Lukas Wiede

Tage der Finsternis

1. Kapitel Böses Erwachen
 
Er drehte sich in seinem Bett, als der Wecker klingelte. Sofort warf er ihn in eine Ecke des Zimmers, wo dieser anschliessend verstummte. Wie immer richtete er sich langsam auf und rieb sich die Augen um überhaupt etwas sehen zu können. Noch eine Weile im Bett sitzend, betrachtete er sein Aquarium, das ein Geschenk von seiner Grossmutter war. Die Fische waren bereits aktiv und jagten einander. Ein Killerfisch schwamm gemächlich durch das trübe Wasser. Sein roter Körper und die langen Flossen zuckten plötzlich und wie ein Hai der seine Beute entdeckte, schnappte er nach einem kleinen Fischchen. Dies ging sehr schnell, doch Yoji konnte dennoch sehen wie das Fischchen im Mund des Killers verschwand. Mit einem lauten Lachen stand er auf.
 Plötzlich erklangen hektische Schreie und Rufe. Das wäre eigentlich in einem so gestörten Land wie der Schweiz ganz normal gewesen, doch augenblicklich zerstörten Schüsse die Stille, die an diesem schönen Morgen herrschte. Yoji schritt zum Fenster und obwohl er wusste, dass er sich die Schüsse nur eingebildet hatte, war es doch seine Neugier, die nun Besitz von seinem noch schlaftrunkenen Verstand ergriff. Er öffnete das Fenster und guckte hinaus. Und der Anblick, der sich ihm bot, liess die Feststellung, es sich nur eingebildet zu haben, zunichte gehen. Auf der Strasse knieten fünf Soldaten mit riesigen Gewehren. Kurz darauf vergrösserte sich ihre Anzahl um drei weitere, die die Seitenstrasse, welche in die Hauptstrasse führte, entlang kamen. Einer von ihnen hatte eine Armverletzung. Der dicke Verband, dicht unter seiner Schulter, färbte sich allmählich rot. Auch die anderen Soldaten sahen mitgenommen aus. Ihre Kleidung war dreckig, blutverschmiert und an manchen Stellen zerfetzt. Es waren jedoch nicht die Kleider, die Yoji zur Schlussfolgerung führten, dass hier etwas überhaupt nicht in Ordnung war. Nein, es waren ihre Gesichter. Sie waren grimmig und voller Angst. Nun hatte auch die Nachhut des kleinen Trupps Position eingenommen. Alle luden ihre Gewehre und zielten auf etwas. Das Zielobjekt der schwer bewaffneten Soldaten war noch nicht zu sehen.
Es herrschte eine unheimliche Stille. Nicht die Stille eines Samstagmorgen, die man kennt und so liebt. Nein, nicht einmal die Vögel wagten es, zu zwitschern, geschweige, dass es überhaupt irgendwo ein Lebenszeichen gab, das besagt: die Menschheit lebt noch. In den umliegenden Häusern schauten keine ängstlichen Gesichter aus den Fenstern. Die Häuser schienen verlassen zu sein - genau wie die Strasse - und Yoji hatte das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben.
 
