Helmut Wurm

Sokrates und die Wandervogel-Mädchen

(Dieses Rundgespräch fand an einem schönen Spätsommertagabend des Jahres ... statt. Das genaue Datum ist auch nicht so wichtig, weil es um ein prinzipielles Problem innerhalb des Wandervogels geht...)

Der Ort ist eine romantische, parkähnliche Landschaft mit kleinen Dörfern in der Ferne, einer Ritterburg, einem silberglänzenden Fluss und mit abendlichem Vogelgesang. Auf einer kleinen Wiese innerhalb einer Baumgruppe stehen um einen einfachen Holztisch einige aus rohem Holz gezimmerte Bänke. Dort sitzt eine junge Mädchen-Wandervogelgruppe und singt. Sokrates ist zu dieser schönen Abendstunde gerne in der Natur, um seinen Gedanken nachzuhängen und um die Schönheit der Landschaft zu genießen. Das gibt ihm wieder neue Kraft und Ruhe für die möglichen neuen Gespräche des nächsten Tages. Denn Sokrates möchte möglichst ausgeglichen und bedächtig sein, um seine(n) Gesprächspartner vorsichtig dorthin zu führen, wo er/sie nachzudenken beginnt(en). Aber manchmal darf Sokrates auch emotional sein, wenn die Angelegenheit, über die gesprochen wird, zu unverständlich und ärgerlich ist. Dann ist es besser, man spricht seine Meinung offen aus. Das gilt auch für Sokrates...

Sokrates hört von irgendwo Singen mit hellen Stimmen. Es klingt aus einer Baumgruppe heraus. Sokrates meint Lieder aus dem Zupfgeigenhansl zu erkennen, schöne alte Balladen über die Liebe. Solchen Gesang hat er nicht oft gehört. Das macht ihn auf die Sänger (oder sind es Sängerinnen?) neugierig und er geht näher hinzu.

Auf einer offenem Stelle innerhalb einer Baumgruppe sieht er eine Gruppe Mädchen mit Gitarren an einfachen Tischen sitzen und neben einer Sitzgruppe stehen Rucksäcke auf dem Boden, zünftig und ordentlich gepackt, mit Schlafsäcken, Kochgeschirren und Zeltbahnen. Die Mädchen haben Halstücher umhängen und tragen helle Blusen und dunkle Rücke und feste Wanderschuhe. Die meisten tragen ihre Haare natürlich, lange Zöpfe oder offene lange Haare oder die Haare hochgesteckt, nur wenige haben eine jener derzeit modernen „wilden Struwwelfrisuren“.

Ah, murmelt Sokrates, eine Mädchen-Wandervogelgruppe, und was für gepflegte, schicke und hübsche Mädchen. Eine solche Wandervogel-Kleidung steht den Mädchen doch besser als das derzeit moderne provokative oder geschmacklos-aufdringliche Outfit... Und wie schön können diese Mädchen singen... Das sind nicht jene üblichen Wandervogelsongs der Jungengruppen, jene Stampf- und Brüllgesänge... Und wie gut diese Mädchen Gitarre spielen... Das ist kein eintöniges Schrumm-schrumm... Schön, so etwas zu hören...

Sokrates geht zur Gruppe hin, setzt sich in ihrer Nähe auf einen Baumstamm und hört zu. Die Gruppe unterbricht ihr Singen und die Mädchen nicken freundlichen dem fremden Gast zu.

Ein Wandervogelmädchen Gefällt dir unser Singen? Deiner Miene nach möchtest du gerne weiter zuhören. Das kannst du gerne tun. Komm, setze dich her zu uns, hier ist noch ein Platz frei - sofern er dir nicht zu einfach und unbequem ist.

Sokrates: Ich setze mich gerne zu euch und harte Sitze bin ich seit meiner Kindheit gewohnt. Ich habe meistens sogar nur auf Steinen gesessen. (Dann setzt sich Sokrates auf den noch freien Platz und der ist ungefähr in der Mitte der Gruppe, so dass Sokrates die Wandervogel-Mädchen um sich herum sitzen hat). Das wäre ja eine günstige Ausgangs-Sitzordnung für ein Rundgespräch, denkt Sokrates... Aber worüber soll ich mich mit diesen frohen Wandervogel-mädchen unterhalten? Haben die denn derzeit Probleme, über die es nachzudenken lohnt?

