Helmut Wurm

Mephisto und der angeblich richtige Elite-Bündische



 

Kurzes Vorwort

Auch dieses nachfolgend geschilderte Ereignis möchte ein allgemeines Anliegen am Beispiel der Bündischen exemplarisch darstellen. Das Thema betrifft also alle sozialen Gruppierungen. Denn immer dann, wenn in Gruppen die Toleranz für weniger Fähige und Begabte fehlt, kann einTeufel seine Schadwirkung ansetzen. Und darunter leidet dann wieder die ganze Gruppe. Diesbezüglich sollte man in allen Gruppen wachsam sein. Doch nun zum exemplarischen Ereignis:

Mephistos erfolgloser Schadversuch Nr. 3 gegen die Bündischen

Es ist 1 Monat nach dem fehlgeschlagenen Versuch des Mephisto, negativen Einfluss auf den bündischen Werte-Kanon zu nehmen. Seine Untersuchungen nach den Ursachen für sein 2. Scheitern sind unbefriedigend geblieben. Nun hat er alle seine Hilfskräfte zu einem Meeting einberufen, nicht wieder in die Hexenküche im Ith-Gebirge, sondern direkt auf dem Brocken. Hier ist die Rundumsicht besser, denn Mephisto befürchtet (wie wir wissen mit Recht), dass er in der Hexenküche von den Felsen darüber belauscht worden sein könnte.

 

Mephisto sitzt auf dem Brockengipfel auf einem dicken Stein und um in herum hocken seine Hilfskräfte. Auch sie sind diesmal etwas bedrückt, denn schließlich hat diese zweite Blamage sie mit betroffen, denn sie waren ja Mitakteure gewesen. Mephisto beginnt seine Eröffnungs-rede ziemlich direkt.

 

Mephisto (langsam, ernst): Mitstreiter gegen das Gute und Richtige und Vernünftige. Unser Plan damals vor einem Monat, den Bündischen langfristigen schweren Schaden zuzufügen, ist durch eine noch nicht ganz aufgeklärte Gegenaktion des Gegners zunichte gemacht worden. Allen Indizien nach waren unser alter Gegner Sokrates und der alte bündische Führer dabei führend beteiligt. Es ist bisher nur geklärt worden, dass sich der Hilfsteufel, der das PC-Schad-programm aus der teuflischen Schadprogramm-Schmiede zu mir bringen sollte, durch einen geschickt als Teufel getarnten Agenten täuschen ließ und ihm unser Paket aushändigte. Wer dieser Agent gewesen ist, konnte nicht geklärt werden. Aber jedenfalls ist dann unser Karton gegen einen täuschend ähnlichen anderen Karton mit einem ganz anderen Programm, das ihr mittlerweile wohl alle gründlich studiert habt, vertauscht worden und ihr habt dann dieses neue, ausgetauschte Pogramm in das Internet und auf die bündischen PCs eingespeist. Unsere Gegner werden sich über ihren Erfolg sehr gefreut haben. Und schon wieder haben mir einige Flugengel „eine Nase gedreht“, als sie hier an mir vorbei flogen. 

 

(Bei diesen Worten klingt aus der Menge wütendes Gemurmel und einigen Rufe sind zu hören, wie „Das machen wir wieder gut... Diese Scharte wetzen wir wieder aus...)

 

Ich vernehme, dass euch das alles nicht gleichgültig lässt und ihr nach Rache ruft. Das ist gut. Der dumme Transport-Teufel ist übrigens bestraft worden. Er darf für 1000 Jahre nicht mehr die Hölle verlassen und muss niedere Arbeiten verrichten. Euch aber habe ich hier zusammen gerufen, dass wir gemeinsam überlegen, wie wir diese Niederlage durch einen großen und endgültigen Erfolg ausgleichen. Wir müssen kämpfen, bis wir den Endsieg über das Ansehen und die Beliebtheit der Bündischen errungen haben.

 

Lasst mich noch einmal kurz unsere bisherigen gescheiterten Pläne darstellen, um dann nach einem neuen und dann hoffentlich erfolgreichen Plan gemeinsam zu suchen.