Unmenschliche Laute, die eher einem Knurren glichen rissen ihn aus seinen Grübeleien. Er richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Strasse. Ohne Vorwarnung eröffneten die Soldaten das Feuer. Es war gewaltig. Yoji konnte den Druck der Schüsse spüren und bekam sogleich feuchte Augen. Angespannt stand er am Fenster und konnte es einfach nicht glauben. Vor seinem Haus knieten acht Soldaten und schossen wie verrückt auf etwas, das unmenschliche Laute von sich gab. Die merkwürdigen Schreie kamen näher.
Etwas sprang auf ein Auto, das ein paar Meter neben den Soldaten geparkt war und stiess sich im gleichen Moment wieder ab. Es war so schnell, dass Yoji die Gestalt nicht erkennen konnte. Die Soldaten bemerkten überhaupt nichts und schossen weiter. Nach ein paar Sekunden stürzte das etwas, das sich vom Auto abgestossen und eine grosse Beule in dessen Dach hinterlassen hatte, in die Mitte der Formation der Soldaten. Nun erkannte Yoji die Gestalt. Und was er erkannte, führte beinahe dazu, dass ihm ein lauter Schrie entwich. Es war einmal ein Mensch gewesen. Nun hatte er zwei Köpfe die proportional zum Körper zu klein waren. Die Gesichter waren nicht mehr als sabbernde Fratzen. Die kleinen Augen lagen tief in den Höhlen und funkelten bösartig. Der Körper war dünn und knochig. Unter den Kleiderfetzten kam blasse, kranke Haut zum Vorschein. Anstatt Arme, schwang das Wesen zwei lange Tentakel, welche an den Enden spitze Haken hatten. Bevor einer der Soldaten auf die Kreatur schiessen konnte, biss es zu. Schreiend vor Schmerz sah der Soldat mit dem Verband den Stummel an, der vor einer Sekunde noch sein Arm gewesen war. Blut schoss in Strömen aus der klaffenden Wunde und der Soldat ging bewusstlos zu Boden. Die Kreatur brüllte und schwang ihre Tentakeln. Doch in diesem Augenblick wurde es von den Kugeln der Soldaten durchlöchert. Schreiend fiel sie zu Boden und noch bevor sie aufschlug, erlosch ihr Leben. Die Soldaten schenkten weder der toten Kreatur noch dem Soldat, der infolge des starken Blutverlustes gestorben war, weiter Beachtung. Yoji konnte die Wut, die den Soldaten ins Gesicht geschrieben war, spüren. Sie formierten sich neu und luden ihre Gewehre nach. Kaum hatten sie diese Aktion beendet, sah der Junge am Fenster das Zielobjekt, auf das die Soldaten seit ihrer Ankunft schossen.
Ungefähr zwei Dutzend Kreaturen näherten sich den Soldaten. Allesamt hatten sie zwei Köpfe, lange Tentakel und schmale, knochige Körper. Ihre Fortbewegungsart beunruhigte Yoji. Sie krochen über den Boden und stiessen sich in einem unregelmässigen Takt mit ihren langen Tentakeln ab. So waren sie ein Ziel, das nicht leicht zu treffen war. Die Kluft zwischen den Soldaten und den Kreaturen verkleinerte sich sehr schnell. Und dann eröffneten die Soldaten erneut das Feuer. Ihre Schreie vermischten sich mit den Schüssen, die ununterbrochen abgefeuert wurden. Das Sperrfeuer traf über die Hälfte der Kreaturen, die buchstäblich zerfetzt wurden. Gliedmassen flogen durch die Luft, Köpfe explodierten mit einem widerlichen saugenden Geräusch und Blutfontänen sprudelten wie Geysire aus den riesigen klaffenden Wunden. Sie heulten und brüllten vor Schmerz und Wut. Der Sieg über die Kreaturen war greifbar nah. Auch die Kreaturen spürten, dass ihre Niederlage kurz bevorstand. Doch dann wendete sich das Blatt zu Gunsten der Scheusale. Etwas ganz normales geschah und dennoch hatte es gewaltige Auswirkungen auf das Leben der Soldaten. Ihre Magazine waren leer. Und genau diesen Augenblick nutzen die Kreaturen aus. Der Rest von ihnen überrannte die Soldaten und verbissen sich in ihre Körper. Die Opfer hatten keine Chance da sie nicht auf den Nahkampf vorbereitet waren. Schreiend starben sie.
Yoji zog sich rasch in den Schatten seines Zimmers zurück und sank zu Boden. Schliesslich wollte er nicht gesehen werden. Ohne eine Waffe, mit der er sich hätte verteidigen können – abgesehen davon, dass er es überhaupt mit einem Haufen von Kreaturen aufnehmen konnte, die acht ausgebildete Soldaten auf dem Gewissen hatten und wer weiss wie viele unschuldige Menschen – wurde ihm klar, dass er sich unmöglich wehren konnte. Die Kreaturen zogen so schnell weiter wie sie gekommen waren. Der Junge lauschte noch eine Weile den Geräuschen, welche diese von sich gaben. Bis sie schlussendlich verhallten und die Gefahr vorüber war.
Die Vögelchen zwitscherten wieder und die Sonne tauchte hinter einer Wolke auf und verpasste der Siedlung einen glänzenden Schimmer. Man hätte meinen können, dies sei ein ganz normaler Morgen. Doch die verstümmelten Leichen, die auf der ganzen Strassenbreite verteilt dalagen, passten nicht ins Bild. Yoji trat wieder ans Fenster und sog die frische Luft ein. Das eben Geschehene drang irgendwie nicht in sein Gehirn, wie erstarrt stand er da und begriff nichts. Zunächst glaubte er, alles nur geträumt zu haben. Um sich zu vergewissern, stiess er sein Schienbein heftig gegen die Kante des Schreibtisches. Der stechende Schmerz, der sofort folgte, zerstörte diese Hoffnung. Das Handy klingelte. Es lag auf dem Boden. Yoji bückte sich, drückte den Knopf und sagte: „Hallo?“. „Ich bins Vitali, komm zu mir!“. Er schien aufgeregt zu sein und im Hintergrund erklangen Schreie, gefolgt von Schüssen. Yoji wollte gerade fragen, ob es ihm gut ginge. Doch sein bester Freund hatte aufgelegt.
