Marion Redzich

Die Gleisbettmaus von Linie ist schwer verliebt

Die Gleisbettmaus von Linie 9

ist schwer verliebt

 

Mein Name ist P217. Das P steht für meinen Namen. Ich heiße Przlmakpukmalhachee. Die 217 zeigt das Leben an, in dem ich mich derzeit befinde. Wir Mäuse werden im Gegensatz zu Menschen nicht sehr alt, dafür haben wir aber bis zu 777 Leben. Manche Menschen, die Buddhisten, auch, das ist bei den Menschen wohl nicht einheitlich geregelt.

Ich bin eine Gleisbettmaus, lebe an der U-Bahn-Linie 9 und dies ist meine Geschichte.

 

Es macht Spaß, die Menschen zu beobachten, sie sehen so schön bunt aus und machen komische Sachen.

Sie spielen gerne. Eines ihrer Lieblingsspiele nennen wir Gleisbettmäuse das WHDSK-Spiel (wer-hat-den-sprechenden-Kasten-Spiel). Das geht so:

Irgendwo in der Menschenmenge ist ein mehr oder weniger melodischer Ton zu hören und alle, die mitspielen wollen, greifen ganz schnell in ihre Taschen oder Jacke und der, der gewonnen hat, darf mit dem Kasten eine Weile plaudern. Manchmal dürfen auch mehrere gleichzeitig, so ganz haben wir Mäuse die Spielregeln noch nicht kapiert. Aber einmal ist so ein Kasten beim Menschen-Schubsen (auch ein lustiges Spiel!) aufs Gleisbett gefallen. S321 (der heißt eigentlich Swaddaredapappülaref und ist ein Cousin 3. Grades mütterlicherseits von mir) und F176 standen eine Weile davor. Wir beschnupperten ihn und wollten auch mit ihm auf mäusisch reden. Ich glaube der Kasten wollte das auch, er summte wie wild, tanzte ein wenig auf den Schottersteinen hin und her und sang sogar ein kleines Menschenliedchen, aber da wir die Spielregeln nicht kannten und keine Menschen sind, konnten wir leider nicht mitspielen. Nach ein paar Minuten sprang ein junges Menschen-Männchen auf die Gleise, hob den Kasten auf und wurde von einem anderen Männchen wieder auf den Bahnsteig gezogen, gerade rechtzeitig, bevor die nächste U-Bahn kam. Wir Mäuse sind klein genug, uns unter den Steinen zu verkriechen, aber ich bezweifle doch sehr, ob das mit so einem Menschen-Männchen auch klappen würde.

 

Nachts, wenn keine U-Bahn mehr fährt und keine Menschen mehr auf dem Bahnsteig sind, ist es sehr ruhig bei uns auf dem Gleisbett. Wir nutzen diese Zeit, um uns gegenseitig Geschichten aus unseren früheren Leben zu erzählen.

 

Ich erinnere mich noch sehr gut an mein 215. Leben. Da war ich eine von vielen Gleisbettmäusen direkt am Alexanderplatz. Wir waren ungefähr fünfzig Mäuse und hatten viel zu tun. Ständig warf irgendein Mensch Abfall oder sonst was auf die Gleise. Wir hatten alle Pfoten voll zu tun um das wegzuräumen. Klar, ihr Menschen denkt jetzt wahrscheinlich, Blödsinn, das macht doch die Berliner Stadtreinigung. Irrtum! Das meiste wird von uns erledigt. Nur die schweren Sachen, wie Flaschen zum Beispiel, kriegen wir nicht weg, dafür brauchen wir Menschenhilfe.

Und eines Tages, beim Zeitung sortieren, da sah ich sie. Das schönste Mäusemädchen, das ich jemals gesehen hatte. Und glaubt mir, ich hab schon viele gesehen in meinen vorigen Leben! Aber diese war etwas ganz besonderes, das spürte ich sofort. Die Art, wie sie sich bewegte und an der Zeitung knabberte, ihre süße spitze Nase, alles an ihr faszinierte mich vom ersten Augenblick an. Ich musste unbedingt mehr von ihr erfahren! Also schlenderte ich, so lässig wie ich konnte, zu der Zeitung an der sie gerade knabberte, legte meinen Kopf schief, zog die Augenbrauen hoch (das hab ich mir bei Rhett Butler bei vom Winde verweht abgeguckt!), atmete tief durch und sagte: „Hi Süße, bist Du neu hier? Wie heißt Du?“ Das Mäusemädchen unterbrach ihren Imbiss, sah mich an und antwortete: „Hallo, ich bin Tallalagoneorom89. Und, stimmt, bin neu hier, genauer gesagt, seit gestern. Da wo ich vorher war war’s viel ruhiger als hier. Geht’s hier immer so hektisch zu? Und… wie heißt Du denn??“

Sie findet mich interessant, sie findet mich anziehend, sie findet mich unwiderstehlich, uff!

„Ich heiße Przlmakpukmalhachee215 und so lange bin ich auch noch nicht hier. Aber Du hast Recht, hier ist es wirklich nicht sehr gemütlich. Weißt Du was? Ich lade Dich ein! Hast Du heute Abend schon was vor? Sagen wir so um 8 am südlichen Ausgang?“

Sie sah mich mit ihren wunderschönen braunen Augen an und sagte nur „Gerne!“, dann verschwand sie unter den Steinen und ich rieb mir erstmal die Augen. Aber nein, das war kein Traum. Das war Wirklichkeit! Und ich hatte ein Date mit ihr! Heute Abend um 8. Wahnsinn!!

Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Sie ist viel zu jung für mich. Sie ist viel zu schön für mich. Sie hat schon einen Freund. Sie wird nicht kommen….

Aber was, wenn sie doch kommt? Ich kann doch nicht einfach mit ihr spazieren gehen. Zeitung-Knabbern geht auch nicht, zu banal. U-Bahn-Hüpfen zu anstrengend. Aber was dann? Es müsste etwas Super-Romantisches sein. Da hatte ich eine Idee.

Die Zeit bis zum Abend vertrieb ich mir mit Menschen-Weibchen-Erschrecken und Verstecken-Spielen mit S321. Dann, endlich, wurde es Zeit, zum vereinbarten Treffpunkt zu flitzen. Und da war sie. Unbeschreiblich schön, in ihrem zarten hellgrauen Fell.

„Na, was meinst Du, hast Du eine Idee, was wir machen können?“ fragte sie und sah mich mit ihren Kulleraugen an. Sofort wurden mir alle vier Knie weich. Aber ich ließ mir nichts anmerken und antwortete nur cool: „Tja Baby, lass Dich überraschen!“

Wir huschten über den U-Bahnhof, kletterten die Treppen hoch und dann raus auf die Straße. Es waren noch viele Menschen unterwegs und wir mussten aufpassen, dass niemand uns entdeckt. Denn heute Abend hatten wir was Besseres vor als Menschen zu erschrecken.

„Hast Du Hunger?“ fragte ich sie. Tallalagoneorom’s Augen begannen zu leuchten und sie antwortete: „ Klar hab ich Hunger! Wo gehen wir denn hin?“ Ich aber tat ganz geheimnisvoll, flüsterte ihr zu, dass sie es bald erfahren würde und dass es ein ganz besonderer Ort sei.

Vier Querstraßen weiter waren wir da. Ich hatte vorher im Telefonbuch die Adresse rausgekriegt und dann den Stadtplan gelesen. Dann hatte ich mir den Weg genau eingeprägt.

Im Gegensatz zu den Menschen haben wir Mäuse einen sehr gut ausgeprägten Orientierungssinn. Und im Gegensatz zu Menschen-Weibchen können wir sogar Stadtpläne lesen! Wir flitzten durch den Eingang und betraten das Dunkel-Restaurant. „Jetzt müssen wir ganz leise sein! Sonst werden wir erwischt. Die Menschen können uns hier zwar nicht sehen, aber hören.“ „OK!“ antwortete Tallalagoneorom und blinzelte mir verschwörerisch zu.

Es ging zwei Treppen runter und dann waren wir da. Wir suchten uns einen schönen Platz unter einem der Tische, an dem ein Menschen-Pärchen saß und versuchte, im Dunkeln das Essen auf dem Teller zu finden. Menschen können im Dunkeln nicht sehr gut sehen, genauer gesagt gar nicht und so fiel einiges daneben. Wir hatten ein vorzügliches Essen, viel besser als am Gleisbett! Das fluchen der Menschen passte nicht ganz zu der romantischen Stimmung, aber das Essen war reichlich. So ganz kapiert hab ich das noch immer nicht, warum die Menschen im Dunkeln essen, obwohl sie gar nichts sehen können.

Ich jedenfalls habe diesen Abend genossen und konnte meine Augen nicht von meiner hübschen Begleitung abwenden.

Vielleicht mache ich eines Tages ein Dunkel-Restaurant nur für Mäuse auf!

Zum Nachtisch wollte Tallalagoneorom noch ein bisschen Spaß und so kletterte sie am Tischbein hoch und setzte sich auf den Löffel vom Menschen-Weibchen. Als diese ihren Löffel und die darin befindliche Tallalagoneorom betastete, erschrak sie heftig. So heftig, dass Teller und Gläser zu Boden fielen. Das Menschen-Weibchen kreischte „Eine Maus! Ich hab eine Maus auf meinem Löffel! Hilfe!!!“ Tallalagoneorom flitzte natürlich sofort wieder unter den Tisch und lachte sich schlapp.

Wir lachten noch, als wir längst wieder zuhause auf dem Gleisbett gelandet waren.

„Das war wirklich ein schöner Abend! Danke!“ sagte Tallalagoneorom und verschwand unter den Steinen, noch bevor ich etwas erwidern konnte.

Ich habe dieses Mäuse-Mädchen nie wieder gesehen. Aber ich habe sie bis heute nicht vergessen!

Copyright by Marion Redzich

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Marion Redzich).
Der Beitrag wurde von Marion Redzich auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Marion Redzich als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Versengte Flügel: eine Seelenreise zwischen Trauer und Trost von Sonja Rabaza



Traurige und schmerzerfüllte Zeiten müssen durchlebt werden, das heißt, es muss Trauerarbeit geleistet werden; wenn man verdrängt, so holt sie uns doch immer wieder ein. Nur wenn wir uns auf diesen schweren Weg einlassen, haben wir eine Chance - trotz ewig dauernden Schmerzes - wieder glücklich zu werden.

Meine Botschaft: Auch wenn das Leben nicht immer freundlich mit uns umgeht, nicht aufzugeben!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Marion Redzich

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Schweinegrippe-Infarkt von Marion Redzich (Wahre Geschichten)
Ach, wie putzig! - 2. Teil von Siegfried Fischer (Humor)
Bücher zu verschenken von Karin Ernst (Wie das Leben so spielt)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen