Andreas Bartels

Ein Wochenende...

Mala steuerte ihren alten schwarzen VW Golf die Landstraße entlang. Es war dunkel und es schneite. Trotz der Nebelscheinwerfer konnte man faßt nichts sehen. Irgendwo mußte eine kleine Ausfahrt seien... zum Hundertsten Mal warf sie einen Blick auf die kleine gezeichnete Wegbeschreibung. Ron hatte sie übers Wochenende in sein Wochenendhaus eingeladen. Sie hatte sofort zugesagt, obwohl sie diesen Mann eigentlich überhaupt nicht kannte. Aber... irgend etwas Besonderes ging von ihm aus, etwas das sie sofort Vertrauen fassen ließ... Mißt! Das war die Ausfahrt gewesen! Vorsichtig fuhr sie auf den Standstreifen und setzte zurück. Dann holperte der Golf mit seiner typischen Federung über einen äußerst schmalen Feldweg. Sie hatte ihn in einer dieser kleinen Kneipen kennengelernt, in denen Jazz gespielt wird. Das war letztes Wochenende gewesen... Mala dachte kurz daran, die ganze Sache zu lassen. Es war ihr etwas unwohl. Sie hatte sich schon einmal ganz schrecklich geirrt... Aber sie gehörte nicht zu den Menschen, die eine Sache nicht zu Ende brachten. Ihr Unwohlsein hatte auch andere Gründe: Es war Vollmond, und zu dieser Zeit bekam sie meistens ihre Tage. Und jetzt war es bald soweit... Ah, das mußte es sein! Sie parkte neben seinem Auto und blieb noch eine Weile unschlüssig sitzen. An so einen Wochenende sollte man eigentlich Zuhause bleiben, und es sich gemütlich machen. Sie konnte die Leute nicht verstehen, die gerade am Wochenende in hektisches Treiben verfielen. Man hat doch unter der Woche schon genug Streß... Aber nun war sie einmal hier, und es wäre Zeitverschwendung gewesen, jetzt wieder zurück zu fahren. Also warf sie noch einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Ihr leichtes Make-up paßte perfekt zu ihrer milchkaffeebraunen Haut. Ebenso wie ihre Frisur; sie hatte ihre langen dunkelbraunen Haare zu einen Pferdeschwanz zusammen gebunden. Sie nahm ihre kleine Reisetasche und stieg aus. Bäh, war das kalt! Sie haßte nichts so sehr wie Kälte. Sie klingelte. Er öffnete. "Hallo..." sie schubste ihn beiseite. "Laß' mich 'rein! Es ist saukalt!" Er schloß die Tür und sagte "Komm' doch herein..." Sie mußten lachen. Durch diesen kleinen Zwischenfall verschwand ihre Unsicherheit. Sie begann sich wohl zu fühlen. Nach einer kleinen "Schloßbesichtigung" setzten sie sich zusammen ins Wohnzimmer. Voller Stolz führte er ihr seine neue Anlage vor. Und sie war wirklich gut, fand Mala. Wenn man die Augen schloß, konnte man die Musiker fast sehen. Sie hörten "Beyond the Missouri Sky". Charlie Haden und Pat Metheny erzählten mit ihren Instrumenten spannende Geschichten aus ihrer gemeinsamen Heimat.
Schließlich wurde Mala müde. Er begleitete sie nach oben in das Schlafzimmer, und ließ sie dann allein. "Du kannst abschließen, wenn du willst." sagte er scherzhaft. Mala spielte die Unnahbare. Ihre Lieblingsrolle. "Ich hoffe, das wird nicht nötig sein." Er grinste "Gute Nacht. Morgen habe ich eine kleine Überraschung für dich!" sagte er und ließ sie allein. "Gute Nacht..." antwortete sie leicht verwundert. Als sie dann schließlich im Bett lag, konnte sie nicht einschlafen. Sie dachte über Ron nach. Was war das für eine Überraschung? Und Sex war auch noch nicht zur Sprache gekommen. Einerseits fühlte sie sich ein bißchen gekränkt, das er es wenigstens nicht versucht hatte, andererseits rechnete sie es ihn hoch an, das er ihr seinen Schlafraum überlassen hatte. Er mußte jetzt wahrscheinlich auf dem Sofa schlafen. Jazz Fans sind die besten Menschen, die es gibt. Wenn sie so über ihn nachdachte, spürte sie schon etwas. Oder lag das daran, das ihre Mens kurz bevor stand? Na, vielleicht sollte sie die Initiative ergreifen? Nur nicht hetzen. Sie hatte schlechte Erfahrungen mit spontanem Sex gemacht. Sie hatte ihn und auch sich selbst unter Druck gesetzt, und prompt war die ganze Sache in die Hose gegangen. Vielleicht Morgen Abend... oder doch lieber nicht? Sah er in ihr "nur" eine Freundin? Auch das ist ja viel wert. Sex kann auch viel kaputt machen... Sie konnte einfach nicht schlafen. Ihr war heiß und ihr Herz hämmerte. Sie stand auf, und ging auf den kleinen Balkon. Die eiskalten Fliesen und den leichten Wind spürte sie kaum. Es war wie ein Fieber. Ich habe mich doch wohl nicht erkältet? dachte sie. Das konnte sie im Moment nicht gebrauchen. Ron war ja sehr zuvorkommend, aber das sie den Rest des Wochenendes hustend und schniefend im Bett verbringen mußte, wollte sie ihm nicht antun. Als sie wieder hinein ging, hörte sie dieses Geheul... ein Wolf?