(Dann laut) Welche Lieder singt ihr denn gerade?

Ein anderes Wandervogelmädchen: Wir singen gerade Lieder aus dem Zupfgeigenhansl, das ist das Liederbuch von Hans Breuer. Wir sagen nur kurz „Zupf“ dazu... Diese Lieder hört man nicht mehr so oft, sie sind den Wandervogel-Jungens meistens zu schwer. Die bevorzugen einfachere Gruppen-Dröhngesänge.

Dann beginnt ein Mädchen das Lied anzustimmen „ Wie schön blüht uns der Maien, der Winter fährt dahin...“ und die anderen Mädchen greifen zu ihren Klampfen und singen mit. Sokrates ist begeistert.

Sokrates: Dieses alte deutsche Lied erfreut immer wieder, wie überhaupt die alten deutschen Lieder meistens sehr schön sind. Sie haben eine innere Tiefe, die die modernen Schlager und auch Gruppenlieder nicht so haben.

Ein weiteres Wandervogelmädchen: Deswegen singen wir sie ja auch so gerne. Und zusätzlich müssen wir Wandervogelmädchen besonders gut und anspruchsvoll singen, sonst werden wir von vielen Wandervogel-Jungens nicht anerkannt. Viele Jungen messen uns an ihrem raubeinigen Stil, den wir aber nicht mögen. Deshalb müssen wir auf dem Gebiet des Singens zumindest besser als die Jungen sein.

Sokrates: Ich meine, ihr braucht euch auch bezüglich eures Wandervogel-Stils nicht vor den Wandervogel-Jungen zu sorgen. Euere Rucksäcke sind stilecht gepackt, ihr sitzt hier draußen an einem romantischen Wandervogel-Platz, vom nächsten Bahnhof bis hierhin ist es eine längere Strecke zu wandern – ihr seid doch richtig „zünftig auf Fahrt“, wie man in euerer Wandervogel-Fachsprache sagt.

Ein Wandervogel-Mädchen: Und wir werden hier auch übernachten... Mit Iso-Matten auf dem Boden oder teilweise auch auf den Bänken, eben wie die Wandervogel-Jungens...

Sokrates: Habt ihr nicht etwas Angst, wenn ihr hier so alleine als Mädchen übernachtet? Wäre es nicht besser, ihr ginget mit einer männlichen Wandervogelbetreuung auf Fahrt?

Einige Wandervogel-Mädchen (abwechselnd): Hier draußen ist die Welt noch in Ordnung... Hier passiert uns nichts... Natürlich wäre es besser, wenn wir ein paar Beschützer dabei hätten.... Aber die Wandervogel-Jungen und jungen Männer sind teilweise so gleichgültig... Dabei sind wir doch akzeptable Wandervögel wie sie auch, vielleicht sogar noch bessere. Das hast du doch auch schon festgestellt.

Sokrates: Das ist schade, dass ihr weniger Aufmerksamkeit von den Wandervogel-Jungen und jungen Männern erfahrt, als ihr verdient und euch wünscht. Dabei seid ihr hübsche Mädchen, frisch und gesund durch die viele frische Luft, ihr habt eine schöne Wandervogel-Tracht an, die euch gut steht, ihr könnt gut singen und Gitarre spielen und ihr geht zünftig auf Fahrt... Ich dachte, ihr geht weg „wie warme Semmeln“, wenn ihr mir diesen volkstümlichen Ausdruck entschuldigt....

Die Wandervogelmädchen (abwechselnd): Das ist leider nicht ganz so... Das verstehen wir ja auch nicht... Wir sind zwar keine Wandervögel geworden, um leichter Freunde und Männer zu finden, sondern weil wir Freude am Wandervogelleben haben. Aber einen Wandervogelmann wünschen sich doch die meisten von uns... Dabei fänden die Wandervögel nur schwer passendere Frauen als uns... Wer hätte so viel Verständnis für sie als wir Wandervogel-Mädchen...?

