Die Stärke des Sokrates ist natürlich seine Fähigkeit, Menschen in Dialogen zum Nachdenken zu veranlassen. Aber Sokrates kann auch gut zuhören und er kann auch interessant erzählen. Und diesmal soll ein Beispiel seiner Erzählweise, die gleichzeitig Einsichten vermitteln will, mitgeteilt werden.
Sokrates wurde einmal gefragt, wie man die menschlichen Wandervögel besser verstehen könne. Sie seien einerseits liebenswerte, harmlose Mitbürger, aber viele seien anderseits auch empfindlich, verträumt und zumindest zeitweise nicht ganz in der Realität zu Hause. Manche Wandervögel fänden sich sogar lebenslänglich nur schwer in der Alltagswelt zurecht. Woher käme diese Doppelnatur vieler Wandervögel. Da erzählte Sokrates folgendes Märchen, das er einmal irgendwo gehört habe. Und das lautete so:
Das Märchen von den romantischen Wanderern zwischen 2 Welten
Eigentlich sei die nachfolgende Geschichte gar kein echtes Märchen, sondern nur ein Erklärungsversuch für eine reale Wirklichkeit in Märchenform. Diese Geschichte habe also Elemente des Märchens und Elemente der realen Wirklichkeit. Sie begänne wie alle Märchen mit "Es war einmal...", aber sie ende ziemlich sachlich ohne "Und wenn sie nicht gestorben sind...". Denn sie münde in eine etwas wundersame halb-reale Wirklichkeit, die hoffentlich noch eine lange Zukunft hat.
Es war einmal vor vielen Jahrhunderten, da lebte eine junge, schöne, neugierige und unternehmungslustige Elfen-Königstochter. Die hörte viel von der Welt der Menschen erzählen, von den Städten und Dörfern, den Straßen und Burgen und von der harten täglichen Arbeit. Das kann sich eine Bewohnerin des Elfenreiches kaum vorstellen, denn im Elfenreich gibt es nur romantische Räume, einsame Wälder, kleine Seen, liebliche Wiesen, tanzende Nebel, meistens schönes Wetter und vor allem herrliche, mondhelle Nächte. Man verbringt dort den Tag und die Nacht mit süßem Nichtstun und kümmert sich nicht um das Morgen, denn zum Essen findet man im Elfenreich reichlich, große Blüten mit viel Honig, süße Früchte und schmackhafte Kräuter. Und alle Elfen sind von Natur aus die gutmütigsten Wesen, die man sich denken kann. Es gibt unter ihnen keinen Krieg und keinen Streit und keine Konkurrenz.
Weil aber die Elfen-Königstochter neugierig auf die ganz andere Welt der Menschen war, ging sie abends oft an der Grenze des Elfenreiches zum Menschenreich spazieren. Von dort konnte sie von weitem die Städte, Dörfer, Straßen und Felder der Menschen sehen. Weiter ging sie nicht, denn wenn ein Bewohner des Elfenreiches einmal die Grenze zur Menschenwelt überschreitet, dann findet er nicht mehr zurück ins Elfenreich. Das ist einfach so und das wusste die junge Elfen-Königstochter.
Zur selben Zeit gab es in der Welt der Menschen einen jungen, schönen, feinfühligen Königssohn. Dem war oft die harte Welt der Menschen, der Politik, der Kriege und der Konflikte leid und er ging dann zum Ausspannen und zur Erholung ans Ende der Menschenwelt, dort wo die Wälder immer dichter werden und wo weiter hinten das wundersame Elfenreich beginnt. Über die Grenze ging er aber nicht, denn wenn ein Mensch ins Elfenreich eindringt, dann findet er nicht mehr in die Welt der Menschen zurück. Das ist einfach so und das wusste der junge Königssohn.
Genau an dieser Grenze lag damals ein kleiner, stiller, verwunschener See mit Seerosen und blühenden Büschen an seinem Ufer. Und hier trafen sich einst zufällig zur Abendzeit die junge Elfen-Königstocher und der junge Menschen-Königssohn. Und weil die Grenze zwischen dem Elfenreich und der Menschenwelt keine streng kontrollierte Grenze mit Schlagbäumen und Grenzzäunen ist - es gibt nur einige gut versteckte Wächter auf beiden Seiten - und weil der genannte See gewissermaßen eine Art Niemandsland war, so hatte es für keinen der beiden ernste Konsequenzen, wenn sie sich gemeinsam an eine schöne Stelle am Ufer hinsetzten.