 

- Der 1. Versuch, Streit unter den Bündischen zu erzeugen, sie in 2 Lager zu spalten und ihre Energie dann ähnlich wie bei den antiken Griechen in Bruderkämpfen sich verbrauchen zu lassen, ist durch das Eingreifen des alten bündischen Führers, dieses verteufelten bündischen Gandalfs, leider völlig fehlgeschlagen. Seine Rede auf dem überbündischen Kongress war derart beeindruckend und wirksam, dass sich die Bündischen wohl nicht mehr auf das Glatteis politischer Richtungskämpfe führen lassen.

 

- Der 2. Versuch, den bündischen Werte-Kanon in Richtung des primitiven Massengeschmacks zu verflachen und dazu eine sehr moderne massenpsychologische Marketing-Erkenntnis zu verwenden, nämlich die dauerhafte Berieselung der Bündischen über das Medium Internet und PC mit einem flachen bündischen Werte-Kanon, ist, offensichtlich durch Gegenspionage und geschicktes Täuschungsmanöver, ebenfalls gescheitert. Das neue bündische Werte-Programm, vermutlich in der Umgebung des alten bündischen Gandalfs entwickelt, ist derart überzeugend, dass es letztlich nicht mehr zu verdrängen ist. Vielleicht kann man es an bestimmten Stellen aber etwas unterlaufen.

 

So bleibt jetzt nur noch ein ganz neuer, anders gearteter Versuch und über diesen müssen wir uns jetzt teuflische Gedanken machen. Es ist auch für euch hoffentlich unerträglich, wie viele Menschen diese Bündischen bewundern und welches Ansehen die Bündischen bei den meisten Engeln und auch bei Petrus haben. Das dürfen wir nicht einfach so hinnehmen. Es geht darum, ihr Ansehen zu mindern und ihre Anzahl zu verringern... Aber wie? Ich bitte um Vorschläge...

 

Die teuflische Runde (ungeordnete Zwischenrufe): Man müsste ihre Gitarren verstimmen...

Quatsch, die Bündischen stimmen ihr Wind- und Wetter erprobten Gitarren immer wieder richtig neu... Man müsste ihre Liederbücher verstecken... Auch Quatsch, denn die meisten Bündischen kennen ihre schönen bündischen Lieder auswendig... Man müsste sie in ihrem Selbstverständnis so elitär machen, dass sie an Ansehen einbüßen... Ja, macht sie richtig eingebildet, damit schafft man sich immer Feinde... Damit fänden sie auch weniger Zulauf, denn wer will schon Mitglied bei Eingebildeten werden... Einbildung ist auch eine Bildung, nur eine die schadet statt nützt... Man müsste sie nicht nur eingebildet, sondern auch einseitig machen... Ja, bisher können diese Bündischen so Vieles, ja viel zu viel: Die können wandern, singen, musizieren, Burgen bauen, im Freien leben...   

 

Mephisto (unterbricht mit Armbewegungen die Ideenzurufe): Haltet mal gerade ein, ihr habt mich auf eine Idee gebracht, eine Richtung, die wir weiter verfolgen sollten. Wie wäre es denn,

wenn wir die Bündischen allmählich dazu brächten, ihre breite Fähigkeiten-Palette so elitär und eingebildet einzuschränken, dass immer weniger Neue zu ihnen kämen... Dann ginge es ihnen wie den alten Spartanern, die allmählich ausstarben, weil sie sich engstirnig-einseitig nur auf das Kämpfen spezialisierten und die Anforderungen für den Eintritt in die Reihen der Kämpfer so hoch steckten, dass immer weniger junge Leute dafür geeignet waren... Das wäre der all-mähliche Untergang der bündischen Bewegung... Man ginge, gewissermaßen bewundert von den anderen Menschen allmählich als Bewegung ein... Das wäre eine Erfolg versprechende teuflische Richtung... Auf worauf sollten sie sich elitär-engstirnig spezialisieren, was sollten sie für unwichtig halten? Denkt darüber mal weiter nach!