Sokrates: Ja, in der Tat, viele Wandervogel-Männer wissen gar nicht, was ihnen entgeht, wenn sie kein Wandervogel-Mädchen heiraten und viele Wandervogel-Männer, die eine solche Gelegenheit ausgeschlagen haben, werden das später einmal bereuen. Ein Wandervogel wird auch später öfter oder zumindest noch ab und zu „zünftig auf Fahrt“ gehen wollen und dann braucht er eine Frau, die ihn versteht oder am besten die mit auf Fahrt geht.

Ein Wandervogel-Mädchen: Das kann nur eine Frau verstehen, die selber Wandervogel war. Eine normale bürgerliche Frau kann das schwer verstehen. Aber woher kennst du den Ausdruck „zünftig“ und „auf Fahrt gehen“?

Sokrates (etwas ausweichend): Ach, ich habe in meinem bewegten Leben auch manchen Wandervogel kennen gelernt. Daher kenne ich einige Ausdrücke. Und ich hörte schon aus der Ferne, dass ihr aus dem „Zupf“ singt... Deshalb bin ich ja auch näher gekommen, denn ich habe eine hohe Meinung von Hans Breuer... Singt mir bitte noch ein Lied aus dem Zupf.

Die Wandervogel-Mädchengruppe stimmt das Lied an „Es saß ein klein wild Vögelein auf einem grünen Ästchen...“

Sokrates: Auch das ist ein schönes Lied. Hans Breuer hatte einen guten Geschmack für die zum Wandervogel passenden Volkslieder. Aber dieses Lied vom kleinen wilden Vögelein ist auch ein trotziges Lied. Passt denn die letzte Strophe „Und niemand kann mich zwingen...“ wirklich auf euch ? So jede Annäherung „abwehrend“ ist doch gar nicht euere Grundhaltung, das habt ihr mir eben doch zu erkennen gegeben.

Ein weiteres Wandervogel-Mädchen: Man kann es aus Trotz aber langsam werden. Wir würden uns natürlich freuen, wenn auch ein männlicher Wandervogel-Schutz heute hier wäre. Da hätten wir nichts dagegen. Aber meistens merkt man, dass wir für viele nur zweitklassige Wandervögel sind. Achtung und Respekt bringen uns nicht alle entgegen oder sie kommen uns sogar dumm und aufdringlich... Aber woher kennst du Hans Breuer? Man erfährt nicht viel über ihn.

Sokrates (wieder ausweichend): Ach, ich bin musikinteressiert und habe mich u. a. mit ihm früher einmal genauer beschäftigt... Wisst ihr eigentlich, dass Hans Breuer sich sehr für den Mädchenwandervogel eingesetzt hat? Er war einer der Wandervogelführer, der die einseitige Rolle der Jungen im Wandervogel aufgebrochen und die Mädchen gleichberechtigt in seinen Bund aufgenommen hat.

Mehrere Wandervogel-Mädchen (nacheinander): Das wussten wir nicht... Er war Wandervogelführer eines eigenständigen Bundes? ... Und er hat die Mädchen als gleichberechtigt in seinen Bund aufgenommen?... Das war ja ein sehr sympathischer Wandervogelführer, kein so verkrampfter Nur-Jungen-Wandervogel-Führer....Erzähle uns davon bitte genauer.

Sokrates: Das werde ich gerne tun, wenn ihr mir zwischendurch einige Lieder singt. Eigentlich sind es 3 verschiedene Gründe, weshalb bis heute Wandervogelmädchen noch nicht bei allen männlichen Wandervögeln diejenige Anerkennung erfahren, die sie eigentlich verdienen. Ich fange mal mit der Gründung des Wandervogels, mit dem Ur-Wandervogel an. Damals, um 1900 galten Mädchen und Frauen allgemein nicht so viel wie Jungen und Männer. Mädchen waren auf den Gymnasien in der Minderzahl und ebenfalls auf den Universitäten. Man wollte auch prinzipiell nicht so viele gebildete und studierte Mädchen und Frauen...

