Hella Schümann

Älter werden macht nichts

Im diffusen Licht der Morgentoilette sehe ich im Spiegel ein jugendliches Gesicht, mein Gesicht. Doch halt, irgend etwas stimmt nicht. Nächsten Monat werde ich 60... oh, ich habe die Brille vergessen, ohne Brille sehe ich sehr schlecht. Jetzt mit Brille sehe ich mich ein bißchen älter, vielleicht so 30 Jahre alt. Ich habe wenig Falten, doch wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, dann sehe ich eine erschlaffte Haut, ein kleines Doppelkinn und Schlupflider, die die Augendeckel herunterdrücken. Ja, ich werde nächsten Monat 60. Dennoch bin ich attraktiv und für mein Alter sehe ich gut aus. Das bestätigen mir immer wieder die Blicke der Männer und  was mich besonders in Erstaunen versetzt: Männer von Mitte 20 bis 70. Gerade neulich, als ich in San Francisco war ereignete sich folgende Geschichte.

Mein Enkelkind wurde eingeschult und am nächsten Wochenende waren alle Schüler und Eltern zum besser Kennen lernen zu einem Picknick eingeladen. Zu meiner Enttäuschung zeigte sich kein Lehrer, doch wie ich so an dem reich gedeckten Tisch stehe und nach dem Essen sehe, höre ich plötzlich eine Stimme: „Hi, I am Joe, what`s your  name?“ Als ich aufschaue sehe ich einen großen schlanken, dunkelhaarigen Mann, wie aus einem Magazin entsprungen, ein Mann für die Vitrine, wie ich immer bei solchen Männern zu sagen pflege, das heißt übersetzt, er taugt nur zum Anschauen. Ich frage ihn: Are you a teatcher?“ Nein, er war kein Lehrer und nachdem er mir gestand, dass er eine Tochter hatte, erschütterte ich ihn mit den Worten: „I am a grandma“ Nur ein kurzer Seitenblick von mir auf das Essen ließ ihn verschwinden. Er war wohl so erschrocken über die grandma, dass  er sich in Luft auflöste, denn der Platz auf dem wir standen war nach allen Seiten gut zu überblicken, aber ich sah ihn nirgends. Nur unter den Tisch und auf die Palme habe ich nicht gesehen.

So weit so gut, doch jetzt will ich mal von vorne beginnen.

Mit 45 Jahren merkte ich, dass  sich etwas änderte, meine Periode wurde weniger und unregelmäßig. Nun hatten sie mich auch eingeholt, die Wechseljahre. „Macht nichts, “ sagte ich mir, „nimm es locker, das ist eben der Lauf der Zeit, es wird schon nicht so schlimm werden, denn es ist ja ganz natürlich, wie die Pubertät.“ Die Frauenärztin riet mir zu Hormonen doch sie konnte mich nicht davon überzeugen, weil ich Angst hatte, die Pille mal zu vergessen, die man jeden Tag schlucken musste. Noch ein Argument: Meine Mutter war an Brustkrebs gestorben. Außerdem fand ich es zu früh, da ich ja nicht direkt Beschwerden hatte. Auch als Verhütungsmittel hatte ich die Pille abgelehnt, weil ich einen Zusammenhang sah zwischen der publik werdenden Pille und den plötzlich dicken Hintern, die junge Mädchen durch die Stadt trugen. Vom vielen sitzen vorm Fernseher kam das gewiss nicht. In ihrer Verzweiflung griff die Ärztin nun auf ihren letzten Trick zurück: „Außerdem machen Hormone jünger“... Ich dachte nur: „Noch jünger?“ Wir gingen im Streit auseinander und ich suchte mir eine neue Frauenärztin. Wieder ging der Streit um die Hormone los. „Meine Oma hat auch keine genommen und ist uralt geworden (91Jahre), “ war mein Argument. Diese Ärztin war etwas klüger als die andere, denn sie gab mir einen Zettel mit auf dem ich die Beschwerden ankreuzen sollte, die ich im Moment hätte. Zu meinem Schreck konnte ich fast alles ankreuzen.

