er sich beeilen! Schnell wie der Blitz war er in seine Sachen geschlüpft. Er riss das Fenster auf und er sprang hinaus. „Danke“ rief er noch, bevor er wegrannte.
 


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.04.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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