Ein Wandervogel-Mädchen (unterbricht Sokrates verständnislos): Weshalb denn das. Hatten die damals etwas gegen Mädchen und Frauen?

Sokrates: Ja und nein. Man meinte damals, dass Frauen nicht so gut rational denken könnten wie Männer, dass sie einfach etwas dümmer wären und zu viel von ihren Gefühlen beherrscht würden, um höhere Positionen zu bekleiden...

Ein anderes Wandervogelmädchen (entrüstet): Und heute sind mittlerweile die Mädchen die erfolgreicheren Gymnasiastinnen und Studentinnen, wie eine jüngste Studie gezeigt hat... Diese eingebildeten egomanen Männer!

Sokrates: Und dann meinte man weiter, dass die Frau möglichst nur Mutter sein sollte und dass eine höhere Bildung sie nur von dieser eigentlichen Bestimmung ablenken würde...

Ein weiteres Wandervogelmädchen: Natürlich ist das die Hauptbestimmung der Frau, aber die Frau ist in ihren Fähigkeiten den Männern gleich, außer bezüglich körperlichen Kraft und Belastbarkeit. Aber ansonsten sind wir gleichwertig. Das zeigt doch die Gegenwart...

Sokrates: Ja, das zeigt die Gegenwart. Und doch spuken noch in den Köpfen einiger Wandervogelführer und Wandervögel diese überholten Vorstellungen herum. Mädchen sind für einige Wandervögel immer noch ungeeignet für ein Wandervogelleben. Die Mädchen sollen nach ihrer Meinung besser zu Hause bleiben und das raue Wandervogelleben den Jungen und Männern überlassen...

Ein anderes Wandervogel-Mädchen: Jetzt wird mir so mancher spöttische und schäbige Blick klar, den einige Jungen und junge Wandervogel-Männer auf uns werfen... Aber davon werden wir uns nicht verunsichern lassen. Wir werden jetzt gerade unser Recht verteidigen, genau so wie die Jungen zünftige Wandervögel zu sein...

Sokrates: Tut das. Aber es gibt noch eine weitere belastende Vorstellung aus früherer Zeit. Man glaubte damals, dass Jungen und Mädchen, vor allen die Jungen unter sich alleine groß werden sollten. Dadurch würde die männliche Wesensart intensiver entwickelt. Jungen, die nur unter sich groß würden, würden die besseren Männer...

Ein Wandervogel-Mädchen: Das bezog sich sicher auch auf die tapferer-Soldat-sein-Spinnerei. Aber Frauen halten weniger von dem ehrenvollen Soldatentod und dem ganzen Quatsch. Die Jungen sollten ruhig auch weniger kritische Meinungen dazu hören...

Sokrates: Damit hatte es auch zu tun, aber nicht nur deshalb. Man hielt Koedukation einfach schädigend für die Entwicklung. Und deswegen gab es auch getrennte Gymnasien für Mädchen und Jungen, wenn man den Mädchen überhaupt ein Gymnasium anbot. Ein solches getrenntes Mädchengymnasium hieß damals Lyzeum. Und wegen diesem getrennten Schulbesuch und dieser getrennten Erziehung wollten die frühen Wandervögelführer zumindest auch getrennte Wandervogelgruppen für Jungen und Mädchen, wenn die Mädchen vom Wandervogelleben schon nicht fern zu halten waren.

Ein Wandervogel-Mädchen: Das mit der Koedukation ja oder nein ist bis heute noch nicht endgültig geklärt, wie ich gelesen habe. Es gibt tatsächlich wichtige Argumente für eine zeitweise getrennte Erziehung und deshalb auch für getrennte Wandervogelgruppen für Jungen und Mädchen. Aber das darf zu keiner Abwertung der Mädchengruppen führen. Die Mädchen sind heutzutage vielleicht sogar die besseren Wandervögel...