Ein bisschen wütend ging Yoji in die Küche um sich ein Brötchen zu holen. Auf dem Tisch lag eine Nachricht seine Mutter: Sie sei mit den Brüdern einkaufen gegangen und um 11 Uhr zurück. Yoji blickte auf die Küchenuhr, die zwei Uhr Mittags anzeigte. Etwas seltsam, dachte er und nahm ein weiteres Brötchen in die Hand. Während er sich das Brötchen gierig in den Mund stopfte, dachte Yoji darüber nach was er nun tun sollte. Seine Mutter verspätete sich nie und schon gar nicht um drei Stunden. Hoffentlich war ihr und den beiden Brüdern nichts zugestossen. Bei diesem Gedanken lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er verdrängte diesen Gedanken und ass schnell noch zwei weitere Brötchen. Danach fasste Yoji einen Entschluss.
Hastig rannte er ins Zimmer, zog die Lieblingsjeans, ein T-Shirt und einen Pullover an. Nach einem kurzen Blick aus dem Fenster zog er den Pullover wieder aus. Die Treppe hinunter rennend, packte er eine Tasche und seinen Rucksack, der in einer Ecke neben der Haustür lag und begann Nahrung in die Tasche zu packen. Vielleicht würde er nicht mehr so schnell nach Hause kommen. Mit diesem Gedanken packte Yoji die Tasche bis fast zum Rand mit Brötchen, Knabbereien und anderen Esswaren ein. Nun stand er da, überlegte kurz und rannte nochmals ins Zimmer um den Mp3 zu holen. Auf alles gewappnet, schulterte er den leeren Rucksack, nahm die Tasche in die linke Hand und öffnete langsam die Haustür. Durch den Spalt war nichts Verdächtiges zu sehen oder zu hören. Yoji zögerte noch einen Augenblick und schritt dann die Treppe runter bis zu den verstümmelten Leichen.
Beim Anblick wurde ihm schlecht und sein mit Brötchen gefüllter Magen verkrampfte sich. Doch wenn er nicht draufgehen wollte, musste er sich eine Waffe besorgen. Eine funktionierende Waffe war von oberster Priorität. Sein Blick suchte die Pumpgun. Er wusste, dass es nicht möglich war, diese Waffe zu benutzen ohne sich den Arm auszurenken. Es war bloss die Neugier, die ihn veranlasste nach dieser Waffe zu suchen. Schliesslich fand er sie. Blutverschmiert lag sie neben einem abgerissenen Arm eines Soldaten. Yoji betrachtete sie im Sonnenlicht. Sie faszinierte ihn. Und wie es halt so ist bei 16-Jährigen, konnte er es nicht lassen, hob die Waffe auf – ihr Gewicht war überraschend - und verstaute sie sicher im Rucksack. Der Rucksack erhielt zusätzliches Gewicht. Während Yoji sich die blutverschmierten Hände geistesabwesend an den Jeans abwischte, spielte er mit dem Gedanken, die Pumpgun irgendwann einmal zu benutzen.
Nun brauchte er aber eine Handfeuerwaffe die ihm nicht gerade den Arm auskugelte. Also hielt er in dieser blutigen Masse von Kadavern Ausschau nach einer Pistole. Nach ein paar Minuten entdeckte Yoji einen blutverschmierten Klumpen, der wie ein Rucksack aussah. Wenn er Glück hatte, war in ihm eine Pistole und Munition verstaut.
Jetzt kam der Teil, auf den er gerne verzichtet hätte. Langsam watete Yoji durch die Masse, welche die Leichname oder besser gesagt deren Überresten bildete. Sorgfältig darauf achtend, nicht auf einen Arm oder ein abgerissenes Bein zu treten, bahnte er sich einen Weg zum Rücksack. Nach weiteren anstrengenden zehn Minuten stand er wieder ausserhalb des Blutbades. Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen. In jeder Hand hielt Yoji eine Pistole, deren Bezeichnung er nicht kannte. Dies schien jedoch nicht von Interesse, da sie gut brauchbar waren. Klein und leicht.
Aus dem Augenwinkel nahm er den mit Munition prallgefüllten Rucksack wahr. Da er sich mit den verschiedenen Kugeln nicht sehr gut auskannte, fing er damit an, alle Magazine und Kugeln in seinen sauberen Rucksack umzupacken. Tief in seinem Inneren hoffte er inbrünstig darauf, dass sich unter den Kugeln auch welche für die Pumpgun befanden. Es vergingen weitere Minuten bis alles gut verstaut war. Sein Rucksack war nun ziemlich schwer, da er nicht nur die Pumpgun sondern auch noch die Munition beinhaltete. Jetzt musste er aber wirklich aufbrechen. Vielleicht war Vitali in Schwierigkeiten und wartete vergebens auf seine Hilfe. Nach einem letzten Blick auf die blutige Masse, steckte sich Yoji eine Pistole in die linke Hosentasche – sorgfältig darauf bedacht, sie zuerst zu sichern - damit er mit der freien linken Hand die Tasche mit dem Proviant tragen konnte. In der Rechten hielt er die entsicherte Pistole. Mit einem grimmigen Gesicht schritt Yoji die verlassene Strasse entlang.

 
Er hatte keine Ahnung, wo seine Familie war, hatte keine Ahnung ob sein bester Freund überhaupt noch lebte und er wusste nicht was überhaupt passiert war. Und was er auch nicht wusste, war, dass ihm noch viel schlimmere Zeiten bevorstanden.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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