 

Die teuflische Runde (ungeordnete Rufe): Lasst sie doch ihr Gitarrenspiel-Kunst im Wert übersteigern... Man müsste sie zu elitären, eingebildeten Sängern machen... Singen müsste zum Wichtigsten in ihrem Leben gemacht werden... Wandern brauchte man nicht mehr zu können... Statt den Rucksack nur die Klampfe als Ausrüstungsgegenstand... Jeder, der keine Gitarre spielen kann, muss bei ihnen an Wert und Achtung einbüßen... Wer nur wandern und bauen und singen kann, sollte nur noch als graues Gruppen-Füllsel gelten... Und viel saufen können sollte bei ihnen mehr Wertschätzung haben... Ja, gutes Klampfenspiel, gut singen und auch saufen können, das wäre eine elitär-einengende Merkmals-Kombination für die Zukunft... Und tiefe Stimmlagen natürlich, das passt zum Singen und Saufen... Und Rauchen fördert tiefe Stimmen... 

 

Mephisto (unterbricht mit Armbewegungen die Ideenzurufe): Haltet ein, ihr habt einige gute Vorschläge geliefert... Tatsächlich gibt es schon den einen oder anderen Bündischen und die eine oder andere bündische Gruppe, die sich dieser Einengung nähern... Diese Richtung weiter zu fördern wäre wohl eine lohnende teuflische Schad-Aktion... Hauptsächlich Wert auf gutes Klampfenspiel, gutes Singen, eine tiefe Stimme und auch auf Sauffähigkeit legen, das wäre eine sinnvolle Kombination... Wer diese bündischen Qualifikationen nicht erfüllt, sollte künftig nicht mehr aufgenommen werden oder bleibt nur ein Gruppenfüllsel 2. Klasse oder wird bald ausgeschlossen... So müsste das Erscheinungsbild eines Bündischen in der Zukunft aussehen: Gitarre auf dem Rücken, tiefe Stimme und eine Wein- oder Bierflasche schaut aus der Tasche heraus... Wenn dann in der Öffentlichkeit bekannt würde, dass nur solche Typen bei ihnen als Neue aufgenommen würden, wäre das das langfristige Ende der bündischen Bewegung... Ja, musikalisch bewundert, aber ein kleiner Haufe ohne Breitenwirkung, so müssten wir das Image der künftigen Bündischen formen können... Wie bei den Spartanern...

 

Jetzt möchte ich mal wissenschaftlich werden: Wenn man bestimmte Zugehörigkeitsmerkmale bei einer Gruppe feststellen kann und diese Merkmale wiederum Voraussetzung für Neueinritte sind, dann nennt man das in der Wissenschaft „Siebung“... Lasst uns die Siebungskriterien bei den Bündischen ändern und einengen, dann ändert sich von selbst auch ihr Werte-Kanon... Bisher sind die Siebungskriterien bei den Bündischen noch sehr weit gefasst, eigentlich gehört derzeit nur die Freude am bündischen Leben dazu. Aber das könnte man ja allmählich ändern.

Aber wie könnten wir das erreichen? 2 Methodenwege sind bereits gescheitert.

  

Die teuflische Runde (ungeordnete Rufe): Lasst es uns doch so machen, wie Karl Marx es vorschlug: über Agitatoren in den Gruppen... Von uns sollten einige als Bündische getarnt in die Gruppen eintreten und dort die bündische Meinung beeinflussen... Dann müssten die ja musikalisch sein... Und gut singen können... Und auch saufen können... Und tiefe Stimmen haben...

 

Mephisto (unterbricht wieder die Zurufe): Das war das richtige Stichwort: Wie Agitatoren... Wenn einer dieser Agitatoren etwas falsch macht, dann machen die anderen erfolgreich ihre Arbeit weiter... Da verteilt sich das Risiko eines Scheiterns... Und saufen kann jeder Teufel... Und tiefe Stimmen haben viele Teufel... Und musikalisch sind sicher auch viele Teufel, denn wir haben ja ein gut besetztes höllisches Orchester... Lasst uns doch mal die Probe machen: Jeder von euch Hilfsteufel, der sehr musikalisch ist, eine tiefe Stimme hat, gut singen kann und obendrein auch Gitarre spielen kannn steht jetzt mal auf. (Es steht eine größere Anzahl von Hilfsteufeln auf) So viele, das ist erfreulich... Stellt euch doch mal alle hier zu meiner Linken auf.