Sokrates: Das kann in einigen Fällen durchaus sein. Aber es gibt noch eine dritten Traditionsstrang für die manchmal geringere Achtung gegenüber den Wandervogel-Mädchen. Eine Reihe der Wandervögel steigerte sich in ihrer Begeisterung für das Wandervogelleben derart in ein unstetes Leben hinein, dass sie die Brücke ins normale Leben und insbesondere ins Familienleben nicht mehr fanden. Bekanntschaften mit Mädchen waren für sie immer nur schöne, flüchtige Erlebnisse... Wie heißt es in einem alten Wandervogellied „Ist’s die eine nicht, so ist’s die andere...“. Das hat manche Wandervögel für eine Ehe untauglich gemacht... Und zusätzlich hat der Gründer des Wandervogels, Karl Fischer sich nach dem Leitbild des Vaganten-Lumpazivagabunden orientiert. Das war ein unglückliches Leitbild, denn ein Vagant ist „unbehaust“ und „familienlos“ und dieses Leitbild hat es manchem Wandervogel noch schwerer gemacht, in das reale Leben mit einer Familie wieder zurück zu finden.

Ein Wandervogel-Mädchen (empört): Also so wie die Schmetterlinge, von einer Blüte zur anderen, ohne Bereitschaft für eine feste Bindung... Wir Mädchen und Frauen sind da anders. Wir sehnen uns nach einer festen Bindung und wollen keine Blüten für sorglose, flüchtige Schmetterlinge sein...

Sokrates: Manche unbehausten Wandervogel-Männer sind keine oberflächlichen Casanovas. Das meine ich nicht. Sie halten es mehr so wie Goethe, der nur das Verliebt-Sein als solches genoss und ständig erneut zu erleben wünschte, aber unfähig war, irgendeine feste Bindung einzugehen.

Ein anderes Wandervogelmädchen: Ach so, wie Goethe und seine kurzfristig angehimmelte Ulrike von Sesenheim. Das arme Mädchen... Jetzt verstehen wir so manchen Fall in unserer Wandervogel-Bekanntschaft. Da taten die Männer sehr verliebt und waren letztlich doch nicht in der Lage, eine feste Bindung einzugehen. Dann wäre das Wandervogelleben eigentlich gar nicht so wertvoll, wie es immer heißt. Es würde die Jungen danach untauglich für eine feste Bindung machen...

Sokrates: Diesen Schluss darf man aus solchen Einzelfällen nicht ziehen. Die Pfadfinder- und Wandervogelbewegungen sind an sich sehr wertvoll. Sie haben einen hohen pädagogischen Wert, eigentlich fast gleichberechtigt neben der Schule. Die beste Erziehung erfolgt natürlich in einem fürsorglichen Elternhaus. Aber Pfadfinder- und Wandervogelerziehung ergänzt sehr gut die der Eltern und der Schule. Eigentlich müssten möglichst viele Jugendliche eine Zeit lang Pfadfinder oder Wandervögelsein. Und für viele Erwachsene wäre es ausgleichend zum realen Leben, wenn sie sich weiterhin in Maßen Pfadfinder- und Wandervogelleben gönnen würden. Es geht nur darum, dass man rechtzeitig, spätestens als junge Erwachsene, den Weg zurück ins reale Leben und in eine Familienbindung findet. Dabei haben manche eben Schwierigkeiten, die Pfadfinder etwas weniger als die Wandervögel...

Ein Wandervogelmädchen: Weshalb haben die Pfadfinder bei ihrem Weg in die reale Welt weniger Schwierigkeiten?

Sokrates: Gemeinsam haben beide Bewegungen eine ähnliche Romantik und eine glückliche, unreale Welt. Unreal insofern, als es sie so, wie sie gelebt wird, nicht mehr verbreitet als eine Wirklichkeit gibt. Aber die Pfadfinder orientieren sich hauptsächlich am Erlernen von Können in ihrer romantischen Welt und gleichzeitig auch an nützlichen Fertigkeiten und Kenntnissen für die reale Welt. Das weist mit zunehmendem Alter leichter zurück in die soziale und berufliche Alltagswelt. Die Wandervögel dagegen orientieren sich hauptsächlich am romantischen Erleben und an der seelischen und musischen Sensibilisierung. Die Welt der blauen Blume ist eine Welt neben der Alltagswelt. Das macht die Rückkehr in die Realität schwieriger. Aber mit einer richtigen Begleitung durch die Gruppenführer gelingt das leicht.

