Nina Zwilling

Das Leben ist hart

 

Hamburg, 11:50 Uhr, trüber Vormittag, nichts Neues eigentlich. Doch plötzlich traute Rolf seinen kurzsichtigen Augen nicht. Ungläubig nahm er seine verschmierte Brille von der Nase, putzte sie an seinem kleinkarierten Hemd ab und schaute noch einmal angestrengt durch die dicken Brillengläser. Das war ja nicht zu fassen.

Nebenan in der Telefonzelle stand Serena Poth. Die Serena Poth die seit Wochen durch sämtliche Titelzeilen der Klatschpresse jettete. Nach der Insolvenz ihres Göttergatten war nun auch sie, wegen Verdacht auf Steuerhinterziehung, in das Visier des Finanzamtes geraten. Und dabei waren sie doch immer die Vorzeigepromis gewesen. Hammer! Und nun stand sie da, vor seinen Augen.

 

Rolf griff, ohne den Blick von der Telefonzelle zu wenden, nach seiner Kamera, die er auf einem Stuhl neben sich positioniert hatte. Vielleicht hätte er sich, bevor er den Apparat in die Hand nahm, mal die Finger an der Serviette abputzen sollen, denn aufgrund seiner Fettgriffel wäre ihm seine alte Voigtländer beinahe aus der Hand geflutscht. Kein Wunder bei Rolfs Trotteligkeit, die sich bisher durch sein ganzes Leben zog.

 

Er hängte sich seine Kamera ungelenk um den Hals. Serena telefonierte immer noch. Mit wem sie wohl plauderte? Komisch, und warum in einer Telefonzelle? Sie besaß doch bestimmt mehrere von diesen klunkerbesetzten Frauenhandys. Rolf, unter seinen Kollegen als bemitleidenswerter Depp bekannt, witterte seine Story. Eine Fotostory für die Yellow Press und damit endlich Kohle für seinen Vermieter. Er legte sein abgezähltes Geld für den verzehrten, knoblauchgetränkten Döner auf den wackeligen Plastiktisch und stampfte in Richtung Telefonzelle. Unter seinen Achseln bildeten sich nasse Schweißflecken vor Aufregung und aus seinem Hals strömte ein unangenehmer Zwiebelgeruch.

 

Serena´s  Stimme klang aufgeregt schrill. „Es ist total heiß hier, wir liegen grad am Strand und die Sonne knallt erbarmungslos vom Himmel. Braun werden? Ach, wer will denn heute noch braun werden?

Ja, Dieter, genauso hab ich es grad meiner Mutter erzählt. Was? Die Wahrheit? Ach Dieter, meine Mutter ist doch auch nicht mehr die Jüngste, da muss ich sie doch nun wirklich nicht mit meinen und Francos finanziellen Problemen belasten. Komm schon Dieter, wir kennen uns doch ne halbe Ewigkeit und ich brauche jetzt mal wirklich deine starke Schulter zum Anlehnen………..Natürlich weiß Franco nicht, das ich Dich anrufe, ich steh ja extra in der Telefonzelle, der kriegt nämlich manchmal so´n Anfall und kontrolliert meine Handyrechnung, auch wenn er weiß Gott im Moment wirklich andere Sorgen hat………….also, im Kaisers, in einer halben Stunde? Supiiii!“

 

Das Klicken des Telefonhörers zurück auf die Gabel riss Rolf unsanft aus der Erstarrung. Er konnte sich gerade noch an die Rückwand der Telefonzelle drücken, als auch schon die gelbe Tür aufging und Serena´s schlanke Endlosbeine ins Freie traten. Er keuchte aufgeregt. Sein Herz stolperte vor lauter Erregung. Das war ja hochinteressant. Serena und ein heimliches Date mit ihrem Ex-Stecher Dieter. Nicht zu fassen. Da musste er auf jeden Fall dranbleiben, und zwar so was von dran bleiben! Während ihrem Gespräch hatte er, ohne dass sie es bemerkt hatte, drei Fotos von ihr geschossen, blöderweise war die Glasscheibe dazwischen und so wusste er nicht, ob die Bilder überhaupt was werden würden. Rolfs Nerven lagen jedenfalls jetzt schon blank und sein Magen war auch heftig am Rumoren. Zuviel fettiges Essen und sein regelmäßiger Alkoholkonsum taten das ihre. Der Döner wölbte sich mittlerweile in seinem Unterbauch, als würde er die Gestalt eines Dinosauerierbabys annehmen.