 

(Die geeigneten Hilfsteufel stellen sich zu einer Gruppe zusammen. Mephisto geht zu der Gruppe hin und mustert jeden eingehend, macht Stimmproben und gibt dem einen oder anderen eine Gitarre in die Hand zum Vorspielen)

 

Das genügt, mit euch kann man den großen Agitatoren-Cup starten und den Endsieg über die Bündischen einleiten. Wir schaffen nur die Voraussetzungen, den Rest werden die Bündischen dann selber erledigen. Die Bündischen sind manchmal wie die früheren Germanen sich selber die größten Feinde. Besorgt euch jetzt in der höllischen Bibliothek bündische Liederhefte, lasst euch Gitarren geben und übt fleißig. Wir treffen uns dann in einem Monat wieder hier zu einer Vorbereitungsschulung für eueren agitatorischen Einsatz. Wir treffen uns deswegen in diesem Gipfelgeröllfeld wieder, weil hier oben die Rundumsicht besser ist und wir unerwünschte Mit-beobachter schnell entdecken können. Es könnte sich dabei eigentlich nur um Spionage-Engel handeln, die aber wegen ihrer hellen Kleidung leicht auffallen, wobei ich trotzdem vermute, dass einige dieser Spionage-Engel unser nächtliches Treffen in der Hexenküche im Ith-Gebirge beobachtet haben. Menschen werden uns nur schwer zu einer Gefahr, weil sie uns Teufel nur als nach Schwefel riechende Schatten wahrnehmen können... Und die kleine, dunkle Wolke da oben ist uns auf jeden Fall keine Gefahr, denn es handelt sich um eine der hier oben üblichen Gipfelwolken.

 

So und nun ab in die Hölle mit euch, die einen zu ihrer normalen Arbeit, die anderen zu den Vorbereitungen für eueren Einsatz.

 

(Damit schließt Mephisto das Treffen, hoffnungsvoller als er es begonnen hat)   

 

Was Mephisto nicht wusste:

 

Die kleine, dunkle Wolke barg eine viel größere Gefahr, als Mephisto vermutete. Darin saß nämlich Sokrates, gut versteckt und mit seinem uns bereits bekannten Hörrohr ausgerüstet, und hatte alles mit angehört und sich auch bereits einen Gegenplan ausgedacht.

 

Sokrates hatte nämlich an dem Abend, als der kleine Kreis im Haus des alten Führers den Sieg über den 2. Schad-Versuch des Mephistos epikureisch, aber trotzdem fröhlich feierte, bereits angedeutet, dass er vermute, Mephisto werde weiterhin oder erst Recht keine Ruhe geben und einen erneuten Plan aushecken, den Bündischen zu schaden, denn deren gelegentliche Einfalt und Weltfremdheit sei immer wieder für einen durchtriebenen Teufel eine Verlockung. Er werde deswegen Mephisto weiter im Auge behalten und mithelfen, einen eventuell neuen Schad-Plan von dessen Seite zu verhindern.

 

So hatte denn Sokrates öfter als sonst eine Wolke bestiegen und bevorzugt das Gebiet um den Brocken im Harz überflogen, weil er wusste, dass Mephisto dort oben besonders gerne saß. Und eines Tages hatte er dann auf dem Brockengipfel im Geröllfeld zunehmende verdächtige Schattenbewegungen festgestellt und sofort an die Vorbereitung eines erneuten Treffens des Mephisto mit seinen Hilfsteufeln gedacht. Er hatte eine dunkle, kleine Standwolke geordert und saß nun seit einigen Tagen darin auf Beobachterposten. Heute Abend hatte er dann das Treffen erkannt, sein Hörrohr eingesetzt und alles mitgehört.