Beide verliebten sich sofort ineinander und erzählten sich gegenseitig von ihrer jeweiligen Heimatwelt. Der Königsohn erzählte von der Arbeit der Bauern, von den Erzeugnissen der Handwerker, von den Schulen und Bibliotheken und von den Erfindungen der Techniker und von der Tätigkeit der Ärzte. Die Elfen-Königstochter hörte aufmerksam zu und fand, dass das Leben der Menschen abwechslungsreicher und interessanter wäre als das der Elfen. Und sie erzählte von dem herrlichen Gesang der Vögel im Elfenreich, von dem wundervollen Blütenduft und von der dortigen Sorglosigkeit. Für immer erschien dem Menschen-Königssohn ein solches Leben allerdings langweilig, aber für eine begrenzte Zeit eine wunderbare Welt der Erholung.
Als der Morgen zu grauen anfing und sie sich eigentlich hätten trennen müssen, da fragte der Menschen-Königssohn die Elfen-Königstochter, ob sie seine Frau würde, er könne sich kein anderes Mädchen als seine Frau vorstellen. Und sie sagte gerne ja, denn im Elfenreich kannte sie niemanden, den sie so lieben würde wie diesen Menschen-Königssohn. Nun musste aber einer auf seine angestammte Heimat verzichten und sie überlegten, wer das wohl am besten sein könne. Nach kurzer Zeit erklärte sich die Elfen-Königstochter bereit, auf ihre Elfenreich-Staatsbürger-schaft zu verzichten, denn die Welt der Menschen sei interessanter und vielfältiger als das Elfenreich, so unbeschwert es sich dort auch leben ließe. Und sie folgte dem jungen Königssohn in die Welt der Menschen zum Schloss seines Vaters, wo bald eine große Hochzeit gefeiert wurde. Und alle waren froh über die junge Frau des Königssohnes, denn sie bezauberte alle durch ihre Natürlichkeit und Unbeschwertheit.
Die erste Zeit vergaß sie ihr Elfenreich, denn sie wollte das Wissen und das Können der Menschen kennen lernen. Aber irgendwann begann sie sich nach dem Nebeltanz im Elfenreich, nach der dortigen Sorglosigkeit und den wundersamen Landschaften zurückzusehnen. Das merkte der junge Königssohn. Er selber war die ganze Zeit, in der er seiner jungen Frau die Menschenwelt zeigte, nicht dazu gekommen, in die stillen Wälder und an die wundersamen kleinen Seen zu gehen und die Menschenwelt eine Weile zu vergessen. Deshalb beschlossen sie, wieder an den kleinen See an der Grenze der beiden Welten zu gehen und dort sorglos zu sitzen wie damals, als sie sich kennen lernten.
Und als sie so da saßen, kamen die vielen Freundinnen und Hofdamen der ehemaligen Elfen-Königstochter und waren sehr traurig, dass sie ihre Elfen-Königstochter verloren hatten und beteuerten unter Tränen, dass ihnen das ganze schöne Elfenreich jetzt langweilig und leer erschiene. Da machte ihnen die ehemalige Elfen-Königstochter den Vorschlag, mit ihr in das Menschenreich zu kommen. Und alle stimmten freudig zu. Am nächsten Abend lud der Menschen-Königssohn alle seine Freunde und Diener zu einem großen Fest ins Schloss, zu dem natürlich auch alle Freundinnen und Dienerinnen der ehemaligen Elfen-Königstochter kamen. Und schnell ging es den Königssohn-Freunden und -Dienern und den Elfenkönigstochter-Freundinnen und -Dienerinnen genau so wie es zuvor den beiden Königskindern ergangen war. Sie verliebten sich ineinander, jeder Menschenjüngling in eine Elfenjungfrau und bald fand eine große Massenhochzeit im Schloss statt.