Einmal bekam ich mitten im Unterricht, als ausgerechnet Mütter teilnahmen, Atemnot. Ich ging ans Fenster und dachte: „ Jetzt muss ich sterben.“ So schlimm war es. Das also gehörte auch zu den Wechseljahren. Ich ließ mir das Pflaster verschreiben. Eine Zeit lang ging es mir gut damit, doch dann verstärkte sich meine Migräne, die mit den Wechseljahren zum erstenmal auftrat und ich bekam Schlafstörungen und Schweißausbrüche. Also doch die Pille. Jetzt kam die Periode auch wieder regelmäßig, doch nicht mehr so stark wie früher. Dann erzählte mir eine Bekannte, sie nähme schon seit 20 Jahren die Pille, sie war schon  70 und hätte noch immer ihre Tage. So wollte ich aber nicht leben, meine Periode dauerte immer 8 Tage und das bis an mein Lebensende? Mit mir nicht! Ich erkundigte mich, was ich tun müßte, um die Blutungen loszuwerden. Also setzte ich 2 Jahre mit den Hormonen aus. Dann nahm ich wieder Hormone, aber ganz schwache und täglich die gleichen, bis die Nebenwirkungen stärker wurden als die Wirkung. Da habe ich sie einfach für mich entsorgt. Sicher, es ist schon mal peinlich, wenn ich zufällig einen Mann ansehe und in diesem Moment rot werde, weil mich eine Hitzewelle überrollt. Nein, zugegeben, ich fand es lustig, weil der Mann ja den wahren Grund für mein Erröten nicht kannte.

Meine Oma, die 91 Jahre alt wurde sagte immer zu mir: „ Kind, mach Gymnastik.“ Sie hatte recht. Damit ich keine „Zipperlein“ bekäme, meldete ich mich im Fitneßstudio an. Eines Tages, ich ging über Kopfsteinpflaster, spürte ich einen stechenden Schmerz im Zeh des rechten Fußes, nur kurz, dann ging es wieder. Tagelang war Ruhe, dann wieder dieser Schmerz. Ich zog flache Schuhe an. Wochen vergingen, ab und zu dieser schreckliche Schmerz. Als dann auch der linke Fuß aus Solidarität mitmachte, ging ich endlich zum Orthopäden. Der stellte meinen Fuß 3 Tage lang ruhig und behauptete, das wäre Arthrose, also Verschleiß. Ich war erst 50 Jahre alt, was sollte aus mir werden, wenn ich jetzt schon Verschleißerscheinungen hatte? Am vierten Tag, als der Verband wieder ab war und ich aus der Praxis auf das Kopfsteinpflaster trat habe ich vor Schmerzen aufgeschrien. Der Arzt erklärte mir, damit müsse ich leben. Voller Verzweiflung ging ich in das Fitnessstudio, um mich abzumelden. Da sagte mein Trainerin Irene: „Ich weiß etwas, das Dir hilft. Geh mal auf das Laufband.“ „Du musst mal richtig laufen lernen, bemerkte sie. Sie zeigte mir, wie man den Fuß abrollt und von da an übte ich richtiges Gehen und die Schmerzen kamen nie wieder. Das ist jetzt 10 Jahre her. Als Irene dann ein Kind bekam und das Studio verließ bin auch ich gegangen. Solch eine Trainerin gibt es nur einmal. Da ich nun richtig laufen gelernt hatte konnte ich auch die Einlagen wegwerfen, die mir ein anderer Orthopäde verschrieb.

Durch die Scheidung von meinem Mann und die Wechseljahre wurde ich depressiv. Einmal fuhr ich zum Unterricht und die ganze Zeit liefen mir die Tränen. Ich hatte gedacht, unterwegs würde es vorübergehen, doch es wurde immer schlimmer. Wie gut tat mir das Verständnis der Eltern, die mich trösteten und mich nach Hause brachten. Ich ging in eine Therapie und bekam danach eine Kur. Ich hatte wieder neue Kraft in mir. Doch nun griff das Alter nach mir.

Die Arbeit fing an, mir schwerzufallen. Ich merkte, dass ich nicht mehr so belastbar war. Ich habe 26 Jahre an der Musikschule musikalische Früherziehung und Grundausbildung unterrichtet mit viel Freude und Elan. Nun türmte sich alles wie ein Berg vor mir auf. Die Belastung durch die Kinder, die im Laufe der Jahre immer schwieriger wurde, die Eltern, die hundertfünfzig prozentigen Einsatz  forderten, die Intrigen an der Schule und die viele Fahrerei zu Kindergärten und Schulen forderten Ihren Tribut.Ich litt an Gedächtnisschwäche und das ging sehr über das Normale hinaus: Ich kam morgens pünktlich im falschen Kindergarten an, ich hatte Halluzinationen und noch einiges mehr. Der Arzt bestätigte mir, dass es nicht Alzheimer ist, doch ich traue den Ärzten nicht. Vielleicht fängt es ja auch so an und es hat noch niemand  so wahrgenommen aus Angst oder Scham.