 

Sokrates war dann zum alten bündischen Führer geeilt, genauer mit seiner Wolke geflogen, und dort hatte sich sofort wieder ein Krisenstab gebildet. Schnell wurde allen die Gefahr klar und auch die Methode als solche, die das Risiko für Mephisto verringerte. Der alte bündische Führer hatte als erster folgenden Vorschlag gemacht:

 

Der alte bündische Führer: Ich werde alle erprobten bündischen Führer nach hier bitten und sie darauf vorbereiten, alle bündischen Gruppen zu besuchen, um diese auf den teuflischen Plan einer schlechten Elite-Bildung bei den Bündischen aufmerksam zu machen und mit ihnen die Grundsätze und Vorteile der Vielfältigkeit, Toleranz und Eigenschaftenverteilung innerhalb einer Gruppe durchzusprechen und sie besonders darauf zu trainieren, fremde Neue genau zu prüfen. Das wird schon ein Mittel zur Schadenbekämpfung sein.

 

Sokrates: Das ist ein richtiger Weg. Noch besser wäre es natürlich, man könnte bereits wieder im Vorfeld den ganzen Plan zunichte machen. Ich werde deswegen mal mit der altgriechischen Zauberin Kirke sprechen. Da diese aus verschmähter Liebe manchmal Männer eine Zeitlang in Tiere verwandelt, aber sonst eigentlich niemandem geschadet hat, bekam sie bei der Umstruk-turierung und Auflösung des Olymps mildernde Umstände zugebilligt und muss sich als Strafe mit einer langweiligen Himmelsecke begnügen, wo sie eine Art privates Laboratorium betreibt. Gelegentlich wird ihr Rat eingeholt, aber eigentlich langweilt sie sich sehr. Wir kennen uns aus der antiken Zeit. Ich werde sie fragen, ob sie uns helfen kann, denn ich habe da eine Idee.

 

Danach hatte sich Sokrates zur Kirke begeben und gefragt, ob sie auch Hilfsteufel in Tiere ver-wandeln könne, bezüglich der Umwandlung von Menschen habe sie ja Erfahrung. Kirke hatte sich das durch den Kopf gehen lassen und dann gemeint, sie könne sicher auch Hilfsteufel in Schweine verwandeln, aber nicht den Mephisto, denn der sei zu mächtig und ebenfalls in allen Arten von Zauberei bewandert. Sie müsse dazu aber erst umfangreichere Vorbereitungen treffen, denn sie benötige künstliche Nebelschwaden und bestimmte Gase und Essenzen und sie müsse sich die alten Zauberformeln erst wieder beibringen, da sie über 2000 Jahre aus der Übung gekommen sei. Sokrates hatte auf die Zeitspanne von 1 Monat verwiesen und Kirke hatte zugesagt, an diesem Zeitpunkt zusammen mit ihm und ihren Zauberei-Materialien auf der Wolke über dem Brocken-Gipfel zu sein.

 

1 Monat später:

 

Im Geröllfeld des Brockengipfels wartet die Schar der ausgewählten Teufel auf Mephisto. Alle haben Gitarren umhängen, einen Stapel Liederbücher neben sich liegen und sitzen so wartend auf den Felsbrocken. Gelegentlich klimpert einer auf der Gitarre, aber ferne Wanderer hören nur Töne, die auch der Wind hervorgerufen haben könnte. Endlich kommt Mephisto. Er trägt einen dicken Ordner unter dem Arm, auf dem säuberlich in schwarzer Schrift steht: Kurs für subversive agitatorische Tätigkeiten bei Bündischen. Dann beginnt er einen straffen Unterricht.

 

Mephisto: Also ihr seid jetzt Bündische, und zwar der schlechten, oberflächlichen, elitären und eingebildeten Sorte. Wenn ihr in der Öffentlichkeit auftretet, dann tut ihr das in stolzer Haltung

und mit selbstbewusstem Gesichtsausdruck. Denn ihr seid eine besondere Art von Menschen, ihr habt nämlich tiefe, wohlklingende Stimmen, könnt ausrucksvoll singen und Gitarre spielen. Man muss euch anmerken, wie ihr das Ansehen genießt, das ihr habt. So, das üben wir jetzt mal... Auf, hinstellen und über den freien Platz hier zwischen den Felsen gehen... Bitte, schön langsam, denn jeder soll euch ja sehen... Selbstbewusster, mehr die Brust heraus, stolzer der Blick... Gelegentlich mal über die Saiten streichen... Sich langsam hinsetzen und dem einen oder anderen gnädig zuwinken...

