Vanessa Skrzypczak

Flucht


Verlassen. Ich habe das Gefühl, dass die Dunkelheit mir stetig folgt, dass sie ihre Klauen nach mir ausstreckt, bei jedem Schritt den ich mache, bei jedem einzelnen, verdammten Schritt. -Und dass sie mich nie zu fassen bekommt, ich ihr jedesmal durch die langen, schwarzen Finger schlüpfe. Selbst vor mir scheint Leere zu sein, Stille. Alles flüchtet, denn alles hat Angst. Vor mir... Wo meine Füße den Boden berühren, wird es finster, wo ich hinblicke hält die Welt den Atem an. Bei meinem Anblick welken die Blumen – selbst die schönsten, die stärksten. Selbst du. Auch in mir findet man nichts als diese Leere. Ich glaube, würde man einen Stein in mir fallen lassen, so könnte man Jahre warten bis man irgendwo in meinen Tiefen ein dumpfes „platsch“ hören würde, und nicht mal das würde erfreulich klingen. Die Liebe war auch schon versiegt, schon seit langem. Ich dachte mir damals: Sollte sie jemals wiederkommen, so muss sie kriechen, klettern, den ganzen felsigen Abgrund von Trauer und Einsamkeit und Hass und Schmerz und all dem was sonst noch da ist, hinauf. Doch das stimmte nicht, ich hatte mich geirrt: Die Liebe war einfach empor geschossen, wie Flammen, die einen engen Schacht erleuchten, ein Feuer, das in meiner Seele brennt, seine heißen Finger gierig um mein Herz schließt – und die Kälte, die nun schon seit Jahren in meinem Körper hauste, vertrieb und mich wärmte. Es tat so gut! Ich hatte noch nie etwas gegen das Unbekannte – und trotzdem wollte ich nicht, dass sie geht, wollte nie mehr etwas anderes fühlen.
Und mit dir ging auch sie wieder. Wie ein Gast der sich für ein kleines Weilchen zu mir einlädt und mich begrüßt mit den Worten: „Hallo alter Freund, hier bin ich wieder! Erinnerst du dich noch an mich, weißt du noch wie ich schmecke? Ich, die Liebe?“ Und kaum, dass ich sie wieder liebgewonnen, meine alte Freundin, nahm sie auch schon wieder Abschied. Und fiel. Und fiel. Und fiel... Und ertrank in meinen Wassern.
 
Ich setze mich nieder, auf den Bordkanten einer verlassenen Straße, vor verlassene Häuser und Lokale mit verlassenen Fenstern, zünde mir mit ruhigen Fingern eine Zigarre an. Nur hin und wieder sehe ich ein Gesicht auftauchen, welches bei meinem Anblick ganz blass wird und schleunigst wieder verschwindet. Das glaube ich zumindest.
Und vielleicht sieht die Dunkelheit mich ja nicht und zieht über mich hinweg, die bösen Augen zu schmalen Schlitzen verengt, auf der Suche nach mir. Vielleicht auch nicht.
Ich werde jedenfalls nicht mehr vor ihr davonlaufen.
 

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