Ein Wandervogel-Mädchen: Aber offensichtlich hat es Gruppenführer gegeben, die haben ihren Wandervögeln diesen Weg nicht gezeigt und vorgelebt. Du hast ja eben auf Karl Fischer hingewiesen...

Sokrates: Karl Fischer war in dieser Beziehung keine Orientierung, das stimmt. Aber Hans Breuer hat auf die Notwendigkeit, diesen Weg zurück zu finden, immer hingewiesen und hat ihn vorgelebt. Er hat die Wandervögel angemahnt, den Vaganten-Lumpazi-Schmetterlingsweg als junge Erwachsene wieder aufzugeben und zurück in die Alltagswelt zu finden, einschließlich einer eigenen Familie. Vielleicht hat Hans Breuer auch deswegen darauf gedrungen, dass die Mädchen gleichberechtigt in seinen Bund aufgenommen wurden... Das heißt natürlich nicht, dass man als Erwachsener und Familienvater nun die Wandervogelkluft und die Gitarre an den Nagel hängen soll. Man soll später nur in altersgerechten Formen und möglichst mit Familie Wandervogel in seiner Freizeit sein... Deswegen ist es empfehlenswert, dass die Wandervogelmänner ehemalige Wandervogelmädchen heiraten...

Die Gruppenführerin: Wir danken dir, weit gereister Mann. Das haben wir so nicht gesehen. Hans Breuer war ein einsichtiger junger Führer. Wir werden uns mehr mit ihm beschäftigen, denn seine Mahnungen sind wichtig und richtig. Aber wie kam es denn, dass sich in manchen Gruppen bis heute trotzdem der Karl-Fischer-Stil mehr durchsetzte als der Hans-Breuer-Stil?

Sokrates: Hans Breuer ist für viele, vielleicht für die Mehrheit der Wandervögel, vermutlich zu anspruchsvoll. Sich als Wandervogel im Vagangten-Lumpazi-Schmetterlingsstil treiben lassen hat natürlich seinen Reiz... Aber man sollte um die notwendigen Grenzen wissen und sich um mehr bemühen...

Die Gruppenführerin: Und welche Lehren sollen wir nun aus deinen Erklärungen ziehen? Was können wir als heutige Wandervogel-Mädchen tun, um den Wandervogel vernünftiger und „pannenärmer„ zu machen. Denn ein ewiger Wandervogel ohne Beruf, Haus und Familie ist doch eine gewisse Lebenspanne. Wie kann man helfen, dass sich die Wandervogelbewegung künftig etwas mehr nach Hans Breuer und weniger nach Karl Fischer orientiert?

Sokrates: Ihr habt doch schon einen möglichen Weg erkannt und angedeutet. Dafür müsst ihr aber als Wandervögel-Mädchen so überzeugen und beeindrucken, dass die Jungen und jungen Männer auf euch hören. Und das könnt ihr. Denkt doch an die misstrauischen Prognosen früher über die angebliche Unfähigkeit der Mädchen und Frauen in Höheren Schulen, Universitäten und Berufswelt...

Die Wandervogel-Mädchen (abwechselnd): Den Wandervogel-Jungen werden wir es zeigen. Die werden noch staunen... Wir werden uns nach Hans Breuer orientieren... Und dessen Lieder sind zwar anspruchsvoll, aber schön... Ein anspruchsvoller Wandervogel ist mehr als ein froher Vagant-Lumpazi-Schmetterling... Und wir wollen später heiraten und eine Wandervogelfamilie gründen... Das ist für unsere Kinder ein schöner Rahmen... Wir wollen Kinder haben und nicht nur jammern, dass es immer weniger Kinder für die Gruppen gibt!

Alle singen (Sokrates hört zu, weil er nicht mehr so laut singen kann): „Wenn alle Brünnlein fließen...“ und anschließend „Das Lieben bringt groß Freud...“.

Sokrates (im Gehen): Lasst euch nicht beirren. Bleibt bei dem, was ihr euch vorgenommen habt...

(Verfasst nach einer Tagebuchaufzeichnung des Sokrates durch seinen Schüler discipulus socratei)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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