Flora von Bistram

Spätheimkehrer

 

 

Still saß der Junge und schaute verwundert auf den Mann, der da am Tisch saß, den Kopf in eine Hand gestützt, die andere Hand immer wieder über den Tisch gleiten lassend, mit einem Blick, Peter erschrak fast, denn der Blick änderte sich immer wieder, von leer, über traurig bis hin zu lohender Glut.

Das war also sein Vater? Der Vater, von dem alle immer so viel erzählt hatten…“Wenn Papa erst wieder da ist…“, so Mamas Rede, „ach der Junge…“ so die weinende Oma. Nach Junge sah dieser Mann nicht aus, eher nach einem der Landstreicher, die überall herumlungerten, denen die mitleidige Oma  immer mal wieder ein Stück Brot, einen Teller Suppe auf den wackeligen Gartentisch stellte. “Es könnte ja auch Herrmann sein, der irgendwo hungrig um eine Gabe bittet!“ und Mutter nickte dazu und hatte Tränen in den Augen.

Papa, dies war also der Papa, für den er immer am Schluss seines Abendgebetes die Worte „und bitte, lieber Gott, lass Papa gesund zurückkehren…“ anfügte, seit Mama es ihm vorgebetet hatte.

Zuerst hatten sie immer gemeinsam um die Heimkehr und das Ende des Krieges gebetet, dann, er hatte es gehört, war der Krieg vorbei und viele Väter, Onkel, Opas kamen nach Hause in das kleine Dorf, dass den Krieg immer nur von ferne erlebt hatte, in Zeitungen gelesen, durch die Kriegsgefangenen, die hier zum Arbeiten untergebracht waren, erzählt bekommen. Viele von ihnen waren hier geblieben, hatten sich eingelebt, Familien gegründet.

 

Doch der Vater war nicht gekommen. Die letzte Nachricht, die sie bekommen hatten, war 1944 eine Karte von einem Hans Gerken, der schrieb:

Sehr geehrte Frau Kleuker, ich soll von ihrem Mann Grüße ausrichten. Er gab mir ihre Adresse in der Hoffnung, dass sie wohl und am Leben sind. Wir lernten uns im

Kriegslazarett FPN 41 979 Abt.1/606 Temeschburg /Rumänien kennen. Er wurde angeschossen, trug einen Streifschuss am Kopf davon, wird aber wieder genesen, sagten die Ärzte. Ich schreibe das so genau auf, damit sie einen Hinweis haben.

Ich wurde nach dem Verlust meines Beines nach Hause entlassen.

Hochachtungsvoll Hans Gerken

Da dieser Herr Gerken keine Adresse angegeben hatte, konnten sie nach dem Krieg auch nicht noch mal nachfragen, so blieb immer nur das Warten, das Hoffen auf den Sohn, den Gatten, den Vater.

Peter kannte seinen Vater nicht, er war 1943 geboren worden, sein Vater hatte ihn auch nie gesehen. Und nun schrieb man das Jahr  1956. Mit dem Zug waren unendlich viele der bis dahin als vermisst geglaubten Männer aus Russland heimgekehrt, fremd, abgemagert, teilweise gebrochen.

Ganz erschrocken sieht nun der 13jährige, wie langsam, doch unaufhaltsam Tränen über des fremden Vaters Wangen rollen, hilflos die Hand immer wieder versucht, den Strom wegzuwischen, wegzuwischen mit der Qual der unendlich scheinenden Zeit.

Peter schaut erschrocken, betroffen, steht auf, geht um den Tisch herum, legt ein wenig linkisch den Arm um den Zusammengesunkenen.

„Willkommen Papa, willkommen daheim, ich habe dich so sehr vermisst!“

 

FvBistram 1996

 

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