Mirjam Horat

Ausfahrt mit Hindernissen

Wir hatten uns wie alle vierzehn Tage verabredet. Waren, nachdem wir unseren absoluten Lieblingskuchen in Rapperswil eingekauft hatten, in der uns wohlbekannten gänzlich übertriebenen Menge, auf dem Weg Richtung See, um uns durch einen einstündigen Spaziergang fit zu halten. Wir wählten diesmal den Greifensee als Zielobjekt, waren guter Laune auf Entdeckungsfahrt Richtung Fällanden. Meine  Zwillingsschwester hatte extra eine CD gebrannt mit unserem gerade erst frisch erkorenen neusten Favoritensong. Natürlich wurde der restliche Platz der CD aufgefüllt mit anderen von uns gern gehörten Musikstücken. Fröhlich trällernd kurvten wir durch den Wald, hörten James Blunt mit ‘ Tears & Rain’ und genossen die letzten Sonnenstrahlen der Abendsonne. Als der Song das erste mal zum Refrain aufspielte, wir gerade richtig in Fahrt kamen, voller Inbrunst mit zu singen, hüpfte der Song völlig unerwartet in unberechenbaren Rhythmus weiter und gewann eine totale Eigendynamik. Sehr amüsiert über diese Abwandlungen des Songs hörten wir halb singend halb kichernd, gespannt weiterhin zu, um beim nächsten Hüpfer erneut in schallendes Gelächter aus zu brechen. Da bemerkten wir ein entgegenkommendes Auto, ich kann mich nur noch an die Wagenfarbe erinnern, es war ein anthrazitfarbenes Irgendwas. Der Autolenker versuchte uns mit seinem unübersehbarem, wilden Lichtgehupe eine Botschaft zu übermitteln, die wir offensichtlich beide nicht verstanden. Immer noch glucksend überlegten wir, ob wohl mein Auto gewisse Teile verliere, oder sonst was schief und scheps runter hängt, da bemerkten wir urplötzlich das im Kreisel vor uns ein Mann mit aufdringlicher, greller, orangen Weste die Strasse blockierte, was konnte das wohl anderes sein, als ein Polizist.
 ‘Ach du meine Güte, ich bin noch nie in meiner ganzen Autofahrkarriere von einem Polizisten angehalten oder kontrolliert worden.’
 Schon des Öfteren schlichen sich solche Gedanken bei mir ein wie: Ob ich es überhaupt bemerken würde, wenn mich ein Polizist bittet rechts ran zufahren? Ob ich wohl den blinkenden, leuchtenden Schriftzug ‘Polizei’ im Rückspiegel im Falle eines Falles bemerken würde? Was soll ich sagen, diese Gedanken waren mehr als überflüssig, ich kann nun mit hundertprozentiger Sicherheit sagen: Ja liebe Mitmenschen man bemerkt es, unmissverständlich! Der nette, ältere Herr in orange, wies uns beide mit eindeutiger Gestik an, nach rechts ab zu biegen. Brav der Anweisung folgend gelangten wir zu einem nächsten Polizisten, der, wie wir beide unschwer erkennen konnten, uns etwas Wichtiges mit zu teilen hatte. Leider konnten wir ihn durch die geschlossenen Fensterscheiben beim besten Willen nicht verstehen. Dem war ja schnell Abhilfe geschaffen. Ich öffnete das Fenster und fragte höflich nach, was er uns den eben sagen wollte.
 ‘Die schnellen Frauen sind unterwegs…’ meinte er höchst amüsiert ab sich selbst.
 Okay, soweit war dann ja schon mal die eine Frage beantwortet, weshalb wir überhaupt raus gewunken wurde, ich war zu schnell unterwegs, Mist! Mit einem gelben Post-it Zettelchen bestückt, auf dem weder meine Zwillingsschwester noch ich etwas Gescheites aus dem Gekritzel entziffern konnten, wurden wir weitergeleitet zum nächsten Freundlichenhelfer im üblichen orange. Durch das geöffnete Fenster hörten wir ihn klar und deutlich die erschreckende Zahl zu seinem Kollegen rufen:
 ‘Über Hundert!’
 ‘Oh mein Gott, ich bin doch sicher nicht über 100 gefahren, das wäre mit Garantie Ausweisentzug.’
 Das Entsetzen stand meiner Zwillingsschwester förmlich ins Gesicht geschrieben, und ich war mir sicher, derselbe Gesichtsaudruck spiegelte sich gerade auch auf meinem wieder, wenn nicht noch ein Quäntchen verstärkt. Dieses Entsetzen wurde jedoch schnell wieder abgelöst von unserer vorherigen rumalbernder Stimmung. Immer noch brav den Anweisungen folgend, kamen wir beim x-ten Polizisten an. ‘Führerschein und Fahrzeigschein bitte.’ Ob ihrs glaubst oder nicht, ich musste an diesem Abend zum allerersten mal, in meinem bisherigen Leben, besser gesagt seit den elf Jahren seit dem ich einem Wagen fahren darf, den Führerschein aus meinem Portemonnaie raussuchen. In dem Moment, gerade völlig überfordert, suchte ich verzweifelt in jedem kleinen Fächchen meiner Brieftasche nach dem blauen zusammengefalteten Schein, und fluchte dabei innerlich - nicht das erste Mal- weshalb ich auch immer wieder ein solches verflixtes Teil kaufen muss, mit möglichst vielen Nischen, um anschließend nichts mehr zu finden. Ganz zittrig und nervös, mit erneutem Übergang in unser Gekicher, kramte ich den Ausweis schließlich raus.
 ‘Doch wo ist denn nur der  Fahrzeugschein? Ach ja, in dem silbernen Mäppchen.’ Ich deutete meiner Schwester mir dieses Ding eben mal zu reichen. Da hält sie mir eine schon fast leere Plastikhülle des Fensterscheibenputzmittels entgegen mit der Frage:
 ‘Meinst du das hier?’ Woraufhin ich erstrecht losprustete und sie gleich mit. Schlussendlich schafften wir es alles Erforderliche vor zu weisen und übergaben sämtliche Papiere dem geduldig, wartenden Polizisten.
 Das Unfassbare dabei für mich war, gerade erst eine gute Wochen zuvor war ich ebenfalls mit meiner Zwillingsschwester und unserer Mutter zusammen unterwegs zu unserem im Sterben liegenden Grossmuetti. Da geschah es … Blitz! Und weils so schön war doch grad noch einmal… Blitz… Ich hatte dieses Ungetüm von Radar doch glatt übersehn und somit erhielt ich meine allererste Busse per Radar. Nun, ich konnte es kaum fassen, keine zwei Wochen später soll bereits die nächste dazu kommen. Höchst belustig fingen Tabea und ich an, uns darüber aus zulassen, und weihten den ahnungslosen Polizisten mit fragenden Blick in das Geschehen mit ein. Daraufhin wollte er lediglich und ziemlich nüchtern wissen, wie teuer mich denn diese Busse zu stehen kam.
 ‘40.- musste ich bezahlen.’
 Seine einzigen Worte dazu waren: ‘Dieses mal wird’s teurer!’
 Ups, das hört sich nicht gut an. Wir blickten uns etwas konsterniert an, worauf ich etwas weniger amüsiert die Frage stellte, wie teuer mich denn dieses Mal der ganze Spass zu stehen kommt. Er murmelte nur irgendwas von einer Geschwindigkeit von einundachtzig, marschierte mit meinen Papieren davon um sie zu überprüfen, und liess uns mit der Ungewissheit alleine zurück. Das würde also bedeuten, dass ich den Brief tatsächlich abgeben muss. Und somit auch gleich erklären, weshalb der erste Beamte noch sagte, ‘Die schnellen Frauen…’ Immer noch kichernd überlegten wir schon die wildesten Strategien, wie ich ohne Auto trotzdem zur Arbeit kommen soll.
 ‘Na zu Fuss oder per Anhalter… oder du erfindest jede Menge neue Ausreden, weshalb du grad nicht arbeiten kommen kannst…’
 Da kam der Polizist zurück, er wollte meine Adresse und warf noch einen Blick auf meine Räder. Wie ein Blitz schoss es mir durch meinen Kopf, ich hörte die Stimme meines Mannes deutlich sagen:
 'Wenn du irgendwann mal in eine Polizeikontrolle fahren solltest, vergiss nicht, deine Felgen sind immer noch nicht eingetragen! Und übrigens, die Pneus haben auch den Grenzwert des Profils erreicht.’
 Ach du Schreck! Bitte, bitte lieber Polizist drück ein Auge zu und lass mich deswegen nicht im Strassenverkehrsamt vortanzen, hoffte und flehte ich innerlich vor mich hin. Und tatsächlich, er schien es entweder nicht bemerkt zu haben, oder gekonnt darüber hinweg zu blicken. Er fragte lediglich:
 ‘Wollen sie die Busse gleich bar bezahlen, oder lieber per Rechnung?’
 Ich hatte ja immer noch keine Ahnung, ob ich den Brief gleich abgeben darf, war also etwas überrascht ab der Frage und antwortete vorsichtig:
 ‘Kommt drauf an wie teuer mich das ganze zu stehen kommt?’
 ‘Das macht 120.- Franken.’
 Ich dachte nicht richtig gehört zu haben, wollte das aber auch keines falls weiter hinterfragen und antwortete schnell:
 ‘Okay, das bezahle ich lieber gleich.’
 ‘Sind sie sicher?’
 ‘Jaaa.’
 ‘Dann mach ich ihnen noch eine Quittung.’
 Total erleichtert, meinen Führerschein offensichtlich behalten zu dürfen, bezahlte ich dem Mann gerne dieses Bussgeld. Erneut ging er von dannen, kam aber kurz darauf zurück und erklärte mir noch sehr hilfsbereit, wie ich wieder hier weg komme, fragte noch ganz anständig, ob er den Führerschein wieder so zusammenfalten solle, wie er vorher war. Ich versicherte ihm, dass ich das auch alleine schaffe, woraufhin er sich freundlich verabschiedete mit den Worten:
 ‘Trotzdem noch einen schönen Abend die Damen.’
 Ja, das war meine allererste Begegnung mit der Polizei. War ich froh, dass ich mein Schwöschterhärzli an meiner Seite hatte. Ich hatte zwar schon die Befürchtung, der Polizist könnte den Verdacht schöpfen, wir beide stehen unter Alkohol oder Drogenkonsum, hervorgerufen durch unser ständiges Gekicher und Gelächter, und er bittet uns jeden Augenblick doch einmal kräftig ins Röhrchen zu pusten, oder nimmt uns mit zur Blutentnahme. So kann ich sagen, alles in allem hatten wir wirklich Glück im Unglück! Bei der Rückfahrt bemerkten wir dann noch die Geschwindigkeitstafel ‘50’ kurz vor dem Kreisel. Die müssen wir beide völlig übersehn haben, da unsere Aufmerksamkeit ganz dem anthrazitfarbenen Irgendwas galt, der uns ja eigentlich nur vorwarnen wollte. Welch Ironie des Schicksals.
Bestimmt wird uns dieses Erlebnis, für immer als eine einzigartige Geschichte in Erinnerung bleiben. Eben eine von denen vielen Geschehnissen, die wir nur in der Kombination als Zwillinge erleben können, ab welchen wir uns noch Jahre köstlich amüsieren werden.
 
 

 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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