Ein befreiender Furz quoll aus seinem Hinterteil, als er versuchte, hinter Serena her zu hecheln. Mann, hatte die ´nen Schritt drauf. Da kamen seine zu kurz geratenen Beine nur schwer mit. Außerdem beschwerte das Dönermonster seinen Körper beim Laufen. Hechelnd wie eine Hochschwangere im elften Monat versuchte er ihr unauffällig zu folgen.

 

Im nächsten Augenblick bog Serena in eine ruhige Seitenstraße ein. Und da erst  bemerkte er den Zweimeter-Adonis, der brav schützend hinter ihr her dackelte. Wo kam der denn plötzlich her? In der Gasse befand sich das Café, in dem sich Serena mit Dieter treffen wollte. Mit dem überlebensgroßen Mutanten davor geparkt, würde Rolf allerdings keine Chance haben, auch nur einen Millimeter näher ans Geschehen ran zu kommen. Scheiße aber auch. Was jetzt?

 

Plötzlich, cirka vier Meter vor ihm, blieb Serena mit ihrem Bodyguard, der etwas Schwarzes in der Hand hielt, stehen, sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Hastig versteckte sich Rolf in einer Haustür und zählte leise bis fünf.

 

Vorsichtig reckte er seinen Kopf und spähte auf die Straße. Nichts.

 Die Straße war leer.

„Verdammte Hacke!“ Fluchend sprang Rolf auf den Gehweg und hastete nach Luft ringend vorwärts. Gleich würde er das „Kaisers“ erreichen, in dem er Serena mit Dieter erhoffte. Er wischte sich mit der Handfläche den Schweiß von der Stirn. Mittlerweile fühlte er sich regelrecht elend, der Dönerklumpen lag wie Blei in seinem Magen und zerrte an seinen Eingeweiden. Ihm war so was von kotzübel.

 

„Dranbleiben, Junge, schön dranbleiben“, motivierte Rolf sich selbst, nur noch wenige Meter trennten ihn vom Café.

Endlich war der Eingang in Sicht, Rolf schleppte sich die drei Stufen hoch, die Tür stand offen, er spähte ins Innere. Es war wenig Betrieb dort, die brünette Bedienung stand hinter der Theke und tippte gelangweilt auf ihrem Handy rum. Sein Blick flog über die mittlere Tischreihe, schweifte nach links und blieb am ersten Tisch direkt neben dem Eingang hängen. Sein Kopf schnellte erschrocken zurück, als er in zwei Augenpaare blickte.

 

„Hör ma, du Kakerlaken-ins-Koma-Fotografierer, was ...", ertönte die nasale Stimme von Dieter. Rolf ließ den Satz in der Luft hängen. Er wollte sich soeben umdrehen, als plötzlich eine schwere Hand wie ein Betonklotz von hinten auf seine Schulter fiel. Panisch fuhr er herum. Vor seinem Gesicht baumelte die schwarze Ledertasche seiner Kamera wie ein Pendel, das ihn hypnotisieren wollte. Er hatte sie anscheinend an seinem Tisch bei „Ützel Brützel“ liegen gelassen. Hinter der Tasche thronte das starre, ausdruckslose Gesicht des Leibwächters.

 

Der Schnaps, oder besser gesagt, die drei türkischen mit Methanol verseuchten Raki, die Rolf nach seinem Dönergelage runtergeschüttet hatte, kamen jetzt zu ihrem absoluten Höhepunkt. Sie pumpten die von Magensäure zerfressenen, blähenden Überreste des antibiotikaverseuchten Gammelfleisches durch die schmale Speiseröhre mit einem so großen Druck nach oben, dass sich sein Mund wie von selbst zu einem übergroßem „O“ formte. Ein übel riechender, bräunlicher und dampfender Strahl schoss mit einer solchen Wucht nach draußen und klatschte wie ein Geschoss mitten hinein in das starre, ausdruckslose Gesicht seines Gegenübers.

 

Auf der anderen Straßenseite hörte er das Klicken mehrer Kameras seiner belustigten Kollegen, während sich sein Herz mit einem Infarkt zu Tode kämpfte. Dann wurde es für immer schwarz um ihn.

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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