#

Sie war auf der Jagd. Das alte Spiel. Um ihr Leben zu verlängern, mußte sie ein Anderes zerstören. So war das nun mal. Sie witterte. Da war etwas, das einen entsetzlichen Gestank verbreitete. Vorsichtig trottete sie in die Richtung. Da war ein Mensch. Ein Mann. Er urinierte. Das machte sie wütend. Sie wußte; man ging Menschen lieber aus dem Weg. Sie taten Dinge, die nicht zu begreifen waren. Aber das hier... sie sprang und nagelte ihn am Boden fest. Die menschliche Überheblichkeit und Borniertheit machten sie unvorsichtig. Als erstes machte sie sich über die Quelle des Gestanks her. Sie wollte das er verschwand. Er schrie; das tat ihren Ohren weh, aber ein Biß in die Kehle ließ ihn verstummen. Sollte es. Aber das Gekreisch ging weiter. Irritiert sah sie sich um. Da kam noch ein Mensch auf sie zu gelaufen. Sie schüttelte den Kopf. Es gab einfach zu viele. Aber auch dieser ließ sich leicht überwältigen. Es war eine Frau, eine Geschlechtsgenossin. In diesem Fall hatte sie einen schnellen Tod verdient.
Müde trottete sie wieder zurück. Ihr Hunger war gestillt. Da war eines dieser lauten und stinkenden Dinger, mit denen sich die Menschen fortbewegten. Neugierig steckte sie den Kopf in eine der Öffnungen. Da war ein eigentümlicher Geruch. Dieser Geruch erinnerte sie an ein anderes nagendes Gefühl in ihr, das sie schon viel zu lange ignoriert hatte. Ein Schmerz, der nicht weh tat. Sie machte sich auf die Suche nach einem Partner. Er war hier in der Nähe, sie roch ihn überall. Und da war er. Vorsichtig näherte sie sich ihm. Er vertrieb sie; aber sie war hartnäckig; Nähe war notwendig. Sehr notwendig. Er verstand nicht; wollte nur sein Revier verteidigen. Typisch männlich. Sie umkreisten sich. Wenn sie sich langsam näherte, wich er zurück. Wenn sie sich schnell näherte, griff er an und sie mußte zurück weichen. Sie war verzweifelt. Schließlich ließ sich mit ihm auf einen Kampf ein. Aber erst nachdem sie ihn das Gesicht zerkratzt hatte, kam er zur Vernunft. Er war auf ihr, in ihr. Sie heulten zusammen. Dann trotteten sie noch ein Weilchen nebeneinander her. Seine Nähe hatte gut getahn. Sie leckte ihm über sein Gesicht, und ging dann allein weiter. Dankbar heulte sie zum Mond hinauf. Du hast mir heute viel Glück gebracht...

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Als Mala aufwachte, wußte sie nicht, wo sie war. Diese kleine Irritation machte sie vollends wach. Als es ihr wieder einfiel, war sie sehr erleichtert. Ein Wechselbad der Gefühle. Wie in ihrem Traum. Es klopfte. "Ich hab' Frühstück gemacht, kommst du?" rief Ron durch die geschlossene Tür. "Ja, gleich!" rief sie zurück. Sie warf sich ihren Bademantel über, und ging in das kleine angrenzende Badezimmer. Sie duschte ausgiebig. Sie fühlte sich gut. Sie beschloß, ihren Gastgeber nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Nachdem sie ihren Körper gründlich trocken gerubbelt hatte, ging sie zurück in das Schlafzimmer, zog sich an und ging hinunter in die kleine Wohnküche. "Guten Morgen!" sagte sie fröhlich. Ron saß da mit einer Zeitung vor dem Gesicht. Er murmelte etwas unverständliches. Nanu? Habe ich die letzten zehn bis zwanzig Jahre verschlafen und wir sind schon lange verheiratet? dachte sie. Sie setzte sich und trank einen Schluck von dem leider nur noch lauwarmen Kaffee. Dann zerriß sie das Brötchen auf ihrem Teller in kleine Stücke. Sie hatte eigentlich keinen Hunger. Ihre gute Laune ließ schon wieder nach. "Was machen wir den heute?" fragte sie frustriert. "Ach, ja, die Überraschung. Ich habe zwei Karten für Jan Garbareks Konzert heute Abend. Magst du?" sagte er und ließ die Zeitung sinken. Sie starrte ihn an. "Was hast du? Magst du Jan Garbarek nicht?" fragte er verwundert. Auf seinen Wangen waren ein paar Kratzer zu sehen...

Version 1.0.
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Geschrieben am 17.06.2001.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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