Andreas Rüdig

Der Schnabelschuh

„Ein Schnabelschuh ist ein nach wendegenähter Machart gefertigter Schuh, der mit einer sehr langen Schuhspitze gefertigt ist. Schnabelschuhe sollen ihre Entstehung um 1089 dem Grafen Fulko von Anjou oder Angers zu verdanken haben, der wegen seiner deformierten Füße auf diesen Einfall gekommen sein soll und vor lang zugespitzte Schuhe trug. Wahrscheinlicher ist aber, daß sie in Europa bei den Polen zuerst in Anwendung kamen, worauf der früheste englische Namen „Cracowes“ (von Krakau), vielleicht hinweist; doch schon zuvor wurden sie im Orient getragen. An den europäischen Schnabelschuhen war allerdings neu, daß die Schuhe eines Paares nicht gleich, sondern für den rechten und den linken Fuß unterschiedlich geschnitten waren.
Sie wurden zuerst im 12. und bis gegen Ende des 13. Jahrhunderts getragen, kamen dann eine Zeit lang aus der Mode und tauchten im 14. Jahrhundert in Frankreich unter dem Namen „Poulaindes“ (Schiffsschnäbel) wieder auf. Sie hatten – auch von den Frauen getragen, bei den vornehmen Ständen bis zu 2 Fuß lange Spitzen, die mit Werg ausgestopft waren. Um damit besser laufen zu können, wurde sie um 1360 oft mit einer Kette oder Agraffe am Bein befestigt, in Deutschland auch manchmal vor mit einem Glöckchen versehen. Die Länge der Schnabelschuhe richtete sich oft nach dem Stand des Trägers, worauf die Redensart „auf großem Fuß“ leben zurückzuführen ist. Sogar Ritter zu Pferde trugen zeitweilig eiserne abnehmbare Spitzen an ihren Schuhen, um modisch gekleidet zu sein.
Im Laufe der Zeit trugen nicht nur die Adligen, sondern alle Schichten Schnabelschuhe, weswegen in manchen Gegenden das Tragen von Schnabelschuhen nur bestimmten Bevölkerungsgruppen erlaubt und eine Maximallänge der Spitzen festgelegt wurde. Trotz aller Reglementierungen hielten sich die Schnabelschuhe bis gegen das Ende des 15. Jahrhunderts, wo an ihre Stelle die Entenschnäbel und später die ganz stumpfen Bärenklauen oder Ochsenmäuler traten.
Zu den Schnabelschuhen kamen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bei beiden Geschlechtern besondere Unterschuhe oder Trippen, die aus Holz mit einem Überzug aus Leder, genau nach der Form der Sohle, zur Unterstützung der Schnäbel langspitzig gestaltet und zu ihrer Befestigung mit Spannriemen versehen waren. Die Schnäbel wurden Gogeln oder auch Kogeln genannt,“ berichtet die Internetenzyklopädie Wikipedia.
„Papa, Papa, am Samstag ist bei meiner Freundin ein Kostümfest. Und ich weiß noch nicht, was ich anziehen soll.“ Meine Tochter Heikelinde schafft es immer wieder, mich mit solchen Sprüchen zur Weißglut zu treiben. Ständig soll ich ihr mit irgendwelchen ausgefallenen Ideen helfen. Die Schnabelschuhe gehören dabei schon zur Standardausrüstung in meinem privaten Fundus. Ich bin Schneider, müssen Sie wissen. Mir macht es Spaß und Freude, historische Kleidungsstücke anzufertigen. Schnabelschuhe gehören dazu, Zylinder, Kniebundhosen, Togen – nur Ritterrüstungen nicht. Bei Ritterrüstungen fehlen mir Material und Kenntnisse.
Inzwischen ist die Kleiderkammer von Heikelinde auch in ihrem Freundeskreis berühmt. Immer wieder kommen Anfragen, ob sich nicht jemand ein bestimmtes Kleidungsstück ausleihen könne. Als ob ich beim Theater wäre und unbegrenzten Zugriff auf Kostüme hätte.
Ich werde mich jetzt auch an größere Projekte wagen. Ich werde mich jetzt an die Rokoko – Kleidung wagen. Allein schon die Damenbekleidung mit ihren umfangreichen Kleidern wird eine Herausforderung für mich sein. Ich habe nämlich keine Schnittmuster dafür. Aber ich glaube, meine Oma kann da helfen. Sie hat da eine große Kiste auf dem Speicher stehen. So verstaubt, wie die Kiste ist, ist die bestimmt ganz alt.
Erinnern Sie mich bitte nicht an die Kiste. Nichts als Karnevalskostüme waren darin. Zum Glück fand ich aber auch ein paar historische Bücher. Nein, nicht irgendwelche x – beliebigen Geschichtsbücher. Zwei Bücher befassen sich mit der Geschichte der Schneiderkunst. Ein Buch enthält sogar einige Anleitungen für historische Damenkleider. Jetzt muß ich nur noch Französisch lernen – dann kann ich wenigstens verstehen, was da steht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.04.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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