 

So und nun das erste Lied: Mit tiefer Stimme singen... Mehr Moll-Akkorde einschieben... Zeigt, wie ihr Gitarre spielen könnt, wie leicht ihr die Melodie begleitet... Wenn einer neben euch ein Anfänger ist, schaut ihn verächtlich an... Korrigiert ihn sofort so, dass die anderen es merken und hämisch grinsen...

 

Und nun müsst ihr zur Bierflasche greifen und einen tüchtigen Schluck tun... Ein großes Glas Rotwein ist ebenso gut. Behauptet, ihr müsstet euere Stimmen ölen. Bier und Rotwein müssen euch aus diesem Grund den ganzen Singeabend begleiten bzw. euer Normalgetränk sein... Ihr müsst versuchen, den vernünftigen Werte-Kanon des alten bündischen Gandalfs wenigstens in dieser Beziehung aufzuweichen... Spottet über jeden, der das nicht tut. Denkt daran, saufen können ist neben dem Spielen euer Markenzeichen, auch wenn der bündische Wertekanon sich für Mäßigung ausspricht... Na, das geht ja alles schon ganz gut bei euch.

 

So und jetzt folgt der Übungsteil Dauersingen. Ihr sollt jetzt 100 Lieder ohne Pause spielen und singen können. Und immer, wenn einer von euch etwas zaghaft und unsicher anfängt, muss der Rest mit einem anderen Lied über ihn herfallen und ihn nieder singen. Denn solche Singe-Intoleranz zerstört das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe. Und darum geht es ja als Nebeneffekt... Jetzt müsst ihr also singen, singen und singen. Dadurch verliert das einzelne Lied an Wert... Singt euch in eine Trance hinein... Lasst kein kurzes Gespräch zwischen den Liedern zu... Ölt euere Kehlen zwischendurch mit Bier... Und jeder, der nicht mithalten kann, muss von euch belächelt werden... Wenn jemand nach einiger Zeit des Singens müde wird und sich schlafen legen möchte, dann verspottet ihn als Weichling. Zur bündischen Elite gehört, dass man eine ganze Nacht durchsingt und durchgrölt...

 

So und nun zum mentalen Training: Ihr seid selbstbewusste Bündische, Sänger, Barden. Wer das nicht ist bzw. werden kann, weil er nicht musikalisch genug ist, den müsst ihr lächerlich und schlecht machen. Als Mindestverhalten schaut ihr an ihm vorbei oder durch ihn hindurch... Sobald so einer den Mund aufmacht, schneidet ihm das Wort ab. Wer nicht gut Gitarre spielen und singen kann, hat bei euch nichts verloren... Gut singen und spielen, das sind die beiden Hauptqualitäten, die für euch ein Bündischer haben muss... Alle anderen haben nach eurer Meinung in bündischen Kreisen eigentlich nichts verloren... Beeinflusst euere Gruppen in dieser Richtung...

 

So und nun denkt an die anderen möglichen Fähigkeiten euerer Gruppenmitglieder. Lasst euch nicht aufs Wandern ein, habt immer eine Ausrede, wenn wandern vorgeschlagen wird... Und auf Fahrten ratet zu Bus- und Bahnfahrten... Bauen braucht kein Bündischer mehr zu können, denn dafür gibt es Handwerker... Freundlichkeit und Bescheidenheit sind veraltete Grundsätze

und nur für bürgerliche Spießer gedacht... Bildung und Interesse an Kultur und Umwelt sind überflüssig, sie gehören in die Schule, aber nicht in eine bündische Gruppe...