Aber nach einer Zeit ging es den neu ins Menschenreich gekommenen Elfen so wie ihrer ehemaligen Königstochter. Sie sehnten sich nach der Ungezwungenheit, der Unbeschwertheit, dem Blütenduft, dem Vogelgezwitscher, den Nebeltänzen, den Abendstimmungen und den lieblichen Seen des Elfenreiches. Und deswegen ging nun regelmäßig der ganze Hofstaat, wenn er die harte, raue, anstrengende Wirklichkeit der Menschenwelt leid war, für eine Zeit in das Grenzgebiet zwischen dem Menschen- und Elfenreich, meistens an den kleinen lieblichen See, wo alles angefangen hatte. Und die Bewohner des damaligen Menschenreiches schüttelten deswegen manchmal verwundert die Köpfe, sagten aber nichts weiter.
Nun müsste eigentlich dieser Teil wie jedes Märchen enden mit "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch glücklich in diesen beiden Welten". Aber so endet dieses Märchen nicht, sondern jetzt mündet es langsam in die Wirklichkeit. Denn im Elfenreich hat man Kinder sehr gern und deswegen gibt es dort sehr viele Kinder. Elfen-Kinder stören die Eltern nicht bei ihrer Lebensverwirklichung, Elfen-Kinder hindern nicht am Sparen und sie belasten nicht die Nerven. Deswegen wünschten sich alle ins Menschenreich eingeheirateten Elfen auch viele Kinder, allen voran die Elfen-Königstochter. Und diese Kinder heirateten wieder andere Menschenkinder und gelegentlich lernte ein solcher Menschensohn mit Elfen-Vorfahren im Grenzgebiet zwischen den beiden Reichen wieder eine Elfe kennen und lieben, die bereit war, ins Menschenreich einzuheiraten. Und manchmal soll es sogar ein Elfe gewesen sein, der aus Liebe zu einer Menschentochter bereit war, in das Menschenreich überzuwechseln. Und alle diese Menschen-Elfen-Nachkommen und deren Nachkommen trugen 2 Seelen in ihrer Brust, eine Menschenseele und eine Elfenseele. Sie lebten einerseits ganz gerne in der Menschenwelt, sehnten sich aber andererseits immer wieder auch nach der Elfenwelt.
Und nun kommt das Wesentliche: Alle Nachkommen jener Ehepaare, bei denen ein Elternteil aus dem Elfenreich stammte, hatten also dieselbe Sehnsucht nach den beiden Welten in sich. Wenn ihnen das nüchterne Menschenleben leid war, dann gingen sie in romantische, einsame Gegenden mit Wäldern, Seen, Burgen, Blüten, Nebeltanz und Vogelgezwitscher und lebten dort eine Zeitlang unbeschwert und sorglos, bis das Interesse an der vielfältigen Wirklichkeit des Menschenreiches wieder in ihnen erwachte. Das ist bis heute so geblieben und deswegen ist es anzunehmen, dass auch die echten Bündischen irgendwie von solchen Menschen-Elfen-Eltern abstammen und, bei jedem unterschiedlich, eine solche Elfen-Sehnsucht in sich tragen. Sie sind deswegen gewissermaßen mehr oder minder Halb-Elfen und Halb-Menschen.
Nur so ist es zu erklären, dass sie gelegentlich oder regelmäßig aus ihrer jeweiligen menschlichen Alltags-Wirklichkeit ausbrechen müssen in eine romantische Unbeschwertheit, die mehr oder minder dem Leben im damaligen Elfenreich ähnelt. Sie sind bis heute "romantische Wanderer zwischen 2 Welten". So könnten die Zusammenhänge sein.
Und damit beendete Sokrates dieses Halbmärchen.
(Aufgeschrieben von discipulus socratei nach der Erzählung eines Zuhörers)
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.05.2009.
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Meier. Ein deutscher Geheimagent
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Bei der Amtsübergabe hatte ihn sein glückloser Vorgänger nach dem offiziellen Teil beiseite genommen und ihn zu einem kleinen Spaziergang durch den Tiergarten eingeladen. Ängstlich nach allen Seiten blickend hatte der ihm dann ins Ohr geflüstert, dass es neben den bekannten Geheimdiensten noch einen ganz „geheimen“ gäbe, von dessen Existenz nur der Kanzler und er selbst wüssten. Dieser käme immer dann zum Einsatz, wenn die offiziellen Dienste versagten, was ja leider ziemlich oft der Fall sei.
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