Dann kamen die Schlafstörungen. Sie gingen ganz langsam los. Erst schlief ich 10-11 Stunden durch. Dann wachte ich 3-mal in der Nacht auf und das fand ich normal, weil die meisten älteren Menschen schlecht schlafen. Es gab immer mehr Schlaflücken. Manchmal dachte ich, ich hätte es nur geträumt. Also legte ich ein Diktiergerät ans Bett und belegte so die Wachzeiten. Inzwischen war ich 57 Jahre alt. Am Ende schlief ich von den Sommerferien bis Anfang Dezember jede Nacht nur noch 1 ½ Stunden und zwar mal eine viertel Stunde, dann 1Stunde Wachzeit, 10 Minuten Schlaf und so weiter. Morgens wenn ich aufstand war ich hellwach und das blieb so den ganzen Tag. Mittags versuchte ich zu schlafen, aber ich war ja gar nicht müde.

Gestern kaufte ich beim Plusmarkt ein, der befindet sich etwa 100 Meter von der Sparkasse. Ich habe einen Einkaufsbeutel, den man ganz klein machen kann und der sich deshalb immer in meiner Handtasche befindet. Ich packte also meinen Einkauf in die Tasche und wollte dann in der Sparkasse meine  Auszüge holen. Doch da merkte ich, dass ich kein Portemonnaie dabei hatte. Seltsam, es musste doch in meiner Handtasche sein, ich kramte die ganze unübersichtliche Tasche aus. Ich hatte es also nicht mit. An der nächsten Ampel fiel es mir wie Schuppen aus dem Gehirn, kann man wohl sagen, ich hatte doch noch eine Tasche am Handgelenk und ich hatte doch auch die Ware bezahlt, also war das Geld sicher in der Einkaufstasche. -

Solche Geschichten machten mir Angst, so etwas finde ich nicht normal.

Ich hatte schlecht geschlafen und mein Wecker auch, er zeigte mir am Morgen die Zahlen 0:03,  was für eine Uhrzeit? Es war 7Uhr und die Batterie leer. Meine Batterie scheint auch so gut wie leer zu sein, denn mein Gehirn steht immer später auf als ich. Gestern hätte ich beinahe die Morgentoilette vergessen. Ich war schon im Mantel, da merkte ich, ich hatte weder geduscht, noch ich die Zähne geputzt. 

Als ich dann auch noch eine neue Unterrichtsart beginnen sollte mit 1 ½ jährigen Kindern, brach ich zusammen. Ungefähr ein halbes Jahr war ich schlafkrank. Ich ließ mein Gehirn in einer neurologischen Klinik prüfen und sie machten auch ein paar psychologische Tests, alles war so weit in Ordnung. Dann kamen eine Kur und noch eine Therapie und als ich aus der Kur zurückkam hatte ich mich entschlossen, meinen Beruf als Musikpädagogin an den Nagel zu hängen und noch einmal mit einem neuen Beruf zu starten. Eine richtige Vorstellung hatte ich nicht von dem was ich noch arbeiten könnte, irgendetwas Ruhiges am PC vielleicht, denn Computerarbeit macht mir Spaß, ich habe einen PC zu Hause.

Nun, ich bekam eine Stelle im Büro und die Arbeit machte mir Spaß, ich habe mich sehr schnell zurechtgefunden. Allerdings als ich beim Bewerbungsgespräch behauptete, ich hätte schon mal mit Excel gearbeitet habe ich angegeben. Es war nicht gelogen, denn ich hatte mal versucht, einen Satz zu schreiben in diesem Programm und gesehen, wie es reagiert. Mal abgesehen von dem Spaß an der neuen Arbeit hatte ich zum ersten Mal im Leben nette hilfsbereite Kollegen und nun machte mir auch das Älterwerden Spaß.

Es drehen sich immer noch Männer nach mir um und ich werde versuchen, in Würde alt zu werden. Durch meine ständige Aufmerksamkeit mir selbst gegenüber bin ich nun gesund und fit und es geht mir gut wie noch nie in meinem Leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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