 

Noch einmal: Ihr seid hauptsächlich anerkannte und bewunderte Sänger und bildet eine Elite, die im eigenen Saft schmort... Singen und Gitarre spielen ist das Primäre und Wichtige, was euch kennzeichnet. Alle anderen müssen stille Gruppenfüllsel sein oder euere Gruppen ganz verlassen... Macht diese Hinweise immer wieder neu... Ihr seid ständige Agitatoren, die lang-sam Einfluss auf die Gruppenmeinung bekommen müssen... Der Name Wandervogel ist nach euch völlig veraltet, nicht mehr zeitgemäß... Und je mehr ihr gelobt werdet bezüglich eueres Singens, desto schwerer muss es werden, als Neuer bei euch Fuß zu fassen... Wenn ihr es geschafft habt, dass nur noch Neue mit besonderer Veranlagung zu gutem Singen und Spielen bei euch Aufnahme finden, dann haben wir gewonnen, dann werden euere elitären Gruppen immer kleiner und später dann allmählich vergessen... Wie eben die Spartaner früher...

 

So und jetzt zu eurer Kleidung: Locker, etwas vergilbt und auch etwas schmuddelig solle sie sein. Ich habe da einen ganzen Haufen mitgebracht, täuschend ähnliche Imitate aus der teuf-lischen Konfektionsfabrik. Es ist alles dabei, vom Barett über das Halstuch bis zur Fahrtenhose und dem zugehörigen Gürtel... Ihr braucht sie nicht einzeln anzuziehen, das mache ich mit einem Zaubertrick schneller... Und außerdem sollen euere Gesichter etwas glatter werden. Stellt euch mal ruhig hin!

 

(Mephisto schnippt nur mit den Fingern, murmelt „ So sollen sie aussehen“ und schon haben alle die schönste zünftigste bündische Kleidung an und ihre Gesichter sind glatt)

 

Ihr seht gut aus, täuschend ähnlich... Ihr seid wirklich gelungene Plagiate... So und hier ist die Liste der Gruppen, in die ihr eingeschleust werden sollt... Euer Einsatz wird übrigens mehrere Monate und Jahre dauern... Stellt euch darauf ein... Bitte stellt euch nun um mich herum!     

 

(In diesem Augenblick, wo alle nun eng um Mephisto stehen, sinkt von einer kleinen, dunklen, harmlos aussehenden Wolke ein Nebelschwaden herab und hüllt die ganze Gruppe ein. Dieser Nebel hat einen merkwürdig betörenden, schläfrig machenden Geruch und die Stimmen der Hilfsteufel werden merkwürdigerweise immer leiser, bis tiefe Stille herrscht. Nur Mephisto ist weiterhin zu hören, wie er den einzelnen Hilfsteufen die zugedachten Gruppen zuteilt und sie auf dieses und jenes Besondere innerhalb dieser Gruppe hinweist. Schließlich wird es ihm zu still und er ruft):

 

He, ihr faulen Teufel, ihr habt doch bestimmt noch Fragen, wie ich euch kenne. Weshalb seid ihr denn so still?

 

(Und dann tritt er einem der unsichtbaren Hilfsteufel auf den Fuß, um ihn zum Sprechen zu bringen, denn unter Teufeln sind die Umgangsformen ziemlich rau. In diesem Augenblick ertönt ein erschrecktes Grunzen und Quieken, der Nebelschwaden hebt sich gleichzeitig wieder vom Boden und Mephisto wird wieder sichtbar, aber umgeben von einer Gruppe schlafender Schweine, die Baretts auf haben, Halstücher umhängen haben, um die dicken Bäuche Gürtel tragen und die die Hinterbeine in Wanderhosen verstecken)

 

Mephisto (völlig aus der Fassung): Ich habe den falschen Zauberspruch getan... Dass mir so etwas passieren musste, gerade jetzt... Schnell den Rückwandelspruch.

 

(Er schnippt mit den Fingern und sagt „Alter Zustand wie früher“. Aber es tut sich nichts. Er schnippt wieder und wieder, um ihn herum liegen schlafende Schweine in einer merkwürdigen Verkleidung. Er beginnt zu toben, Schwefel dringt ihm aus allen Poren, er ruft und schnippt und schnippt und ruft, es ändert sich nichts. Verzweifelt schaut er nach oben.

