Wilhelm Westerkamp

Der Einsame

Der Einsame

 

Wenn die Straße leer ist, die Stille die Oberhand gewinnt und nur noch die Lichter

der Straßenlaternen in die Stille hinein leuchten, dann strömt Angst aus der see-

lischen Psyche und die Menschen scheinen zu verstummen. Der Mensch ist aber

abhängig von der Kommunikation anderer, deswegen werden wir auch „Beziehungs-

menschen“ genannt. Doch viele sind alleine, wie die Toten leben sie unter uns, wir

bemerken sie nicht, wir kümmern uns nicht um sie, um die „Stillen“ in unserem

Lande. Vielleicht sind sie in der Kirche zu finden, vielleicht kann „Gott der Schö-

pfer“ ihnen halt geben, bevor sie die heilige Hostie entgegen nehmen, um Gott dann

mit einem Gebet zu erfreuen. Der Einsame stirbt nach innen heraus, seelische

Schmerzen fluten durch sein Gehirn, manchmal kommen ihm auch die Tränen, es

sprühen Funken, als würde eine Kreissäge durch das Eisen gehen. Wer lange Zeit

alleine in der Wohnung bleibt, kennt das Gefühl der Entfremdung, das man die Re-

alität anders wahr nimmt und spürt. Der Mund ist weit geöffnet, der Kopf liegt im

Nacken, die Pupillen weit aufgerissen und vergrößert, sollte der Schrei nun end-

lich kommen, doch nur ein leises Röcheln ist zu vernehmen. Dann wieder Stille,

eine beunruhigende Stille, sie ist verstiegen, exaltiert und doch stumm. Dann schaut

er in seinen eckigen Spiegel: er sieht sich an, er ist jetzt nackt und sein Spiegel zeigt

auch sein Gesicht; seine Augen, ja seine Augen, er mag sie nicht, aber es sind eben

doch seine. Er schüttelt seinen Kopf, seine Gedanken kreisen, sie fließen und plö-

tzlich hat er die Augen des spanischen Malers Pablo Picasso vor sich. Was für ein

Blick hatte dieses Genie! Picassos Augen, diese tief braunen, man könnte meinen,

sie könnten einen verschlingen, so lebendig wirken sie. Der Einsame hingegen, hält

sich für gewöhnlich, wie so einen billigen Staubsauger-Vertreter, denn zu mehr hat

es nicht gelangt. Er hat auch keine Frau. Gelegentlich geht er zu käuflichen Damen,

um seinen Trieb zu stillen, wie er das immer sagt. Aber Liebe? Liebe ist das nicht,

nur ein knallhartes Geschäft. Die Prostituierten müssen sich viel gefallen lassen,

in diesem „Geschäft“. Und ist die Einsamkeit, denn etwa kein hartes Geschäft? Na-

türlich, ist es das! Und wenn er dann in die Wanne steigt, das warme Wasser an sei-

nem Körper spürt, dann kommt wieder diese Stille, diese unheimliche Stille, die

nicht verschwinden will. Selbstmordgedanken keimen in der Stille empor und sein

Mund öffnet sich einen Spalt und verzieht sich zu einem bizarren Grinsen. Dann

lacht er laut, so laut, das die Wände in seinem Badezimmer zu Beben an fangen.

Plötzlich fiel ihm ein weiteres Genie ein: Ernest Hemingway, Nobelpreisträger für

Literatur(1954) und ein bisschen verrückt. Zu Ende seines Lebens(er war ein schwe-

rer Trinker) konnte er nicht mehr schreiben und das konnte er nicht akzeptieren und

schoss sich deshalb mit seinem Jagdgewehr, den ganzen Schädel weg. Für die An-

gehörigen muss sich ein entsetzliches Bild dargeboten haben. Aber der Einsame will

nicht sterben, jetzt gerade mit 45Jahren, das wäre viel zu früh, dachte er. Ich bin kein

Picasso und auch kein Hemingway, schreit er in der Badewanne sitzend. Ich will le-

ben und das Leben ist schön, brüllt er. Dann dachte er nach und ihm fiel Albert

Einstein ein, der einmal sagte: „Du musst die Welt nicht verstehen, du musst dich nur

darin zurecht finden.“ Der Einsame schnellt hoch aus der Wanne, seine Zähne bli-

-2-

 

tzen, er fühlt sich auf einmal stark und hatte das perfide Spiel vorerst gewonnen.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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