Mirjam Horat

Ungeplanter Zwischenstopp

 (für einmal aus der Sicht meiner Zwillingsschwester erzählt)

 

Das Grümpelturnier, kurz genannt Grümpi, stand wie jedes Jahr kurz vor Beginn der Sommerferien, vor der Tür. Klar waren wir auch dieses Jahr wieder mit von der Partie, wenn auch nicht als wahnsinnig talentierte Fussballspielerinnen, aber frei nach dem Motto: Dabei sein ist alles! Aufgrund unseres umwerfenden Fussballkönnens, war es für niemanden eine Überraschung, dass unsere Mannschaft, jährlich wiederholend, schnell und unabwendbar rausflog. Aber das tat unserer Stimmung keinerlei Abbruch. Schliesslich gaben wir immer noch die besten Fans und Zuschauerinnen ab.

Das Spiel, wie auch der Tag, neigte sich bereits dem Ende zu, so sattelten wir unsere metallicblauen Drahtesel, Marke California, und machten uns allmählich auf den Heimweg. Ich fuhr wie üblich voraus. Mein Schwesterchen, mit ihrem Vorderrad fast neben dem meinigen, hinterher. Es war ein angenehm warmer Abend, der Fahrtwind fühlte sich unglaublich erfrischend an. So streckte ich meine Arme in die Höhe, liess meine Finger in der Luft tanzen und genoss einfach nur den lauen Gegenwind.

Der Rückweg bis zu unserem Haus, war keine zehn Minuten entfernt und ging stets einwenig bergab. Ich erreichte bereits die untere Kreuzung, als ich einem Jungen, namens Sam, begegnete, der mir etwas zurief. Irgendwas von ‘Schwester...?’ glaubte ich verstanden zu haben.

So legte ich einen kurzen Zwischenstopp ein, nicht nur weil ich ihn nicht verstanden hatte, sondern auch weil wir ihn schon immer unglaublich süss fanden, und fragte ihn, was er eben wissen wollte.

 

“Bist du heute ganz alleine unterwegs, ohne deine Schwester?”

 

“Wie ohne meine Schwester? Nein sie ist direkt hinter....” noch während ich sprach, blickte ich nach hinten, doch da war niemand, keine Mirj.

Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Völlig verdattert kuckte ich, ohne was zu sagen, für ein paar Sekunden, mit suchendem Blick der Strasse entlang. Nichts... Ich brauchte einen Augenblick, bis ich endlich die Fassung wieder fand und sagen konnte:

 

“Merkwürdig, eben war sie doch noch hinter mir.” dabei liess ich die Strasse keinen Moment aus den Augen, doch meine Schwester tauchte nicht auf. Mir schwante übles. ‘Wo konnte sie nur sein? ...Überholt hat sie mich bestimmt nicht... Eine Abkürzung gab es auf dieser Strecke erst gar nicht... Seltsam.’ Ein Gedankenwirrwarr schwirrte durch meinen Kopf, ich schaffte es nicht einen einzigen, klaren Gedanken zu fassen. Konzentriert und gebannt wartend schaute ich in die Ferne. Immer noch nichts...

Sam schätzte die Situation gekonnt ein, wahrscheinlich aufgrund meines erschrockenem Gesichtsausdruck oder der Fassungslosigkeit.

Immer noch keine Mirj...

Längst hatte er begriffen, dass ich unbeabsichtigt alleine hier stand. Er bot mir hilfsbereit an, mich mit ihm zusammen auf die Suche nach Mirj zu machen. Das Angebot nahm ich gerne an. Also fuhren wir, die für mich gerade erst zurückgelegte Strecke zurück. Nirgends war eine Spur oder nur ein Anzeichen von ihr.

Schon fast wieder beim Grümpi angelangt, stiessen wir auf einen Menschentumult, mitten auf dem Gehweg. Ich hatte das ungute Gefühl, dass es etwas mit meiner Schwester zu tun haben könnte. Und diese Befürchtung wurde zu meinem Schrecken auch sogleich bestätigt, als ich ein, mir nur all zu bekanntes, metallicblaues Velo am Boden liegen sah. Klirr! ... Meines gesellte sich zu ihrem dazu. Ich eilte, weder nach links noch nach rechts kuckend, durch die Menschenmenge hindurch, zu ihr hin.

 

‘Sie lag hier auf der Strasse‘.... ‘Sie ist schon seit einer ganzen Weile bewusstlos‘... ‘Sie hat sich ziemlich heftig den Kopf angeschlagen‘...  hörte ich unzählige Stimmen kreuz und quer, doch ich reagierte nicht darauf. Meine Augen waren nur auf sie gerichtet.

 

Ein paar hilfreiche Hände hoben sie langsam hoch und trugen sie vorsichtig zu dem nebenan liegenden Reiterhof. Unterdessen machte sich Sam auf den Weg, um unsere Eltern zu informieren. Mir wurde ganz mulmig zu Mute. Ich wollte ihr helfen, aber wie? Sie sah einfach schlimm aus.

 

“Mirj? ... Hey Mirj, hörst du mich?” fragte ich sie leise, und hielt ihre Hand.

 

Da endlich, zwei dunkelblaue, verwirrte Augen blickten mich aus einem blassen, farblosen Gesicht an. Nach und nach kam wieder einwenig Leben und auch Farbe in ihren Körper und ihr Gesicht, fast gleichzeitig unsere Mutter, von der Nachbarin chauffiert, angebraust.

Schnell stand für unsere Mutter fest, die Krankenschwester war, dass Mirj in die Notfallstation gehört. Der Arzt äusserte gleich zu Beginn, die Vermutung, dass ein Verdacht auf Schädelbruch bestünde. Nach zahlreichen Untersuchungen, diversen Tests, und unzähligen Minuten oder gar Stunden, kam der Arzt endlich mit dem Befund: starke Hirnerschütterung.

In diesem Moment waren wir alle einfach nur heilfroh, dass es ‘nur’ eine Hirnerschütterung war.

 

 

 

Noch eine kleine Erklärung aus meiner eigenen Sicht, wie es zu dem Unfall kam:

 

Ich sah wie meine Schwester freihändig vor mir radelte, die Arme in die Luft streckte, das Fahrgefühl genoss. Es wirkte so befreiend, so wundervoll, so grossartig. Mir war klar: Das schaff ich auch! Wie sehr ich mit dieser Vermutung doch falsch lag!

Mein Rad küsste unsanft den Randstein des Gehweges, alles um mich herum wurde schwarz...

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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