 

In diesem Augenblick beugen sich 2 Köpfe über die kleine, dunkle Wolke, die merkwürdiger-weise noch über dem Geröllfeld steht, nämlich der grauhaarige Kopf eines sympathischen alten Mannes und der Kopf einer mittelalten schönen Frau mit langen Haaren und es ertönen zwei Stimmen):

 

Die eine, weibliche Stimme: Gib dir keine Mühe, Mephisto, mein Zauber wird einige Wochen halten, dann werden deine Hilfsteufel allmählich wieder ihre ursprüngliche Gestalt annehmen. Aber wenn ich ehrlich bin, sehen sie als Teufel auch nicht viel schöner aus als Schweine... Übrigens sorry, ich bin zur Gegenpartei übergegangen und immer noch ganz gut in meinem Handwerk...  

  

Die andere, männliche Stimme: Hallo, Mephisto, auch kleine, dunkle Wolken können für einen Teufel manchmal gefährlich werden. Es ist doch gut gewesen, dass ich ein Auge auf dich behalten habe... Es tut mir übrigens leid, dass solche schöne bündische Kleidung derzeit an so unwürdigen Körpern hängt. Es handelt sich zwar nur um höllische Imitate, aber ich halte es trotzdem für unwürdig, dass selbst bündische Imitate Teufels- und Schweinekörper bekleiden. Kirke, hilf doch mal, diese Wesen von der unbequemen bündischen Bekleidung zu erlösen.

 

(Darauf senkt sich wieder von der kleinen, dunklen Wolke eine Nebelschwade herunter und als sie wieder nach einer Weile langsam hoch steigt, liegen um den völlig erstarrten Mephisto nur noch unbekleidete schlafende Schweine)

 

Mephisto (völlig außer sich, wirft seinen Kursordner auf den Boden und trampelt darauf herum): Schon wieder dieser Sokrates... der hat offensichtlich bei allen Aktionen gegen uns Teufel die Hände im Spiel. Man kann nicht mehr seiner normalen Teufelstätigkeit nachgehen, ohne Angst vor seinen Störaktionen haben zu müssen... Und dazu noch dieses Zauberin-Luder Kirke... Ich dachte, die wäre nach der Auflösung des Olymps zu uns übergegangen... Die fehlt mir gerade noch auf der Gegenseite... Und dann ist hier vermutlich auch dieser alte bündische Gandalf im Spiel gewesen... Wie ich den hasse...

 

(In diesem Augenblick flattert ein Briefbogen von der kleinen, dunklen Wolke herunter direkt in die Hände des Mephisto. Der liest)

 

Der Briefbogen:

Böser Mephisto,

auch wenn es Kirke nicht gelungen wäre, deine Hilfsteufel in Schweine zu verwandeln, wären wir vorbereitet gewesen. Wir hätten alle bündischen Gruppen aufgesucht, in denen unbekannte Neue aufgetaucht wären und hätten diese Gruppen gewarnt und Kirke hätte versucht, diese Neuen vor Ort wieder in erkennbare Teufel zurück zu verwandeln. Das wäre ihr dann sicher gelungen. Wir wollen übrigens deine eingebildeten Elite-Barden nicht. Denn bei uns werden alle Mitglieder gleich geschätzt, ob sie musikalisch sind oder nicht. Eine Gruppe benötigt viele verschiedene Fähigkeiten. Dass wir trotzdem gerne singen und musizieren bleibt uns in aller Toleranz unbenommen. Wer nicht gut singen kann, brummt eben leise mit, hauptsächlich er singt gerne.

 

Mit verachtungsvollen Grüßen

Der bündische Gandalf

 

PS.: Lass uns am besten in Ruhe!!!

 

Mephisto (zerknüllt den Briefbogen und tritt ebenfalls auf ihm herum): Wieder eine Nieder-lage... Ich bekomme vermutlich Schwefelsteine in meiner Galle vor Ärger... Mit diesen Bündischen hat man nur Ärger... Am besten lässt man sie tatsächlich als Teufel ganz in Ruhe.

 

(Und damit versinkt er in einem Loch zwischen den Steinen im Geröllfeld auf dem Brocken)

 

 

(Verfasst von discipulus socratei, direkt nach der 3. Mephisto-Niederlage, denn er war bei dem Geschehen im Hintergrund ebenfalls wieder dabei)

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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